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Larvenfütterung bei Ameisen

Allgemeine Fragen und Themen über europäische Ameisenarten (hier keine Berichte)
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#1 Larvenfütterung bei Ameisen

Beitrag von Intro » 12. Juni 2012, 13:41

Hallo liebe Community!


Ich hoffe, dieses Thema kann ein paar kleine Missverständnisse meinerseits aufklären. Vielleicht kann es auch andere aufklären, die den selben Knopf im Hirn hatten wie ich...:verrueckt:

Ich habe diese Fragen schon in meinem Camponotus ligniperdus-Haltungsbericht angesprochen, allerdings ist mir klar, dass nicht allzuviele Moderatoren und andere erfahrene Nutzer Lust darauf haben, jeden bestehenden Haltungsbericht durchzulesen.

Folgende Fragen stellen sich mir, was die Proteinversorgung der Larven bei Ameisen allgemein betrifft:

Im Post von swagman ist zu entnehmen, dass Myrmecia pavida das Futter (in diesem Fall eine Fliege) auf die Larven legt und diese sich dann selbstständig hineinfressen.

Hierzu gleich die erste Frage: Ist dies nur bei den "primitiveren" Ameisenarten der Fall oder auch bei Ameisen der Gattung Camponotus, Lasius, Formica...?

Aus anderen Posts ist zu entnehmen, dass die Futtertiere (Mehlwürmer in dem Fall, den ich jetzt ganz konkret im Sinn habe) an Ort und Stelle "ausgesaugt" wurden. Dies konnte ich auch bei meiner eigenen Camponotus ligniperdus-Kolonie beobachten.

Zu diesem Punkt gleich die nächsten drei Fragen: Können Larven auch von den Arbeiterinnen von Mund zu Mund gefüttert werden, wie es Arbeiterinnen auch untereinander tun?
Wenn dies so ist, nennt man das in diesem Fall auch "Trophallaxis"?

Bedeutet das, dass Arbeiterinnen, die die Mehlwürmer an Ort und Stelle ausgesaugen, im Prinzip ihre Beute genauso aufnehmen, wie eine Spinne das mit ihrer Beute tut?

Wenn es also, so wie ich das vermute, zwei Arten der Larvenfütterung gibt, gibt es auch Arten, die beide Methoden anwenden?
Wenn ja, welche?
Oder machen das (fast) alle Arten so (beide Methoden)?


Ich danke schon im Voraus für eure Antworten und ich hoffe, dass dieser Thread ein paar interessante Punkte behandelt, die nicht nur ich mich frage!



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chris1994
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#2 AW: Larvenfütterung bei Ameisen

Beitrag von chris1994 » 12. Juni 2012, 14:13

Hallo Blabbi

Die Versorgung der Brut ist sicher ein spannendes Thema. Ich möchte einmal versuchen, soweit mir das möglich ist, auf deine Fragen einzugehen.

Aus diesem Post von swagman ist zu entnehmen, dass Myrmecia pavida das Futter (in diesem Fall eine Fliege) auf die Larven legt und diese sich dann selbstständig hineinfressen.


Soweit ich weiss, ist das Anlegen von Larven an Futtertiere eher den urtümlichen Ameisenarten und wenigen anderen Arten vorbehalten. Bei vielen höher entwickelten Ameisen, könne Arbeiterinnen Futter auf eine gerunzelte Struktur auf der Larve ablegen. Die Larve kann sich dann dort selber bedienen (gabs im letzten Fotowettbewerb ein Bild dazu, kann es grad nicht finden) Im Ameisenwiki ist das Ganze auch sehr schön beschrieben. und bebildert.

Können Larven auch von den Arbeiterinnen von Mund zu Mund gefüttert werden, wie es Arbeiterinnen auch untereinander tun?


Ja, dies ist die gängige Methode der Larvenfütterung. Urtümliche Ameisen legen ihre Larven an Futtertiere an, weil sie keinen Kropf haben um flüssiges Futter zu transportieren und weiterzugeben. Das nennt man auch Trophallaxis.

Bedeutet das, dass Arbeiterinnen, die die Mehlwürmer an Ort und Stelle ausgesaugen, im Prinzip ihre Beute genauso aufnehmen, wie eine Spinne das mit ihrer Beute tut?


