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Manica rubida: Oligogyne Koloniessysteme

Berichte, Erfahrungen, Beobachtungen aus der Natur
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Boro
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#1 Manica rubida: Oligogyne Koloniessysteme

Beitrag von Boro » 7. Juni 2012, 12:03

Laut SEIFERT (S. 193 f.) ist die Art Manica rubida noch nicht ausreichend untersucht. Es gäbe olygogyne Systeme, wobei die Arbeiterinnen verschiedener Nester untereinander harmonieren, die Königinnen jedoch separiert bleiben und einander feindlich gesinnt seien.
Aber gibt es auch 2 Königinnen in einem Nest (Polygynie)? Jedenfalls kurzfristig kann das vorkommen, wie mein Bericht zeigt. Es gibt praktisch keine Exkursion, bei der nicht irgendeine Überraschung wartet:
1. Habitat von Manica rubida: Unzählige Nester u. Nestsysteme in den Schotter- u. Kiesterrassen entlang des Wildbaches. Auf die bei einem Hochwasser freigesetzten Kräfte weisen diese angelandeten Baumstämme mit einem Durchmesser von etwa 50 cm hin. Sie liegen im Flussbett des Rosenbaches im Rosental (Südkärnten, Österr.).
Nicht zu übersehen das kleine Etwas in der Bildmitte: Jagdhund Sarah muss angebunden bleiben, hat aber ein wachsames Auge auf sein Herrl!
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2. Bei meinem Streifzug durch das Gelände ist mir sofort ein Manica-Nest aufgefallen: Aufregung, etliche umhereilende Arbeiterinnen. Ein Blick klärte die Situation: Sie hatten unmittelbar vor dem Nest eine Gyne fixiert:
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3. Die Gyne wollte in das Nest und wurde von zahlreichen Arbeiterinnen kontaktiert.
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4. Es wird wohl gezogen, betastet, beleckt, aber eine Aggression im Sinn einer bevorstehenden Tötung kann nicht festgestellt werden:
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5. Während die eine Königin im Eingangsbereich "kontrolliert" wird, entdecke ich zu meiner Überraschung, dass eine zweite Gyne gerade aus dem Nest "geleitet" wird. 2 Gynen im einem Nest? Womöglich fremde Tiere, die in das bestehende Nest eindringen wollen?
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6. Sehr häufig war der (vorsichtige) Biss zw. Peitiolus u. Postpetiolus zu beobachten:
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7. Eine Arbeiterin fixiert die Gyne, die zweite befühlt u. "untersucht" sie.
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8. Die 2. Gyne dreht sich in Richtung Nesteingang, in welchem die andere Gyne vor gut 5 Min. verschwunden war:
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9. Trotz reichlicher "Behinderung" seitens der Arbeiterinnen, erreicht die 2. Gyne den Nesteingang:
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10. Auch die zweite Gyne verschwindet im Nesteingang. Die Aufregung der Arbeiterinnen wegen dieser sicher ungewöhnlichen Situation war jedenfalls deutlich sichtbar. Wie das Ganze ausgegangen ist, kann ich leider nicht sagen, da hätte ich wohl noch sehr lange Zeit beobachten müssen und es war inzwischen 19 Uhr.
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L.G.Boro



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Isi
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#2 AW: Manica rubida: Olygogyne Koloniessysteme

Beitrag von Isi » 7. Juni 2012, 19:40

Hallo Boro,

meinen Glückwunsch zu den "Wahnsinns"-Bildern, die Dir - obendrein zu einem wenig erforschten Thema - wieder einmal gelungen sind.

Gruß, Isi



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chris1994
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#3 AW: Manica rubida: Olygogyne Koloniessysteme

Beitrag von chris1994 » 7. Juni 2012, 20:06

Hallo Boro

Ich staune jedes Mal wieder über die atemberaubende Qualität deiner Fotos. Scharf bis ins Detail und immer sehr spannende Motive.

Mit solch genialen Bildern kann ich leider nicht dienen, dafür ist das Verhalten zu sehen. Vor fast zwei Jahren entdeckte ich zwei Manica rubida Gynen unter einem Stein. Sie schienen zu rangeln. Richtig agressiv ging es dabei nicht zu. Sie fixierten sich gegenseitig an den Mandibeln und zogen und drückten sich durch die Kammer die sie gemeinsam bewohnten. Den Einsatz ihres Stachels konnte ich nicht beobachten. Die Gaster blieb schön unten.

