User des Monats Oktober 2024   ---   Denis  ---   Danke vom TEAM Ameisenforum  

Polyergus rufescens und seine Sklaven

Berichte, Erfahrungen, Beobachtungen aus der Natur
Benutzeravatar
Boro
Halter
Offline
Beiträge: 6149
Registriert: 28. März 2004, 19:00
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 9 Mal

#9 Polyergus rufescens/Formica pratensis

Beitrag von Boro » 27. Oktober 2005, 22:07

Hallo!
Also, der Bericht über die Amazonen in der zentralasiatischen Steppe hat mir sehr gut gefallen. Gibt es Bilder von den kräftigeren Amazonen?Aber warum ich mich melde ist der Hinweis auf Formica pratensis. Als ich eines Nachmittags vor 2 Jahren "mein" Amazonennest aufsuchte, stellte ich sofort fest, dass etwas außergewöhnliches passiert sein müsste, weil von einem Überfall heimeilende schwer mit Beute beladene Amazonen von auffallend großen Waldameisen verfolgt und immer wieder attackiert wurden. Ich konnte so etwas noch nie beobachten. Mit großer Aufregung suchte ich sofort das überfallene Nest und zu meinem größten Erstaunen musste ich feststellen, dass es sich nur um ein relativ großes Nest von Formica pratensis handeln konnte. Die Tiere waren durchschnittlich deutlich größer als die Amazonen, sodass ich Formica lusatica (auch wegen des Standortes, eine dicht bewachsene Trockenwiese) ausschließen musste. Den Überfall selbst konnte ich nicht beobachten, nur seine Folgen: Er war offensichtlich erfolgreich, was man an der reichen Beute erkennen konnte. Ich fand nur wirr durcheinanderlaufende Waldameisen und erstaunlicherweise keine toten Amazonen. Allerdings wollten die Waldameisen den Dieben die Beute wieder entreißen und verfolgten die abziehende Kriegerschar über 11m Wegstrecke bis zu deren eigenem Nest. Darin liegt der deutliche Unterschied zu den Serviformica-Ameisen,sie versuchen den Angreifern die Beute nur im eigenen Nestbereich zu entreißen.
Erwähnen möchte ich noch, dass es sich bei diesen Amazonen um das größte, je entdeckte Amazonennest handelte, bei 2000 Kriegerinnen gab ich das Zählen auf, es waren sicher 2100 bis 2200 . Leider wurde dieses Nest noch im selben Jahr fast vernichtet: Rebhühner waren am Werk und zeigten eine besondere Vorliebe für die roten Amazonen, wie ich am getrockneten Vogelkot leicht erkennen konnte.
mfg Boro



Benutzeravatar
Roland Schultz
Einsteiger
Offline
Beiträge: 24
Registriert: 9. März 2005, 12:38
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 0

#10

Beitrag von Roland Schultz » 28. Oktober 2005, 09:09

Hallo Boro,

ja es gibt Bilder. Leider mußte alles sehr schnell gehen und ich hatte auch keinen externen Blitz und kein Stativ dabei. Ich habe dann versucht mit dem internen Blitz, der Kamera alles auszuleuchten, aber durch mein etwas längeres Makro wird der untere Teil abgeschattet. So ist alles etwas unscharf. Egal ich stelle trotzdem mal eines hier rein.

Viele Grüße
Roland



Benutzeravatar
Boro
Halter
Offline
Beiträge: 6149
Registriert: 28. März 2004, 19:00
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 9 Mal

#11 Noch einmal Polyergus

Beitrag von Boro » 28. Oktober 2005, 19:36

Hallo!
Da ich ein absoluter Fan von Polyergus rufescens bin und sie für die schönsten und interessantesten heimischen Ameisen überhaupt halte, muss ich mich noch einmal melden. Also, der Überfall auf das Cataglyphis-Nest hat mich sehr aufgeregt und ich danke für das Bild. Hast Du keine Königin erwischt und für eine Nestgründung daheim mitnehmen können? Aber der eigentliche Grund meiner Meldung sind die (laut Frank ergatogynen) Königinnen. Wahrscheinlich hat Frank da wirklich Recht, ich hab mit ihm ja auch schon diskutiert, aber es bleiben Zweifel:
1. Warum treten diese knallroten Königinnen vorwiegend vor dem eigentlichen Schwarmflügen der (normalen) Königinnen in Erscheinung?
2. Diese Königinnen können von den Männchen nur im engeren Nestbereich begattet werden, das sie keine Flügel besitzen. Das ergibt ständige Inzucht, die auf Dauer bei Insekten auch nicht gerade Vorteile bringen kann. Eine mögliche Erklärung wäre hier nur ihr isoliertes, inselartiges Vorkommen in der Natur, das sowieso oft zur Inzucht führt und in diesem Fall einer möglichen fehlenden Begattung vorbeugen kann.
3.Warum habe ich aber einmal so eine (ergatomorphe) Königin Ende April völlig abseits am Rand des Nestes gefunden? Hier dürfte meine Theorie der "Reserveköniginnen" zutreffen, die sich ja mit dem Vorhandensein von Ergatomorphen nicht ausschließen würde.
Übrigens, diese knallroten (ergatomorphen) Königinnen sind meiner Meinung nach etwas größer und kräftiger gebaut, als die im August schwärmenden Schwestern, die man flüchtig mit großen Amazonenkriegerinnen verwechseln könnte. Und jetzt kommt die Frage: Wenn erstere kräftiger sind, warum? Und hier könnte es eine Verbindung zu den zentralasiatischen Amazonen geben! Vielleicht sind unsere Exemplare eher in der Lage in fremde Nester einzudringen, während die Mehrheit der ausgeschwärmten Königinnen mit größter Vorliebe einem Kriegszug der eigenen Schwestern folgen, um dann in das ausgeplünderte Nest gefahrlos einzudringen.
mfg Boro



