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Polyergus rufescens und seine Sklaven

Berichte, Erfahrungen, Beobachtungen aus der Natur
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Boro
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#1 Polyergus rufescens und seine Sklaven

Beitrag von Boro » 12. September 2004, 18:12

Ich verfolge schon etliche Jahre das interessante Leben der Amazonenameisen. Bisher konnte ich in ihren Nestern nur Formica fusca, F. cunicularia und F. rufibarbaris finden. Diese Beobachtung deckt sich mit den Beschreibungen in der Literatur. Heuer entdeckte ich erstmals ein Amazonennest mit einigen tausend F. cinerea Arbeiterinnen. Auch nach oftmaliger Beobachtung konnte ich keine andere Serviformica-Species entdecken. Daraus schließe ich, dass die Amazonen ihren Sklavennachschub fast ausschließlich bei F. cinerea decken und das Nest ursprünglich auch bei dieser Art gegründet wurde. Dies ist in zweifacher
Hinsicht bemerkenswert:
1. Der Lebensraum von Polyergus(F. fusca,cunicularia,rufibarbis) deckt
sich nicht mit jenem von F. cinerea.
2. F. cinerea gilt als sehr aggressive Art, die rasch die Verteidigung
alarmiert und sehr kooperativ arbeitet.
Aber Poyergus überrascht auch in anderer Hinsicht:
Vor einigen Wochen konnte ich den Ãœberfall der Amazonen (ca 1500)
auf ein volkreiches Nest von Formica cf. clara (lusatica) beobachten. Die kampfstarke Art
stellte sich zum Kampf und es kam zu einem unwahrscheinlichen Gemetzel, das mit der Vernichtung des F. cf. clara-Nestes endete. Neben
einer toten Amazone gab ich das Zählen bei über 200 toten Serviformica-Arbeiterinnen
auf.
Vor einem Jahr überfiel ein anderes Amazonenheer ein kleineres Nest von Formica sanguinea (Raptiformica) und raubte nicht nur dort befindliche Serviformica-Brut,sondern auch Brut der Raubameise, die im
Amazonennest auch großgezogen wurde. Noch immer leben einige Dutzend dieser fremden Sklavenhalter im Nest der Sklavenhalter Polyergus. Anfänglich wurden sie von den Serviformica-Sklaven scheinbar
als artfremd erkannt, teilweise aus dem Nest getragen oder aggressiv
behandelt. Mittlerweile sind sie die Nestwächter des Amazonennestes.
Um das Verhältnis von Polyergus einerseits und F. cinerea sowie F. clara (lusatica) andererseits zu studieren, habe ich heuer 2 Amazonennester mit F.cinerea-Puppen und eines mit F. cf. clara-Puppen aufgezogen.
Dazu sende ich ein paar Bilder!

Bild 1: Einjährige Polyergus - Königin mit F. cf. clara (syn. lusatica)
http://ameisenforum.de/grafiken/109500525271360.jpg

Bild 2: Einjährige Polyergus - Königin mit vorwiegend F. cf. clara syn. lusatica
http://ameisenforum.de/grafiken/109500528971320.jpg

Bild 3: Jungkönigin mit verschiedenen Sklaven
http://ameisenforum.de/grafiken/109500530871393.jpg



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Frank Mattheis
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#2

Beitrag von Frank Mattheis » 27. August 2005, 19:25

Ich beschäftigte mich vor einigen Jahren auch mit Polyergus, zog ebenfalls junge Kolonien auf. Bei einigen Kolonien versuchte ich, die Sklavenzahl auch durch Hinzugabe von Puppen der Raptiformica zu steigern, auch um zu sehen, wie beide Duloten in einer Kolonie miteinander leben könnten. Die Puppen der Raptiformica wurden bereitwillig akzeptiert und angenommen, die jungen, schlüpfenden und grossen Raptiformica dann aber meist sofort nach dem Schlupf durch die Polyergus getötet. Nur wenige der Raptiformica überlebten längere Zeit im Amazonennest, am längsten kleinere Arbeiterinnen der Raptiformica. Sie ähnelten wohl am meisten den bevorzugten Serviformica und wurden geduldet.
Frank.