EDIT: Hab ganz vergessen das Aufnahmedatum anzugeben. Die Bilder wurden am 07.08.2010 gemacht.

Hier zwei Bilder davon:

Bild Bild


Bei mir in Haltung: Lasius niger(> 1000 A.), Formica fusca (400-500 A.), Formica sanguinea (300-350 A.) Camponotus ligniperdus(35 A.), Temnothorax unifasciatus (1 A)

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#4 AW: Manica rubida: Olygogyne Koloniessysteme

Beitrag von Gast » 7. Juni 2012, 20:24

Alle Anerkennung für Bilder und Beobachtungen!

Man muss allerdings vorsichtig sein mit der Diagnose Oligogynie bzw. Polygynie: Das ist nur dann der Fall, wenn zwei oder mehr Königinnen in einem Nest/ Volk wirklich koexistieren, also dauerhaft leben, begattet sind und auch regelmäßig Eier legen! Im Falle der Oligogynie müssen sie dann auch noch räumlich getrennt im Volk leben.

Letztlich kann man das nur dann sagen, wenn die Königinnen fachgerecht seziert werden, so dass sich Sperma in den Receptacula nachweisen lässt, heranreifende Eier in den Ovariolen sind, und Gelbkörper in der Basis der Ovariolen als Nachweis erfolgter Eiablage. In unklaren Situationen muss man die Tiere sogar für einige Monate im Formikarium halten.

Bei allen hier beobachtbaren Interaktionen kann es sich um frisch begattete Jungweibchen handeln, oder es wird eine alte Königin aus dem Nest komplimentiert, oder es sind wirklich Tiere, die in ein Nest einzudringen versuchen (wobei man eben nicht sicher sein kann, ob sie dort neben einer vorhandenen Königin fertil werden). - Also: Vorsicht! :)

MfG,
Merkur



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Boro
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#5 AW: Manica rubida: Olygogyne Koloniessysteme

Beitrag von Boro » 7. Juni 2012, 20:30

Ich danke für die Kommentare u. chris1994 für die tollen Bilder: Die sind auch nicht von "schlechten Eltern"!
L.G.Boro



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AIS
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#6 AW: Manica rubida: Oligogyne Koloniessysteme

Beitrag von AIS » 22. Juli 2012, 20:58

Ich hatte das Thema die ganze Zeit im Hinterkopf und möchte auch ein paar Beobachtungen beisteuern. Im letzten Jahr habe ich mehrere Gründerköniginnen und junge Kolonien gehabt.
Das Ergebnis war eindeutig: Pleometrose scheint kaum möglich zu sein, bei mir ist es jedenfalls missglückt.

Unmittelbar nach dem Zusammensetzen der Königinnen sah es zunächst ganz gut aus. Die Königinnen betrillerten sich gegenseitig ausgiebig und versuchten sich,
was im Reagenzglas kaum möglich war, möglichst weit voneinander zu entfernen.

Bild
[color="#A4A4A4"]Die Königinnen verhielten sich zunächst friedlich.[/color]

In den darauffolgenden Wochen war immer wieder eine tote Königin am Eingang des Reagenzglases zu sehen, bis nur noch eine übrig war (übrigens die Dame aus meinem Haltungsbericht).
Mehrmals konnte ich beobachten wie sich die Königinnen gegenseitig aus dem Reagenzglas zogen. Wichtig ist noch zu erwähnen,
dass die Gynen unmittelbar nach dem Schwarmflug aufgesammelt wurden.

Bild
[color="#A4A4A4"]Eine der toten Königinnen.[/color]

Trotzdem wird immer mal wieder über polygyne Kolonien berichtet.
____________________________

Dazu konnte ich dieses Jahr in Tschechien eine interessante Beobachtung machen, die in etwa der von Boro entspricht.

An einem Hang, wo sich ein großes Manica rubida Nest befindet, entdeckte ich eine hastig umherlaufende Königin. Sie schien jede Spalte in der Erde genaustens zu untersuchen und verschwand,
als sie den Nesteingang fand, sofort. Als ich ca. eine Stunde später wieder an der selben Stelle vorbeikam, wurde sie gerade von einer großen Arbeiterin wieder aus dem Nest gezogen.

