Koexistenz v. Manica rubida mit Myrmica sp.

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Boro
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#1 Koexistenz v. Manica rubida mit Myrmica sp.

Beitrag von Boro » 28. Mai 2012, 15:48

Über das eigenartige Verhalten verschiedener Myrmica spp. gegenüber anderen Gattungen wurde schon ein paar Mal im Forum berichtet:
http://www.ameisenforum.de/beobachtungen-im-freiland/41789-untermieter-bei-manica-rubida.html
http://www.ameisenforum.de/fotoberichte/39892-friedliche-koexistens-serviformica-sp-myrmica-sp-fotobericht.html
http://www.ameisenforum.de/europ-ische-ameisenarten-allgemeines/eigenartiges-verhalten-t35629.html
http://www.ameisenforum.de/beobachtungen-im-freiland/24873-territorialverhalten-und-k-mpfe-bei-ameisen.html
http://www.ameisenforum.de/einsteigerfragen/braveheart-t26970.html
http://www.ameisenwiki.de/index.php/Friedliches_Zusammenleben_von_Manica_rubida_und_Myrmica_sp.

Es scheint klar, dass einige Myrmica-Arten durch devotes und passives Verhalten gegenüber anderen Arten deren Aggressionspotential senken. Das erscheint "vernünftig", wieso soll man gegen einen überlegenen Gegner alle Mittel einsetzten, wenn man doch verliert.
Myrmica "schleicht" sich auch gerne an Futterquellen heran, die von einer anderen Art besetzt sind. Aggressivem Verhalten wird totales Stillhalten entgegengesetzt, gegen eventuell oberflächlich verspritztes Gift von Arten der Unterfamilie Formicinae scheinen Myrmica spp. weniger empfindlich.
Aber es kommt auch Koexistenz mit anderen Gattungen vor, wie im Link oben mit Serviformica (aus der cinerea-Gruppe) dokumentiert. Ich sehe für beide Teile einen Vorteil: Die überlegene Formica cf. cinerea lässt die zahlenmäßig überlegene Myrmica sp. bei ihren Läusekolonien und nötigt quasi als Gegenleistung den gesättigen Myrmica-Arbeiterinnen die Herausgabe von Futtersekreten (Honigtau) ab.
Jetzt kommen wir aber zu einem anderen Punkt: Wie sieht das Verhältnis von Manica rubida zu einigen Myrmica-Arten aus? Vor Jahren konnte ich beobachten, dass Myrmica-Arbeiterinnen immer wieder in ein Manica-Nest liefen und von den Manica-Arbeiterinnen prompt immer wieder herausgetragen und abgesetzt wurden. Da gab es schon auch einmal ein Gezerre, aber wirklich feindselig sah das Verhältnis nicht aus.
Gestern war es wieder so weit: Ich entdeckte trotz unzähliger Manica Nester ein Beispiel, wo kleine Myrmica-Arbeiterinnen aus dem Nesteingang eines (offensichtlichen) Manica-Nestes getragen, nur ein paar cm vom Eingang entfernt abgesetzt wurden und anschließend rasch wieder in das Nest gelaufen sind. Ich habe das ganze Spektakel 20 Min. beobachtet und auf dem Rückweg noch einmal 10 Min. und bin anschließend ratlos heimwärts marschiert. Es ist ständig der selbe Ablauf: Die Kleinen werden aus dem Nest getragen und kehren anschließend wieder in dieses zurück. Geht das tage- und wochenlang so? Es drängt sich die Frage auf, was ist hier los? Irgendeinen Grund muss es für dieses eigenartige Verhalten beider Arten doch geben? In diesem Fall keinerlei Feindseligkeit, man hatte fast den Eindruck einer "Kindesweglegung": Die Mutter will ihr Kleines los werden und legt es vor dem Tor ab.
Da kann man nur mit dem Kopf schütteln..........
Tatort des Geschehens, Zeit, Wetter:
Uferbereiche, Schotter- u. Kiesbänke entlang des Rosenbaches im Rosental/Kärnten. 28. Mai 2012, 18:00 bis 19:00, stark bewölkt, 19°
1. Links ist der Nesteingang, 3 Manica rubida sind sichtbar, eine davon schleppt eine Myrmica sp. aus dem Bau:
Bild