Ziegelstein
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#3 re: Polyergus rufescens und seine Sklaven

Beitrag von Ziegelstein » 27. August 2005, 21:00

Also irgendwie sehen all Deine Polyergus-Weibchen nicht nach Königinnen sondern nach Arbeitern aus, besonders die auf den ersten zwei Bildern. Wie haben sich die Nester inzwischen entwickelt, sind neue Polyergus-Arbeiter hinzugekommen?


Ich bin kein "Einsteiger", ich halte überhaupt nichts von der Ameisenhaltung.

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Frank Mattheis
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#4

Beitrag von Frank Mattheis » 27. August 2005, 22:50

Doch, @Ziegelstein, das sind schon Königinnen, ergatogyne. Kommen bei Polyergus häufig vor. Ich hatte auch immer wieder welche dabei, ihr Anteil an der Gesamtzahl der schlüpfenden Jungköniginnen lag bei etwa 30 Prozent.
Grüsse, Frank.

Jetzt hab ich mir die Fotos nochmal angesehen, ich glaube, auf dem ersten handelt es sich um eine ergatogyne, die beiden letzten Fotos zeigen wohl "normale" Jungköniginnen. Ist aber tatsächlich schwer zu erkennen, da die Königinnen der Polyergus nicht sehr gross sind.



Ziegelstein
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#5 Ergatomorphe Weibchen

Beitrag von Ziegelstein » 27. August 2005, 23:34

Mir erschien der Thorax nicht gerade königlich, die Gesamtgröße hatte ich dabei gar nicht beachtet. Ist das auch in freier Wildbahn zu beobachten (im Seifert steht diesbezüglich nichts) oder evt. ein Artefakt bei Kunstnesthaltung? Ist mir nämlich noch nicht untergekommen. Gibt's dazu Literatur?


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Frank Mattheis
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#6

Beitrag von Frank Mattheis » 27. August 2005, 23:39

Bei meinen Geschlechtstieren verhielt es sich so wie beschrieben. STITZ beschreibt es auch. Und den SEIFERT haben die Kleinen vieleicht nicht gelesen... :]
Grüsse, Frank.



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Roland Schultz
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#7 re: Polyergus rufescens und seine Sklaven

Beitrag von Roland Schultz » 17. Oktober 2005, 13:42

Ich bin neu hier im Forum, möchte aber gleich zu diesem Thema etwas beisteuern. Seit einigen Jahren sammle ich Ameisen in Mittelasien (Kirgistan, Kasachstan, West-China). Dort konnte ich auch immer wieder Poyergus rufescens sammeln und die Raubzüge beobachten.
In Mittelasien hat Polyergus häufig Formica lusatica (= Formica glauca) als Sklaven. Die Formica lusatica sind recht groß und wehrhaft. Wahrscheinlich deshalb sind die Polyergus dort auch etwas größer und kräftiger als die europäischen. Sie wurden auch als eigene Unterart Polyergus rufescens tianschanicus beschrieben.

In diesem Sommer in Kirgistan ist mir ein sehr merkwürdiges Phänomen aufgefallen. Relativ spät abends, vielleicht eine Viertel Stunde vor Beginn der Dämmerung viel mir ein Polyergus-Raubzug auf einer trockenen Steppe auf. Ich sah die Polyergus in lange Kolonne Puppen zu ihrem Nest schleppen. Als ich in die Gegenrichtung ging, stellte sich heraus das sie nicht ein Serviformica-Nest, sondern einen Cataglyphis (wahrscheinlich C. aenescens) überfallen hatten. Polyergus und Cataglyphis waren in heftige Kämpfe verwickelt, wobei allerdings nur tote Cataglyphis zu sehen waren. Andere Polyergus schleppten immer wieder Puppen aus dem Nest.

