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Camponotus herculeanus BIO-Koloniegründung

Allgemeine Fragen und Themen über europäische Ameisenarten (hier keine Berichte)
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#1 Camponotus herculeanus BIO-Koloniegründung

Beitrag von Gast » 31. Juli 2009, 20:43

Bild
Am 25. 07. 09 fand ich diese Gründungskammer von Camponotus herculeanus (Bild). Es war im Bay. Wald, im Schlosspark von Wiesenfelden. Dicke Zaunpfähle stützen ein Damwild-Gehege, in dem in separaten Käfigen auch Wildkatzen und Luchse gehalten werden.
An einem der Pfähle, anscheinend aus einem Lärchenstamm, fand ich die gezeigte Gründungskammer, in Augenhöhe eingetieft in die relativ weiche Borke. Die obersten Borkenschuppen hatte ich mit dem Taschenmesser abgehoben.
Die Kammer selbst ist kaum doppelt so groß wie die Königin, links sieht man Eier, einen Puppenkokon und ein paar mittelgroße Larven. Zwei Kokons waren heraus gefallen. Die Königin stammt wahrscheinlich aus diesem Jahr. Bis Jahresende wären die ersten 3-5 Arbeiterinnen geschlüpft. Nach Überwinterung (mit Larven!) hätte sich die Kolonie in 2010 vergrößert und hätte sich weitere Kammern in den mächtigen Zaunpfosten genagt. (Ich habe ein paar Rindenschuppen wieder drauf geklemmt und hoffe, dass es nicht bei dem „wäre“ und „hätte“ bleiben wird).

Was kann man aus dieser Situation lernen?

- Die Gründungskammer ist klein, winzig im Vergleich zu einem Reagenzglas.
- Keiner schiebt Honig oder Insektenleichen hinein. Es gibt keinen Eingang, in den irgendwelche Beutetiere kriechen könnten; aber auch keine Feinde.
- Trinkwasser gibt es nicht. Die Borke ist leicht feucht, durch gelegentlichen Regen, aber auch durch Taufeuchte, die sich in kühlen Nächten an der Borke niederschlägt. Auch der Stamm darunter enthält Feuchtigkeit, nie aber richtige Nässe.
- Die Borke hat antibiotische Eigenschaften. Im Zusammenwirken mit Drüsensekreten der Königin wird das Wachstum von Pilzen und Bakterien gehemmt.
- Watte, in der sich die Füße verfangen und evtl. Eier verloren gehen, gibt es nicht. Kot wir von der Borke aufgesaugt.
- Es gibt auch keine Löcher und Spalten, in die Eier und kleine Larven verschwinden könnten, so wie bei Porenbeton.
- Es gibt keinerlei Lichteinfall, über Monate hinweg.
- Die Außentemperaturen, besonders die Temperaturwechsel, schlagen voll durch. Zwei bis drei Millimeter Borke reichen nicht für eine Isolierung über Stunden (Die Kammer war auf der Südseite des Pfostens, für mehrere Stunden voll besonnt an schönen Tagen).
- Im unterkühlten Monat Juli hatte die Königin nachts sehr oft Temperaturen um 12-14 C, tags bei Sonnenschein sollten das über 30 C werden (nach eigenen Messungen bei früheren Gelegenheiten).
- Im bevorstehenden Winter wird die junge Kolonie den im Bay. Wald oft strengen Frösten ausgesetzt sein, bis minus 20 C, über mehrere Tage. Bei trockener Frostwetterlage kann sich das Nest durch Sonneneinstrahlung stundenweise auf deutlich über 10 C aufheizen. Heftige Temperaturwechsel also zwischen Tag und Nacht, aber auch Wochen mit relativ konstanten Temperaturen um den Gefrierpunkt, in Schlechtwetterperioden.

