Hummel 2005 und die Winterruhe

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#1 Von: A. Buschinger - Hummel 2005 und die Winterruhe

Beitrag von AmeisenforumArchiv » 8. Januar 2005, 14:50

Die erste Hummelkönigin des Jahres 2005 flog gerade gegen 12:00 bei mir im Garten. An der Hauswand (im Schatten) zeigte das Thermometer 14 Grad C, die Sonne schien strahlend, und es war sehr heftiger Wind. Mit aller Kraft kam die Hummel (eine Bombus terrestris, so weit ich sehen konnte) kaum gegen den Wind an.

So ein Tier ist mit höchster Wahrscheinlichkeit ein Opfer der Selektion: Keine einzige Blüte weit und breit, wo sie "auftanken" könnte. Sie verbraucht nutzlos ihre Reserven; fraglich, ob sie zu ihrem Unterschlupf zurück gelangt, oder auf die Schnelle einen neuen Ort zur Fortsetzung der Winterruhe finden wird.

"Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben": Im Falle der Hummeln sind das Tiere, die so spät aus der Winterruhe kommen, dass die besten Nistplätze bereits besetzt sind. Wer sich aber zu früh von etwas Wärme hervor locken lässt, den bestraft das Leben ganz genauso: Ohne blühende Futterquellen werden solche Tiere verhungern.

Man erkennt, wie wichtig "endogene" Faktoren in der Überwinterung sind, die angeborene Tendenz, eben die Winterruhe über einen optimalen Zeitraum hinweg einzuhalten. So etwas ist bestimmt nicht durch nur ein Gen bzw. Allelpaar bestimmt, sondern durch eine ganze Anzahl genetischer Faktoren. Jedes Tier bekommt davon eine etwas andere "Mischung" mit. Die Selektion wird in jedem Jahr die "zu frühen" und die "zu späten" aus der Population herausnehmen, nur die mit "guten", für den jeweiligen Ort geeigneten Erbanlagen überleben und können diese "guten" Anlagen auf ihre Nachkommen vererben.

Nur so wird auch verständlich, dass dieselbe Hummelart in warmen, südlichen Teilen Europas früher, und im Norden oder hoch im Gebirge später aus der Winterruhe kommt: Ihre "Genmischung" für die Länge der Winterruhe ist entsprechend unterschiedlich, und sie wird Jahr für Jahr von der Selektion "überprüft" und neu eingestellt. Damit ist auch eine Veränderung des Genbestandes innerhalb einiger Jahre mit ungewöhnlich frühem (bzw. spätem) Frühjahr möglich, eine "Anpassung" ganzer Populationen. Denn so ein Klimafaktor bewirkt Ähnliches bei den Nahrungspflanzen der Bienen. Natürlich sind da ein- oder zweijährige Pflanzen schneller in der Anpassung als Bäume, bei denen der Austausch der spät blühenden gegen früh blühende eher Jahrhunderte benötigen wird.

Bestimmt läuft das auch bei Ameisen so ähnlich (auch wieder mit langsamerer Anpassung, über Jahrzehnte, als bei einjährigen Insekten).

So etwas weist auch darauf hin, dass man Organismen nicht einfach über hunderte von Kilometern hinweg verpflanzen sollte: Entweder sind sie selbst so schlecht an die neuen Verhältnisse angepasst, dass sie schlicht sterben (der günstige Fall), oder aber sie bringen Gene in die ansässige Population, die deren lokale Anpassung schwächen können ("intraspezifische Faunenverfälschung").

Eine Frage an die Bienen-Fachleute (bes. Herrn Kosmeier): Sind Daten über so frühen Flug von Hummeln bekannt (ich bin fast sicher, weiß aber nicht so recht, wo nachsehen).

A. Buschinger



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#2 RE: Hummel 2005 und die Winterruhe

Beitrag von Hornisse » 8. Januar 2005, 16:19

Hallo Herr Buschinger,

ich glaube, diese Beobachtung ist rekordverdächtig! Aber mal sehen, ich
bin bereits am Ball, das zu recherchieren. Frage auch parallel die Experten von hymenoptera.de, bombus.de und aktion-hummelschutz.de
Poste hier dann die Ergebnisse.
Gruß
Dieter Kosmeier


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Dieter Kosmeier

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#3 RE: Hummel 2005 und die Winterruhe

Beitrag von Hornisse » 9. Januar 2005, 18:52

Hallo Herr Buschinger,

eine ersten Rückmeldung kann ich bereits von meinem Mitstreiter Thomas Rickinger vermelden:

" ... aus Süd-England wurden in den letzten Jahren wiederholt Meldungen bekannt, die darauf schließen lassen, dass dort manche Hummelarten den Winter hindurch brüten! Beispielsweise wurde erst kürzlich (Ende Dezember 2004) eine Arbeiterin von Bombus lucorum (?) beim Pollensammeln an Lonicera sp. angetroffen. Auch für die erste Januarwoche 2005 gibt es schon wieder einige neue Sichtungen. Falls das wirklich zutrifft, wäre es für den mitteleuropäischen Raum meines Wissens ein absolutes Novum! Man darf dabei aber nicht vergessen, dass das dortige Winterklima einigermassen milder ist hier auf dem Kontinent. Leider bin ich, was dieses Thema betrifft, selbst nicht in allen Einzelheiten informiert. Nähere Auskünfte dazu kann jedoch Mike Edwards (mike.edwards@bwars.com) von der Bees, Wasps and Ants Recording Society geben.