Ich bin dan sofort zum Polyergus-Nest und habe begonnen es aufzugraben. Ich wollte natürlich wissen, ob sich im Nest eventuell Cataglyphis als Sklaven befinden. Leider kam ich nicht sehr weit. Das Nest lag auf einer alten Flußschotter-Terasse und der Untergrund war von Steinen durchsetzt und hart. Soweit ich allerdings sehen konnte gab es keine Cataglyphis sondern nur Serviformica (F. lusatica oder rufibarbis) als Sklaven. Leider war es dann auch schon dunkel und am nächsten Morgen habe ich nichts mehr gefunden.

Etwas anderes ist mir letztes Jahr in China passiert. An unserem letzten Tag im Tienshan habe ich noch Polyergus gesammelt. Ich hatte in den Tagen zuvor schon Polyergus gefunden, in recht großer Höhe mit wahrscheinlich Formica lemani als Sklaven (muß ich noch genau bestimmen). Also sammelte ich dieses letzte Nest mit einer schwarz-roten Seviformica als Sklaven ein und fuhr nach Hause. Erst in Deutschland merkte ich dann, daß sich unter den Sklaven auch Formica mesasiatica, eine dortige Coptoformica, befand. Leider ist es nun zu spät das Nest oder seine Umgebung eingehender zu untersuchen.

Da ich diese Beobachungen irgendwann mal publizieren möchte, würde mich interessieren, ob jemand ähnliches beobachtet hat oder Literaturangaben kennt.

Beste Grüße
Roland



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Frank Mattheis
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#8

Beitrag von Frank Mattheis » 20. Oktober 2005, 13:54

Im südlichen Ungarn bei Szegedin fand ich auch Polyergus-Populationen, die glauca und rufibarbis neben cunicularia als Hilfsameisen ausbeuteten. Auch diese Polyergus schienen mir etwas kräftiger und stärker gefärbt zu sein wie die mir aus D bekannten Polyergus.
In der Nähe der ungarischen Kolonien der Polyergus kamen ebenfalls Kolonien der Cataglyphis aenescens vor, Übergriffe der Polyergus auf die Cataglyphis-Kolonien habe ich in den wenigen Tagen, die ich dort verbrachte, nicht beobachtet.
Vieleicht sind die Cataglyphis in Kirgistan unglücklicherweise den Polyergus bei ihrem Raubzug in die Quere gekommen und wurden kurzerhand ebenfalls ausgebeutet, möglicherweise lag ihr Nesteingang auf dem Weg der Räuberschar und aufgebrachte Cataglyphis weckten das Interesse der Polyergus?
Derartige Phänomene treten ja sonst eigentlich auch bei anderen Duloten auf, etwa bei den nicht so spezialisierten und nicht obligaten Duloten wie Raptiformica. Bei ihnen könnte man ja rückschliessen, dass sich ihre Dulosis aus Nahrungsbeschaffungs- und Vernichtungsfeldzügen gegen schwächere Konkurrenten entwickelt hat, immerhin überfallen diese Ameisen auch Kolonien von Arten, die als Sklaven nicht geeignet sind.
Im STITZ von 1937 wird erwähnt, dass Polyergus bisweilen auch andere Arten als Hifsameisen nutzt, hier wird als aussergewöhnliche Hilfsameise sogar Formica pratensis beschrieben.
Ein Bekannter hält seit Jahren eine Kolonie der Polyergus in seinem Garten, bei dieser ist als Hilfsameise Coptoformica exsecta vorhanden. Die Polyergus-Kolonie scheint sich aber nicht sehr gut zu entwickeln, in einigen Jahren ist sie kaum gewachsen. Ich weiss auch nicht, auf welchem Wege die Coptoformica als Hilfsameisen zum Einsatz kamen, vermute aber, dass sie als Puppen der Kolonie durch Menschenhand zugegeben wurden.
Grüsse, Frank.



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