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Kokonpuppen und Nacktpuppen

Berichte, Erfahrungen, Beobachtungen aus der Natur
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Boro
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#1 Kokonpuppen und Nacktpuppen

Beitrag von Boro » 15. Juli 2012, 11:50

Jeder Halter freut sich, wenn bei der Brut seiner Ameisen endlich das Verpuppungsstadium eintritt; dann sind die gröbsten Schwierigkeiten überstanden und man darf bald auf Nachwuchs hoffen!
Als Faustregel gilt, dass Myrmicinae (Knotenameisen) und Dolichoderinae (Drüsenameisen) bei der Verpuppung keinen Kokon ausbilden, aber die reifen Larven der Formicinae (Schuppenameisen) einen Kokon spinnen. Die Larven übernehmen das Einspinnen selbsttätig mit Hilfe eines Spinnfadens aus der Mandibulardrüse. Besonders schön kann man einen ähnlichen Vorgang übrigens bei den verwandten Wespen studieren: Der Zelldeckel wird ebenfalls mit einem Spinnfaden gesponnen.
Man muss davon ausgehen, dass die Fähigkeit bzw. Unfähigkeit einen Kokon zu spinnen genetisch festgelegt ist. Prinzipiell scheint ein vorhandener Kokon ein relativ guter Schutz gegen Verletzungen, Parasiten und Pilzbefall zu sein.
In der Haltung (vor allem im Reagenzglas) wird öfter berichtet, dass bei Arten, die normalerweise einen Kokon ausbilden, dieser gänzlich od. teilweise fehlt. Dieser Umstand wird auf das Fehlen eines geeigneten, feinkörnigen Bodensubstrates zurückgeführt, an dem die Larven ihr Gespinst "anhaften" können. Aber auch im Freien kann dieser Zustand mitunter auftreten, wie ich vor einigen Jahren (noch mit der alten Kamera) dokumentieren konnte:
1. Ein Lasius niger-Nest befand sich im Hohlraum eines Plastikrohres, wo das notwendige Substrat als Voraussetzung für die Verspinnung weitgehend fehlte. Einige fast reife Nacktpuppen sind zu erkennen:
Bild

2. Bei Serviformica spp. kommen neben den obligaten Kokonpuppen auch Nacktpuppen im gleichen Nest vor. Insbesondere bei Formica fusca ist das häufig, man kann fast sagen, dass es die Regel ist. Hier sehen wir ein Nest mit ganz überwiegend Nacktpuppen;
Bild

3. In 1 m Entfernung ein Nest mit vorwiegend Kokonpuppen. Auffallend ist auch die fast immer stattfindende Trennung: Nacktpuppen und Larven werden von Kokonpuppen seperiert. Einen Sinn dieser Maßnahme kann man nicht erkennen, es handelt sich um die selbe Nistkammer. Unterschiedliche Ansprüche an Temperatur, Nest- od. Luftfeuchtigkeit sind in diesem Fall auszuschließen.
Bild

4. Wieder in geringer Distanz ein kleines Nest unter einem flachen Stein: Hier sind Nacktpuppen u. Kokonpuppen nicht getrennt. Es kann auch an den beengten räumlichen Verhältnissen liegen.
Bild

5. Im Lauf der Jahre habe ich unzählige Nester v. F. fusca (vorsichtig) geöffnet, aber noch nie ein Geschlechtstier als Nacktpuppe gesehen. Die Geschlechtstiere sind damit offensichtlich "besser" geschützt.
Bild

Für mich bleiben 2 Fragen offen:
1. Wieso gibt es bei Geschlechtstieren nie Nacktpuppen?
2. Wieso treten bei F. fusca (Formicinae!) häufig auch Nacktpuppen auf? Liegt hier ein genetischer Defekt vor? Hat im Zuge der Evolution die "Umstellung" etwa von Nacktpuppen auf Kokonpuppen nicht funktioniert
(oder umgekehrt)?
Die oben gezeigten Bilder stammen alle aus dem selben Habitat, die gleichen Bodenverhältnisse, das gleiche Klima und Mikroklima! Die Abstände zw. den Nestern betragen jeweils nur einige Meter od. weniger.

Auch bei Formica s. str. sollen hin und wieder Nacktpuppen vorkommen. Zum Abschluss zeige ich noch ein jüngeres Formica (Raptiformica) sanguinea X F. fusca-Nest. Es handelt sich um ein Unter-Stein-Nest aus einer anderen Gegend. Es gibt nur Kokonpuppen. Auch das Vorhandensein von Formica fusca-Puppen ist als Folge eines Raubzuges v. F. sanguinea nicht auszuschließen:
Bild

Es könnte sich hier auch eine Diskussion ergeben....
L.G.Boro



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Octicto
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#2 AW: Kokonpuppen und Nacktpuppen

Beitrag von Octicto » 15. Juli 2012, 13:37

Boro hat geschrieben:Für mich bleiben 2 Fragen offen:
1. Wieso gibt es bei Geschlechtstieren nie Nacktpuppen?
2. Wieso treten bei F. fusca (Formicinae!) häufig auch Nacktpuppen auf?


