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Polyergus rufescens - Haltungserfahrungen

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Boro
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#1 Polyergus rufescens - Haltungserfahrungen

Beitrag von Boro » 14. November 2006, 11:43

Die Gründung eines Amazonenstaates (Polyergus rufescens) ist eine komplizierte Geschichte, weil die jungen Königinnen nur mit Hilfe von Sklavenameisen (Serviformica) ihr Nest gründen können und darüberhinaus praktisch nicht in der Lage sind, sich selbst zu ernähren. Daraus folgt, dass die Nestgründung ein bis zwei Tage nach dem Schwärmen erfolgen muss.
1. Auffinden einer begatteten Königin
Junge begattete Königinnen findet man im August, wenn das Schwärmen stattfindet. Sie werden sehr oft in Nestnähe begattet und warten anschließend auf den Raubzug der Amazonen, um sich diesem anzuschließen und nach dem erfolgten Überfall auf ein Sklavennest auch in dieses einzudringen. Manchmal laufen 5 oder mehr Jungköniginnen in der Nachhut mit. Eine gefährliche Sache, weil sie unmittelbar nach der Begattung von den eigenen Sklaven und Amazonen als Konkurrenz angesehen werden.
Jungköniginnen, die in das bestehende Amazonennest einzudringen versuchen, verursachen eine gewaltige Aufregung und
werden sowohl von den Sklavenameisen als auch von den Amazonenkriegerinnen heftig attackiert und meist getötet. So eine Königin rechtzeitig zu retten und einzufangen ist wohl die beste Gelegenheit.
2. Die Nestgründung mit der jungen Königin
Ich habe verschiedene Methoden ausprobiert:
Das Zusammenbringen mit wenigen fremden Sklavenameisen scheitert regelmäßig. Es kommt zu Kämpfen und Auseinandersetzungen, welche die junge Königin zwar gewinnen kann, aber sie ist sehr empfindlich und stirbt oft an den Spätfolgen von Verletzungen. Hier erscheint z. B. die Königin von Formica rufa ungleich robuster.
Die Nestgründung mit 2 Sklaven aus dem ursprünglichen Nest hat nach einigen Rangeleien einmal geklappt.
Am besten ist die Verwendung von wenigen ganz frisch geschlüpften Skavinnen und einigen Dutzend Puppen. Die jungen Arbeiterinnen sind harmlos und werden von der Königin in der Regel rasch akzeptiert. Mit der steigenden Zahl ausschlüpfender Serviformica-Arbeiterinnen können weitere Puppen (auch aus anderen Nestern) beigegeben werden und die Fütterung mit etwas Honigwasser kann beginnen. Schließlich soll die Population auf mindestens 500 Tiere gebracht werden.
3.Die Auswilderung des Nestes
Die Auswilderung im Herbst ist nicht zu empfehlen: Die durchwegs sehr jungen Arbeiterinnen sind sehr scheu, haben keine Erfahrung im Jagen der Beute und kennen potentielle Nahrungsquellen nicht. Es können dann für den Winter die nötigen Fettreserven fehlen.
Optimal ist die Auswilderung im April/Mai. Die Arbeiterinnen sind mittlerweile älter und im Terrarium an das Jagen von Beutetieren gewöhnt.
Schwierig hingegen bleibt die Entdeckung eines geiegneten Habitats, das auch dem natürlichen Vorkommen von Polyergus entspricht: Xerotherme Lage, eine ausreichende Zahl von geeigneten Sklavennestern, möglichst Gebiete ohne Nutzung durch den Menschen und besonders wichtig: keine gefährlichen Ameisenpopulationen in der Nähe. Waldameisen, Lasius niger, Tetramorium sp., sogar Plagiolepis sp. usw. starten auf "Neuankömmlinge" sofort Angriffe.
Hier noch 2 Bilder einer Jungkolonie:
a) Junge ergatomorphe (?) Königin mit Formica cunicularia und Puppen
b) Die selbe Königin mit 2 verschiedenen Sklaven-Arten: Neben F. cunic. befindet sich vorne links unten eine F. fusca. Eine Rarität, weil die beiden Arten in Gefangenschaft nicht "kompatibel" sind. Siehe dazu: "Verträglicheit verschiedener Serviformica-Arten im Polyergus-Nest"(Beobachtungen im Freiland)
Gruß Boro


