Temperaturen, deren Messung, und die Versuche, für die Ameisen brauchbare Haltungs-Bedingungen zu schaffen.
In der Folge werde ich die Abbildungen, so wie bisher, einfach durchnummerieren. Damit kann ich auf Bilder aus früheren Beiträgen verweisen.
Hier soll nun etwas auf das Thema „
Temperatur“ eingegangen werden. Es ist ja eines der
Kernthemen in der Ameisenhaltung, und leider wird es
oft sträflich vernachlässigt – was aber bei näherer Betrachtung auch wieder verständlich wird!
Ich beziehe mich immer wieder auf
Leptothorax acervorum und ihre engere Verwandtschaft: Mit dieser Art habe ich die frühesten und längsten Erfahrungen gemacht; die Ergebnisse wurden auch weitgehend publiziert.
In den
Haltungs-Empfehlungen eines Ameisenhändlers ist für
L. acervorum zu lesen:
Temperatur: Arena: 18 - 28°C, Nestbereich: 21- 24°C Winterruhe: ja, von Ende Oktober bis Ende März bei 5 - 8°C Diese sehr knappen Angaben sind in jeder Hinsicht unzureichend! – Wie sind sie aufzufassen?
- Soll man das Nest außerhalb der
Winterruhe tags und nachts bei konstant 21, oder 22, oder… 24°C halten?
- Oder heißt es, dass Temperaturschwankungen in dem Bereich 21-24°C tolerierbar sind, nicht darunter und nicht darüber?
- Die gleichen Fragen stellen sich für die Überwinterung.
Ergänzung: Bei der geringen Größe der für Leptothorax geeigneten Nester dürfte es auch schwierig sein, für Nestbereich und Arena separat die Temperaturen einzustellen. Man kann sich die Mühe sparen!
Das Gleiche gilt für die Feuchtigkeit. Ein Nestchen wird dieselbe Feuchtigkeit annehmen, die in dem Formikarium herrscht. Ein feucht zu haltender Gipsboden ist ideal; dazu muss eine kleine Tränke bereit gestellt werden. Dass
L. acervorum auch in den Nestern sowohl im Sommer als auch im Winter
starken täglichen Temperaturschwankungen unterworfen sein kann, ist bereits im Startpost anhand von Bild 5 deutlich geworden.
(Der Einfachheit halber füge ich es hier nochmals ein). Ebenso belegt dieses Bild einen sehr ausgeprägten
Jahreszyklus, mit Spitzen bis
48°C im Nest, im Sommer, und Minima von
minus 10°C im Winter
(wobei in Würzburg auch in manchen Jahren minus 20°C erreicht werden können). Nach einer Nacht mit strengem Frost können die Tiere dann über Mittag auf plus 8 oder 10°C aufgeheizt werden, und das über mehrere Tage hintereinander.
Jetzt werden wir genauer: Die dargestellten
Temperaturspannen besagen ja noch nichts über die tägliche
Einwirkungsdauer der hohen oder niedrigen Temperaturen!
Es gibt Temperaturschreiber, die über einen Tag, oder sogar über eine ganze Woche, den Temperaturverlauf etwa in meinem „Inkubator“, oder in einem Brutschrank mit Wechseltemperatur-Steuerung aufzeichnen. In den 60er und 70er Jahren waren das noch mechanische Apparate, deren Uhrwerk regelmäßig aufgezogen wurde, wobei man auch das spezielle Papier jeweils wechseln musste. Die Schreibfeder war über ein Hebelwerk mit einem Bimetall verbunden, dessen temperaturabhängige Biegung registriert wurde. – Später gab es auch elektronische Messgeräte.
Es macht sicher einen Unterschied, ob die Kolonie mal gerade durch Sonneneinstrahlung für eine Stunde auf 30°C aufgeheizt wird und den Rest des Tages einer Lufttemperatur von 12°C ausgesetzt ist, gegenüber einem Sommertag, an dem es morgens um 5:00 von 12°C bis mittags allmählich auf 30°C geht, und ab 14:00 bis zum späten Abend wieder auf die 12°C absinkt: Im zweiten Fall genießt die Kolonie sehr viel mehr Wärme als im ersten!
Ein weiterer Gesichtspunkt ist die jeweilige Dauer von Phasen mit hohen, niedrigen und sehr niedrigen Temperaturen über das Jahr hinweg.
Sehen wir uns das
Bild 5 daraufhin an, so fällt auf, dass insbesondere im Herbst und Winter über Wochen und Monate die Temperatur fast nie die 10°C übersteigt.
Gehen wir jetzt mal davon aus, dass sich im Stoffwechsel der Tiere unterhalb 0°C praktisch nichts tut, und dass bis 10°C (willkürlich angesetzt; das kann je nach Art auch 1-2° höher oder niedriger liegen) nicht viel geschieht: Keine Futterversorgung der
Larven, kein Wachstum, keine Verpuppung usw. Es wird nur etwas Energie verbraucht. Wirklich „lebendig“ werden die Ameisen bei über 10-15°C, und hoch aktiv bei über 20-30°C!
Mir fällt der Vergleich mit einem Motor ein: Unter 0° = abgestellt; bis 10°C = Leerlauf; darüber: mittlere bis hohe Leistung. Das ist etwas ganz Anderes als eine über Monate konstant gehaltene Temperatur von 21 oder 23°C. Die Messung der tatsächlich auf die Tiere einwirkenden Temperaturen war fast unmöglich, hätte eine nicht zu bewältigende Flut von Daten geliefert, wäre aber auch von Jahr zu Jahr und an verschiedenen Standorten höchst unterschiedlich ausgefallen –
Leptothorax acervorum lebt an der Ostseeküste auf Meeresniveau und kommt in den Alpen am Gornergrat auf über 3.000 Meter vor (
mit Blick nach unten auf den Gornergletscher!).