Dies ist nicht der Fall. Spinnen injizieren eine enzymhaltige Verdauungsflüssigkeit in ihr Opfer, welche die Innereien und das Muskelgewebe auflöst und verflüssigt (siehe HIER). Ameisen nehmen nur die Hämolyphe eines Beutetiers auf. Durch Kauen und bespeicheln können weitere Nährstoffe gewonnen werden.

Zum Schluss noch die Zusammenfassung aus dem Ameisenwiki zur Ernährung von Larven. Alle drei Möglichkeiten sind dort aufgelistet.


Ich hoffe ich konnte einigermassen Klarheit schaffen.

Lg
Christian


Bei mir in Haltung: Lasius niger(> 1000 A.), Formica fusca (400-500 A.), Formica sanguinea (300-350 A.) Camponotus ligniperdus(35 A.), Temnothorax unifasciatus (1 A)

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#3 AW: Larvenfütterung bei Ameisen

Beitrag von Intro » 12. Juni 2012, 14:21

Danke für die Antwort!
Und ja, du konntest Klarheit schaffen.
Das mit der Struktur bei Larve, von der aus sie sich selbst bedienen kann, kam mir übrigens schon bekannt vor. Danke, dass du mich wieder darauf aufmerksam gemacht hast, ich werde ein wenig weiterrecherchieren.

Aber da ich hier ja einen interessanten Thread aufbauen möchte, stelle ich gleich noch eine Frage in den Raum:
Wenn urtümliche Ameisenarten keinen Kropf haben, wie können diese dann zum Beispiel Honigwasser zur Königin bringen?

Muss die Königin dazu selbst das Nest verlassen?

Oder gibt es da eine andere, mir noch unbekannte Art der Nahrungsverteilung?



chrizzy
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#4 AW: Larvenfütterung bei Ameisen

Beitrag von chrizzy » 12. Juni 2012, 14:41

Edit: Zu langsam, hab zu lange gebraucht um den unten zitierten Artikel wiederzufinden :D
Zu deinen neuen Fragen siehe Ameisenwiki:
Trophallaxis kommt nicht bei allen Ameisen vor. Laut Dumpert (1994) ist die Weitergabe flüssiger Nahrung eine Verhaltensweise, die vor allem bei den am höchsten entwickelten Ameisengruppen vorkommt. Sie fehlt bei besonders urtümlichen Ameisen und auch bei höher entwickelten Arten, die keine flüssige Nahrung eintragen. Das sind vor allem die ausschließlich räuberischen Arten und die spezialisierten Pflanzenfresser wie Körnersammler oder Pilzzüchter. Auch einige Bewohner von Ameisenpflanzen zeigen keine Trophallaxis.
Heyho,

kurz zusammengefasst: Bei der Ernährung der Larven gibts verschiedene Möglichkeiten - Die Futtertiere werden komplett ins Nest geschleppt und die Larven werden dann draufgesetzt, oder ihnen werden Futterbröckchen auf den Bauch gelegt, die sie dann fressen. (Inwieweit das bei welchen Arten "vorverdaut" wird ist noch nicht ganz geklärt, siehe Beitrag unten)

Daneben ist aber natürlich auch eine "flüssig-breiige" Fütterung aus dem Arbeiterinnenkropf möglich, d.h. also Futterweitergabe aus dem sozialen Magen der Arbeiterinnen. Das ist dann Trophallaxis.

Auch eine Fütterung mit Drüsensekreten findet wohl statt - vgl. Kastendetermination (die insb. bei Bienen und Wespen untersucht wurde)

Ganz interessant für dich dürfe das sein: http://www.ameisenwiki.de/index.php/Ern%C3%A4hrung_von_Larven

Inwieweit was und in welchem Verhältnis bei welchen Arten vorkommt, kann ich nicht sagen und wird wohl auch wissenschaftlich nicht gut untersucht sein. Trophallaxis kommt aber z.B. nicht bei allen Ameisenarten vor, das ist bekannt.

