Ein Ameisenvolk ist keine Monarchie
von chrizzy1. Vorbemerkungen
Dieser Thread ist sehr allgemein gehalten und spiegelt nur grob die hochkomplexen Verhaltensmuster eines Ameisenvolkes wieder, bitte lasst Euch nicht zu unzulässigen Verallgemeinerungen hinreißen und beachtet die eingebundenen Hinweise: Wie immer bei den Ameisen gibt es zu jedem Beispiel und fast jeder Aussage auch wieder Ausnahmen und Gegensätze, so kann und soll dieser Thread keine allumfassenden Informationen geben, sondern nur die Richtung weisen.
Ich würde euch bitten, hier nicht zu diskutieren, sondern hier: Diskussion: Ein Ameisenvolk ist keine Monarchie
2. Teil 1
Die Tatsache, dass wir bei den reproduktiven (= weibliche Nachkommen produzierenden) Weibchen in einem Ameisenstaat von „
Eine
Unser Bild von einem solchen Herrscher auf die Ameisen zu übertragen geht allerdings völlig an der Realität vorbei.
Der Begriff
Die tatsächlichen Aufgaben der
Die
Das Sterben der Kolonie hat aber absolut nichts mit einer Desorientierung oder Verlust der vermeintlichen "Führerin" zu tun! Der Grund ist eher banal und liegt offensichtlich auf der Hand: die
Die Kolonie wird auch nicht auseinanderbrechen, vielmehr bleiben alle Strukturen und Verhaltensmuster vorhanden,
Das fast unbeirrte Verhalten einer weisellosen Kolonie zeigt uns so recht eindrucksvoll, dass die
Des Weiteren ist die
Im Falle eines Umzuges grenzt es gar an Selbstmord, wenn die
Eine alate Jungkönigin (also vermutlich unbegattet) von Dorymyrmex insanus.
Wie soll auch eine einzelne Ameise, deren Gehirn nur ca.1mm³ klein ist (das Gehirn eines Menschen ist ca. 1,4 Mio. Mal so groß), für all das gezielte Anweisungen geben?
Dazu kommt noch, dass das Gehirn einer Ameisenkönigin vor allem in den Bereichen, die für das Sozialverhalten zuständig sind, weniger entwickelt ist als das einer Arbeiterin. (KIRCHNER "Die Ameisen") Also kann man auch hier wieder ausschließen, dass der Ameisenstaat eine Monarchie ist.
Aber nun stellt sich die Frage: Wer oder was ist dann verantwortlich für das sinnvolle Zusammenleben der Ameisen, und wie werden die oft erstaunlich präzisen Nestbauten und teils militärisch straff organisierten Vorgänge einer Kolonie gesteuert?
3. Teil 2
Die Antwort ist einfach, und doch so schwer nachzuvollziehen: Alle und niemand. Der Ameisenstaat ist eine „Ordnung ohne Obrigkeit“, ein interaktives, dezentrales System. In diesem System kann jede Ameise einen Vorschlag unterbreiten und diesen "bewerben", die anderen Arbeiterinnen werden dann darüber entscheiden und sich begeistern lassen oder Desinteresse zeigen... in kleinen Gruppen bei Nahrungsfund, die ganze Kolonie bei Nestumzug.
Einfaches Beispiel ist hier bei den wohl meisten Arten (typische Ausnahmen sind z.B. Cataglyphis, die nicht rekrutieren) der Fund einer Nahrungsquelle: Die findende Ameise wird sich den Sozialmagen mit dieser Nahrung vollschlagen und zurück zur Kolonie laufen (Artspezifisch, ob hierbei eine individuelle oder öffentliche Duftspur gelegt, und wann der öffentlichen Duftspur gefolgt wird).
Trifft die findende Arbeiterin auf eine Nestgenossin, wird sie diese durch Betrillern anwerben und eine Kostprobe der Nahrung anbieten. Befindet die betrillerte Arbeiterin die Nahrung für gut und besteht Bedarf/Hunger in der Kolonie, wird sie umgehend der Duftspur zur Nahrungsquelle folgen (bzw. der findenden Arbeiterin, s.a. Tandemlauf) und bei Rückkehr die Spur verstärken und ihrerseits wieder andere Arbeiterinnen rekrutieren.
