Fortpflanzung und Koloniegründung - Wie sich Ameisen vermehren
Inhaltsverzeichnis
Unterthemenaufruf direkt mit Klick auf die Zahlenfolgen z. B. 2.8.1
2.8.1 Fortpflanzung
In der Regel pflanzen sich die Arbeiterinnen nicht fort, diese Aufgabe obliegt den Königinnen (Ausnahme: Gamergaten).
Nur sie sind in der Lage befruchtete Eier zu legen - aber das können die Königinnen nur, wenn sie begattet worden sind.
Wie jedoch kommt es zur Begattung?
Ameisen stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung:
Schwarmflug
Der Schwarmflug ist ein Ereignis, bei dem sich die geflügelten Geschlechtstiere (unbegattete Königinnen - auch bezeichnet als Jungköniginnen - und Männchen) in Massen in die Lüfte erheben und sich in luftiger Höhe paaren.
Das geschieht auf einer gewissen Fläche synchron mit vielen anderen Völkern einer Art und bis die meisten davon geschwärmt sind, kann es insgesamt einige Tage dauern.
Es werden von den meisten Arten bevorzugt hohe Punkte als Ziel und Treffpunkt angeflogen (beispielsweise Kirchtürme oder hohe Bäume sollen für manche Arten ein beliebtes Ziel sein).
Hier sieht man einen kleinen Ausschnitt von einem Acromyrmex versicolor Schwarmflug.
Die geflügelten Geschlechtstiere suchen nach Partnern für die Paarung.
Das Ziel hierbei ist es, dass möglichst viele neue Kolonien gegründet werden können, was die oft riesige Zahl an Geschlechtstieren erklärt, deren Zahl größer sein muss, als die Anzahl an Königinnen, die die Feinde fressen können.
Es soll nur rund einem Prozent der schwärmenden Königinnen die Koloniegründung gelingen.
Besonders der Schwarmflug der einheimischen Art Lasius niger ist hier zu erwähnen.
Aufgrund der hohen Häufigkeit dieser Art in unseren Breiten ist der Schwarmflug ein sich über Tage hinziehendes Massenphänomen, bei dem man auch auf kleineren Arealen oft hunderte Königinnen finden kann.
Eine weniger auffällige Möglichkeit des Schwärmens besteht darin, dass nach und nach einzelne Geschlechtstiere an die Nestoberfläche kommen und von erhöhten Punkten abfliegen.
Nach der Begattung begeben sich die Königinnen vieler Arten auf einen Ausbreitungsflug, um in neue Gebiete vordringen zu können.
Die Königinnen mancher Arten scheinen schon vor der Landung durch so genannte "selektive Orientierungsmechanismen" nach einem geeigneten Habitat Ausschau zu halten, um dann leichter einen geeigneten Platz für den Nestbau zu finden.
Nach der Landung werfen die begatteten Königinnen in der Regel bald die Flügel ab und machen sich auf die Suche nach einem geeigneten Nistplatz.
Die Männchen der meisten Arten sterben kurz nach dem Schwarmflug. Sie haben ihre Aufgabe erfüllt und sind zu einer selbstständigen Versorgung nicht fähig.
Für uns Halter ist der Schwarmflug von Bedeutung, da man hier leicht eine Königin zur Koloniegründung entnehmen kann, ohne einem bestehenden Volk Schaden zufügen zu müssen.
Locksterzeln
Bei dieser Fortpflanzungsmethode lassen sich die weiblichen Geschlechtstiere (bei Arten, die nur diese Fortpflanzungsmethode verwenden, sind diese zum Teil flügellos) in der nestnahen Umgebung begatten.
Sie strecken ihre Gaster in die Höhe, und lassen ein Tröpfchen eines Sexualpheromons austreten, das Männchen anlockt.
Die Männchen begatten die Königinnen dann in der Umgebung des Nestes. Entweder die Königin kehrt dann in ihr altes Volk zurück, oder sie verlässt dieses, um selbst ein Nest zu gründen.
Hier sieht man ein alates Männchen von Brachymyrmex patagonicus bei der Kopulation mit einer dealaten Jungkönigin (vermutlich nach dem Locksterzeln).
Besonders beachtlich ist der enorme Größenunterschied zwischen den beiden Geschlechtern.
Inzucht
Inzucht (auch: Inzest) wird nach derzeitigem wissenschaftlichen Stand von keiner einzigen Ameisenart aktiv vermieden, zufällig kann es bei allen Fortpflanzungsmethoden zu Inzucht kommen.
Manche Arten betreiben aber auch regelmäßig und absichtlich Inzucht, darunter sind selten und isoliert vorkommende Arten wie z. B. Angergates atratulus, aber auch "Pestants" (Ameisen,
die außerhalb ihrer Heimatländer eingeschleppt wurden und erheblichen Schaden bei Flora und Fauna anrichten) und einige andere Ameisen (beispielsweise Arten der Gattung Myrmoxenus).