Ich habe das alles hier sehr ausführlich dargestellt. Wer Camponotus-Königinnen auf die „konventionelle“ Methode gründen lässt, sollte mal die einzelnen Parameter durchgehen und vergleichen. Ich glaube, dass die Behandlung dieser Königinnen im Lager von Händlern und bei den Haltern sich doch ganz erheblich von dem unterscheidet, was die Tiere in der Natur vorfinden. Immerhin sind sie an diese natürlichen Bedingungen von Temperaturwechseln, Feuchtigkeit und Nahrungsmangel seit Jahrmillionen angepasst....
In der Haltung wird man das nur äußerst unvollkommen simulieren können.

MfG,
Merkur

Edit: Habe den fehlenden Lichteinfall noch ergänzt.



PHiL
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#2 AW: Camponotus herculeanus BIO-Koloniegründung

Beitrag von PHiL » 31. Juli 2009, 21:10

Hallo Merkur,

das eben ist der gewaltige Unterschied zwischen Haltung und Natur. Reagenzgläser sind tatsächlich so ziemlich der schlechteste Ort, Könignnen gründen zu lassen oder Völker zu halten.
Das Reagenzglas ist eigendlich nur eine Bequemlichkeit für den Ameisenhalter. Er kann so die Brut kontrollieren, und muss nicht selbst für eine bestimmte Feuchtigkeit sorgen, und vor allem sehr handlich, leicht zu verschicken und zu transportieren. Und dazu kommt noch der geringe Aufwand, so eine Brutkammer herzustellen.
Für die Königin natürlich nicht gut; Glatte Wände, kein Halt, die von Dir genannten Dinge wie Watte und Größe der eigentlichen Kammer. Außerdem die Feuchtigkeit; Manche Arten mögen es feuchter, manche lieber trocken. In Reagenzgläsern kaum möglich zu realisieren. Ameisen mögens wirklich eng, das merkt man spätestens wenn die ersten Arbeiterinnen anfangen, das Substrat in die Reagenzgläser zu schleppen.

Eine andere Gründungskammer wäre naütlrich viel besser. Aber auch schon beim Reagenzglas kann man ganz einfach und bequem nachhelfen. Bei erdbewohnenden Arten nimmt man einfach etwas Erde, und schüttet es in das Reagenzglas. Die Königin fängt nun an, ihre Brutkammer nach belieben zu gestalten und zu formen.
Meines Erachtens nach ein sehr positiver Faktor für das Wohlbefinden der Königin. Außerdem kann man daran erkennen, was der Könign nicht gefallen hat; Alle meine so gründenden Königinnen haben die Erde vollends an die Watte gedrückt- Ursachen womöglich zu feucht oder zu starker Lichteinfall über den Wassertank durch die Watte. Und natürlich direkt vor sich schön aufgestapelt, damit es möglichst eng ist.
Kann ich nur als Tipp an alle weitergeben, die gerade eine erdbewohnende Art gründen lassen.
Bei arboricolen Arten sieht das natürlich um einiges komplizierter aus, ich habe es so gelöst; arboricole Gründungskammer

Temperaturen bleiben nach wie vor unrealistisch; Aber sei mal ehrlich, wie viele der Königinnen, die so gründen wie die auf dem Foto überstehen wirklich problemlos den Winter? Bei Regen dringt schnell mal Feuchtigkeit in die Brutkammer ein, mögliche Verpilzungen bilden sich und die Kolonie stirbt ab. Schließlich suchen sich die Königinnen alle den "erstbesten" Platz zum gründen aus, da kann durchaus schnell mal was daneben gehen. Ich glaube, ohne Temperaturschwankungen (Winterruhe mal ausgenommen) geht es ihnen genauso gut, wenn nicht sogar besser.

Grüße, PHiL



Erne
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#3 AW: Camponotus herculeanus BIO-Koloniegründung

Beitrag von Erne » 31. Juli 2009, 22:52

Berichte über gemachte Gründungen in der Natur, wünschte ich hätte mal das Glück, sind mehr als selten.
Dazu eine nüchterne Betrachtungsweise, die sich auf gegebene Fakten beschrenkt, keine Interpretierungen, einfach nur gemachte Beobachtungen niedergeschrieben.

