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Sind Ameisen lernfähig?

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Sahal
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#9 AW: Sind Ameisen lernfähig??

Beitrag von Sahal » 22. September 2010, 01:31

Hola,

das Ameisen binnen Minuten oder Stunden lernen, eine bestimmte Beute auf bestimmte Art zu töten bezweifle ich. Alleine wäre es ungewöhnlich, dass immer die gleichen Arbeiterinnen zu Tage kriechen und diese Aktion oft genug durchführen, um einen Lerneffekt nach Versuch:Fehler zu haben.
Hier kommen eher instinktive oder lange erlernte Verhalten wieder zu Tage.

Pheromonspuren würde ich nicht als Lernen bezeichnen, hier handelt es sich eher um ein kollektives Gedächtnis, in dem Wege aufgezeichnet werden.

Ameisen sind aber lernfähig, sowohl kurzzeitig als auch langfristig!
Als Beispiele Telotaxis-Menotaxis:
Ameisen haben instinktive Orientierung nach Licht = die positive und negative Phototaxis = Telotaxis.
Das heißt sie können sofort nach Schlupf direkt auf die Sonne zu rennen (positiv), und direkt von der Sonne weg ins Dunkel (negativ).
Angefangen mit nur kurzen Ausflügen lernt die Ameise dann die Menotaxis, dass heißt jeden beliebigen Winkel zur Sonne einzunehmen, und diesen für den Rückweg umzukehren (die Fixierstelle um 180° zu drehen). Zusätzlich erlernt sie, die Bewegung der Sonne zu kompensieren und die Fixierstelle im Auge langsam wandern zu lassen, auch wenn sie die Sonne nicht sieht.
Nach gleichem Prinzip funktioniert auch die Gravitaxis. Angeboren ist die positive und negative Gravitaxis, dh die Ameisen können sich nach oben und unten orientieren. Dann folgt die erlernte Menotaxis mit jedem beliebigen Winkel zur Schwerkraft.

Als anderes Beispiel:
frisch geschlüpfte Ameisen sind strunzdoof und wissen weder, wer sie sind noch was sie sind!
Es folgt eine etwa 14-tägige, unumkehrbare Prägephase, in der die Arbeiterinnen lernen, zu welchem Volk (Duft) sie gehören und welche Brut (Duft) sie zu pflegen haben.
Gibt man Art A nur Puppen der Art B, werden die Arbeiterinnen in Zukunft nur Puppen der Art B annehmen und pflegen, die arteigenen Puppen jedoch fressen oder missachten. Gibt man ihnen gar keine Puppen, können sie in Zukunft auch keine Puppen mehr erkennen und betreuen.
Diesen Effekt nutzen ja auch Sklavenhalter aus, und unterliegen ihm ebenso!


Kurzfristige Lerneffekte lassen sich zB in der Orientierung zeigen:
findet eine Arbeiterin unter Blauem Licht ein Ziel, wird sie nach kurzer Lernphase automatisch das Blaue Licht ansteuern, selbst wenn dieses die Position ändert... hier wurde sogar gezeigt, dass ziemlich gut nach Farben unterschieden werden kann (Cataglyphis) und eben Rot nicht angesteuert wird!
Auf gleichem Wege, nach Sonnenstand, Nestausgang und Landmarken (und Farben?) können sich die Arbeiterinnen Wege zu Lauskolonien und bestimmten Futterquellen einprägen.

Aber dem Lerneffekt sind enge Grenzen gesetzt!!
So kann eine Ameise nur unmittelbare Vorgänge erkennen und lernen. Wege werde direkt und linear eingeprägt, so wie auch bei Bienen, nicht "an der dritten Schnecke links, dann die zweite Milbe wieder rechts".
Auch ist das Ameisengehirn nur dort flexibel, wo es Sinn macht und ein Lerneffekt wirklich gebraucht wird.

Nahrungsquellen, Feinde sind in ihrem Instinkt gespeichert. Kann eine Ameise sich umgewöhnen, also lernen wer an einem neuen Ort der Feind ist?
Können Ameisen das denn allgemein überhaupt erkennen?
Es ist auch immer die Frage:
- erlernen sie wirklich Neues?
- oder passt die neue Nahrung einfach in die bestehende Nahrungsschablone?
- oder ist in den Instinkten noch eine alte Schablone verankert, die normalerweise nicht mehr gebraucht wird?


Wenn die Flinte ins Korn gefallen ist, nicht gleich das Kind in den Brunnen werfen, auch wenn das der Tropfen ist, der dem Fass die Krone ins Gesicht schlägt!

Gast
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#10 AW: Sind Ameisen lernfähig?