Die weiblichen Geschlechtstiere paaren sich bei diesen Arten meist innerhalb des Nestes mit einem männlichen Nestgenossen.
Nach der Begattung bleiben die Königinnen entweder im Nest und fungieren als Königin, oder sie verlassen die Kolonie und gründen selbst ein neues Nest.
Ob Inzucht schadet, kann man nicht eindeutig sagen.
Zitat aus dem Ameisenwiki:
Bei starker Inzucht können befruchtete Eier zufällig in den für die Geschlechtsbestimmung verantwortlichen Allelen völlig homozygot sein.
Das hat dieselbe Konsequenz wie Hemizygotie (Allele nur in jeweils einer Form vorhanden, wie im haploiden unbefruchteten Ei):
Das Ei entwickelt sich zum – dann diploiden – Männchen!
Solche Männchen sind in der Regel unfruchtbar (bei der Honigbiene werden sie bereits in einem jungen Larvenstadium entdeckt und gefressen; zieht man sie künstlich auf, entstehen Drohnen mit kleinen, wenig funktionstüchtigen Hoden).
In wahrscheinlich seltenen Fällen werden diploide Männchen aufgezogen und können sich sogar verpaaren.
Man weiß kaum etwas darüber, wie häufig das vorkommt.
Aus meinen eigenen Zuchtversuchen weiß ich, dass bei dem Sklavenhalter Harpagoxenus sublaevis schließlich triploide Männchen entstanden (also mit 3 Chromosomensätzen; Wir haben die Chromosomen präpariert und dargestellt).
Solche Männchen waren sehr viel größer als normal und hatten u.a. verzweigte Fühler, also Missbildungen.
Quelle: Ameisenwiki - Vermehrung (Inzucht), entnommen im März 2010.
Eine Acromyrmex versicolor Jungkönigin ist von einem Knäuel paarungswilliger Männchen umringt (?).
Der englische Begriff "mating ball" lässt sich mit Paarungsball bzw. Paarungsknäuel übersetzen.
2.8.2 Koloniegründung
Es gibt verschiedene Methoden der Koloniegründung (bei einigen Arten kommen auch mehrere Methoden zur Anwendung).
Hier ein kurzer Ãœberblick:
Eine Königin von Iridomyrmex purpureus gräbt sich, nachdem sie vermutlich begattet wurde, eine Nistkammer.
Claustrale Koloniegründung
Beispiele: Lasius flavus, Lasius niger, Formica fusca
Die claustrale Koloniegründung ist eine selbstständige Koloniegründung.
Die Königin sucht/schafft sich nach der Begattung ein geeignetes Nest und verschließt dieses von innen (genannt "claustrale Kammer", eine verschlossene Kammer).
Nahrung wird nicht aufgenommen, die Königin ernährt sich nur durch den Abbau der Flugmuskulatur und sie zehrt von ihren Fettreserven.
Nachdem die ersten Arbeiterinnen vorhanden sind, wird die Gründungskammer bald von diesen geöffnet.
In der Haltung bedeutet das: Die Königin sollte in einem verschlossenen, kleinen Nest untergebracht werden, eine Fütterung ist nicht nötig.
Die Königin ist mit Reservestoffen ausgestattet, die eine einmalige Gründung problemlos ermöglichen.
Einer möglicherweise etwas beschleunigten Gründung stehen Probleme wie Stress durch die Fütterung oder Schimmel im Nest gegenüber, mögliche andere, langfristige Folgen sind wissenschaftlich nicht untersucht.
Das verschlossene Nest sollte man öffnen, sobald die ersten Arbeiterinnen da sind.
Diese können aber oft noch mehrere Tage von der Königin versorgt werden, wenn diese noch genügend Reservestoffe hat - also ist kein Grund zur Sorge gegeben, wenn die Arbeiterinnen nicht sofort mit der Nahrungssuche und -aufnahme beginnen.
Semiclaustrale Koloniegründung
Beispiele: Myrmica rubra, Manica rubida
Eine selbstständige Koloniegründung ähnlich der claustralen Koloniegründung, hierbei muss die Königin allerdings während der Gründungsphase Nahrung aufnehmen, da sie nicht genügend Reservestoffe besitzt.
Sie muss das Nest während der Gründung also regelmäßig zur Nahrungssuche verlassen.
Man sollte also nicht wahllos eine solche Königin entnehmen, wenn man zufällig eine sieht, da die Gefahr besteht, dass diese bereits gegründet hat, sinnvoll ist es, auf den Schwarmflug zu warten.