Je mehr Arbeiterinnen das Futter für gut befinden und Hunger haben bzw. den Hunger der Kolonie kennen, desto schneller und intensiver wird die Nahrung ausgebeutet, so entstehen bei guten Nahrungsquellen und hungrigen Kolonien in kürzester Zeit frequentierte Straßen.
Finden jedoch alle beworbenen Ameisen die Kostproben der Nahrungsquelle ekelig, wird keine Arbeiterin zur Nahrungsquelle folgen und die Kolonie beutet die Nahrungsquelle nicht aus, die Spur wird schnell vergehen.
Ähnlich, wenn auch zäher, sieht es bei Arten aus, die auch blind den Spuren einer fündigen Arbeiterin folgen. Hier haben wir dann das nächste Beispiel des Mehrheitsentscheides: die Ameisenstraßen und -spuren. Legt eine einzelne Arbeiterin eine Spur zwischen Futterquelle und Nest (keine Richtungsangabe!), werden nur wenige Arbeiterinnen dieser Spur automatisch folgen.
Werden sie über diese Spur fündig, werden auch sie auf dem Rückweg eine Spur legen und die Straße somit verstärken... und der Mehrheitsentscheid: je stärker die Spur, desto schneller und mehr Arbeiterinnen folgen ihr.
Weibliches Geschlechtstier (rechts oben), Männliches Geschlechtstier (links) und Arbeiterin (rechts unten) von Camponotus discolor.
Jedes Verhalten innerhalb einer Kolonie funktioniert m.o.w. nach diesem Prinzip. Je öfter eine Arbeiterin um Futter angebettelt wird, desto größer MUSS der Hunger in einer Kolonie sein.
Je mehr Arbeiterinnen einer Spur erfolgreich gefolgt sind, desto besser muss die Futterquelle sein. Und je mehr Arbeiterinnen einen Umzug zu einem neuen Nest "bewerben", desto besser muss das neue Nest sein. Beim Nestumzug kann dieser Mehrheitsentscheid jedoch gründlich in die Hose... sorry, in die Cuticula gehen: ist ein Teil der Arbeiterinnen vom neuen Nest überzeugt, ein anderer Teil findet das neue Nest jedoch Käse, kann es gerade in der Haltung zur partie nulle kommen.
Befürworterinnen schleppen
Wie aus den Beispielen gut zu erkennen ist, werden alle Verhaltensmuster in einer Ameisenkolonie durch Reize und Reizschwellen gesteuert. Reize kann praktisch jedes Individuum in einer Kolonie aussenden, sei es
Die Reize werden dann wiederum von jeder Ameise ausgewertet und bewertet, und erst bei Ãœberschreiten der eigenen, individuellen Reizschwelle, die wiederum von anderen Reizen und auch der gerade bevorzugten Aufgabe beeinflusst/verschoben ist, entscheidet dich die Ameise direkt zu agieren, den Reiz weiterzuleiten oder gar nichts zu machen.
4. Beispiel (Reize)
Nehmen wir als Beispiel die Reize "
Die Larvenpflegerinnen haben jetzt bei Reiz "Futter suchen" eine Schwelle von 10, bei "
Wird jetzt eine Larvenpflegerin von 1 Arbeiterin (=1Punkt) zum Futtereintragen beworben, wird sie der Werberin was husten, denn Ihre individuelle Schwelle ist nicht erreicht. Wenn sie aber jetzt von 10 Arbeiterinnen angenörgelt wird, weil keine anderen Arbeiterinnen zur Verfügung stehen, wird sie diese Aufgabe sofort erledigen, denn ihre Reizschwelle ist erreicht.
Außendienstlerinnen jedoch werden der Werbung einer einzelnen Arbeiterin folgen, jedoch erstmal eine bettelnde
So funktioniert nun also letztendlich die Steuerung einer Kolonie: eine interaktive Selbstverwaltung mit Mehrheitsentscheid, individuell nach Bedarf bewertet.
5. Abschlussbemerkungen
Ich hoffe der Thread konnte den Irrtum, die
An dieser Stelle vielen Dank an Sahal, dessen Namen ich auch hier nicht erwähne .
6. Links zu interessanten Beiträgen/Diskussionen (zu diesem und ähnlichen Themen)