Raubzüge der Amazonen

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#1 Raubzüge der Amazonen

Beitrag von Boro » 24. April 2004, 16:37

Polyergus rufescens gehört zu den obligatorischen Sklavenjägern.Die Mundwerkzeuge (Maxillen und Labien) sind verkürzt, sodass die Amazone nicht in der Lage erscheint, selbständig Nahrung zu erwerben bzw. aufzubereiten. Die Mandibeln sind zu säbelartigen Zangen umgebildet, welche für den Kampf und den Transport von geraubten Puppen sehr gut geeignet sind, nicht jedoch für die Nahrungsaufnahme oder den Nestbau.Daraus folgt, dass Polyergus vollkommen von den Hilfsameisen abhängig ist. Nach der Nestgründung (eine Königin dringt in das Nest von Serviformica ein und tötet die dortige Königin)produziert die Königin nur Amazonenameisen, während die Zahl der Wirtsameisen durch natürlichen Ausfall ständig abnimmt. Um das Überleben des Staates zu sichern, müssen die jungen Amazonenkriegerinnen ab einer Zahl von etwa 150 bis 200 Tieren ausrücken, um neue Arbeitssklaven zu erhalten. Kundschafter rücken bereits um die Mittagszeit aus, um ein Nest von Serviformica auszukundschaften und legen schließlich auf dem kürzest möglichen Rückweg eine Duftspur. Zwischen etwa 14 Uhr und 18 Uhr und einer Temperatur von über 23 Grad beginnen die sonst im Nest wartenden Amazonen mit hektischer Aktivität:Zuerst laufen einige Amazonen scheinbar ohne erkennbares Ziel wild über das Nest, bald werden es immer mehr. Zwischendurch halten sie kurz inne und bestreichen mit den Hinterbeinen die Austrittsregion ihrer Pygidialdrüse, möglicherweise um diese für den bevorstehenden Angriff zu aktivieren. Die Hilfsameisen am Nest stehen dieser Entwicklung aufgeregt gegenüber, aber sie verstehen die Botschaft nicht.Ziemlich plötzlich wird die zuvor gelegte Duftspur aufgenommen und die Kriegerschar setzt sich in einer etwa 10cm breiten Kolonne in Bewegung. Die Entfernung des Marsches kann bei großen Populationen bis zu 80m betragen und verläuft immer fast geradlinig, unabhängig von Geländeformationen oder Bewuchs. Zwischendurch kann auch die Orientierung verloren gehen, das Gros der Angreiferinnen bleibt unschlüssig stehen, während einige ausschwärmen, um die Spur wieder aufzunehmen. Beim Zielort angekommen stürmt die ganze Amazonensschar durch alle Öffnungen in das Nest der Sklavenameisen. Die Überfallenen werden meist vollkommen überrumpelt und durch Propagandapheromone der Amazonen verwirrt. Einige Arbeiterinnen versuchen mit Puppen oder Larven zu fliehen, andere stellen sich zum Kampf. Die Amazonen beachten die Überfallenen nicht und wehren sich nur, wenn sie selbst attackiert werden. Mit ruckartigen Bewegungen versuchen sie die Angreifer abzuschütteln und einem längeren Kampfgesschehen auszuweichen. Im Notfall führen die säbelförmigen Mandibeln der Amazonen zu tödlichen Verletzungen bei den Angreifern. Nach der Plünderung des Nestes verlassen die Amazonen den Ort des Überfalles und kehren exakt auf der selben Route in weniger geordnetem Marsch zu ihrem Nest zurück, wo sie von ihren aufgeregten Hilfsameinen an den Nesteingängen erwartet werden.
Aber nicht jeder Raubzug endet erfolgreich: Wenn das Nest schon einmal überfallen wurde, bleibt die Beute gering. Wenn das Wetter umschlägt oder wenn die gelegte Duftspur schlecht markiert oder zerstört wurde. Oder, wenn ein falsches Nest überfallen wird, wie zum Beispiel eines von Raptiformica. Aber dazu demnächst mehr...



