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Dominanzhierarchie und Formica fusca

Allgemeine Fragen und Themen über europäische Ameisenarten (hier keine Berichte)
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Boro
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#1 Dominanzhierarchie und Formica fusca

Beitrag von Boro » 3. Mai 2012, 22:20

Die Dominanzhierarchie ist die zwischen verschiedenen Arten od. Völkern der gleichen Art gegebene Rangfolge bei der Nutzung von Ressourcen.
Es ist allgemein bekannt, dass etwa Lasius niger od. L. emarginatus trotz ihrer geringen Körpergröße in der Hierarchie weit oben stehen; sie gelten als aggressiv und vertreiben einzeln, in kleinen Gruppen od. in rasch rekrutierten Heerscharen Ameisen anderer Arten etwa von Dauernahrungsplätzen od. kurzfristigen Nahrungsangeboten. Eine L. niger, die z. B. beim Aufspüren einer Nahrungsquelle auf eine Serviformica sp. trifft, wird diese ohne zu zögern angreifen. Das ist ihr "Naturell". Die größere Serviformica könnte mit der Kleinen recht leicht "fertig werden", scheut aber in der Regel den Konflikt und sucht das Weite.
Andere, kleine Arten, wie etwa verschiedene Temnothorax spp. reagieren anders: Bei der plötzlichen Annäherung einer Lasius niger ducken sie sich zu Boden und halten vollkommen still. Dieses "Ruhigstellen" wirkt aggressionshemmend, die Lasius läuft entweder weiter od. prüft das ruhende "Objekt" kurz und entfernt sich.
Bei nahe verwandten Arten (z. B. L.niger u. L. emarginatus) kommt es vor allem im Frühjahr zu Kommentkämpfen auf "Turnierplätzen". Zahlreiche Arbeiterinnen beider Völker treffen in großer Zahl aufeinander, es wird sehr stark taktil kommuniziert, aber auch gezogen und gezerrt, mitunter Gift verspritzt. Ist eines der Völker deutlich zahlreicher vertreten, muss das andere weichen, sind sie etwa gleich stark, kann das Turnier viele Stunden andauern. Auch bei Tetramorium sp. gibt es intraspezifisch ähnliche Verhaltensweisen. Die Reviergrenzen für die kommende Saison werden abgesteckt.
Bei Serviformica spp. wird Formica (Serviformica) fusca in der Rangordnung ziemlch weit unten gesehen. Vor allem F. rufibarbis, F. clara od. die cinerea-Gruppe werden als aggressiv eingestuft. Natürlich ist auch die Volkstärke von Bedeutung, jeder Halter ganz kleiner Kolonien weiß, dass deren Arbeiterinnen vorsichtig, fluchtbereit und oft nur nachts aktiv sind. Das ändert sich mit der zunehmenden Anzahl der Individuen.
Bei meinen zahllosen Streifzügen in der Natur konnte ich schon einige Male ein sehr "tapferes" Verhalten vor allem großer F. fusca-Völker feststellen. Z. B. im Zusammenhang mit den Überfällen durch Polyergus rufescens (http://www.ameisenforum.de/beobachtunge ... 21747.html) oder gegenüber Raptiformica sanguinea:
http://www.ameisenforum.de/beobachtunge ... 29831.html
In meinem Garten beherberge ich mehrere Serviformica-Völker. Ein F. fusca-Volk besitzt durchwegs große und kräftige Arbeiterinnen. Sie erreichen alle eine Größe zw. 7mm und 8mm. Sie wohnen mit meinem Camponotus lateralis-Volk im gleichen Baumstamm, sozusagen Tür an Tür. Ein aggressives Verhalten der Nachbarn zueinander, vor allem der deutlich größeren F. fusca-Arbeiterinnen gegen die kleineren Minor- u. Media-Arbeiterinnen v. C. lateralis kann nicht festgestellt werden. Darüber habe ich bereits hier berichtet: http://www.ameisenforum.de/fotoberichte ... 43188.html (Ber. v. 26. 3. 2012).