1. Meine Kolonie produzierte bisher nur zwei Männchen und eine Mikrogyne. Das ist gut einen Monat her und seit dem gab es keine weiteren Geschelchtstiere.
Die Männchen waren hierbei in Kokonpuppen, während die Mikrogyne vom ersten Tag an als Nacktpuppe vorzufinden war. Das gesamte Nest ist voll mit Sand, an fehlendem Material liegt es also nicht.
2. Ich habe die Kolonie jetzt schon fast ein Jahr in meinem Besitz. Bis vor 2 Wochen konnte ich noch nie Nacktpuppen vorfinden, doch jetzt gibt es viele Nacktpuppen, nur noch wenige Kokonpuppen werden produziert. Die Nacktpuppen entstehen gerade aus dem Rest eines gigantischen Brutschubes.
Proteine werden angeboten, an Mangelerscheinungen kann es also eigentlich nicht liegen. Auch das Nest wird seit Monaten von den Ameisen selbstständig bewässert, es veränderte sich also kein Mikroklima o.ä..

Wirklich schlau werde ich hieraus nicht.



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Boro
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#3 AW: Kokonpuppen und Nacktpuppen

Beitrag von Boro » 15. Juli 2012, 17:56

Genau darauf kommt es an: Es ist keine Gesetzmäßigkeit zu erkennen. In einem Jahr gibt es mehr, in einem anderen vielleicht keine Nacktpuppen. Wie meine Bilder zeigen, gibt es Nester mit überwiegend Nacktpuppen (sicher eher selten!), ein anderes Nest daneben produziert kaum Nacktpuppen. Es scheint irgendwie zufällig abzulaufen, welche Parameter dafür ausschlaggebend sein können, bleibt mir ein Rätsel.
Hier wird bezüglich F. fusca darauf hingewiesen, dass besonders in heißen Sommern vermehrt Nacktpuppen auftreten: http://www.ameisenwiki.de/index.php/Brut. Also soll es mit der Temperatur zusammenhängen? Versuchen die reifen Larven unter besonders günstigen klimatischen Bedingungen Energie einzusparen? Bringt das Vorteile für die Metamorphose, kann das sich entwickelnde Insekt deshalb größer sein oder gibt es einen "Startvorteil" der Imago gegenüber jenen Individuen, die sich einen energieaufwändigen Kokon gesponnen hatten?
Die Stellungnahme v. Octicto ließe vermuten, dass das Verhältnis Kokonpuppen zu Nacktpuppen vielleicht mit der Koloniegröße zusammenhängt: In kleinen Populationen gibt es kaum Nacktpuppen, in großen aber doch. Wobei ich die Ergebnisse in der Haltung nicht unbedingt 1:1 mit den Verhältnissen in der Natur gleichsetzen würde!"
Was die separate Lagerung von Nacktpuppen u. Kokonpuppen anbelangt, hat mich Imago per PN auf eine Idee gebracht: Hängt die meist eingehaltene separate Lagerung mit unterschiedlicher Betreuungsintensität durch die Arbeiterinnen zusammen? Müssen diese bei Unter-Steinnestern bei steigender Temperatur etwa früher in die Tiefe transportiert werden?
Er hat auch ein Bild von Geschlechtstier-Nacktpuppen verlinkt: http://secretpicdump.com/de/view/19496_3480a_dsc09207kopie.jpg/ [v. chris1994]
Wobei ich mich aber hier wiederholen muss: Ein Beweis, dass es diese Nacktpuppen auch in der freien Natur gibt, wäre nur mittels Freilandaufnahmen möglich. Die Verhältnisse in einem Ytongnest in der Haltung müssen nicht unbedingt die Realität in der Natur widerspiegeln.
Trotzdem schön, dass sich wenigstens ein paar Personen ernsthaft mit diesem Thema auseinandersetzen!
L.G.Boro



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chris1994
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#4 AW: Kokonpuppen und Nacktpuppen

Beitrag von chris1994 » 15. Juli 2012, 18:54

Hallo Boro

Sehr gute Fotos zu einer interessanten Thematik!

Meine Formica fusca Kolonie hatte schon in der ersten Generation in der Gründung Nacktpuppen und Kokonpuppen. Wie bei Octicto ist bei mir auch der letzte Brutschub im Jahr recht nacktpuppenreich. Sonst konnte ich noch beobachten das vermehrt Nakctpuppen auftraten als ich die Kolonie rausgestellt habe. Das heisst etwas kühlere Temperaturen und Temperaturschwankungen.

Die Geschlechtstiere waren sowohl Nacktpuppen wie auch Kokonpuppen. Es waren aber fast alle Junggynen verkrüppelt. Ob das mit der Verpuppungsform zusammenhängt?

Die räumliche Trennung von Nackt- und Kokonpuppen kann ich nur bestätigen. Mir ist aufgefallen, das Kokonpuppen meisst in einer Kammer allein gelagert werden und die Nacktpuppen bei den Larven liegen.

