User des Monats Oktober 2024   ---   Denis  ---   Danke vom TEAM Ameisenforum  

Grausame Natur

Berichte, Erfahrungen, Beobachtungen aus der Natur
Benutzeravatar
DavidK
Halter
Offline
Beiträge: 157
Registriert: 25. Mai 2009, 13:09
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 2 Mal

#1 Grausame Natur

Beitrag von DavidK » 9. Juli 2012, 12:02

Gestern habe ich ein typisches Schauspiel, einen Kleinkrieg in der Natur, erleben dürfen.

Randbedingungen: 25°C, trocken (am Vortag Gewitter), eine frische Prise und deutlich weniger schwül als die Tage zuvor
Uhrzeit: ca. 15-17.30 Uhr

Es war Nachmittag und ich saß draußen auf der gepflasterten Sitzecke, da fiel mir eine große Zahl von Lasius fuliginosus ins Auge.

Es handelte sich um einen Raubzug auf diverse Myrmica rubra Nester (oder ein sehr großes) in unmittelbarer Umgebung.
Die L. fuliginosus ließen sich nicht von der Anwesenheit dutzender Myrmica Arbeiterinnen stören und hoben breitere Gänge Richtung Nestinneres aus, damit sie hineinpassen.

Ihr Ziel: die Brut als leckeren Eiweißsnack.
Da diese Art keine M. rubra als Sklaven hält bin ich hiervon natürlich sofort ausgegangen.

Das gesamte Areal roch stark nach Ameisensäure, der Geruch ist bei L. fuliginosus unverkennbar.
Scheinbar ist die erbeutete Brut bereits durch diese getötet worden, zumindest hat von mir gerettete Brut bisher keine Lebenszeichen von sich gegeben. (mehr dazu am Ende des Beitrags)

Hier ein paar Bilder dazu.

BildBild
Einige L. fuliginosus bedrängen einige M. rubra und beginnen den Nesteingang zu erweitern.

Bild


Ein bereits erweiterter Nesteingang wird genutzt um Nacktpuppen und Larven aus dem Inneren hervorzuholen.
Bild


Innerhalb kürzester Zeit waren mehrere Nesteingänge vergrößert und man konnte genau erkennen, wann die Brutstätte erreicht wurde.
Bild


Innerhalb weniger Minuten wurden aus einzelnen tausende Arbeiterinnen.
Was nicht auf diesem Bild zu erkennen ist, ist die ca. 20cm breite Ameisenstraße die vom Schauplatz weg Richtung Dickicht führte.
Bild


An verschiedenen Standorten wurden entweder mehrere Nester oder ein großes Nest geplündert.
Bild


Hier ist eine Ansammlung beim graben und gerangel mit einigen M. rubra zu sehen.
Es gab dutzende Tote, weniger, als man vermuten würde.
Die Myrmica rubra Arbeiterinnen haben sich nicht gewehrt, die Aggressionen gingen sehr einseitig von den L. fuliginosus aus.

Bild

Im Laufe dieser Aufnahmen sind mir noch einige M. rubra Gynen über den Weg gelaufen, die eindeutig aus ihrem Nest geflohen/verjagt wurden. 2 habe ich gerettet und mit von mir aus den Fängen der Angreifer erbeuteten Brut und einigen Arbeiterinnen in eine Tupperdose verfrachtet um sie heute mit neuem Nest und Arena bekannt zu machen.
Leider wird die Brut nicht anerkannt/evtl. auch tot.

Bild


:spin2: Wer anderen eine Grube gräbt, braucht ein Grubengrabgerät! :spin2:

Meine Tetramorium spec. - Haltungsbericht
Meine Tetramorium spec. - Diskussion

Benutzeravatar
KyneGyne
Halter
Offline
Beiträge: 480
Registriert: 21. August 2010, 13:17
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 0

#2 AW: Grausame Natur

Beitrag von KyneGyne » 9. Juli 2012, 13:40

Hallo,

schöne Fotos einer spektakulären Aktion.

Ich konnte am Wochenende eine ähnliche Situation beobachten. Als ich eine Ameisenstraße von Dendrolasius fuliginosus beobachtet hatte, trug ca. jede fünfte Ameise auf dem Weg zurück zum eigenen Nest eine Nacktpuppe mit sich. Es war definitiv kein Umzug, weil mir der Nistplatz schon länger bekannt ist.

Ich habe mich dann durch das Unterholz auf die Suche nach dem geplünderten Nest gemacht. Leider bin ich in etwa 25 m Nestentfernung an einen Zaun gestoßen, wo es nicht weiterging. Ein beachtlicher Weg also für die Kleinen.

