Hallo ihr,

heut war wieder ein kleiner Artikel über die Ameisenforschung bei Spiegel Online zu finden. Darin berichten Forscher, wie Jungköniginnen der Gattung Acromyrmex, die ihr Flügel vorzeitig verlieren, als Soldaten fortan das Nest verteidigen.

http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/insekten-kinderlose-ameisenkoeniginnen-werden-kriegerinnen-a-855230.html

„Umschulung“ ist gut! Auf, schickt Eure Ameisen zur Schule, Lasius niger zur Militärakademie! :fettgrins:
(Laut Text geht es auch ausdrücklich NICHT darum dass diese Gynen Soldaten-Dienste leisten; es ist schlicht von "Arbeiterinnen-Diensten" die Rede: "that virgin queens (gynes) of the advanced eusocial leaf-cutting ant Acromyrmex echinatior switch to carrying out worker tasks such as brood care and colony defence when they fail to mate..."

Ob die Verfasser wissen, dass unbegattet gebliebene Gynen anderer Arten, z. B. Leptothorax acervorum, ganz regelmäßig Arbeiterin-Dienste verrichten? Und dass als Puppen vom Sklavenhalter Harpagoxenus sublaevis geraubte Gynen von ihren Sklavenhaltern dann sogar „absichtlich“ entflügelt werden, so dass sie ebenso wie Arbeiterinnen als tüchtige Sklaven werkeln?
Bekannt und in einer internationalen Fachzeitschrift veröffentlicht ist das seit ~40 Jahren!

Buschinger, A. (1968): Mono- und Polygynie bei Arten der Gattung Leptothorax Mayr (Hymenoptera Formicidae). Ins. Soc. 15, 217-226.

Buschinger, A., Winter, U., 1978: Echte Arbeiterinnen, fertile Arbeiterinnen und sterile Wirtsweibchen in Völkern der dulotischen Ameise Harpagoxenus sublaevis (Nyl.) (Hym., Form.). Ins. Soc. 25, 63-78.

Moderne Wissenschaft: Wenn so etwas bereits so lange bekannt ist, muss man es doch dringend noch mal neu erfinden. Außerdem muss es auf Englisch publiziert werden, damit unsere monolingualen Zeitgenossen es endlich auch lesen können.

Die Originalarbeit: http://www.cell.com/current-biology/ful ... 12)00714-2
Volker Nehring, Jacobus J. Boomsma and Patrizia d'Ettorre 2012: Wingless virgin queens assume helper roles in Acromyrmex leaf-cutting ants. Current Biology, Volume 22, Issue 17, R671-R673, doi:10.1016/j.cub.2012.06.038

Auf der Webseite des deutschen Autors ist mehr dazu zu finden, in deutscher Sprache:
http://vnehring.de/outreach/?lang=de

Siehe auch:
http://www.ameisenwiki.de/index.php/Kastendetermination
Wo eine morphologische Unterscheidung erforderlich wird, bezeichnet Gynomorphe (oft auch kürzer „Gyne“ genannt, von englisch „gyne“) das geflügelte oder, nach Begattung und Flügelabwurf, entflügelte Vollweibchen; eine Ergatomorphe ist ein Tier von typischer Arbeitergestalt; Intermorphe sind bei Ameisen recht häufige Zwischenformen. Alle drei können funktionell Königin, also begattet und fertil, oder aber infertile Arbeiterinnen sein.

MfG,
Merkur

Danke für den Link

Hallo Merkur,

danke für den Hinweis! Nicht nur, dass die Autoren des Spiegel schlampig übersetzt haben, sondern auch die "Republikationen" der Wissenschaftler! Ich werde mich demnächst genauer mit den Publikationen auseinandersetzen!

lg

Es gab in den letzten Jahren ja immer wieder solche Fälle, wo man Presseberichte kritisieren musste *); wiederholt habe ich darauf hingewiesen, dass man die Original-Veröffentlichungen lesen muss, um korrekt informiert zu werden. Zuschriften an die Presseorgane bleiben meist ohne befriedigende, oder ganz ohne Antwort. Ich will daher mal erklären, wie die Sache so läuft:

Es ist inzwischen üblich, dass Presseabteilungen von Universitäten an Nachrichtenagenturen Kurzberichte über Forschungsergebnisse an den Unis geben.

In der Regel werden die Berichte zunächst vom Autor der Veröffentlichung verfasst und oft von der Uni-Presseabteilung noch etwas zurecht „gefeilt“. An manchen Unis werden Doktoranden sogar aufgefordert, eine Pressemitteilung über ihre Doktorarbeiten zu liefern.

Die Nachrichtenagentur gibt die Berichte an die jeweils angeschlossenen Redaktionen weiter. Dort machen sich Journalisten an die Arbeit, die Berichte „publikumswirksam“ zu gestalten, wobei oft hauptsächlich jene Einzelheiten in den Vordergrund treten, die der Journalist selbst versteht oder zu verstehen glaubt, und die man hinreichend „vermenschlichen“ kann, dass der Leser sich angesprochen fühlt. Das Ergebnis ist dann, dass man dieselbe Story in einem Dutzend oder mehr Zeitschriften, Wissens-Magzinen, ja Tageszeitungen zu lesen bekommt, oft mit etwas abgewandeltem Titel, meist mit abgewandeltem Inhalt.

Hier ist die Pressemitteilung der Uni Regensburg zu der Arbeit von V. Nehring et al.:
http://www.pr.uni-freiburg.de/pm/2012/pm.2012-09-11.239?set_language=de

Was der Spiegel daraus gemacht hat, steht bereits oben.
Wer Lust hat, kann in den nächsten Tagen weitere Zeitschriften suchen, in denen der Stoff abgehandelt und abgewandelt wird.

Bedauerlich ist, dass dabei einem Verfasser oft Dinge unterstellt werden, die er selbst nie so sagen würde!

Und ganz allgemein: Die Presse behandelt sicher nicht nur biologische Berichte auf diese Weise. Somit kann man eigentlich nur äußerst vorsichtig sein bei Berichten auch aus anderen Bereichen, Wirtschaft, Politik usw.: Wie viel davon entspricht wirklich den Tatsachen?

MfG,
Merkur

*) Beispiele:
http://www.ameisenforum.de/neues-aus-medien-wissenschaft/proteine-lassen-ameisen-fr-her-sterben-t46486.html
http://www.ameisenforum.de/neues-aus-medien-wissenschaft/juvenil-hormon-bei-pheidole-t46136.html
http://www.ameisenforum.de/neues-aus-medien-wissenschaft/komm-und-ich-platze-geo-november-2011-a-t45104.html
usw.

Es ist der "Spiegel". Was erwartet Ihr? Da wird genauso schlecht recherchiert, wie bei der Bild und Konsorten!