Für unsere Region dürfte diese Sichtmeldung aber natürlich ein "Ausreißer" von der Norm sein, weil hierzulande das Gros der Jungköniginnen üblicherweise nicht vor Ende Februar/Anfang März die Winterquartiere verlässt. Dennoch sind mir einige vergleichbare Berichte von Hummelköniginnen, die an warmen Januar- oder Dezembertagen munter herum flogen, sowohl vom Hörensagen als auch aus der einschlägigen Literatur bekannt - allerdings nur in anekdotischer Form ohne exakte Datumsangabe.

Die gestrige ungewöhnlich warme Temperatur (bis zu 16 °C an den frühen Nachmittagsstunden!) hat im Übrigen offenbar auch meine vier Königinnen der Deutschen Wespe, die auf unserem Dachboden in einem Fensterwinkel Winterquartier bezogen haben, zum Abfliegen verleitet. Äußerst bedauerlich, weil ich eigentlich vorhatte, in der kommenden Woche noch einige Fotos von dieser "Überwinterungsemeinschaft" zu machen"

Ich melde mich wieder, wenn weitere Nachrichten bei mir eintreffen.

Gruß
Dieter Kosmeier


Gruß
Dieter Kosmeier

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#4 Von: A. Buschinger - Vielen Dank!

Beitrag von AmeisenforumArchiv » 9. Januar 2005, 20:51

Ganz herzlichen Dank, Herr Kosmeier, für diese Informationen. Irgendwie bewegt so etwas das Denken doch immer Richtung "global warming".

Andererseits muss man auch erkennen, dass das Internet es erheblich leichter macht, solche Beobachtungen ein paar anderen Interessierten zur Kenntnis zu bringen, wobei sich Daten ansammeln, die noch vor 10 Jahren allesamt verloren gegangen sind. - Wer schrieb schon eigens eine Veröffentlichung "Ungewöhnlich frühe Beobachtung einer fliegenden Hummelkönigin"?

Mir ist vor ein paar Jahren auf dem Weg zu meinem Wochenendgrundstück ein adulter Feuersalamander begegnet. Auf Schnee, bei Sonne und minus 10 Grad (!), etwa um den 12. Januar. Er lief noch ganz normal. - Meine einzige Erklärung war, dass er vielleicht kurz vorher von einem Wildschwein aus dem Winterlager in Laub und Humus gegraben wurde. Ich habe ihn mitgenommen, ein paar Wochen im Keller überwintert und im Frühjahr an Ort und Stelle zurück gesetzt.

Viele Grüße,
Ihr A. Buschinger



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#5 Winterruhe tlw. auch in MS beendet ...

Beitrag von Hornisse » 11. Januar 2005, 13:56

Hallo Herr Buschinger,

gerade teilte mir meine Frau mit, dass sie gestern am 11.01.05 gegen 14:45 bei 16Grad eine Hummel vor unserer Hauswand gesehen hat, die aus dem Gebüsch abgeflogen ist. Scheint also wirklich Schule zu machen, diese frühen Starts der dicken Brummer.

Gruß
Dieter Kosmeier


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Dieter Kosmeier

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#6 Von: Grimmgrantiger Greif -

Beitrag von AmeisenforumArchiv » 12. Januar 2005, 01:47

Wenn ich frech ein paar Fragen dazwischenwerfen dürfte?
Ist es wirklich so daß es eine optimale Anpassung an den jeweiligen Ort geben kann ? Das Klima variiert doch auch am selben Ort in Durchschnittstemperatur, Maximalausschlägen und Kalt-Warm-Abfolgen stark. Jeder Winter verläuft doch, teils erheblich, anders.
Kann es nicht sein daß die Varianz des Verhaltens in diesem Fall die Anpassung darstellt, indem eben mit Sicherheit immer einige Individuen vorhanden sind, die mit den Schwankungen unterworfenen Bedingungen zurechtkommen?
Ist die Dauer der Winterruhe in wärmeren Ländern genetisch bedingt? Ich hätte gedacht es liegt einfach daran daß dort früher höhere Temperaturen vorherrschen die "belebend" wirken.
Bzw kann eine Hummel überhaupt eine Winterruhe beenden oder beibehalten wenn es sehr kalt bleibt oder besonders warm wird?
Ich war bislang der Meinung daß "Kaltblüter" einfach in Starre verfallen, daß ihnen diese Ruhephase von äußeren Umständen aufgezwungen wird, im Gegensatz zum Winterschlaf bei Säugetieren, die imstande sind Aktivität in größerer Kälte aufrecht zu erhalten.
Ich bin dankbar für Belehrung.
mfg



