Vampire und Geschwistermord - der Horror im RG

Allgemeine Fragen und Themen über europäische Ameisenarten (hier keine Berichte)
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Sahal
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#1 Vampire und Geschwistermord - der Horror im RG

Beitrag von Sahal » 16. Juli 2011, 18:52

sawasdee krub

die Gründung unsrer geliebten Lasius niger ist eine sichere Sache, und die Gyne wird auch noch im Hamsterrad mit der Brut unterm Arm zuverlässig gründen, während sie alle 2 Tage ertränkt oder schwindelig geschüttelt wird.


Dennoch bietet die handelsübliche Gründung einige Gründe, die mich angewidert wegschauen lassen... natürlich erst nachdem ich ein Video geschossen habe :D
Das Bild zeigt eine der großen Gründungskammern im 1cm RG für Lasius niger, in der Regel biete ich natürlich kleinere Kammern an.
Irgendwann kam einmal die Aussage auf, dass Ameisen die Brut nur und ausschließlich auf den Boden legen... hier wird gezeigt, dass diese Gyne die Eier an die Decke heftet, die Larven liegen bevorzugt am Boden bzw werden zur Fütterung in die Eier geheftet, wie das dritte Video zeigt.


Erstes Video zeigt eine sogenannte Futtermilbe mit Ameisen-Brut in 10x, zweites Video selbiges in 60x, also eine Acari die sich bevorzugt auf organischen Resten aufhält bzw dort angetroffen werden kann.
Hier jedoch sind die Eier wohl nicht ausreichend ausgezeichnet worden und die Milbe vergreift sich leise schmatzend an der Brut. Nach etwa 7 Tagen waren 5 Eier zerzuzzelt bzw derart angeschratzt, dass sie eintrockneten.


Drittes Video ist besonders widerlich, wie geil!
Die Larve kanibalisiert vorsätzlich ihre Geschwister und leckt ein Ei leer. Interessant ist z beobachten, dass die Eier nicht zwangsläufig komplett aufgeleckt werden, sondern einige nur angeschmatze Überlebenskünstler doch noch zum Schlupf kommen können.


Sorry die eher miesen Aufnahmen, aber ich hege noch die Hoffnung, dass der Weihnachtsmann mir ein taugliches USB-Microscope beschert... nur im buddhistischen Thailand habe ich da wohl sauschlechte Karten :braver:

Wer noch ein paar nette Aufnahmen zur hämolymphigen Gründung hat, immer nur her damit!
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Pascal8993
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#2 AW: Vampire und Geschwistermord - der Horror im RG

Beitrag von Pascal8993 » 17. Juli 2011, 11:30

Hallo Sahal!

Wirklich sehr interessant, was du da beobachtet hast.

Die Frage, die sich mir aber sofort stellt, ist: kommt dieses Verhalten auch in größeren Kolonien vor? Und ist so ein Verhalten nicht paradox, wo es sich doch um einen "gleichgestellten" Ameisenstaat handelt, in dem jede Arbeiterin gleich ist?
Man hört ja oft von anderen Tieren, dass die Jungtiere versuchen sich gegenseitig aufzufressen bzw. versuchen damit einen potienziellen Fressfeind zu eliminieren (ich denke dabei an frisch geschlüpfte Schnecken etc.).
Doch bei Ameisen und gerade bei Lasius niger geht es ja bei den Arbeiterinnen in einem Staat nicht um das Überleben des Stärkeren, sondern um das Überleben des gesamten Staats insbesondere der Königin als "Eilegemaschine".
Klar, wenn eine Futterknappheit herrscht wird die Brut als erstes verarbeitet, was man ja auch regelmäßig bei Gründerkolonien beobachten kann (Stichwort: Puppenfraß).

Kommt so ein Verhalten vielleicht auch nur vor, wenn die Larve nicht ausreichen gefüttert werden (kann ja in der Gründungsphase durchaus mal vorkommen) und sie somit gezwungen sind an ihren Geschwister zu knabbern oder handelt es sich hierbei um ein evolutionäres Paradoxon?