Ich nehme an, dass das eroberte Nest wegen der Nacktpuppen auch von einer Myrmica sp. Kolonie ist. Die scheinen sie lieber zu mögen, es gibt nämlich in wesentlich kürzerer Entfernung zig Lasius sp. Kolonien und mindestens ein großes Formica cf. fusca Nest. Kann da ein Experte was zum bevorzugten Beutespektrum von Dendrolasius fuliginosus sagen?

Gruß
Kyne

PS: Ich hatte bei der Beobachtung leider keine Kamera dabei, sonst hätte ich natürlich berichtet. Aber so ganz ohne Bildmaterial ist's doch etwas dröge.



Benutzeravatar
Boro
Halter
Offline
Beiträge: 6149
Registriert: 28. März 2004, 19:00
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 9 Mal

#3 AW: Grausame Natur

Beitrag von Boro » 9. Juli 2012, 14:39

Hallo DavidK!
Da hast du eine sehr interessante Beobachtung gemacht, die man bestimmt nur sehr selten machen kann und zum Glück auch bildlich dokumentiert. Mir war nicht bekannt, dass Dendrolasius auch regelrechte Raubzüge gegen andere Arten durchführt. SEIFERT sagt dazu nichts, KUTTER auch nicht, nur bei STITZ bin ich fündig geworden S. 270): "Wasmann hat einen Raubzug gegen Myrmica laevinodis beobachtet. Die Holzameisen drangen in deren Nest ein und raubten eine Menge Larven, Puppen und geschlüpfte Tiere. Auf dem ganzen Weg waren zahlreiche, mit der Beute beladene Dendrolasius zu sehen, während andere von dorther ohne Traglast kamen." [STITZ H.(1939): Hautflügler oder Hyemnoptera, I: Ameisen oder Formicidae. In: Die Tierwelt Deutschland und der angrenzenden Meeresteile].
Die damaligen Forscher hatten sich noch die Zeit genommen, umfangreiche Feldforschung zu betreiben.
Nun möchte ich dich ersuchen, deinen Bericht auszubauen, umfangreicher zu schildern, die einzelnen Bilder jeweils zu erläutern und die Bilder zu verkleinern. Ich weiß nicht, ob wir hier von außen eingreifen können, aber wir haben ja den hauseigenen Bilder upload, der hier erklärt wird:http://www.ameisenforum.de/forenregeln-wichtige-hinweise/31464-anleitung-zum-hochladen-von-fotos-videos-und-anderen-dateien.html
Sehr interessant wäre auch die genaue Beschreibung der Interaktion Angreifer-Verteidiger. Ich vermute aus ähnlichen Beobachtungen zu Lasius niger, dass sich die Myrmica nicht verteidigt haben.
Ich glaube, dass deine detailgenauen Schilderungen (einschl. der guten Bilder) sehr viele user (und auch Experten?) interessieren werden!
L.G.Boro

P.S.: Zusätzlich wurde jetzt noch von kompetenter Seite die Frage aufgeworfen, ob nicht eventuell Veränderungen im Bereich der Fugen zw. den Platten, etwa Bauarbeiten od. das Jäten v. Unkraut das Myrnica-Nest offengelegt und damit erst den unmittelbaren Anlass für den Raubzug der Lasius geliefert hätten.



Benutzeravatar
KyneGyne
Halter
Offline
Beiträge: 480
Registriert: 21. August 2010, 13:17
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 0

#4 AW: Grausame Natur

Beitrag von KyneGyne » 9. Juli 2012, 20:09

Also, in meinem Fall wurde diesseits des Zauns kurz zuvor mit einem Balkenmäher gemäht. Die Mäharbeiten wurden allerdings nicht bis ans Ende der Wiese durchgeführt, da gibt es einiges an Gestrüpp und Unterholz (Waldrand).

Es war jetzt tatsächlich so, dass ich die Ameisenstraße kurz vor dem Zaun im hohen Gras verloren hatte und einfach die Marschrichtung (die fast die ganze Strecke schnurgerade verlief) extrapoliert hatte. Das war wohl ein Interpretationsfehler meinerseits. Jetzt wollt ich's mal kurz machen... :fluchen:

Dann ist die Geschichte evtl. doch anders verlaufen: Balkenmäher reißt Loch in Myrmica-Nest - L. fuliginosus bekommt's mit - L. fuliginosus macht einen kleinen Richtungswechsel von ihrer "Autobahn" - L. fuliginosus räumt das Nest aus. Eine neue Interpretation.

Gruß
Kyne



Benutzeravatar
DavidK
Halter
Offline
Beiträge: 157
Registriert: 25. Mai 2009, 13:09
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 2 Mal

#5 AW: Grausame Natur

Beitrag von DavidK » 9. Juli 2012, 20:12

Ich habe nun noch einige Infos und Veränderung an den Bildern im ersten Beitrag vorgenommen.