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#7 Von: A. Buschinger - Winterruhe endogen/ exogen

Beitrag von AmeisenforumArchiv » 12. Januar 2005, 14:31

Ist es wirklich so daß es eine optimale Anpassung an den jeweiligen Ort geben kann ? Das Klima variiert doch auch am selben Ort in Durchschnittstemperatur, Maximalausschlägen und Kalt-Warm-Abfolgen stark. Jeder Winter verläuft doch, teils erheblich, anders.

Das steht ja im Prinzip in meinem ersten Beitrag. Die Variabilität wird eben nach der einen oder anderen Richtung verschoben, wenn ein paar warme bzw. kalte Winter aufeinander folgen. Und wenn Tiere in andere Regionen gelangen, kann auf dieselbe Weise eine Anpassung erfolgen, falls sie nicht zuvor bereits alle wegen Unangepasstheit verstorben sind.

Ist die Dauer der Winterruhe in wärmeren Ländern genetisch bedingt?

Ja, zumindest bei sehr vielen Arten, und auch nicht nur in wärmeren Ländern. Bitte mal über Schmetterlinge nachlesen (google). Da gibt es die „Diapause“, die der Züchter (der neu geschlüpfte, absolut intakte Exemplare für seine Sammlung nadeln möchte) erst „brechen“ muss. Zumeist im Puppenstadium, in dem die Tiere überwintern. Die Puppen müssen zuerst für eine Weile in die Kälte, dann wieder in die Wärme. Auch Licht (Tageslänge) spielt sehr oft eine Rolle.

Ich war bislang der Meinung daß "Kaltblüter" einfach in Starre verfallen, daß ihnen diese Ruhephase von äußeren Umständen aufgezwungen wird

Diese Meinung trifft nicht zu, zumindest bei einer sehr großen Zahl von wechselwarmen Tieren. Zu „Winterruhe, exogen/ endogen“ gibt’s hier im Forum auch eine Menge Information, ist mit „suchen“ zu finden.

A. Buschinger



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#8 RE: Winterruhe endogen/ exogen

Beitrag von Hornisse » 14. Januar 2005, 19:23

Nachdem ich nun einige Hummelschützer angeschrieben hatte, kommen recht unterschiedliche Meinungen zutage, was beispielweise das künstliche Zufüttern solcher Frühstarter angeht:

1. Meinung (Auszüge) > "... habe auch schon befrüchtet bei diesem gutem Wetter einer Königin zu begegnen, da sie sicherlich den Hungertod erliegen.Ob eine Stärkung mit Zuckerlösung ihr helfen würde weiss ich nicht probieren könnte man es trotzdem.
Eberhard von Hagen beschreibt versuche in seinem buch "Hummeln" das ich interessierten nur empfehlen!"

"Eine gerettete Königin kann noch Generationen hervorbringen und so zur Arterhaltung beitragen!"

Meinungen dagegen >

"Ich bin mir unsicher, ob ich sie dann mit Zuckerlösung füttern soll, schließlich ist was dran an der notwendigen ökologischen Auslese. Sollte wirklich eine auftauchen und meine Kästen inspizieren (Jaha, sie stehen schon draußen!!) werde ich aber wahrscheinlich schwach werden und ihr helfen."

"Auslese findet ständig statt und hält die Arten fit. Nur dadurch, dass die randlichen Ausreißer immer wieder von der Auslese weggesäbelt werden, kann die Art in ihrer speziellen Ausprägung erhalten bleiben. Nur die ständig wieder gebildeten Ausreißer ermöglichen es aber eben auch, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen.

Ich finde schon, dass man sich überlegen sollte, ob man Hummeln, die offensichtlich schlecht angepasst sind, zur Vermehrung verhelfen sollte. Eine Hummel mit verkrüppelten Flügeln oder völlig falschen Streifen würde ich z.B. nicht füttern oder ihr bei der Nestgründung helfen. Dadurch schädigt man die ortsansässigen Hummeln durch "Wettbewerbsverzerrung".
Ich will ja den ortsansässigen Arten helfen, nicht einzelnen Tieren, die vielleicht mit korsischen Gewächshaushummeln gemischt oder sonstwie unangepasst an die Region sind. So leid sie mir dann vielleicht auch tun."

Zu diesem Thema werden sicherlich noch weitere interessante Aussagen eintreffen ...

Gruß
Dieter Kosmeier


Gruß
Dieter Kosmeier

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