In der Haltung bedeutet das: Das während der Gründung geöffnete Nest sollte mit einer Arena verbunden werden oder in diese hineingestellt werden, die Nahrung wird in diesem Becken angeboten.
Sozialparasitische/Sozialparasitäre Koloniegründung
Beispiele: Formica sanguinea, Formica pratensis, Polyergus rufescens
Von einer sozialparasitischen Koloniegründung spricht man, wenn eine Ameisenkönigin eine Kolonie nicht ohne Hilfsameisen gründen kann.
Nach der Begattung stehen den Königinnen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, in die Wirtskolonie einzudringen.
Manche Königinnen töten eine Arbeiterin und reiben sich an deren Körperteilen, um den Koloniegeruch anzunehmen, anschließend ins Nest eindringen und die Wirtskönigin unbehelligt töten zu können.
Andere Königinnen versuchen sich mit Pheromonen, die eine höhere Attraktivität als jene der Wirtskönigin besitzen, Zutritt zum Nest zu verschaffen und später mehr gefüttert und gepflegt werden als die Wirtskönigin.
Eine weitere Möglichkeit ist es, zu versuchen im Nest Verwirrung zu stiften, indem auf die Wirtsarbeiterinnen bestimmte Pheromone auftragen werden, worauf diese sich heftig angreifen.
Wärenddessen gleicht die Königin sich dem Kolonieduft an.
Bei Polyergus rufescens dagegen ist es so, dass der Eigenduft der Königin nur minimal ausgeprägt ist, man spricht von "geruchsneutralen" Sozialparasiten.
Diese Eigenschaft erleichtert der Königin das Eindringen in das fremde Nest und sie kann sich damit rascher an den nesteigenen Duft anpassen.
Das Eindringen der Königin in ein fremdes Nest ist jedoch eine ausgesprochen kritische Phase und gelingt nur zu einem kleinen Prozentsatz!
In der Haltung bedeutet das: Der Königin muss eine Gründung im Wirtsnest ermöglicht werden.
In der Folge muss zwischen dem temporären und dem permanenten Sozialparasitismus unterschieden werden:
Beim temporären Sozialparasitismus bedarf die Königin lediglich bei der Gründung der Hilfe von Wirtsameisen, während permanente Sozialparasiten ohne die Hilfe der Wirtsameisen dauerhaft nicht überleben können.
Koloniegründung durch mehrere Königinnen (in Pleometrose)
Beispiele: Formica fusca, Lasius niger
Eine claustrale, semiclaustrale oder sozialparasitische Koloniegründung durch mehrere Königinnen (in "Pleometrose").
In der Haltung bedeutet das: Den Königinnen kann/sollte je nach Art eine gemeinsame claustrale, semiclaustrale oder sozialparasitische Koloniegründung ermöglicht werden.
Bei monogynen Arten töten sich die Königinnen am Ende der Gründung gegenseitig, in der Regel etwas nach dem Auftreten der ersten Arbeiterinnen, gegenseitig, bis (im Optimalfall) noch eine Gyne übrig ist.
Bei primärer Polygynie können sich die Königinnen auch in Zukunft gegenseitig akzeptieren und weiterhin gemeinsam für die Produktion von Nachkommen sorgen.
Adoption
Beispiele: Myrmica rubra, Formica fusca
Nach der Begattung kehrt die Königin in ihre ehemalige Kolonie zurück bzw. wird von einer anderen, arteigenen Kolonie aufgenommen ("adoptiert").
Dies geschieht insbesondere bei stark polygynen Arten (man spricht von "sekundärer Polygynie").
In der Haltung kann eine Adoption auch die letzte Möglichkeit eines Kolonie-Rettungsversuches darstellen.
Koloniegründung durch Zweignestbildung (Soziotomie)
Beispiele: Myrmica rubra, viele hügelbauende Waldameisen (z.B. Formica rufa)
Bei manchen polygynen Arten wandert ein Teil der Königinnen mit einigen Arbeiterinnen und Brut ab.
Diese gründen dann in der Nähe ein neues Nest, das man als "Tochternest" bezeichnet. Bei manchen Ameisenarten stehen diese Nester weiterhin miteinander in Verbindung.
In der Haltung dürfte dies aus Platzgründen kaum möglich sein.
Quellenangabe: Die Informationen zu diesem Thema stammen größteils aus Walter Kirchners:
"Die Ameisen", Bernhard Seiferts: "Die Ameisen Mittel- und Nordeuropas", Fernsehdokumentationen sowie www.ameisenwiki.de.
Autor: chrizzy
Fotos: Alex Wild
Ãœberarbeitet: Erne
Zum Seitenanfang
Zurück zur Startseite Schaut Euch auch die anderen Seiten des Wissensteils an, es lohnt sich