Beitrag von Gast » 22. September 2010, 09:30

Gravitaxis = Geotaxis

Das Internet kann Bildung vermitteln! Danke an Sahal.
Der Begriff "Gravitaxis" war mir bis vor 5 Minuten unbekannt. Irgendwie von mir unbemerkt hat er irgendwann die gute alte "Geotaxis" ersetzt :D
Muss man sich also merken.
Wichtiger noch: Immer nachsehen (Google, Wikipedia etc.), wenn Dir was Neues auffällt: Es ist nicht immer richtig. Ob so ein neuer Begriff besser als der alte ist, sei dahingestellt...

Merkur



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cvb
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#11 AW: Sind Ameisen lernfähig? --> Ja

Beitrag von cvb » 2. Oktober 2010, 09:05

Habe meine Diplomarbeit zum Routenlernen von Melophorus bagoti gemacht. Diese Art lebt in der trockenen, heißen Wüste Australiens. Wir untersuchten sie im roten Zentrum in Alice Springs. Diese Ameisen sind äußerst hitzetolerant und zeigen hohe Aktivität während des Tages, während andere Ameisenarten keine Aktivität mehr aufweisen (1). Viele von euch werden die Studien über Ameisen der Gattung Cataglyphis kennen. Melophorus bagoti ist in mancherlei Hinsicht vergleichbar, bsp. sie legen keine Pheromonspur. Ein entscheidender Unterschied ist, dass jede Ameise hier ihre individuelle Route durch eine Landschaft lernt, die mit unzähligen Grasbüscheln übersäht ist (2).

Bild

Diese Ameisen können mehrere Routen lernen und diese auch nachdem sie weitere Routen lernten, nahezu fehlerlos wiederholen (Routengedächtnis; 3). Interessanterweise wird die Präzision in welcher sie ihre persönliche Route lernen, bereits nach 2 Lernläufen erreicht. Das bedeutet, sie lernen sehr schnell fehlerfrei zum Nest zuzurückzukehren. Ich denke schon, dass man hier von Lernverhalten sprechen kann. Außerdem konnten sie die erlernten Routen nach 5 Tagen Isolation in einer dunklen Box wiederholen, sprich das Erlernte wurde auch abgespeichert. Außendienstarbeiterinnen bei dieser Art überleben im Schnitt 5 Tage.


(1) Muser B, Sommer S, Wolf H and Wehner R 2005 "Foraging ecology of the thermophilic Australian desert ant, Melophorus bagoti" AUSTRALIAN JOURNAL OF ZOOLOGY 53, 301-311

(2) Kohler M and Wehner R 2005 "Idiosyncratic route-based memories in desert ants, Melophorus bagoti: How do they interact with path-integration vectors"NEUROBIOLOGY OF LEARNING AND MEMORY, 83, 1-12

(3) Sommer S, von Beeren C and Wehner R 2008 "Multi route memories in desert ants" PNAS 105, 317-322



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Boro
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#12 AW: Sind Ameisen lernfähig?

Beitrag von Boro » 2. Oktober 2010, 09:35

Hallo cvb!
Danke für deinen interessanten Beitrag!
Gerade zum Stichwort "Routengedächtnis" nur eine kleine Erkenntnis meinerseits:
1. Bei meinen Camponotus fallax, die im Dachstuhl wohnen, kann ich immer wieder feststellen, dass sie mitunter nur nach langem Suchen und etlichen zeitraubenden Irrwegen in ihr Nest zurückfinden. Offenbar haben sie im Gegensatz zu anderen Gattungen/Arten ein sehr schlechtes "Rotutengedächtnis":
Die in der Hausmauer lebenden Lasius emarginatus u. die im Garten häufigen Lasius niger hingegen sind nicht nur außergewöhnlich findig im Aufspüren v. Nahrung, sondern finden rasch den Weg zurück in ihr Nest, auch wenn man einige künstliche Hürden einbaut.
2. Meine Polistes dominulus als weitschichtige Verwandte der Ameisen, die ich seit Jahrzehnten betreue u. beobachte, müssen ein sehr gutes "Gedächtnis" besitzen: Regelmäßig finden einige Jungköniginnen nach der Winterruhe (Okt.-März) , die abseits von ihrem Neststandort überwintert haben, wieder zu ihrem Nest zurück. Sie benützen zwar nie das alte Nest für eine neue Gründung, tauchen dort aber immer wieder auf, übernachten vor der eigenen Nestgründung am alten Nest und gründen dann bei entsprechenden Voraussetzungen in unmittelbarer Nähe. Die 5-monatige Winterruhe kann also die Erinnerung an den alten Neststandort nicht auslöschen.
L.G.Boro



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