Benutzeravatar
Frank Mattheis
Halter
Offline
Beiträge: 1494
Registriert: 26. August 2002, 18:01
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 4 Mal

#12

Beitrag von Frank Mattheis » 28. Oktober 2005, 21:27

Hallo Boro, muss doch aber nicht so sein, dass die ergatogynen Königinnen nur von Männchen der eigenen Kolonie begattet werden können. Die Amazonenmännchen sind sehr mobil, Kolonien der Art kommen immer in ihren inselhaften Vorkommen gehäuft vor. Es kann also gut sein, dass die mobilen Männchen die Königinnen anderer Kolonien aufsuchen und begatten. Also so zumindest hab ich bisher Polyergus erlebt, selten, aber dort, wo er vorkommt, immer einige Kolonien.
In den von mir untersuchten Kolonien traten Königinnen beider "Typen" gleichzeitig auf, eben mit dem Schlupf der Geschlechtstiere Mitte bis Ende Juni. Unterschiedliche Schwärmzeiten konnte ich nicht bemerken. Die Zeit des Schwärmens und der Begattungen lag je nach Witterung zwischen Ende Juni bis Mitte Juli.
Die Königin, die du Ende April fandest, kann ja eigentlich nur eine erfolglose aus dem vergangenen Jahr sein, das wäre tatsächlich interessant, herauszukriegen, ob diese Jungköniginnen bei Nichterfolg in der Gründung dann fast ein ganzes Jahr abwarten, sich in Nähe des Mutternestes aufhalten. Kann ich mir aber eigentlich kaum vorstellen, denn wovon sollten sich diese Tiere, unselbstständig, wie sie sind, ernähren? Werden sie dann vieleicht von den Sklaven des Mutternestes geduldet und ab und an gefüttert? Ziemlich spekulativ :o...
Grüsse, Frank.



Benutzeravatar
Roland Schultz
Einsteiger
Offline
Beiträge: 24
Registriert: 9. März 2005, 12:38
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 0

#13

Beitrag von Roland Schultz » 29. Oktober 2005, 10:29

Hallo Boro, hallo Frank,

mir sind ergatoide Weibchen in den mittelasiatischen Nestern bisher noch nicht aufgefallen, was aber nicht bedeuten soll, dass es sie dort nicht gibt. Jungköniginnen zur Koloniegründung habe ich auch noch nicht mitgenommen. Es ist auf solchen mehrwöchigen Exkursionen immer etwas schwierig die Tiere am Leben zu erhalten, wenn in den Steppen- und Wüstengebieten die wir durchfahren die Temperaturen teilweise auf über 50 Grad am Tag ansteigen. Da wir mit Fahrzeugen und Zelten unterwegs sind findet man einfach kein kühles Plätzchen um die Tiere am Leben zu erhalten. Ich habe es im letzten Jahr für wissenschaftliche Untersuchungen mal mit ein paar Lasius neglechtus versucht, aber ich konnte nur wenige Tiere bis nach Hause retten.

Ich halte Inzucht bei Ameisen auch nicht für so problematisch. Es gibt ganze sozialparasitische arten die sich nur über Inzucht vermehren. Es gibt doch die Theorie, dass das möglich ist, weil die Männchen haploid sind. Jede letale Mutation manifestiert sich bei ihnen sofort und so werden diese Muationen ausgemerzt. Natürlich besteht immer auch die Möglichkeit wie Frank schon schrieb, dass die ergatoiden Weibchen durch Männchen anderer Kolonien begattet werden.

da ich gerade schreibe kann ich ja gleich noch ein Bild mit reinstellen. Hier eine Polyergus, die gerade eine Cataglyphis-Puppe wegschleppt.