2. Eine ähnlich Situation:
Bild

3. Bei näherer Betrachtung: Die Kleine trägt Baumaterial!
Bild

4. Verschiedene Tragweisen:
Bild

5. "Mutter mit Kleinkind":
Bild

6. Die Kleine hat noch Baumaterial zw. den Mandibeln!
Bild

Ich wäre froh, wenn mir jemand mit einer plausiblen Erklärung helfen könnte, aber bitte keine bloßen Mutmaßungen ohne jedes Hintergrundwissen! Eine mögliche Erklärung ist mir auch eingefallen, viell. ist sie aber zu einfach:
Das Nest gehört urspr. Myrmica sp., Manica rubida beansprucht den Neststandort für sich und okkupiert das Nest. Die Kleinen "verstehen" die Vorgangsweise nicht und wollen einfach nur zurück in ihr Nest! Dafür würde sprechen, dass sie Aushubmaterial aus dem Nest tragen und vereinzelt Spelzen in dieses tragen wollten. Bleibt die Frage: Was ist dann mit der Königin? Lebt sie noch, wird sie wie die Arbeiterinnen v. Manica verschont?
Wie geht die Sache möglicherweise aus?
Ich habe ein paar Belege v. Myrmica sp. mitgenommen u. will sie von einem Experten in Graz bestimmen lassen. Lt. SEIFERT leben in diesen Sand- u. Kiesterrassen M. helvetica (jetzt constricta) u. M. rugulosa.
Wenn´s was Neues gibt, melde ich mich wieder!



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Wiseman
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#2 AW: Koexistenz v. Manica rubida mit Myrmica sp.

Beitrag von Wiseman » 30. Mai 2012, 16:25

Hallo Boro,

die von Dir dokumentierte friedliche Koexistenz zwischen Myrmica sp. und Manica rubida konnte ich zumindest bei dem von mir in der Vergangenheit beobachteten und inzwischen trotz Hinweischildern leider einer Baumaßnahme zum Opfer gefallenen Nest nicht beobachten.

Zwar trieben sich auch dort immer wieder Myrmica sp.-Arbeiterinnen in der Nähe der Nesteingänge herum, aber sie wurden dort nicht geduldet. Direkte Aggression konnte ich nicht beobachten, aber es lagen immer wieder Myrmica-Leichen herum und die Manica rubida-Arbeiterinnen trugen tote oder sterbende Myrmica-Arbeiterinnen in ihren Mandibeln, wobei sie auch durchaus mal ordentlich zubissen, wenn das Opfer noch zuckte.

Auch die Theorie, dass das Nest von Manica rubida übernommen worden sein könnte, kann ich zumindest für diesen Standort nicht bestätigen, da Manica rubida bereits seit Jahren dort war und die immer gleichen Nesteingänge nutzte.

Ich habe mal ein paar bereits etwas ältere Bilder angehängt, die zwar qualitativ nicht so gut sind wie Deine, aber sie zeigen, was ich meine.

Eine gute Erklärung zu dem von Dir beobachteten Verhalten kann ich allerdings nicht liefern, auf jeden Fall ist es aber interessant.

Viele Grüße,

Wiseman
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#3 AW: Koexistenz v. Manica rubida mit Myrmica sp.