P.S.: Zusätzlich wurde jetzt noch von kompetenter Seite die Frage aufgeworfen, ob nicht eventuell Veränderungen im Bereich der Fugen zw. den Platten, etwa Bauarbeiten od. das Jäten v. Unkraut das Myrnica-Nest offengelegt und damit erst den unmittelbaren Anlass für den Raubzug der Lasius geliefert hätten.
Hierzu kann ich ein definitives Nein aussprechen. Ich konnte den Angriff von Anfang bis Ende verfolgen. Die Nesteingänge der M. rubra waren klein und unscheinbar, als einige L. fuliginosus mit dem Graben begannen. Es gingen auch keinerlei Störungen durch äußere Einflüssen vorraus.

Grundsätzlich bin ich fototechnisch schlecht ausgerüstet und habe die obigen Bilder mit meiner doch ganz guten Handykamera geschossen.

Als evtl. interessante Info nebenbei: Der Schwarmflug der L. fuliginosus ging dem Angriff ca. 24h vorweg. Ob die evtl. Aufnahme neuer Jungköniginnen in die Kolonie zu einem verstärktem Eiweißbedarf geführt hat, ist wohl nur Spekulation.


:spin2: Wer anderen eine Grube gräbt, braucht ein Grubengrabgerät! :spin2:

Meine Tetramorium spec. - Haltungsbericht
Meine Tetramorium spec. - Diskussion

Benutzeravatar
Boro
Halter
Offline
Beiträge: 6149
Registriert: 28. März 2004, 19:00
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 9 Mal

#6 AW: Grausame Natur

Beitrag von Boro » 9. Juli 2012, 21:49

In diesem Fall könnte man den Raub fremder Brut beinahe mit dem Vorgehen von Formica sanguinea vergleichen, diese raubt fremde Nester von Serviformica aus, teilw. aber um auch Sklaven heranzuziehen.
Die Kolonien v. L. fuliginosus können ja enorm volkreich werden. SEIFERT berichtet auch über das Vorgehen gegen Waldameisen. Es wäre sicher interessant zu beobachten wie eine derartige Auseinandersetzung gegen wehrhafte Gegner aussieht.
Der schon erwähnte STITZ berichtet, dass sich nach Versuchen von FOREL gezeigt hat, dass sogar die sehr wehrhaften Formica s. str. unter bestimmten Voraussetzungen vor L. fuliginosus die Flucht ergreifen!
Von Interesse wäre hier die Einstufung im Rahmen der Dominanzhierarchie: Was passiert, wenn eine L. fuliginosus und z. B. eine Formica rufa bei einer Läusekolonie aufeinandertreffen? Wer setzt sich durch? Kommt es zum Kampf?
L.G.Boro



Benutzeravatar
Sajikii
Erfahrener Halter
Offline
Beiträge: 3083
Registriert: 30. August 2002, 21:18
Hat sich bedankt: 1200 Mal
Danksagung erhalten: 849 Mal

#7 AW: Grausame Natur

Beitrag von Sajikii » 9. Juli 2012, 22:20

Und wieder überrascht mich die L.fuliginosus aufs Neue! Absolut interessant, leider durfte ich sowas noch nie beobachten. Diese Ameise beweist immer wieder ihre Kraft und blanke Schönheit.. schafft sie die Gründung, wirkt sie unaufhaltsam.
In meiner Heimat gibt es einen sagenumwobenen Berg, mit Mischwaldbeständen. Ganz oben, in der nähe einer alten kleinen Kirche, lebt eine Kolonie dieser Art. Dutzende, urige Bäume und der gesamte Waldboden, werden mit rund zwanzig Zentimeter breiten, und unendlich lang wirkenden glänzendschwarzer Straßen durchzogen. Einfach unglaublich!

Einfach wunderschön! Auch wenn man die Natur für grausam empfinden mag, so hat sie ja doch ihre Schönheit!

Vielen Dank für die Fotos, gn8


LG

Benutzeravatar
Nymphe
Halter
Offline
Beiträge: 323
Registriert: 1. Juli 2009, 18:49
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 0

#8 AW: Grausame Natur

Beitrag von Nymphe » 10. Juli 2012, 00:21

Halte uns doch mal auf dem Laufenden, ob die Königinnen sich mit so wenigen Arbeiterinnen erholen ...


Bestand: Lasius cf. niger von 2009 (Haltungsbericht) - 2x Lasius cf. flavus von 2012
Ausserdem diverse andere Land-Wirbellose und eine Gruppe Blindschleichen (Anguis fragilis).

Neues Thema Antworten

Zurück zu „Ameisenbeobachtungen im Freiland“