Viele Grüße
Roland



Benutzeravatar
Boro
Halter
Offline
Beiträge: 6149
Registriert: 28. März 2004, 19:00
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 9 Mal

#14 Polyergus-Schwarmzeit

Beitrag von Boro » 29. Oktober 2005, 11:31

Hallo Frank, hallo Roland!
Mittlerweile hab ich in der weiteren Umgebung von Klagenfurt (Kärnten)schon einige Dutzend Amazonennester lokalisiert, einige sind offensichtlich allein auf weiter Flur. Trotz intensiver Suche konnte ich kein weiteres finden, was zumindest ausschließt, dass ein gut entwickeltes Polyergusnest in Reichweite ist. Sie liegen alle in einer Meereshöhe von ca 500m bis 750m. Ihre Schwärmzeit fällt eindeutig auf den August, je nach Witterung auch auf die letzten Julitage. Laut Seifert liegt die Schwärmzeit zwischen M7-A9. Übrigens ein völlig unspektakuläres Eireignis, einzelne Weibchen und Männchen klettern auf Grashalme und fliegen nach und nach ab. Kurz nach Mittag, so bei 30 Grad, wie auch Seifert schreibt. Vielleicht liegt die Zeitverschiebung an der Höhenlage und anderen klimatischen Verhältnissen, obwohl ich nicht glaube, dass es in Deutschland im Sommer wärmer ist als bei uns. Na ja, vielleicht im Oberrheingraben. Und die knallroten, kräftigen Lieblinge hab ich bei wiklich unzähligen Beobachtungen nur am Beginn der Schwärmzeit auf dem Nest gesehen, später kein einziges Mal. Die Begattung am Boden, wie sie auch Seifert erwähnt, konnte ich noch nie beobachten.
Prof. Buschinger hat ja Polyergusnester in Südtirol auch über 1000m Seehöhe gefundenl, die schwärmen dann wahrscheinlich E 8-A9.
liebe Grüße Boro



Benutzeravatar
Roland Schultz
Einsteiger
Offline
Beiträge: 24
Registriert: 9. März 2005, 12:38
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 0

#15

Beitrag von Roland Schultz » 29. Oktober 2005, 14:41

Ich habe Polyergus zwischen 650 und 2200 m Höhe gefunden. Diese Gebiete liegen allerdings recht weit südlich etwa 42 Breitengrad. Schwarmflüge konnte ich bisher noch nicht beobachten. Wir sind meistens in der 2. Julihälfte und Anfang August in Mittelasien und in dieser Zeit habe ich in den Nestern manchmal noch geflügelte Weibchen gesehen. Gelegentlich konnte ich auch einzelne bereits entfügelte Weibchen auf dem Boden laufend finden, die sich dann sicher ein Nest gesucht haben. Die besonders hoch gelegenen Nester fand ich Ende September im chinesischen Tienshan. Hier waren dann allerdings keine Geschlechtstiere mehr vorhanden. Ich habe allerdings nicht tiefer nachgegraben.

Beste Grüße
Roland



Benutzeravatar
Frank Mattheis
Halter
Offline
Beiträge: 1494
Registriert: 26. August 2002, 18:01
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 4 Mal

#16

Beitrag von Frank Mattheis » 29. Oktober 2005, 16:09

Hallo Boro, ich hab Polyergus in D eigentlich immer nur in klimatisch begünstigten Gebieten gefunden, warme Südhänge, Flusstäler, Trockenrasen... Dort herrscht ein ganz anderes Kleinklima als in der weiteren Umgebung, das hat dann also wenig damit zu tun, ob es in D wärmer sei als in Österreich. Ich glaube, dass auch die Tiere in Südtirol in grösseren Höhen wärmebegünstigte Südhänge besiedeln werden, dort muss es dann nicht kälter sein als in tiefer gelegenen Gebieten in nördlicheren Breiten. Ende 8/Anfang9 wäre auch sicher etwas spät, um noch im gleichem Jahr eine erfolgreiche Gründung bei Serviformica unternehmen zu können. Und die im Gebirge siedelnden Serviformica-Arten wie selysi schwärmen durchaus nicht so spät, im Allgäu (Sonthofen, da ist es wirklich manchmal kühl) schwärmte diese Art Ende Juni bis Ende Juli.
Bei meinen Versuchen mit Männchen und Jungköniginnen von Polyergus (auch Ergatogyne) fanden die Begattungen ausschliesslich am Boden statt, war anders ja gar nicht für mich machbar. Die Begattungen fanden regelmässig statt, wenn ich die Tiere gemeinsam einige Zeit grosser Wärme (um die 30 Grad) und direkter Besonnung aussetzte, anschliessend mit etwas Wasser besprühte und dunkel und etwas kühler stellte. Offenbar meinten die Tiere nun, es wird schon dunkel, jetzt aber los :D.
Wir wissen nicht, wie "alt" Polyergus-Kolonien werden. Hängt ja sicher von den Königinnen und ihrer Lebenserwartung ab. So kann es natürlich sein, dass irgendwann Kolonien dann scheinbar isoliert vorkommen, einfach, weil die anderen Kolonien weggestorben sind und keine weiteren neuen entstanden. Für die mir bekannten Vorkommen kann ich sagen, dass sie immer zu mehreren vorkommen. Natürlich dabei nie konzentriert, Polyergus duldet keine arteigenen Kolonien im direkten Wirkungsbereich.
Hallo Roland, sicher kommt in diesen interessanten Gegenden, die Du da bereisen kannst, auch Proformica vor, wie verhält es sich mit diesen Arten? Werden vieleicht auch diese Arten von Polyergus ausgebeutet?
Grüsse, Frank.



Neues Thema Antworten

Zurück zu „Ameisenbeobachtungen im Freiland“