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#2 re: Raubzüge der Amazonen

Beitrag von Boro » 4. August 2006, 19:13

Amazonenameisen überfallen Formica rufibarbis

Polyergus rufescens ist beim Überfall auf Formica (Serviformica) rufibarbis nicht immer erfolgreich. Deren oft sehr volkreiche Nester erweisen sich mitunter als uneinnehmbare Festungen. Wenn der Überraschungseffekt nicht genutzt werden kann, werden die Amazonen bereits vor dem Nest von extrem rasch rekrutierten Formica-Arbeiterinnen in einen Kampf verwickelt und müssen dann nach einigen Verlusten den Rückzug antreten. In diesem Fall hatten die Amazonen Glück: Wegen eines im Gange befindlichen Umzuges war nur ein Teil der Formica im Nest. Sie versuchten sich vergeblich zu wehren und flüchteten schließlich (einschließlich der Königin) unter Mitnahme von einigen Puppen in alle Richtungen.
Auffallend war auch ein anderes Verhlalten der Amazonenkriegerinnen: Andere Serviformica-Arten werden ignoriert und nur in absoluter Zwangslage getötet. Gegen Formica rufibarbis hingegen gingen die Amazonen aktiv vor und töteten jede Formica, die sie erwischen konnten. Sie spüren genau: ein würdiger Gegner!
Formica rufibarbis kommt im untersuchten Gebiet neben Formica pratensis und Formica cunicularia auf Halbtrockenrasen in Südhanglage verstreut vor. (Seehöhe etwa 750m) Sie nützt im oft lückenhaften Rasen auch den anstehenden Fels als Wärmespreicher für ihre Nester. Diese weisen keinerlei Hügelbildung auf.
Das Bild zeiget eine Kampfszene am Rande des Geschehens. Man erkennt auch sehr gut, dass F. rufibarbis etwa die gleiche Größe erreicht wie die Polyergus-Kriegerinnen.
Ich hab auch ein Video gedreht, nur weiß ich derzeit nicht, wie und ob ich das übersenden kann.
Gruß Boro
http://secretpicdump.com/de/view/931_66e86_kampf.jpg/

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#3 Verheerende Niederlage v. Polyergus ruf.

Beitrag von Boro » 19. August 2006, 22:02

Im letzten Artikel habe ich mich mit dem Verhältnis von Polyergus ruf. und Formica rufibarbis als mögliche Sklavenart befasst und bereits darauf verwiesen, dass F.(Serviformica) rufibarbis ein würdiger Gegner ist und nicht alle Überfälle durch die Amazonenameisen erfolgreich sind.
Heute war es so weit: Mein wichtigstes Beobachtungsnest in der Umgebung von Klagenfurt (Kärnten) war vor Jahren ein sehr dominantes Nest mit über 2000 Amazonen, bis es durch eine Familie von Rebhühnern fast vernichtet wurde und sozusagen wieder von vorne anfangen mußte. In diesem Jahr gab es etwa 600 Amazonen und die bisherige Saison verlief erfolgreich.