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Frank Mattheis
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#2

Beitrag von Frank Mattheis » 13. Dezember 2006, 23:31

Hallo Boro,
bei meinen früheren Versuchen habe ich ähnliche Feststellungen gemacht. Insbesondere das Eindringen junger, begatteter Königinnen ins Mutternest war, wie Du schreibst, mit riesiger Aufregung und tödlichen Kämpfen verbunden. Im Beobachtungsnest gelang es den Polyergus-Arbeiterinnen nur in gemeinsamer, verzweifelter Anstrengung, die mordlüsterne, sich wie eine Furie benehmende Jungkönigin schliesslich zu töten.
Auch bei Adoptionsversuchen mit jungen Arbeiterinnen musste ich dies beobachten. Das Eindringen in Kolonien der Wirtsameisen bzw. in kleine Teile von solchen löste immer wieder diese Instinkte aus.
Überhaupt scheinen die Polyergus-Jungköniginnen einen atavistischen Mordtrieb, ähnlich dem der Königinnen der temp. sozialparasitischen umbratus abreagieren zu müssen (der hat jedoch bei den Lasius sicher andere evolutionsbiologische Quellen.). Diesen manchmal überflüssigen Mordtrieb habe ich auch bei Jungköniginnen des Sozialparasiten Harpagoxenus beim Versuch der Nestübernahme bei Lepthothorax beobachtet. Überflüssig deswegen, weil die Jungköniginnen dieser permanenten Sozialparasiten in meinen Versuchen auch duldsame und friedfertige, sich anschliessende Jungarbeiterinnen kurz nach dem Eindringen ins Nest töteten. Jungköniginnen der fakultativ dulotischen blutroten Raubameise waren anpassungsfähiger und viel flexibler nach meiner Beobachtung, sie "raubten" auch Jungameisen des Wirtsnestes wie alle Brutstadien bzw. liessen diese sich ihnen anschliessen.
Möglicherweise stellt das Töten aller potenziellen Feinde für Polyergus die sicherste Überlebensgarantie in diesem schwierigen, risikoreichen Geschäft dar. Denn schon kurze Zeit nach diesen Auseinandersetzungen werden die Jungköniginnen sehr scheu und ihre Agressionsschwelle sinkt. Würden nun noch feindlich gesinnte Arbeiterinnen des übernommenen Nestes auftauchen, wären die Polyergus-Jungköniginnen kaum noch in der Lage, sich zu erwehren.
Grüsse, Frank.



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Boro
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#3

Beitrag von Boro » 14. Dezember 2006, 15:07

Hallo Frank!
Schön, dass Du dich wieder beteiligst.
Ja, was mir noch aufgefallen ist, dass die Polyergus-Königin - trotz ihrer Aggressivität - sehr empfindlich ist. Bei den Versuchen mit einigen Sklaven, die ich aus dem (eigenen?) Nest beigegeben hatte, gab es einen Wechsel zwischen Gerangel und oft langandauernder Kommunikation zwischen Königin und Sklaven, und zwar durch heftiges gegenseitiges Betrillern mit den Fühlern.
Ich war dann immer zuversichtlich, weil ich der Ansicht war, dass die Adoption der Königin (oder umgekehrt der Sklaven) als gelungen zu betrachten wäre. Nach einigen Tagen war aber die Königin dann tot, entweder wurde sie nicht gefüttert oder die dazwischenliegenden Gerangel und Kämpfe haben die Königin doch irreparabel geschädigt.
Ich habe aus einigen solchen Misserfolgen die Konsequenz gezogen und nur mehr frisch geschlüpfte Sklaven der Königin beigegeben. Das war dann in allen folgenden Fällen erfolgreich. In den letzten 8 Jahren habe ich etwa 2 Dutzend Polyergus-Nester ausgewildert.
Grüße v. Boro