Das wir mit unserer Haltung oftmals gut daneben liegen, mit „rumgebastel“ und Hilfe der Anpassungsfähigkeit von Ameisen letztendlich darüber berichten können, die Gründung ist geglückt, bringt für mich nicht die Erkenntnis, dass wir gut sind bei der Ameisenhaltung.

Die von Ihnen beschriebenen Gründungsbedingungen zeigen für mich auch auf, dass wir Ameisen einiges zumuten können, die Extreme, von Ihnen in der Natur beobachtet, lassen für mich darauf schließen, dass sie auch in der Haltung unter nicht passenden Bedingungen gründen können.

Und zugestimmt, Phil, ein Reagenzglas ist nicht eine optimale Gründungskammer, aber auch vielfach erprobt und gut zu handhaben.

Grüße



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Rapunzel
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#4 AW: Camponotus herculeanus BIO-Koloniegründung

Beitrag von Rapunzel » 1. August 2009, 03:31

Guten Morgen


@ Merkur

Vielen Dank für den Beitrag, schönes Bild von einer wunderschönen Ameise.


@ PHiL

Absolute Zustimmung zu deinem Post. Das RG ist keinesfalls ein idealer Ort für Ameisen. Hinzu kommt für mich beim Aspekt der Haltung, dass viele Halter Stress bezüglich Umzug verursachen (ständig zu lesen). Ist für kleine Kolonien sicher nicht förderlich. Aber beim Einkauf von Kolonien ist die anfängliche RG-Haltung praktisch nicht zu umgehen.

Hier stellt sich mir aber die Frage, wieso auch in der FAQ geraten wird, Gründungen im RG zu beginnen? Wieso die Königin nicht direkt nach dem Fangen ins echte Nest setzen? Eine Lasius niger direkt in die Farm? Eine Camponotus herculeanus direkt ins Holz? Ich bin absoluter Neuling, aber ich weiss schon heute, dass meine nächste selbst gefangene Königin die Gründung ihrer Kolonie nicht im RG abhalten wird, sondern direkt im angedachten Nest.

Grüsse + Gute Nacht

Rapunzel


Leben ist das was uns zustösst, während wir uns etwas völlig anderes vorgenommen haben.

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Sebastian
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#5 AW: Camponotus herculeanus BIO-Koloniegründung

Beitrag von Sebastian » 1. August 2009, 11:01

Hallo,

die wenigsten Halter werden Ihre Tiere in Erdnestern / Farmen / Holznestern halten. Ich nehme an das zu 95% das Ytong Nest im Einsatz ist. Und da sind die Kammern natürlich noch viel größer.

Ich selbst nutze zum Gründen nicht dir großen Reagenzgläser, da mir diese viel zu groß vorkommen, sondern ich nutze die kleinen.
(http://www.apocrita.de/Ameisen-Zubehoer/Nestroehrchen/Kunststoff-Reagenzglaeser-klein--20-Stueck-.html)
80% Wassertank, 10% Ameise und 10% Verschlusswatte. Man kann das RGL auch innen aufrauhen, es ist aus Plastik und damit gut bearbeitbar. So biete ich meinen Königinnen (2 Stück, ich habe nur für mich selbst welche gefangen) einen für mich praktikabel zu handhabenden Raum, und für sie ein Stückchen mehr Sicherheit ohne Platzverschwendung.

Ich hab für ein kleines Fotoshooting mal eine der Damen aus Ihrem dunklen Lager geholt:
Bild

auch noch viel zu viel Platz, aber nur Bruchteile von dem wie es in einem großen RGL wäre.

Grüße Sebastian


Ordo ab Chao

Moreira
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#6 AW: Camponotus herculeanus BIO-Koloniegründung

Beitrag von Moreira » 1. August 2009, 12:21

Hallo,

ein wirklich toller Bericht der wieder beweist, dass Ameisen in der Natur immernoch am Schönsten anzusehen sind und wohl auch interessanter sind als in der Haltung.