Aus anderen Posts ist zu entnehmen, dass die Futtertiere (Mehlwürmer in dem Fall, den ich jetzt ganz konkret im Sinn habe) an Ort und Stelle "ausgesaugt" wurden. Dies konnte ich auch bei meiner eigenen Camponotus ligniperdus-Kolonie beobachten.
Ausgesaugt klingt sehr nach Spinne, die, wie beispielsweise meine Vogelspinnen, ihre Verdauungssäfte ins Opfer spritzt und diesen Brei dann "aussaugt". Das gibts bei adulten Ameisen meines Wissens nicht.
Ameisen nehmen lt. Lehrbuchmeinung selbst wahrscheinlich vorwiegend flüssig-breiige Nahrung auf, speichern die in ihrem sozialen Magen und können sie bei bedarf wieder hervorwürgen ("Regurgitation") und weitergeben ->Trophallaxis. (Nicht bei allen Arten kommt Trophallaxis vor, gibt Ausnahmen!) Natürlich muss die Ameise auch selbst was fressen, der Teil wandert dann vom Kropf weiter in den eigenen Darm



Etwas genauer hier erklärt:

Heute möchte ich euch einen Sachverhalt aus der Myrmekologie vorstellen, der selbst vielen an Ameisen interessierten Personen grösstenteils unbekannt sein sollte.

Ameisenlarven werden generell sowohl mit flüssiger als auch fester Nahrung gefüttert. Wie bei Cassill & Tschinkel 1995 beschrieben, stellte sich bei der Feuerameise Solenopsis invicta heraus, dass die Larven nach ganz bestimmten Mustern mit Nahrung versorgt werden. Die Arbeiterinnen patroullieren im Nest zwischen allen Larven, so dass jede innerhalb weniger Sekunden befühlert wird. Diese Befühlerung dient dazu, den Hungerstatus der Larve festzustellen. Neben den Antennen können hierbei auch die Maxillenpalpen oder die Glossae (i.e. Zunge) involviert sein. Nachdem der Hungerstatus festgestellt wurde, wird die Larve im Rahmen einer binären Antwort (Füttern oder nicht füttern) in Abhängigkeit von ihrer Körpergröße mit Nahrung versorgt. Weder die Position der Larve auf einem Ballen noch die Größe oder der Hungerstatus benachbarter Larven beeinflussten die Fütterungsrate. Aus dem Grund ist anzunehmen, dass jede Larve individuell versorgt wird. Interessanterweise ist in der Erforschung des Fressverhaltens von Ameisenlarven flüssige Nahrung im Schwerpunkt, die Allokation fester Nahrung hat deutlich weniger Aufmerksamkeit erregt. Obwohl Ameisen sehr oft Insekten eintragen und diese einen Hauptbestandteil ihrer Nahrung darstellen, ist die Quantität der Verfütterung dieser an die Larven selten (1-4% der Nahrung).

Dieser Sachverhalt wurde von Cassill et al. 2005 näher untersucht. Die Forscher benutzten die Ameise Pheidole spadonia als Modellorganismus. Es stellte sich heraus, dass die Larven keine feste Nahrung direkt aufnehmen. Zwar legten die Arbeiterinnen zerteilte Brocken von Fruchtfliegen auf den Futterkorb (i.e. der vordere Teil des Bauches) von Larven. Diese bissen Löcher in die Futterbrocken, um ihren Verdauungssaft in diese zu injizieren, ähnlich wie bei Spinnen. Anschließend führen diese Verdauungssäfte eine Verflüssigung der Insektenpartikel herbei. Nachdem die Arbeiterinnen nun diesen Saft aufnehmen, verfüttern sie diesen kurz danach wieder an die Larve. Im Endeffekt bedeutet das, dass die Arbeiterinnen und Larven eine Arbeitsteilung bei der Verdauung von Futtertieren eingehen.
Inwiefern dieser Zusammenhang übertragbar auf andere Ameisenarten ist, bleibt offen. Jedoch erscheint es wahrscheinlich, dass der Verflüssigungsprozess auch dort durchgeführt wird, betrachtet man doch den im Bauch von Larven den immer gleichmässig runden-elliptischen Darminhalt. Würden die Larven feste Brocken aufnehmen, müsste man auch einen unregelmässig geformten Darm wahrnehmen können.