Heute war damit Schluss: Ich saß wie schon oft mit schußbereiter Kamera in der Nähe des Nestes und wartete auf den Beginn des Raubzuges. Es war heiter, bei etwa 25°. Da fiel mir auf, dass ein Pfadfinder zweimal in dieselbe Richtung lief und dann jedes Mal mit hoher Geschwindigkeit zurückkehrte. Beim Nest herrschte inzwischen Ruhe. Beim dritten Auslauf dieser Ameise verfolgte ich ihr Ziel und fand ein mittelgroßes Nest mit Formica rufibarbis oder F. clara, das war zuerst unklar, weil es viele kleinere Ameisen und einige etwas größere Exemplare gab.
Kaum war die Amazone diesmal in ihr Nest zurückgekehrt, begann der Kriegszug der Amazonen. Es war 18.10 Uhr.
Es waren etwa 10m zurückzulegen. Ich machte Fotos vor dem Angriff und wollte ein kurzes Video drehen.
Es kam aber alles anders: Kaum waren die ersten Amazonen beim Nest eingetroffen, begannen sich die vorhandenen Wächter der Formica tapfer zu wehren. Innerhalb von wenigen Sekunden waren einige Hundert Formica-Arbeiterinnen auf der Oberfläche. Die Rekrutierung erfolgte geradezu blitzartig! Inzwischen quollen aus allen Löchern 100e, ja 1000e Formica rufibarbis. Die jetzt angreifenden Formica-Arbeiterinnen waren Kriegerinnen, kräftig gebaut und gleich groß wie die Amazonen, teilweise auch größer. Jede Amazone wurde sofort von mehreren Formica-Arbeiterinnen angegriffen, sie schwärmten über mehrere Quadratmeter um ihr Nest aus und zwangen auch mich zum Rückzug. Ich konnte nur wenige Amazonen retten, der größte Teil war verloren. Aber damit nicht genug, die noch unverletzt fliehenden Amazonen wurden wütend verfolgt: In einer fast 0,5 m breiten Schneiße verfolgten die Formica die Amazonen und fielen auch über deren Nest her. Die überlebenden Amazonen konnten über eine halbe Stunde nicht zu ihrem Nest und wurden beim Zusammentreffen mit Formica c. weiter attackiert. Die eigenen Sklaven des Polyergus-Nestes (F. fusca und F. cunicularia) traten nicht zur Verteidigung ihres Nestes an und verschwanden von der Oberfläche. F. cf. clara machte aber keine Anstalten in das Polyergusnest einzudringen.
Für mich war das seit Jahren das spannendste und aufregendste Erlebnis mit Ameisen.
Ergebnis der ganzen Aufregung:
1. Ich hatte die Größe des Formica rufibarbis-Nestes unterschätzt, sonst hätte ich den Angriff vielleich verhindern können. Polyergus rufescens liegt mir sehr am Herzen, auch weil sie überall auf den Roten Listen steht und vom Aussterben bedroht ist.
2.F. rufibarbis (möglicherweise F. clara) blieb Sieger auf der ganzen Linie.
3,Ein zahlenmäßig schwaches Amazonenheer hat nur bei den sonst üblichen Serviformica-Arten F. fusca, F. cunicularia und kleineren Nester von F. rufibarbis Chancen auf Erfolg.
4.Für dieses Jahr ist die Saison gelaufen, es gibt in diesem Nest vielleicht noch über 50 Amazonen. Wenn man den noch zu erwartenden eigenen Nachwuchs dazuzählt, gibt es erst in einem Jahr wieder spannende Rauzüge, denn für einen Ausmarsch werden etwa 350 Tiere benötigt.