Ich bin zwar selbst noch eher unerfahren was Ameisen betrifft, jedoch kann ich bestätigen das Gynen die ich im RG gründen habe lassen sich ihr Nest oft selbst gebaut haben. Nachdem das RG als Nest akzeptiert wurde, habe ich den Wattestopfen entfernt und die Königin hat begonnen mit dem bereitgestellten Baumatereal ihre, im Vergleich zum RG, mickrige Kammer zu bauen. Vor allem bei semi-claustralen Arten der Gattung Myrmica konnte ich dies gut beobachten.

Gruß
Moreira



Gast
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#7 AW: Camponotus herculeanus BIO-Koloniegründung

Beitrag von Gast » 1. August 2009, 12:22

Mein Post sollte nur mal deutlich aufzeigen, wie die Koloniegründungs-Bedingungen im Freiland aussehen. Was der Einzelne daraus macht, ist seine Sache.
Die „arboricole Gründungskammer“ von Phil ist m. E. ein Schritt in die richtige Richtung.
Dass man die Natur nicht ganz nachbauen kann, ist mir klar. Aber vielleicht kann man bezüglich Haltung doch von der Natur etwas abschauen. Das ist sicher besser, als sich sklavisch an die Anweisungen zu halten, die aus unklarer Quelle immer wieder mit Überzeugung gepostet werden. Ich erinnere nur an die für viele einheimische Arten witzlosen Warnungen vor Frost in der Überwinterung.
Natürliche Koloniegründungen der Camponotus-Arten in fortgeschrittenem Stadium findet man nicht oft. Deshalb hielt ich es für angebracht, meinen Zufallsfund ausführlicher zu dokumentieren.

@ Phil:
„Temperaturen bleiben nach wie vor unrealistisch; Aber sei mal ehrlich, wie viele der Königinnen, die so gründen wie die auf dem Foto überstehen wirklich problemlos den Winter? Bei Regen dringt schnell mal Feuchtigkeit in die Brutkammer ein, mögliche Verpilzungen bilden sich und die Kolonie stirbt ab. Schließlich suchen sich die Königinnen alle den "erstbesten" Platz zum gründen aus, da kann durchaus schnell mal was daneben gehen. Ich glaube, ohne Temperaturschwankungen (Winterruhe mal ausgenommen) geht es ihnen genauso gut, wenn nicht sogar besser.“

- Ehrlich sein oder Glauben führt hier leider nicht weiter: Wir wissen nicht, wie viele Koloniegründungen draußen zugrunde gehen. Ob es mehr sind als in der Haltung? Nicht einmal dazu haben wir echte Zahlen, obwohl von den Haltern ja zahlreiche Tiere beobachtet werden!
Aber bedenke mal, dass die von mir portraitierte Königin ziemlich viel Auswahl hatte für die Anlage ihrer Gründungskammer, wenn ich mal annehme, dass sie an dem Stamm gelandet ist:
Der Stamm war ca. 2.5 m hoch, sie hat in ca. 1.7 m über dem Boden gegründet, deutlich oberhalb etwa zu erwartender Schneehöhen.
Der Stamm ist drehrund, auf der Nordseite sind dicke Bretter angenagelt, sie hat genau die Südseite gewählt, keine andere Exposition.
Sie hat sich nicht tiefer eingearbeitet, sondern blieb in bzw. knapp unter der Borke.

Und sie hat bisher eine ganz normale, ja stattliche Menge Brut aufgezogen; die ersten Jungarbeiterinnen dürften in wenigen Tagen zu erwarten sein.

Betr. Temperaturwechseln gibt es veröffentlichte Untersuchungen, die jedenfalls zeigen, dass sie für einige Arten außerordentlich positiv, ja notwendig sind.

Ok, alles „nur“ Stoff zum Nachdenken. :)

MfG,
Merkur



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