Ponerinen sind Ameisen, die sich vorwiegend zoophag ernähren. Hierbei werden die Larven oft direkt an das erlegte Futtertier angesetzt und diese ernähren sich selbstständig. Die Larven dieser Ameisen sind dazu auch in der Lage, da ihre Körperbewegung viel stärker ausgeprägt ist. Da man oft beobachten kann, dass die Larven auf dem Futtertier verbleiben bis sie gesättigt sind, ist anzunehmen, dass sie die verflüssigte Nahrung anschließend selbstständig aufnehmen können. Um diesen Sachverhalt zu klären, sind jedoch noch weitere Studien notwendig.
Quelle: http://animal-behaviour.philadb.com/?site=news&nid=167


lg, chrizzy



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#5 AW: Larvenfütterung bei Ameisen

Beitrag von chris1994 » 12. Juni 2012, 14:49

Ich muss mich gerade einmal korrigieren. Urameisen besitzen sehr wohl einen Kropf dessen Ausdehnung ist aber, durch die Verschmelzung der zweiten oberen und unteren Platte der Gaster, stark eingeschränkt. (Hölldobler und Wilson, 2010)

Dafür haben einige urtümliche Ameisengattungen ein interessantes Mittel zum Transport von flüssiger Nahrung entwickelt.
Hölldobler und Wilson schreiben dazu:
Die Übergabe hochgewürgter Nahrung, eine evolutiv hoch entwickelte Form des Sozialverhaltens, findet sich häufig bei Arten der phylogenetisch fortschrittlichen Unterfamilien Myrmicinae, Dolichoderinae und Formicinae. [...] Ein Verhalten, aus dem diese Verhaltensweise bei Ameisen wahrscheinlich entstanden ist, zeigen nach wie vor einige Vertreter der Unterfamilien Ponerinae und Ectatominae. Die meissten Ponerinae (Urameisen) leben überwiegend räuberisch oder von Aas [...] einige Arten sammeln jedoch auch flüssige Nahrung [...] und transportieren die Flüssigkeitströpfchen mit den Mandibeln ins Nest. [...] Die Arbeiterinnen der Gattung Pachycondyla übergeben Futter nicht durch regurgieren [...] Sie praktizieren vielmehr ein System mit einer Art "sozialem Behälter". [...] Der "Behälter" selbst wird seitlich von den Mandibeln und einwärts gebogenen Härchen gebildet, den "Boden" bildet die ausgestreckte Unterlippe.

Hölldobler, Bert u. Wilson, Edward O. Der Superorganismus. Springer, Heidelberg, 2010 S. 295-298

Aus diesem Verhalten schliesse ich jetzt, das die urtümlichen Ameisen keine möglichkeit hatten, flüssige Nahrung in einem Kropf oder etwas ähnlichem zu Transportieren. Erst später entwickelte sich der Kropf.

Ich suche weiter, wenn ich was finde melde ich mich wieder.

Bin fündig geworden (nur eine Seite weiter):
Angsichts all dieser Hinweise kann man logischerweise davon ausgehen, das die Methode der Flüssigkeitsübergabe mittels "sozialen Behälter" als Vorstufe zur stomodaealen Übergabe regurgierter Nahrung anzusehen ist [...]

Hölldobler, Bert u. Wilson, Edward O. Der Superorganismus. Springer, Heidelberg, 2010 S. 298


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#6 AW: Larvenfütterung bei Ameisen

Beitrag von Intro » 12. Juni 2012, 17:47

Herzlichen Dank für eure Antworten!!!

Sie haben meine Verwirrung im Hirn und mein Verständnis für die Taten meiner Kolonie erheblich vergrößert!



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#7 AW: Larvenfütterung bei Ameisen

Beitrag von Intro » 13. September 2012, 18:13

Hallo liebe Forenuser!

Ich bringe diesen Thread wieder einmal an die Oberfläche, weil ich eine weitere Frage zu diesem Thema habe:

[I]Können Ameisenlarven durch das Absondern von Pheromonen darauf aufmerksam machen, dass sie hungrig sind und einer Fütterung bedürfen?

Oder werden sie ohnehin so intensiv betreut, dass alle ausreichend versorgt sind und diese Möglichkeit der Kommunikation nicht nötig ist?
[/I]


Ich danke im Voraus für jede (vernünftige) Antwort!

---------------------------------

Mit freundlichen Grüßen,

Blabbi



Phlong
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#8 AW: Larvenfütterung bei Ameisen

Beitrag von Phlong » 13. September 2012, 18:53

Sobald ich weiß, wackeln die Larven doch irgendwie mit einem Kopf. Das soll den Arbeiterinnen zeigen, dass sie hungrig sind.

lg -Phlong



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