Seit einigen Tagen beobachte ich aber, dass immer wieder kleine Trupps dieser F. fusca-Arbeiterinnen gegen ein nur 1,5m entfernt liegendes Nest von F. cunicularia ausrücken und beim Zusammentreffen mit Individuen dieser Art sofort angreifen. D. h., F. fusca verteidigt nicht das eigene Nest, sondern greift den Konkurrenten an. Die Angriffe sehen nicht "harmlos" aus, sie werden unter Einsatz aller "Waffen" ausgetragen. Diese Attacken erstrecken sich über den ganzen Tag. F. cunicularia tritt zur Abwehr an und rekrutiert einige Dutzend Verteidiger, d. h., die Zahl der Verteidiger ist meist jener der Angreifer überlegen.
Mit anderen Worten: Unter bestimmten Voraussetzungen kann man auch F. fusca aggressives Verhalten unterstellen. Offensichtlich geht es hier nicht um die Verteidigung des eigenen Nestes, nicht um die Verteidigung eines Dauernahrungsplatzes, sondern um die Vertreibung der (verwandten) Konkurrenz. Dieses F. fusca-Volk beansprucht das Territorium für sich, andere Gattungen werden anscheinend geduldet.

1. Eine Makroaufnahme eines Individuum dieser F. fusca:
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Kampfszenen. Das Geschehen läuft so turbulent ab, dass man keine wirklich klaren Bilder bekommt.
2. Eine F. fusca bringt bei F. cunicularia den Biss in den Hals an
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3. Das Kampfgetümmel:
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4. 3 x F. cunicularia und 1 x F. fusca (am Rücken liegend):
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5. Wieder: 3 F. cunicularia gegen 1 F. fusca. Im Einzelduell blieb fast immer F. fusca siegreich:
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Boro
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#2 AW: Dominanzhierarchie und Formica fusca

Beitrag von Boro » 8. Mai 2012, 19:22

Und der Kampf geht weiter!
Kaum passt die Temperatur, rücken schon ein paar F. fusca-Arbeiterinnen an um die Einwohner d. F. cunicularia-Nestes zu attackieren. Es sind immer nur ein paar F. fusca, 4, 5, einmal konnte ich 7 Exemplare zählen. Sie nähern sich dem fremden Nest und greifen die erstbeste Arbeiterin an. Heute hat der Angriff doch etwa 2 Dutzend F. cunicularia zur Verteidigung ausrücken lassen u. dabei konnten sie in unmittelbarer Nestnähe eine Angreiferin isolieren und zur Strecke bringen. Dachte ich!
12 Minuten hatten die F. cunicularia Arbeiterinnen die einzelne F. fusca in der Mangel. Plötzlich konnte sie sich losreißen u. mit einer Verteidigerin, die an einem Bein hing, das Weite suchen. Sie hat dieses "Anhängsel" weggebissen und war dann sichtlich bemüht, das anhaftende Gift der Verteidigerinnen abzustreifen, am Boden, an Blättern.
Was soll ich sagen, nach etwa 5 Min. war sie wieder putzmunter u. steuerte ihr Heimatnest an!
An den 3 folgenden Bildern erkennt man, dass die Angreiferin ganz schön zu leiden hat. Man beachte die unterschiedliche Körpergröße der Kontrahenten!
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Hier sehen wir jetzt die Tapfere! Nachdem sie sich ausgiebig geputzt hat, ist sie wieder "einsatzfähig". Na ja, der rechte Fühler wirkt etwas ramponiert...
Von oben betrachtet, erkennt man den für eine Serviformica recht breiten Kopf!
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Wolfi
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#3 AW: Dominanzhierarchie und Formica fusca

Beitrag von Wolfi » 8. Mai 2012, 19:45

Starker Fotobericht!