Aufgeregte Grüße von Boro



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#4 Versuch einer Analyse der Amazonen-Raubzüge

Beitrag von Boro » 1. Oktober 2006, 14:48

Die Amazonenameisen (Polyergus rufescens) bieten mit ihren Raubzügen wohl das faszinierendste Abenteuer im Bereich der heimischen Ameisenwelt.
Ihre Überfälle gelten nicht der Vernichtung des Gegners, sondern zielen bei größtmöglicher Schonung der Opfer nur auf den Raub der für sie lebensnotwendigen Brut ab.
Diese Raubzüge laufen nicht "zufällig" ab, sondern unterliegen gleichsam einer stufenweisen "Planung":
1.Phase: Auskundschaftung potentieller Opfer-Nester
Bei trockenem Schönwetter und einer Temperatur von über 20° verlassen die ersten Pfadfinder am frühen Nachmittag nach und nach das Nest. Bei starken Völkern kann die Zahl der scouts einige Dutzend betragen. In der Regel handelt es sich um ältere, erfahrene Tiere, die bald mit großem Eifer alle möglichen Erdaufschüttungen, Erdlöcher, Eingänge von Ameisennestern und dgl. durchsuchen. Manchmal ist das auch mit Grabtätigkeit verbunden.
Wird oft erst nach Stunden ein geeignetes Nest von Serviformica sp. gefunden, erfolgt die rasche Rückkehr entsprechend dem Grundsatz: "Eine Gerade ist die kürzeste Verbindung von 2 Punkten". Der Rückweg wird mit Hilfe der Orientierung nach dem polarisierten Himmelslicht gefunden und mitunter mit Spurpheromonen markiert.
2.Phase: Die Vorbereitung oder Aufwärmphase
Zwischen etwa 15 und 18 Uhr erscheinen einige Amazonen auf der Nestoberfläche und sondieren die Lage. Voraussetzung für den folgenden Raubzug ist einigermaßen schönes Wetter und eine Temperatur von über 23°.
Jetzt gibt es 2 Mögllichkeiten:
a) Bei kleinen Polyergus-Nestern laufen die auf der Nestoberfläche erschienenen Amazonen scheinbar ziellos über das Nest. Dabei halten sie wiederholt kurz an, um mit den Hintertarsen die Austrittsregion der Pygidialdrüse zu bürsten (Seifert, S 290). Dabei wird wohl die Drüsensekretion angeregt. Schließlich erscheint das Gros der Amazonen auf der Bildfläche und wie auf ein geheimes (Pheromon-)Kommando beginnt sich eine Marschkolonne zu bilden, die sich exakt auf der markierten Duftspur bewegt oder von scouts angeführt wird, welche sich nach dem polarisierten Himmelslicht und Landmarken orientieren.
b)Vor allem bei großen Amazonennestern (über 1000-1500 Tiere) kann man dagegen oft beobachten, dass die oben geschilderte Vorbereitungsphase deutlich länger dauert, auch über 30Min. Etliche Dutzend Amazonen laufen mit hoher Geschwindigkeit kreuz und quer über die Nestoberfläche und die nähere Umgebung. Man gewinnt den Eindruck, dass die Amazonen entweder keine Wegmarkierung finden oder sich für keine von mehreren Möglichkeiten entscheiden können. In dieser Phase wird auch die eine oder andere Spur von weiteren Pfadfindern belaufen, gleichsam "getestet" und möglicherweise mit einer weiteren Duftmarkierung versehen. Letztendlich fällt die Entscheidung für einen Weg und der Kriegszug setzt sich in Bewegung.
3.Der Kriegszug
Die Marschkolonne bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 2m/min., die Geschwindigkeit ist natürlich von den Bewuchsverhältnissen abhängig. Bei einem Anmarsch von mitunter weit über 50m kommt es immer wieder vor, dass die Spur verloren geht. Dann folgt ein Stop und ein Stau wie auf einer Straße während des KFZ-Frühverkehrs. Während die Masse der Amazonen sozusagen verlegen auf der Stelle tritt, schwärmen zahlreiche Tiere in alle Richtungen aus, um den Weg wieder zu finden. Das gelingt auch fast immer.
4.Phase: Plünderung eines Serviformica-Nestes
Jetzt kommt es zur Anwendung einer Kriegstaktik, die auch die Menschen kennen: der Überraschungseffekt! Die zuerst am Ziel eintreffenden Amazonen dringen nicht sofort in das Nest ein. Über Pheromone wird die Zielankunft signalisiert und augenblicklich tritt enorme Hektik unter den Angreifern auf: Es bildet sich ein Pulk von Angreifern, Dutzende, schließlich hunderte Amazonen versuchen möglichst gleichzeitig in das Nest einzudringen. Einzelne vorhandene Wächter von Serviformica werden schlicht ignoriert.
Während die Nachzügler der Amazonen noch in die Nestöffnungen eindringen, erscheinen schon die ersten Angreiferinnen mit ihrer Beute: In erster Linie Puppen, hin und wieder auch Larven und sogar frisch geschlüpfte Sklavinnen.
Die Abwehrreaktion der Überfallenen ist unterschiedlich: In kleinen Sklavennestern gibt es keine Abwehr, die Ameisen(oft mit der Königin) suchen ihr Heil in der Flucht.
Bei starken Serviformica-Populationen wird mit Fortdauer des Überfalles die Abwehr sichtbar: Während etliche Ameisen ihre Brut durch Flucht in Sicherheit bringen wollen, greifen andere die Amazonen an und versuchen ihnen die Puppen zu entreißen.
Die Amazonen sind aber an einem Kampf nicht interessiert und versuchen sich durch ruckartige Bewegungen von den Verteidigern zu lösen. Nur in Notsituationen setzen die Amazonen ihre dolchartigen Mandibeln erfolgreich als Waffe ein.
Bei volkreichen Nestern v. F. rufibarbis (wahrscheinlich auch F. clara) kann der Ãœberfall in einer Schlacht enden, deren Ausgang oft ungewiss ist.
Zu den Bildern:
1. Amazonen erscheinen vor dem Abmarsch auf der Nestoberfläche
2. Typische Haltung beim Bürsten der Austrittsregion der Pygidialdrüse mit den Hintertarsen
3. Amazonen stürmen ein Nest.
4. Die Amazonen kommen mit ihrem Raubgut aus dem überfallenen Nest
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#5 Kriegstaktik mit Hilfe von Pheromonen