Letztlich variiert auch noch die Dauer der täglichen Warmphase im Jahreszyklus: Im Sommer haben die Tiere einen „
Wärmelangtag“, im Winter „
Wärmekurztag“
(analog zu der variablen Tageslichtlänge, auf die ja viele Pflanzen sehr sensibel reagieren).
Ich habe mit den vorhandenen Mitteln eine praktikable Lösung erarbeitet (
Bild 13).
Vorhanden war das Labor mit einer zwischen 20 und 24°C variierenden Temperatur; ein Kühlschrank mit 10°C, der auch auf 0°C eingestellt werden konnte, und ein Thermostat, den man auf konstant z. B. 35°C einstellen konnte.
Unter Weglassung der Phasen um 10°C, in denen ohnehin nicht viel passiert, wurde der im Bild gezeigte
verkürzte Jahreszyklus generiert:
Oben sind die Temperatur-Tagesgänge gezeigt, mittels Temperaturschreiber erfasst, darunter die Temperaturspannen in den „künstlichen Jahreszeiten“. Das Diagramm beginnt links
mit ein paar
Sommertagen (im realen Juli 1971): Der Thermostat wurde mittels Schaltuhr nachts für 8 Stunden abgeschaltet und ging dabei von 35°C herunter auf die Labortemperatur von ca. 20°C. Es folgten 34 Tage bei Labortemperaturen (
Spätsommer/Herbst), dann zur Einwinterung 12 Tage bei 20/10°C im Kühlschrank, der tagsüber für 8 Stunden abgeschaltet wurde und dabei Labortemperatur erreichte; danach wurde der Kühlschrank auf 0°C eingestellt und nur tagsüber für 8 Stunden abgeschaltet (Temperaturwechsel 20/0°C, - nicht ideal, aber es hat funktioniert!). Anschließend geht es über 7 Tage „Frühjahr“ bei 20/10°C und 7 Tage bei 20-24°C in die 32 Tage „Sommer“ mit 20/35°C.
Eingezeichnet sind zwei Daten, zu denen die erste Weibchenpuppe (P) bzw. die erste Jungkönigin (♀) in jenem künstlichen Sommer erschienen.
In 106 Tagen wurde ein ganzer Jahreszyklus durchlaufen! Verschiedene Variationen wurden getestet, nachdem in späteren Jahren mehrere Brutschränke mit Wechseltemperatursteuerung zur Verfügung standen (dasselbe Gerät kann abwechselnd heizen und kühlen; auch konnten die Temperaturänderungen langsamer oder schneller eingestellt werden). Im Extrem gelang es, innerhalb eines natürlichen Jahres
vier „künstliche Jahreszyklen“ ablaufen zu lassen. (In der Praxis blieben wir bei 2-3, was aber gerade für die Zucht solcher Ameisen schon einen erheblichen Vorteil mit sich bringt gegenüber der normal nur einen jährlichen Geschlechtstieraufzucht!)
Routinemäßig fanden die Überwinterungen dann bei 0/10°C (Kältelangtag 16 h) statt, die Frühjahrs- und Herbstzeiten bei 10/20°C (12/12 h) und die Sommer bei 15/25°C oder bei manchen Arten bei 20/32°C (Wärmelangtag 16 h). Die Überwinterung kann praktisch beliebig verlängert werden: Auch nach einem vollen Jahr bei 0/10°C entwickelten sich normale Anzahlen von Arbeiterinnen und Geschlechtstieren aus der so lange (und ohne Futter!) überwinterten
Brut!
Aaaber: Das Ganze gilt nur für die
Leptothorax-Arten einschließlich ihrer Sklavenhalter der
Gattung Harpagoxenus! Bereits für
Temnothorax und ihre Sozialparasiten war es nötig, andere Jahreszyklen zu erarbeiten. Bei ähnlichen Tagestemperaturverläufen benötigen sie eine sehr viel längere Überwinterungsdauer von etwa
vier Monaten. Um diese bereits überlange Darstellung nicht noch mehr zu verlängern, will ich das nicht weiter ausführen. Hier hilft vor allem bei ausländischen Arten aus m. o. w. anderen Klimazonen leider nur geduldiges Ausprobieren.
Kurzfassung: Geeignete Temperaturbedingungen für bestimmte Ameisenarten (bzw. Gattungen) lassen sich charakterisieren: -
nach den Temperaturamplituden, -
nach der täglichen Dauer der jeweiligen Temperaturen, -
nach der Dauer der kalten (Winter), warmen (Frühjahr, Herbst) und sehr warmen (Sommer) Bedingungen. -
Da es im Laufe eines natürlichen Jahres kürzere oder längere Perioden mit kühlem Wetter (auch im Sommer!) gibt, in denen die Völker sich kaum weiter entwickeln, ist bei Weglassen dieser Perioden (= z. B. dauerhafte Haltung in Raumtemperatur) mit einer Verkürzung des Jahreszyklus zu rechnen. Es sei noch auf den Begriff der „
Wärmesumme“ verwiesen,
hier ausführlich dargelegt.
Sehr vereinfacht gesagt führen Ameisen aus Bereichen mit Jahreszeitenklima nur in den warmen Zeiten ein
aktives Leben, während sie in kühleren Perioden
„im Leerlauf“ vegetieren und in der kalten Jahreszeit praktisch
„abgeschaltet“ sind.
Verzeihung, dass dieser Beitrag so lang geworden ist! In Buchbeiträgen oder gar in Zeitschriften muss man solche Erörterungen immer sehr verkürzt darstellen, worunter m. E. Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit doch ziemlich leiden.
MfG,
Merkur