Gruß,

Pascal



Sahal
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#3 AW: Vampire und Geschwistermord - der Horror im RG

Beitrag von Sahal » 18. Juli 2011, 11:56

Pascal krub

im Prinzip hast Du natürlich Recht und der Geschwisterfraß mutet als unglaubliche Verschwendung und Schwächung der Kondition an.

Aber sehe es mal aus Sicht der Gyne:
Dotter und Futtersaft gleichen sich, denn die Gyne muss eingelagerte Depots angreifen und über die Hämolymphe zu speziellen Drüsen transportieren, die die Nährstoffe dann zu entsprechenden Proteinen umbauen und in Futtersäfte oder eben Eidotter einbauen.
Da spielt es also keine Rolle, ob nun fertige Eidotter oder Futtersäfte verfüttert werden, im Gegenteil ist es weniger Arbeit für die Gyne, wenn sie keine Futtersäfte an einzelne Larven geben muss... sondern diese sich quasi selbstständig an Eiern vergreifen! Auch lungern die Ovariolen der Gynen in der Gründungsphase die meiste Zeit faul in der Gaster herum und planschen lustlos in der Hämolymphe, warum also nicht auf spezielle Futterdrüsen verzichten und die Ovariolen zur Arbeit anhalten? Denn Eier sind ja nichts anderes als ein Tropfen hochwertiges Protein!

Gar können Gynen und auch Arbeiterinnen einiger Arten spezielle Futtereier legen, die dann unbefruchtet und oft etwas dicker sind. Das heißt für die Gyne, dass sie die Spermapumpe "bewusst steuern kann" (auch wenn ich mir bewusst bin, dass Merkur und Ossein mir das Bewusstsein ganz bewusst um die Ohren hauen werden).


Trophische Eier, also unbefuchtete Futtereier, stellen wahrscheinlich auch die älteste Form der speziellen Nahrungsverteilung bei Ameisen dar und wird in rezenten Arten v.a. durch die Arbeiterinnen noch praktiziert. So haben die ursprünglichen Gattungen wie zB Myrmecia noch keinen Sozialmagen entwickelt und geben Nahrung durch trophische Eier oder Beuteteile weiter.
Der eigentliche Sozialmagen, also die Summe aller speziell ausgebildeten Kröpfe mit Fähigkeit zur Regurgitation, wurde erst sehr viel später in höheren Arten erfunden, wobei Spezialisten wie Messer jedoch weiterhin auf umgebildete Kröpfe verzichten.
Atta und Acromyrmex wird ebenfalls die Fähigkeit zur Regurgitation abgesprochen, obwohl ich bei Acromyrmex häufig typisches Verhalten der Trophallaxis beobachten konnte.


Nun, die Fütterung und Nahrungsverteilung ist bei Ameisen als eine ganz normal Sache :D


Du schneidest Nahrungsmangel an, aber den wird es in einem normalen claustralen Gründungsvolk nicht geben! Die Gyne claustraler Arten hat genügend Depots, um 3 oder mehr Gelege alleine aufzuziehen und die ersten Arbeiterinnen noch mit zu versorgen, und über 1 Jahr ohne jegliche Nahrungsaufnahme zu überleben! Puppenfraß ist hier kein Zeichen von Nahrungsmangel, sondern fehlgebildeten oder abgestorbenen Puppen.
Bei semiclaustralen Arten würden bei Nahrungsmangel allerdings zuerst die Eier gefressen, nicht die Puppen!

In größeren Völkern wird der Eifraß nachlassen, da genügend Arbeiterinnen zur Stelle sind und die Larven vollkotzen, sowie Eier und gefräßige Larven meist getrennt stapeln. Hier macht es dann Sinn, die Ressourcen der Ovariolen zur ergonomischen Phase voll in die Mehrung der Arbeiterschaft zu investieren.


Am Rande: auf den Videos lassen sich die Borsten der Larven gut erkennen!
Diese dienen wahrscheinlich mehreren Aufgaben, unter anderem sollen sie verhindern, dass die gierigen kleinen Maden sich gegenseitig auffressen.


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Pascal8993
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#4 AW: Vampire und Geschwistermord - der Horror im RG

Beitrag von Pascal8993 » 18. Juli 2011, 12:30

Mir war dieser Zusammenhang bisher noch nicht so bewusst.