Beitrag von Boro » 16. Dezember 2006, 22:01

Die Amazonenameise (Polyergus rufescens) führt ein aufregendes Leben. Pheromone spielen dabei eine entscheidende Rolle:
1. Bereits die Massenrekrutierung zum beginnenden Raubzug ist nur durch den Einsatz von flüchtigen Alarmpheromonen erklärbar. (Seifert, S.53). Diese Duftstoffe verfehlen ihre Wirkung auch auf weiter entfernte Artgenossen nicht: Oft kann man feststellen, dass die vor dem Abmarsch weit über die Nestoberfläche verstreuten Amazonen sich der in Bewegung setzenden Marschkolonne anschließen und zwar auf direktem Wege und nicht über den Umweg der Nestöffnung, aus der die Heerschar an die Oberfläche gelangt war.
Es ist auch interessant, dass die Botenstoffe von den im eigenen Nest lebenden Sklaven überhaupt nicht verstanden werden. Unruhe und "Ratlosigkeit" sind die Folgen!
2. Das Angriffsziel wurde schon längst vorher durch Kundschafterinnen geortet. Die Orientierung erfolgt über die Polarisationsmuster des Himmelslichtes und werden möglicherweise auch durch anhaftende Duftstoffe fixiert.Auf dem Anmarschweg des Amazonenheeres werden auf jedenfall Spurpheromone abgesetzt, die etliche Stunden, mitunter auch bis zum nächsten Tag wirksam sein können. Weniger bekannt ist, dass diese Angriffslinie des öfteren nicht nur durch einen Pfadfinder gelegt wird, sondern vor allem vor dem Beginn des Raubzuges durch weitere Amazonen belaufen wird, offensichtlich zur "Prüfung" der Route bzw. des Zielnestes (Schilderung weiter oben!).
In der modernen Fachliteratur kann man dazu noch abenteuerliche Versionen entdecken. Ich zitiere aus dem Kosmosführer "Bienen, Wespen, Ameisen. Hautflügler Mitteleuropas. 1995/2005, S.111:

"An warmen Sommerabenden aber formieren sich die Amazonenameisen fast täglich zu ihren spektakulären Raubzügen. Sie marschieren in breiter Front so lange in eine Richtung, bis sie auf ein geeignetes Formica-Nest treffen. Sie liefern sich mit den Nestbesitzern einen heftigen Kampf, bei dem diese aufgrund der technischen Überlegenheit der Angreifer stets unterliegen. Nachdem die Nestbewohner vertrieben oder umgebracht sind, werden alle Puppen geraubt und zum eigenen Nest gebracht".

Schon erstaunlich, welche Fehler hier zu finden sind:
a) Die Angreifer marschieren also einfach so ins "Grüne", bis sie zufällig auf ein Nest von Serviformica treffen? Also, wenn es so liefe, wäre diese Gattung schon längst ausgestorben!
b) Sie "vertreiben" die Nestbewohner oder "bringen sie um"? "Vertreiben" mag man mit Einschränkung noch gelten lassen, aber die Vernichtung der Nestpopulation wäre extrem kontraproduktiv: Bald gäbe es in der Umgebung keine Serviformica-Nester mehr, deren für das Überleben der Amazonen lebensnotwendige Brut man ernten könnte.
Soviel dazu.
3) Es gilt heute als gesichert, dass die Amazonen während des Überfalles auf das Zielnest ebenfalls Pheromone( Propagandapheromone) einsetzten, um die Gegner zu verwirren und in Panik zu versetzen. Nur auf diese Weise können volkreiche Serviformica-Nester wirklich erfolgreich und meist ohne eigene Verluste geplündert werden. Bei längerer Andauer des Überfalles scheinen sich die Sklavenameisen vom Schock zu erholen und greifen die Räuber auch an oder versuchen ihnen wenigstens einen Teil der Beute zu entreißen. Dies gilt aber nur für volkreiche Seviformica-Nester. Bei noch jungen Sklavennestern gibt es keinen Widerstand und keine Toten.
4) Der Rückmarsch der meist erfolgreichen Räuber erfolgt genau auf der selben Linie wie der Hinmarsch, wenn auch in wenig geordneter Marschordnung. Hier wird neben der hervorragenden Orientierunsfähigkeit von Polyergus noch einmal die Duftspur eine Rolle spielen.
Gruß Boro



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#6 Territorialkämpfe der Amazonenameisen

