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Ungeklärte Phänomene bei Polyergus rufescens

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Boro
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#1 Ungeklärte Phänomene bei Polyergus rufescens

Beitrag von Boro » 28. August 2005, 12:05

Ungeklärte Phänomene bei Polyergus rufescens
Ich greife heute ein Thema auf, das ich an anderer Stelle schon einmal im Ameisenforum kurz behandelt habe.
1.Farbe der Königin
Wenn die Jungköiginnen im August kurz nach Mittag schwärmen, sind sie rotbraun gefärbt, manchmal auch braun.
Siehe Foto Nr. 1. Jungkönigin nach dem Schwärmen am 27.7.2005 in der Nähe des alten Nestes gefangen. Anschließende Aufzucht eines neuen Nestes mit Serviformica cunicularia.

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Offensichtlich wurde die Königin nach dem Abflug in Nestnähe befruchtet und ist anschließend zum Nest zurückgekehrt. B.Seifert schreibt, dass sie auch während ihrer Beteiligung am Raubzug der Amazonen durch Abgabe von Sexualhormonen Männchen anlocken und so begattet werden (B.Seifert, Ameisen beobachten,bestimmen,S.290)Wie auch immer, befruchtete Königinnen werden jetzt von ihren Sklaven und Amazonengeschwistern als Konkurrenten attackiert und oft auch getötet. Warum sie sich einige Tage nach der Befruchtung in der Nähe des alten Nestes aufhalten ist klar: Sie warten auf den am Nachmittag stattfindenden Raubzug ihrer ehemaligen Nestgenossen, um sich diesem am Rande oder als Nachhut anzuschließen. Es ist die mit Abstand erfolgversprechendste Methode für die Jungkönigin, ein neues Nest zu gründen. Die nach dem erfolgten Überfall demoralisierten und verwirrten Sklavenameisen sind zu einer Abwehr der fremden Königin kaum in der Lage.
1a. In etablierten Nestern von P.r. trifft man nur die auffallend rot gefärbte Königin. Einige Wochen nach der Nestgründung hat sie ihre Farbe geändert. Meines Wissens wird dieses Phänomen in der einschlägigen Literatur nich erwähnt. Ist der Farbwechsel auf eine Änderung des Hormonspiegels zurückzuführen? Wenn ja, warum? In einem P.r.-Nest ohne Königin konnte ich die gleiche Erscheinung bei einigen Amazonen-Arbeiterinnen beobachten, die mit der Eiablage begannen. Auch sie wurden knallrot.
2.In der Literatur wird Polyergus rufescens als monogyn beschrieben. Ich konnte aber feststellen, dass sich in großen Nestern auch mehrere Königinnen aufhalten. Sie waren im Frühjahr/Frühsommer (also lange vor der Schwärmzeit) zu finden und müssen demnach wenigstens 1 Jahr alt gewesen sein. Sie zeigen ebenfalls (wie die Hauptkönigin) die intensiv rote Färbung, obwohl eine Eiablage sehr unwahrscheinlich schien: Sie führten eher als geduldete Individuen ein Leben am "Rande der Gesellschaft", was auch räumlich gemeint ist.
Sind es Königinnen in Reserve, falls der Hauptkönigin etwas zustößt? Sind es Nachzügler, Spätgeborene, die im Nest befruchtet wurden? Wir wissen es nicht. Jedenfalls führen sie bei mir ab sofort die Bezeichnung "Reserveköniginnen".
Besonders interessant wird das Verhalten dieser Reserveköniginnen in der letzten Juliwoche: Unimittelbar vor der Schwärmzeit der neuen Geschlechtstiere erscheinen sie kurz vor dem Raubzug der Amazonen auf der Nestoberfläche und eilen aufgeregt umher, wohlweislich das Aufeinandertreffen mit Amazonen oder Sklaven des eigenen Nestes zu vermeiden. Besonders "schlaue" Reserveköniginnen konnten auch die von Pfadfindern vorher gelegte Pheromonspur zu einem als Opfer ausersehen Nest vorauslaufen und dort den Überfall des Amazonenheeres abwarten.
Siehe Fotos Nr.2/3 Reservekönigin am 24.7.2005 am gleichen Nest gefangen wie die Königin Bild Nr. 1. Hier bereits in Nachzucht.
Im Jahre 2004 konnte ich an 3 aufeinanderfolgenden Nachmittagen immerhin 5 (!) Reserveköniginnen am gleichen Nest einfangen und für die Nachzucht einsetzen.
Das Verhalten der Reserveköniginnen in dieser Phase erscheint logisch:
a) Die Reservekönigin steht ihrem Nest für alle Fälle-wenn auch nur geduldet- zur Verfügung.
b)Bei der Nestgründung hat sie gerade noch keine Konkurrenz durch ihre jungen Geschwister.
Für mich wäre es interessant, ob andere Ameisenfreunde oder Fachleute ähnliche Beobachtungen gemacht haben und wie sie zu diesem Thema stehen.
mfg Boro

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#2

Beitrag von Frank Mattheis » 28. August 2005, 15:55

Ich hatte bei meinen Polyergus damals festgestellt, dass die Ergatogynen so hellrot gefärbt waren wie von Dir beschrieben, und zwar seit ihrer "Geburt", die normal geflügelten Jungköniginnen dagegen dunkelrot gefärbt waren. Sie wurden allerdings später tatsächlich ebenfalls hellrot.
Eine der bei mir begatteten Jungköniginnen liess ich einmal ins Mutternest zurückkehren, sie überfiel es regelrecht und tötete viele Sklaven und sogar Amazonen-Arbeiterinnen. Diesen gelang es erst unter gemeinsamen Bemühungen, den Eindringling abzuwehren und schliesslich zu töten. Erstaunlich war, dass die Jungkönigin schon nach so kurzer Zeit ihre Koloniezugehörigkeit "vergessen" hatte und auch von der Mutterkolonie schliesslich feindselig behandelt und als solcher bekämpft wurde, obwohl doch Kolonieduft nicht so schnell verflogen sein konnte. Offensichtlich löst schon und allein die Kopulation das agressive Eroberungsverhalten bei den Jungköniginnen aus. Es wird aber erst durch die Anwesenheit von Brut und deren Nähe ausgelöst, das erklärt vieleicht, warum die Jungköniginnen in der Nähe des Mutternestes einigermassen unbehelligt herumlungern und auf den nächsten Raubzug warten dürfen.
Grüsse, Frank.
Übrigens tolle Bilder, @Boro, mit ergatogynen Königinnen auf den letzten beiden Bildern. Das erste Bild zeigt wohl eine "normale" Königin, die anfangs vor ihrer Kopulation mit einen Männchen geflügelt war.



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