Beitrag von Boro » 7. Juni 2012, 16:00

Wenn ich etwas entdecke, wofür es in der Literatur keine eindeutige Erklärung gibt, lass ich nicht locker, bis ich entweder eine Lösung finde oder wenigstens den Ansatz für eine Erklärung.
Gestern war ich wieder im Revier von Manica rubida. Ich wollte sehen, wie es mit der Auseinandersetzung um den Neststandort weiter geht:
I. Jenes Nest, wo dieses eigenartige Kommentverhalten beider Arten beobachtet wurde, war leer. Hin und wieder schaute eine Arbeiterin v. Manica rubida hinein, kam aber gleich wieder an die Oberfläche. Der Neststandort liegt eindeutig in einem von Manica dominierten bzw. beanspruchten Gebiet. Der letztes Mal geäußerte Verdacht, dass es sich ursp. um ein Myrmica-Nest handelte, erhärtet sich: Manica rubida hat dieses Nest sehr wahrscheinlich durch ständiges (friedliches) Eindringen u. Heraustragen von Myrmica-Arbeiterinnen zur Abwanderung veranlasst.
II. In etwa 40 cm Entfernung entdeckte ich ein Myrmica-Nest, das vor einer Woche noch nicht vorhanden war. Der Verdacht liegt sehr nahe, dass es sich um das eben genannte, abgewanderte Nest handelt. Es liegt auch in der Manica-Domäne, aber nicht so direkt. Auch hier waren vor dem Nesteingang immer wieder Manica-Arbeiterinnen anwesend, aber wd. einer Beobachtungszeit von über 30 Min. ist keine in das Nest eingedrungen. 3 Mal wurde in diesem Zeitraum je eine Myrmica-Arbeiterin gepackt und 3 bis 5 cm weiter seitwärts abgesetzt. Hier spielt sich jetzt ein absolut friedliches Nebeneinander beider Arten ab. Das sollen die folgenden Bilder beweisen:
1. Der Nesteingang v. Myrmica sp., hier liegt reichlich Müll herum.....
Bild

2. Und schon ist die erste große "Schwester" vor Ort:
Bild

3. Aber: Die Großen dringen nicht mehr in das Nest ein!
Bild

4. Gleich daneben gibt es friedliche Koexistenz:
Bild

5. Was es da wohl zu finden gibt?
Bild

6. Da kommt es sogar zum Körperkontakt! Das untere Ende des Pflanzenschaftes scheint besonders interessant! Entweder gibt es an der Oberfläche etwas abzulecken od. Manica hat viell. das Phloem angebissen:
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7. Deutlicher Körperkontakt. Keinerlei aggressives Verhalten v. Manica rubida. Myrmica sp. verhielt sich aber - wie im 1. Beitrag angedeutet - stets zurückhaltend und devot.
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L.G.Boro



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#4 AW: Koexistenz v. Manica rubida mit Myrmica sp.

Beitrag von Wiseman » 7. Juni 2012, 16:20

Hallo Boro,

wieder sehr schöne Bilder. Kannst Du einschätzen, wie volkstark das Myrmica sp.-Nest ist?
Das Verhalten der Manica rubida-Arbeiterinnen ist in jedem Fall mysteriös. Es wäre für sie sicher ein Leichtes gewesen, ihre kleinen Verwandten kurzerhand zu töten und sich somit der Konkurrenz endgültig zu entledigen, statt sie durch einen sanften "Rausschmiss" zum Umzug zu bewegen.

Diese friedliche Koexistenz muss für beide Arten irgendeinen Nutzen haben, ansonsten ist dieses Verhalten nicht zu erklären. Denn auch wenn es sich um eine scheue und defensive Myrmica-Art handelt, hätte sie artfremde Ameisen direkt im Nest (und vermutlich nahe bei Brut und Königin) andernfalls niemals geduldet und hätte zumindest den Versuch der Bekämpfung unternommen.

Vielleicht findest Du ja noch raus, warum es zu dieser Koexistenz kam. Ich könnte mir vielleicht vorstellen, dass die Myrmica sp. Blattlauskolonien unterhalten, an denen sich die Manica rubidas auch gütlich tun. Im Gegenzug wehren die Manicas andere Ameisenarten, die den Myrmicas gefährlich werden könnten, allein schon durch ihre Präsenz in dem Gebiet ab.