Aber ist schon erstaunlich, dass Formica fusca gar nicht so ''feige'' ist, wie ihr Ruf.
Und ebenfalls ziemlich interessant ist, dass auf den Bildern ein bemerkenswerter Größenunterschied sichtbar ist.
Im Normalfall sind diese beiden Arten in etwa gleichgroß.

Danke Boro!



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#4 AW: Dominanzhierarchie und Formica fusca

Beitrag von Boro » 18. Mai 2012, 14:18

Ende der Geschichte?
Von den rauflustigen F. fusca kann ich jetzt nur mehr wenige im oben erwähnten "Turniergelände" feststellen. Sporadisch kommen einzelne Aggressoren herbei, ich konnte aber heute kaum noch F. cunicularia-Arbeiterinnen entdecken.
Dann wurde ich doch fündig: Eine F. fusca schleppte eine tote F. cunicularia, die sich im Bein verbissen hatte, durch die Gegend. Es war deutlich erkennbar, dass die F. fusca das lästige Anhängsel los werden wollte: Sie zerrte dieses durch Moos, über Blätter u. Gräser und versuchte es hin u. wieder durch Bisse los zu werden.
Ob sie erfolgreich war, seht ihr hier:
1. F. fusca mit der toten F. cunicularia. Diese muss im Zweikampf getötet worden sein, bei einzelnen Auseinandersetzungen ist hier die größere F. fusca fast immer erfolgreich:
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2. Und es geht über Stock und Stein:
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3. Anscheinend hängt der Kopf der Toten nur mehr an einem "Faden":
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4. Geschafft! Den Kopf werden die Kolleginnen im Nest vermutlich abbeißen.
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L.G.Boro



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#5 AW: Dominanzhierarchie und Formica fusca

Beitrag von Imago » 18. Mai 2012, 14:58

Hallo Boro!

Auch hier wieder ein toller Thread. Schöne Detailaufnahmen die man in der Natur wahrlich nur schwer hinbekommt. Tolles Ergebnis, Bilder die viel erzählen.

Wer solche Dokumentationen schon mal gemacht hat, weiß um die vielen Bilder die nichts werden.

Vielen Dank Boro!

LG Imago



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Boro
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#6 AW: Dominanzhierarchie und Formica fusca

Beitrag von Boro » 19. Mai 2012, 19:09

Ein Unglück kommt selten allein....
Bei der heutigen Kontrolle des F. cunicularia-Nestes, das in letzter Zeit immer wieder durch kleine Trupps v. F. fusca-Arbeiterinnen drangsaliert wurde, entdecke ich erstmals in meinem Steingarten eine anderes Übel: Zodarion sp. lauert vor dem Eingang des F. cunicularia-Nestes! Ein spezialisierter Ameisenjäger. Nicht leicht zu finden, da muss man schon genau schauen (Körperlänge ohne Beine derzeit ca. 3 - 4mm). Letztes Jahr habe ich die selbe Art als Nachtjäger vor meinen F. fuscocinerea-Nest entdeckt:http://www.ameisenforum.de/fotoberichte ... 33496.html
Daten zum heutigen Fund:
Ort u. Zeit: Klagenfurt/Österr., ca. 15:30
Habitat: Steingarten, zu dieser Zeit teilw. abgeschattet
Wetter: Heiter, 22°
1. Den "armen" F. cunicularia bleibt nichts erspart: Zodarion sp., ein tödlicher Gegner, der im Gegensatz zu Callilepis sp. in die Gliedmaßen der Ameise beißt und das Gift injiziert. Die Paralyse setzt rasch ein!
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2. Szene unmittelbar neben dem Nesteingang: Eine Ameise hat es gerade noch geschafft wegzukommen! Im Hintergrund ist eine zweite Zodarion zu erkennen. Links im Eck die Leiche einer Lasius sp.[vermutlich), rechts eine tote F. cunicularia. Diese 2 Todesfälle dürften bereits auf das Konto der Spinnen gehen!
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3. Die 2 beginnen zu streiten, es geht darum, wer die besten Jagdgründe besetzen darf:
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