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Frank Mattheis
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#4

Beitrag von Frank Mattheis » 14. Dezember 2006, 19:25

Ja, als ich zum ersten Male eine Königin der Polyergus sah, war ich ein wenig enttäuscht, sie erschien mir so verletzlich und klein. Aber natürlich wunderschön, es war eine hellrote Ergatogyne. Im Vergleich zu den Königinnen der Raptiformica oder den der temp. sozialp. Formica ist sie relativ klein und schwach. Insbesondere die Fühler scheinen eine Schwachstelle zu sein, sie werden bei diesen Kämpfen leicht verletzt. Und irgendwie scheinen die Arbeiterinnen der Polyergus geschicktere und kaltblütigere Kämpfer zu sein.
Aber da muss man vieleicht bedenken, dass diese einerseits koordiniert in Gruppen angreifen und den Gegner mit Propagandastoffen verunsichern, die natürlich bei Gruppen von Angreifern besser wirken und dass die Polyergus-Arbeiter nur dann noch töten müssen, wenn sich ihnen dann noch verzweifelte Serviformica gegenüberstellen. Denn sie müssen ja nicht im überfallenen Nest verbleiben. Sie töten keineswegs flüchtende oder ausweichende Insassen der überfallenen Kolonien, wie das etwa die Raptiformica tun. Bei denen sind die Raubzüge gleichzeitig Vernichtungsfeldzüge.
Nach dem Eindringen der Polyergus-Arbeiter fliehen die Serviformica ja meist und retten, was zu retten ist. Eigentlich nur wenige verwickeln sich in ernste, andauernde Kämpfe, die die Polyergus dann meist mit einen tödlichen Kopfbiss beenden.
Nach dem Eindringen einer Jungkönigin der Polyergus kam es zwar auch immer zum Tumult im Nest bei meinen Beobachtungen, aber nicht zur panischen Flucht. Die Serviformica konnten wohl die Gefährdung einschätzen und hatten vor einer einzigen Jungkönigin weniger Respekt. Anders als die Jungkönigin der Formica pratensis etwa, die ungleich robuster und zäher ist und tagelanges Zerren überleben kann, hat die Polyergus-Königin hier wohl keine Chance.
Deswegen vieleicht auch ihr agressives Verhalten, die Polyergus-Königin hat nur die Chance, ein Nest oder einen Teil davon im Handstreich mit Gewalt zu übernehmen. Dies kann zB. funktionieren bei gerade überfallenen Kolonien, deren Insassen verstreut und verunsichert sind. Das erklärt dann auch das Herumlungern der Jungköniginnen in Nestnähe der Polyergus und ihr Sichanschliessen an Raubzüge der Polyergus, Verhalten, dass Du ja oben beschrieben hast.
Wie bei allen hochspezialisierten Sozialparasiten sind also wahrscheinlich immer noch eine Menge glücklicher Umstände nötig, um eine neue Kolonie zu gründen. Das verwundert ja eigentlich nicht. Sie sind ja hervorragend angepasst und dürften es noch besser gar nicht sein. Wären sie es, würden sie sich ihrer Lebensgrundlage berauben.
Bei Sozialparasiten wie den temp. sozialp. Raptiformica und den Formica, wo die Jungköniginnen robuster scheinen und wo manchmal auch die Übernahme kompletter Kolonien gelingt, also zB. die Adoption einer pratensis-Königin in einer cinerea-Kolonie, ging die "Ausstattung" der Jungköniginnen vieleicht nur deswegen weiter (also Zähigkeit, auch Attraktivität für die Hilfsameisen usw.), weil diese Arten nicht immer unbedingt auf die Hilfsameisen angewiesen sind. Raptiformica braucht Serviformica nur für die Gründung unbedingt, nicht aber im weiteren Lebensverlauf der Kolonie, Formica kann zB. sozialp. auch bei Raptiformica gründen oder durch Adoption in artgleichen Kolonien und spätere Aufspaltung durch Nestableger.
Grüsse, Frank.
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