Es sah allerdings nicht danach aus, dass die Gyne ernsthaft verletzt wurde, den Stachel benutze keiner der beiden; die Arbeiterin zog sie ca. 50cm vom Nesteingang weg und ließ dann die Königin los.

Diese versuchte daraufhin wieder gezielt in das Nest zu gelangen und kam nicht wieder hervor. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sich um die einzige Königin des Nestes gehandelt hat,
sonst hätten die Arbeiterinnen sie wohl kaum aus dem Nest gezogen.

Die Königin auf der Suche nach irgendetwas:

Bild

Zielgerichtet verschwindet sie im Eingangsloch einer großen Kolonie:

Bild

Von einer Arbeiterin wird sie weggezerrt:

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Bild

Die interessante Frage ist nun: Handelt es sich um bereits etablierte Königinnen, die von den Arbeiterinnen bloß getrennt gehalten werden
oder um eine Jungkönigin nach dem Schwarmflug, die versucht in das Nest aufgenommen zu werden?

P.S. Aufgrund des Gefährdungsstatus von Manica rubida schäme ich mich ein wenig dafür, letztes Jahr gleich mehrere Königinnen gesammelt zu haben,
die Verlockung eine polygyne Haltung zu versuchen war groß - und das Ergebnis ernüchternd. In dem Gebiet wo ich sie gesammelt und beobachtet habe,
ist Manica rubida allerdings auch extrem häufig und kommt überall am Rand der Waldwege vor. Dieses Jahr habe ich nur fotografiert und alles da gelassen,
wo es hingehört.


Positive Bewertungen sind immer gerne genommen :)
Wer etwas zu kritisieren hat, darf gerne den Mut haben es öffentlich oder per PN zu tun.

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Boro
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#7 AW: Manica rubida: Oligogyne Koloniessysteme

Beitrag von Boro » 22. Juli 2012, 22:11

Danke für den interessanten Bericht, wobei der zweite Fall tatsächlich sehr ähnlich ist.
In der Natur habe ich nicht nur einmal 2 od. einmal 3 Gynen in einer Gründungskammer vorgefunden, das war auch recht bald nach dem Schwärmen. Aber es handelte sich immer um das Gründungsstadium, im weiteren Verlauf der Nestentwicklung muss man davon ausgehen, dass sich die Gynen trennen (u. U. auch gewaltsam).
SEIFERT (S. 193 f.) berichtet von oligogynen Koloniesystemen, wobei die einzelnen Königinnen sich strikt getrennt aufhalten, die Arbeiterinnen der verschiedenen Nester aber den Nestduft "durch permanenten Austausch von Postpharyngealdrüsensekret homogenisieren", d. h. die Arbeiterinnen des einen Nestes können auch in ein Nachbarnest laufen. Eine eigenartige Verhaltensweise.....
L.G.Boro



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#8 AW: Manica rubida: Oligogyne Koloniessysteme

Beitrag von AIS » 23. Juli 2012, 10:00

Boro hat geschrieben: Im weiteren Verlauf der Nestentwicklung muss man davon ausgehen, dass sich die Gynen trennen


Warum muss man davon ausgehen? Es wurden schon mehrmals Kolonien mit mehreren Königinnen gefunden (Vllt. meldet sich da ja noch jemand zu Wort).
Es scheint also durchaus möglich zu sein, dass mehrere Königinnen in einem Nest leben. Ich selbst kann dazu keine Erfahrung beisteuern, weil ich noch nie
eine Königin in einem wilden Nest gesehen habe.

In dem Szenario das ich beobachtet habe, versuchte die Königin gezielt in das Nest zu gelangen und wurde vorsichtig wieder herausgezogen.
Boro, du hast ähnliches beobachtet. Für mich sah es so aus, als würde eine Jungkönigin versuchen in das Nest aufgenommen zu werden.
Bei jedem Kontakt mit den fremden Arbeiterinnen gleicht sich der Geruch an, bis sie akzeptiert wird.

Wäre das nicht die naheliegenste Lösung? In einem oligogynen Koloniesystem akzeptieren die Arbeiterinnen schließlich alle Königinnen, warum sollten die etablierten Königinnen
derart aufgeregt betastet und vom Nest weggezerrt werden?

Nur so als Denkanstoß, wenn ich Quatsch rede sagt's ruhig. ;)



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