Ich dachte die Königin bringt möglichst die gesamte Brut "durch", eben weil sie über eine solch enorme Menge an Reservestoffen verfügt.

Andererseits macht das von dir beschriebene Verhalten aus Sicht der Gyne auch wieder Sinn. So kann sie Energie sparen, die sie zum pflegen und füttern der Brut benötigt und hat so eventuell noch weitere Reservestoffe übrig für die Zeit nach der ersten Winterruhe, wenn die ersten Arbeiterinnen da sind. Ich denke, dass es für ein so kleines Ameisenvolk schwer ist an Nahrung zu gelangen. Dann ist es schließlich von Vorteil, wenn die Königin noch über ausreichend Reservestoffe verfügt.
Und dann macht auch das Prinzip des "Stärkeren" bzw. der Larve, die sich als erstes vollfressen und somit schneller wachsen kann, auf den Ameisenstaat während der Gründungsphase bezogen Sinn. Denn so entsteht aus dieser Larve schnell eine erste Arbeiterin (oder Pygmäe), die die Brutpflege fortan übernehmen kann.

Du hast Recht, wenn man dies mal überdenkt, kommt man zu dem Schluss - wie sagt man so schön - "da hat sich die Natur was bei gedacht"!

Puppenfraß ist hier kein Zeichen von Nahrungsmangel, sondern fehlgebildeten oder abgestorbenen Puppen.
Bei semiclaustralen Arten würden bei Nahrungsmangel allerdings zuerst die Eier gefressen, nicht die Puppen!

Ich habe den Puppenfraß auf meine eigenen Erfahrungen bezogen. C. ligniperdus ist zwar eine claustrale und keine semiclaustrale Art, neigte aber bei mir öfter zu Puppenfraß.
Dabei wurden ausschließlich Puppen geöffnet und verspeist, die sich erst seit kurzem im Puppenstadium befanden.
Ist es also wirklich nur so, dass sie Puppen fressen, die bereits abgestorben bzw. fehlgebildet sind?
Demnach müsste bei mir wohl ein Haltungsfehler vorliegen. Bei anderen claustralen und semiclaustralen Arten konnte ich dieses Verhalten weder während der Gründungsphase noch danach beobachten.
Ich habe auch bereits an anderer Stelle davon gelesen, dass Ameisen in Zeiten von Nahrungsmangel zu zuallererst an die Eier und Larven gehen.
Leider hört man ja hier aus Haltungsberichten des öfteren, dass es zu Puppenfraß kommt. Deshalb meine o.g. Frage, liegt dort grundsätzlich ein Haltungsfehler vor?

Gruß,

Pascal



Gast
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#5 AW: Vampire und Geschwistermord - der Horror im RG

Beitrag von Gast » 20. Juli 2011, 10:09

Danke für die Videos, Sahal!

Trotzdem wird sich das fromme Gerücht von den ach so gutartigen und nützlichen Futtermilben so ausdauernd halten wie das vom durchschlagenden Erfolg von Backpulver gegen Schadameisen im Haus. :rolleyes:

MfG,
Merkur



Sahal
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#6 AW: Vampire und Geschwistermord - der Horror im RG

Beitrag von Sahal » 20. Juli 2011, 10:37

Merkur krub
nach neuesten Forschungsberichten und umfangreichen Testläufen wurde zweifelsfrei festgestellt, dass Backpulver tatsächlich gegen Schadameisen hilft!

Du musst nur mit den Pulverbeutel jede Ameise erschlagen :fettgrins:


Pascal krub
tausche einmal das unselige Wort Reserve gegen Depots aus.
Die claustrale Gründung ist keine Notsituation , die Reserven benötigt... sondern ein normaler, geplanter Vorgang, der Depots fordert. Und diese sind unglaublich großzügig bemessen!

Warum bei Dir nun die jungen Puppen gefressen werden, kann ich natürlich nicht einmal vermuten, wenn wir Trockenheit ausklammern. Aber ich schließe Hunger oder Fehlernährung schlichtweg aus!


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