Viele Grüße,

Wiseman



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#5 AW: Koexistenz v. Manica rubida mit Myrmica sp.

Beitrag von Boro » 7. Juni 2012, 17:29

Hallo Wiseman!
Gut, dass du eigene Beobachtungen einfließen lässt. Ein mehr od. weniger friedliches Miteinander (besser Nebeneinander) kann man sicher nicht generalisieren. Ein Link am Anfang zeigt ja, dass ich auch schon den gröberen Umgang beider Arten miteinander feststellen konnte. Da gibt es sicher verschiedene Umstände, die zu berücksichtigen wären, wie jeweilige Koloniegröße, allg. Nahrungsangebot, Distanz zw. den Nestern und vor allem die Species v. Myrmica. Da sollen vor allem M. rugulosa u. M. constricta dieses auffällige Verhalten zeigen. Als Gebirgsameise wird Manica rubida auch mit ganz anderen Myrmica-Arten in Kontakt kommen.
Auf der anderen Seite kann man immer wieder dieses ausgeprägte devote, unterwürfige Verhalten etlicher Myrmica-Arten beobachten. Das wirkt bei vielen Feinden aggressionshemmend. Zwischen einer Myrmica-Art und einer Formica cf. fuscocinerea konnte ich ein fast "sklavenähnliches" Verhalten v. Myrmica feststellen, das aber offenbar zum beiderseitigen Nutzen diente (http://www.ameisenforum.de/fotoberichte/39892-friedliche-koexistens-serviformica-sp-myrmica-sp-fotobericht.html.)
Im gegenständlichen Fall konnte ich keinen offensichtlichen Nutzen für eine der Arten bemerken. Die Myrmica-Art wird in der Nähe v. Manica rubida viell. eher Schutz vor anderen Feinden genießen, aber was hat Manica davon? Ein Rätsel.....
Nebenbei ist es so, dass ich Manica noch sehr selten bei der Trophobiose beobachten konnte, es gibt sie zweifellos, aber es ist eher die Ausnahme. Sie ernähren sich vorwiegend zoophag. Die Trophobiose ist hier weitflächig von den Serviformica der cinerea-Gruppe besetzt, da haben Myrmica spp. od. Manica rubida keine Chance.
Die Myrmica-Art ist aber schon zur Bestimmung eingereicht!
L.G.Boro



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#6 AW: Koexistenz v. Manica rubida mit Myrmica sp.

Beitrag von Wiseman » 7. Juni 2012, 20:17

Hallo Boro,

bzgl. Trophobiose konnte ich zumindest bei der von mir überwachten Kolonie diese beobachten. In dem inzwischen abgerissenen Drahtgitterverschlag wuchsen zwischen den Steinplatten einzelne Bäumchen empor, an denen Serviformica cinerea Blattläuse hielt.
Vereinzelt waren dort aber auch Manica rubida unterwegs und naschten Honigtau, wobei ich den Eindruck hatte, dass sie dazu gezielt die Blattläuse aufsuchten. Kurioserweise war in diesem Fall Serviformica cinerea die unterwürfige Art. Jedenfalls nahmen sie regelmäßig Reißaus sobald sie auf eine Manica rubida stießen.

Viele Grüße,

Wiseman



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#7 AW: Koexistenz v. Manica rubida mit Myrmica sp.

Beitrag von Boro » 17. Juni 2012, 19:43

Bei der von mir oben genannten Myrmica sp. handelt es sich um Myrmica constricta (ehem. hellenica). Habe heute die doppelte Bestätigung von 2 Experten bekommen: Einer hat die mitgebrachten Belege bestimmt, der andere hat aus ähnlichen Erfahrungen gleich auf diese Myrmica-Art getippt!
L.G.Boro



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