Beitrag von Boro » 15. Januar 2007, 18:26

Es ist inzwischen bekannt, dass die Amazonenameisen (Polyergus rufescens) anlässlich ihrer Raubzüge bei den Serviformica-Arten ausschließlich an der Brut interessiert sind und die rechtmäßigen Bewohner in der Regel schonen.
Ganz anders sieht es aus, wenn ein Amazonenheer auf ein Nest der gleichen Art trifft. Hier geht es um die totale Ausschaltung der Konkurrenz, man kann in diesem Fall wirklich von einem Vernichtungsfeldzug sprechen.
Ich musste einmal ein Aufeinandertreffen von zwei Amazonenarmeen mitansehen, es war ein grauenhaftes Gemetzel. Die Tiere haben sich mehrfach ineinander verbissen und auch wenn die eine oder andere Amazone überleben konnte, gelang es ihr nicht die anderen Gegener abzuschütteln. Der Tod war vorprogrammiert.
Im August 2006 hatte ich ein Erlebnis, das ich hier schildern möchte:

Ich beobachtete wie so oft einen Raubzug der Amazonenameisen. An der eingeschlagenen Marschrichtung konnte ich mit einiger Treffsicherheit das Zielnest ausmachen: Ein zweites Amazonennest. Als sich meine Vermutung zu bestätigen schien, hatte ich nur einen Gedanken: Wie könnte ich das Gemetzel verhindern?
In der Not fiel mir nur ein Vorhaben ein: Ich musste die angelegte Pheromonspur vor dem Zielnest vernichten, um einen Überfall zu verhindern. Gesagt, getan! Auf einer Länge von 2m und einer Breite von etwa einem 3/4m entfernte ich rasch die gesamte Mulch- und Laubschicht, sowie die vorhandenen Grasbüscheln. Ich war mir sicher, dass nun die Fährte vernichtet sein müsste und ich das zweite Amazonennest zumindest vorübergehend retten könnte.
Und tatsächlich: Der nun eintreffende Heereszug geriet ins Stocken, die Vorhut schwärmte aus, aber ohne die alte Spur wieder aufzunehmen.
Nach einiger Zeit vergeblichen Suchens begann sich der Tross wieder in Richtung Heimatnest zu bewegen. Das geschieht recht langsam und zögernd, man hat richtig den Eindruck, dass die erfolglose Kriegerschar "enttäuscht" und "frustriert" schien.
Ich wartete noch bis sich die Amazonenschar weitere 3-4m Richtung Heimatnest bewegt hatte und suchte nun sehr beruhigt ein weiteres Amazonennest auf, das sich in einer Entfernung von ca 200m befand.
Nachdem ich dort meine Beobachtungen abgeschlossen hatte, wollte ich vor der Heimfahrt noch einmal nach dem Rechten sehen und warf einen Blick auf das zuerst geschilderte Zielnest.
Mit Entsetzen musste ich feststellen, dass die Angreifer inzwischen doch zurückgekehrt waren und ihr Vernichtungswerk vollendet hatten. Wie war das möglich? Was war geschehen?
Ich hatte wohl die Rechnung ohne den Wirt gemacht, wie man sagt! Der "Wirt" war einer jener Pfadfinder, die oft der ganzen Heeresschar vorauslaufen und bereits in der Nähe des Zielnestes die Ankunft ihrer Geschwister abwarten. Als die Truppe nach einiger Zeit nicht einlangte, hat sich der einsame Scout wohl auf den Heimweg gemacht und zwar mit hoher Geschwindigkeit und nicht ohne eine neue Duftmarkierung zu legen. Die langsam abziehende Schar wurde bald eingeholt, dann wurde sicher neuerlich (mit Pheromonen) zum Alarm und Angriff geblasen und schließlich das Vernichtungswerk vollendet.
Oder ein scout der abziehenden Truppe hat das Nest mit Hilfe der anderen (weiter oben erwähnten) Orientierungsmethode doch noch finden können.
Gruß Boro



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#7 AW: Raubzüge der Amazonen

Beitrag von Boro » 27. Juni 2007, 20:41

Ganz schlechte Nachrichten!

Polyergus rufescens ist eine Art, die auch im neuen "Seifert" in die Gefährdungskategorie 1 (vom Aussterben bedroht) gestellt wird (S. 101).
Für Österreich ist die gleiche Einstufung vorzunehmen.
Erstaunlich ist aber, dass diese Art - abgesehen vom Menschen als Zerstörer ihrer Lebensräume und einigen Fressfeinden - gleichsam selbst zu ihrer Bestandsverminderung beiträgt.
Vorgestern musste ich wieder einmal die Folge des Ãœberfalls eines Amazonenheeres auf ein anderes Nest der gleichen Art feststellen:
Lokalität: Hügelland in der Umgebung von Klagenfurt/Österreich, etwa 500m Seehöhe am Rand eines (kaum frequentierten, nicht asphaltierten) Parkplatzes.
Zeit und Wetterlage: 18:20 - 18:50, heiter bei 27°, 38% LF (Föhn).