Letztlich konnte ich auch das erste Mal Nacktpuppen in meiner Lasius niger Kolonie beobachten. Die ganze Zeit gab es nie welche. Erst mit einer Koloniegrösse von >500 traten erstmals welche auf.


LG
Christian


Bei mir in Haltung: Lasius niger(> 1000 A.), Formica fusca (400-500 A.), Formica sanguinea (300-350 A.) Camponotus ligniperdus(35 A.), Temnothorax unifasciatus (1 A)

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#5 AW: Kokonpuppen und Nacktpuppen

Beitrag von Kineese » 15. Juli 2012, 19:52

Meine erste Formica fusca Kolonie hat im ersten Brutschub 6 Nacktpuppen gehabt. Beim zweiten Brutschub wurde ein Sandhaufen im Nesteingang gelegt. Die aktuelle Brut, Anzahl kann ich durch schlechte Sicht kaum ermitteln, besteht nur aus eingesponnenen Puppen.

Mir hat diese Frage auch gestellt und finde es super, dass diese hier mal aufgegriffen wird.



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#6 AW: Kokonpuppen und Nacktpuppen

Beitrag von Octicto » 15. Juli 2012, 20:29

Hallo Zusammen!

Hat jemand schon einmal beobachten können, ob sich die Entwicklungszeiten von Kokon und Nacktpuppen gleicher Größe unterscheiden? Vielleicht entwickeln sich letztere einen Tick schneller, was die Kolonie ausnutzen will, wofür auch immer. Die unterschiedliche Anzahl der jeweiligen Puppenart lässt vermutlich keine eindeutige Antwort auf diese Frage zu.

Bei mir werden Nackt- und Kokonpuppen übrigens ebenfalls strickt getrennt. Die beiden verschiedenen Haufen liegen dennoch direkt nebeneinander, was schon einmal ausschließen lässt, dass die Lagerung vom Mikroklima o.ä. abhängt. Ich glaube hier auch, dass die Nacktpuppen einer intensiveren Pflege bedürfen, als die Kokonpuppen und daher separat gelagert werden. Die Ameisen "erleichtern" sich die Arbeit.
Oder aber sie unterscheiden Nacktpuppen und Kokonpuppen, so wie sie kleine Larven oft von großen unterscheiden und separat lagern. Das würde bedeuten, dass bei den Puppen nur der äußere Unterschied für die separierte Lagerung verantwortlich ist.
Aber auch hier verwirrt die Tatsache, dass die Trennung nicht immer der Fall ist.
Wie du sagtest, es ist keine Gesetzmäßigkeit zu erkennen.



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Boro
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#7 AW: Kokonpuppen und Nacktpuppen

Beitrag von Boro » 15. Juli 2012, 22:16

Wenn man jetzt nur an Freilandkolonien denkt, bleibt das Problem, dass bei heimischen Ameisen offenbar nur wenige Gattungen der Formicinae in der Lage sind, sowohl Nackt- als auch Kokonpuppen zu produzieren.
Man könnte noch von einem "Unfall", einem selten Defekt o. ä. sprechen, wenn diese Nacktpuppen eine absolute Ausnahmeerscheinung wären. Bei Serviformica spp. (außer F. fusca) konnte ich Nacktpuppen bisher im Freiland eher selten beobachten. Ich weiß nicht mehr, wo ich gelesen habe, dass auch bei Formica s. str. selten einige Nackpuppen beobachtet wurden.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass das häufige Vorhandensein der Nacktpuppen ein bloßer Zufall sein soll; da steckt eher "Methode" dahinter.
Andererseits, wer hat schon z. B. bei Manica rubida, Tetramorium spp. od. Myrmica spp. mit Kokonpuppen gesehen? Ich gehe davon aus, dass den Myrmicinae überhaupt die Fähigkeit fehlt, einen Spinnfaden zu entwickeln.

@ chris1994: Ich könnte mir vorstellen, dass gerade in der Haltung bei Nacktpuppen eher Schäden durch zu geringe/zu hohe Luftfeuchtigkeit od. -Temperatur entstehen. Bei meinen langjährigen Beobachtungen der Feldwespen (Polistinae) konnte ich mehrmals feststellen, dass sehr hohe Temperaturen, etwa unter einem Blechdach, dazu führen, dass Arbeiterinnen schlüpfen, die Verkrüppelungen aufweisen ( z. B. ein Bein od. die Fühler und auch die Flügel). Während die Wespen durch Einbringen v. Wassertropfen und anschließendes "Schwirren" mit den Flügeln die Nesttemperatur zu regeln versuchen, können die Ameisen mit der Brut in die Tiefe ausweichen.
L.G.Boro



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#8 AW: Kokonpuppen und Nacktpuppen

Beitrag von DermitderMeise » 17. Juli 2012, 11:17

Boro hat geschrieben:Wobei ich mich aber hier wiederholen muss: Ein Beweis, dass es diese Nacktpuppen auch in der freien Natur gibt, wäre nur mittels Freilandaufnahmen möglich.

Hier z. B., in rauen Mengen!



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