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von Boro » 5. März 2010, 19:42
Hallo jkiefer!
Ich kann jetzt - wie oben ausgeführt - nur von Freilandbeobachtungen reden, denn meine Kunstnest-Gründungungen verlaufen zwar alle zeitlich ziemlich parallel zu jenen im Freien. Aber das muss sicher nicht in jedem Fall so sein....
1. Ein Ausmarsch im 2. Jahr nach der Gründung (im vorangegangenen Sommer/Spätsommer) kann eigentlich schon aus zeitlichen Gründen nicht stattfinden: Die Aufzucht der Amazonenbrut erfolgt ja sukzessive, also schlüpfen die Jungtiere nach und nach, vielleicht irgendwann Ende Juni, Anfang Juli beginnend und im August gibt es dann vielleicht 200 Amazonen und Anfang Sept. 300. Das heißt, die Jungtiere und vor allem die wichtigen Kundschafterinnen müssten sozusagen vom Fleck weg ausmarschieren. Ich würde sagen, dass geschätzte 250-300 Amazonen notwendig sind, um erfolgreich auf Brutraub zu gehen.
Warum es bei Polyergus relativ (im Vergleich zu einigen Serviformica-Arten) wenig Brut gibt, ist eine andere Frage. So viel ich weiß, wurde dies im Speziellen bisher nicht untersucht. Auch die spätere Zahl der Geschlechtstiere ist gemessen an oft etlichen tausend Hilfsameisen immer bescheiden. Möglicherweise ist das eine "ökonomische" Sache, es wird nur so viel "produziert" wie man für die Erhaltung der Art benötigt. Hier ergibt sich vielleicht auch ein Zusammenhang mit dem häufigen Auftreten von ergatoiden Weibchen, also flügellosen Zwischenformen zw. Arbeiterin und Gyne. Vielleicht ist es "ökonomisch" sinnlos in die Produktion von Flugmuskulatur zu investieren, wenn die Begattung (auch der echten Gynen) sowieso häufig im engeren Nestbereich stattfindet.
2. Das ist eine interessante Frage, die möglicherweise den Kern des zuerst v. Merkur aufgezeigten Problems tangiert: In der Natur ist es so, dass die Raubsaison erst nach Aufzucht und Schwärmen der Geschlechtstiere der Serviformica-Arten beginnt. Schon vorher, aber vorwiegend ab diesem Zeitraum investieren die Serviformica-Populationen all ihre Energie in die Aufzucht von Arbeiterinnen. Jetzt können die Amazonen aus dem Vollen schöpfen.
Ob der Zeitpunkt der Raubsaison praktisch instinktmäßig bei Polyergus verankert ist oder ob sie aus dem Fortschreiten der eigenen Brutentwicklung zum Ausrücken animiert werden, bleibt inzwischen ein Geheimnis. Als letzte Möglichkeit kämen die scouts ins Spiel: Diese rücken aus, um Wirtsnester zu finden und versuchen dabei sehr oft, einzeln(!!) in die Serviformica-Nester einzudringen. Ein zweifellos lebensgefährliches Wagnis. Neuere Forschungen aus Italien belegen aber, dass hier quasi Abwehrbereitschaft, Nestgröße und die zu erwartende Beute ausspioniert wird und so unglaublich es fast klingt, die später rekrutierte Truppenstärke soll an die von der Kundschafterin "heimgebrachte" Information angepasst werden.
Bei den Amazonen kann man also ohne weiteres von militärischer Strategie sprechen: Spionage-Meldung-Rekrutieren der entsprechenden Truppenstärke-geordneter Ausmarsch (durch Pheromone wird die Marschordnung gestrafft)-Markierung der Strecke-Überfall-Einsatz von chem. Kampfstoffen-Raub-rasche Rückkehr auf der Duftspur.
Irgendwie erinnert mich das fast an die Auswüchse organisierter Kriminalität, unter der wir in Mitteleuropa sein einigen Jahren leiden.
Jedenfalls weißt du jetzt, warum mich gerade diese Art so fasziniert....
L.G.Boro