Die routinemäßige Kontrolle dieses Nestes ergab ein schauriges Bild: Zahllose tote oder im Sterben liegende Sklavenameisen (Formica cunicularia), offen auf der Nestoberfläche verstreute Brut und einzelne mit Brut auf Gräser flüchtende Sklavenameisen.
Dazwischen eilten zahlreiche Amazonen umher, um den letzten Widerstand der Sklaven zu brechen. Auch schon verletzte Ameisen wurden durch einen Biss in den Kopf getötet. Die nesteigenen Polyergus-Kriegerinnen waren offensichtlich zeitgleich "außer Haus", denn sonst hätte es ein mörderisches Gemetzel gegeben, allerdings mit der großen Chance, dass die Königin des Nestes überlebt hätte und ein Neuanfang möglich gewesen wäre.
Es handelte sich um die Nachhut des fremden mit reicher Beute bereits abgezogenen Amazonenheeres, die ausschließlich im Nestbereich verblieb, um die Vernichtung zu vollenden. 20 Minuten musste ich mir hilflos das Töten anschauen, erst dann zogen die fremden Kriegerinnen nach und nach Richtung Heimatnest, ohne auch nur eine einzige der herumliegenden Puppen mitzunehmen.
Hier zeigt sich das andere Gesicht von Polyergus rufescens: Während die Sklavenameisen der Wirtsnester weitgehend geschont werden, gilt der Überfall auf ein Nest der gleichen Art nur der Vernichtung, der Ausschaltung der Konkurrenz.
Gestern habe ich das "Täternest" übrigens aufgespürt. Die Entfernung betrug nur etwa 30m. Die Distanz zwischen Amazonennestern muss jedenfalls an die 100m betragen, um langfristig gesehen den Bestand mehrerer Nester sicherzustellen. Vor einigen Jahren gab es im Beobachtungsgebiet noch 5 Nester, derzeit nur 2. wobei ich natürlich durchaus auch ein neu gegründetes Nest übersehen haben kann. Bemerkenswert ist aber vielmehr, dass man auch die bei Jungköniginnen häufigste Methode der Nestgründung, nämlich das Mitlaufen bei einem Überfall der eigenen Kriegerschar und das anschließende Verbleiben im demoralisierten Wirtsnest in Frage stellen muss: Welchen "Sinn" soll eine Nestgründung haben, wenn sie oft nach Monaten od. 1, 2 Jahren durch Vernichtung wieder hinfällig wird?
Im Anschluss ein paar Bilder, die nur kleine Nestausschnitte zeigen. Die Oberfläche des Nestes kann man bei einem gedachten Kreis mit einem Durchmesser von etwa 40cm angeben.

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#8 AW: Raubzüge der Amazonen

Beitrag von Boro » 8. Juli 2007, 08:43

Verlustreiche Kämpfe:
Die Amazonenameisen sind bei ihren Überfällen auf die Nester der Sklavenameisen nicht immer so erfolgreich, wie es in der Literatur dargestellt wird. Können Angriffe auf große Nester von Formica (Serviformica) clara syn.lusatica auch zu Niederlagen führen (wie oben geschildert!), können Angriffe auf die Nester von Formica rufibarbis zumindest sehr verlustreich ausfallen. Die Bilder zeigen einen Überfall der Amazonen auf ein Nest der zuletzt genannten Art. Die Kämpfe wurden erbittert ausgetragen, die Beute an Puppen war sehr bescheiden. Es gab hohe Verluste, auch etliche Polyergus-Kriegerinnen wurden getötet.
Bild 1: Kampf zwischen Angreiferin und Verteidigerinnen. Eine Zehr- od. Brackwespe greift ebenfalls ein (nähere Ausführungen dazu bei den "Hymenopteren u.a. Insekten")

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Bild 2: Die selbe Szene aus anderer Sicht.

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Bild 3: Nach vorischtiger Nestöffnung meinerseits: Kampfszene im Nest!

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Bild 4: Vor kurzem geschlüpfte "Baby-Ameise" auf der Flucht!

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Bild 5: Serviformica rufibarbis rettet eine Puppe.

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