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Raptiformica sanguinea

Allgemeine Fragen und Themen über europäische Ameisenarten (hier keine Berichte)
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Frank Mattheis
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#9

Beitrag von Frank Mattheis » 6. Januar 2006, 20:39

Ähnliche Probleme treten auch bei anderen Sozialparasiten auf. Ich habe bei temporär sozialparasitischen Ameisen wie Lasius fuliginosus und Chthonolasius umbratus Ähnliches beobachtet und beschrieben. Gerade die ersten Generationen des Sozialparasiten scheinen oft stark unter den Übergriffen der Hilfsameisen zu leiden. Schlüpften nur wenige Sozialparasiten mit der ersten Generation, wurden diese oft ausnahmslos alle kurz nach dem Schlupf zu Tode gezerrt. Dies geschieht bei nicht ganz optimalen Bedingungen in der Gefangenschaft manchmal...
Es wird bei diesen temp. Sozialparasiten in der Natur selten vorkommen. Die Königinnen übernehmen ja oft (Wenn die Übernahme glückt...) sehr grosse Kolonien der Hilfsameisen, die dann auch in der Lage sind, schnell sehr viele Sozialparasitenarbeiterinnen aufzuziehen.
Schlüpfen nun viele Arbeiterinnen der sozialparasitischen Art gleichzeitig in der ersten Generation, scheint sich die Agression der Hilfsameisen auf diese vielen Jungtiere zu verteilen, was die Überlebenschance der einzelnen und so der gesamten Generation erhöht. Gleichzeitig kommt es zu einer Art Abstumpfungsreaktion oder Gewöhnungseffekt, die Hilfsameisen lassen ob der Vielzahl geschlüpfter artfremder Sozialparasiten in ihrer Agression nach, ergeben sich sozusagen fatalistisch der entstehenden Übermacht.
Grüsse, Frank.



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Boro
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#10

Beitrag von Boro » 10. Januar 2006, 19:48

Hallo!

Es gibt noch einen anderen Aspekt der Betrachtung im Zusammenleben von Sozialparasiten und Sklaven! Im weiter oben befindlichen Artikel "Sozialparasiten" habe ich den Bericht von G.Heller, "Aggressives Verhalten von Formica-Arbeiterinnen gegen frisch geschlüpfte Arbeiterinnen von Polyergus rufescens" erwähnt.
Dort steht, dass in einem Polyergus-Nest auf Formica fusca- Basis zwar alle von den Amazonen eingebrachten Puppen akzeptiert werden, die frisch geschlüpften Arbeiterinnen von Formica cunicularia und F. rufibarbis aber sofort und ausnahmslos getötet werden. Umgekehrt ist es ebeso, in einem Formica cunic./rufibarbis-Polyergus-Nest werden später alle schlüpfenden Formica fusca-Arbeiterinnen sofort getötet. Formica cunicularia und Formica rufibarbis scheinen sich aber zu vertragen, auch nach dem Schlüpfen.
Tatsächlich müsste dasselbe auch für Raptiformica-Nester gelten: Erfolgte die Gründung etwa in einem F. fusca-Nest, werden später eingetragene Puppen der anderen Serviformica-Arten zuerst akzeptiert und die Imagines nach dem Schlüpfen getötet.
Ehrlich gesagt hab ich das bisher nicht so tragisch gesehen. Tatsächlich habe ich Raptiformica-Nester nur mit Formica fusca-Sklaven angetroffen und bei meiner Polyergus-Nachzucht ist mir wohl aufgefallen, dass es manchmal ein Gezerre und Gerangel zwischen den mitunter verschiedenen Serviformica-Arten gab. Dieses Verhalten der Sklaven soll sich auch in der Natur so abspielen. Im Nachhinein kann ich mich nicht mehr erinnern, ob das wirkllich in jedem Fall so sein muß. Wenn der Frühling eintrudelt, werde ich mich speziell dieser Frage widmen.
Wir müssen also festhalten:
1) Die Sklaven erkennen trotz gleichen Nestgeruches frisch geschlüpfte fremde "Herren" an deren eigenen Duftprofil (Polyergus und Raptiformica).
2. Auch verschiedene Serviformica-Arten erkennen sich trotz gleichen Nestgeruches zumindest teilweise an einem der jeweiligen Art typischen Duft.
3.Servif. cunicularia und S. rufibarbis scheinen ein sehr ähnliches (oder gleiches) Duftprofil zu besitzen.
4. Ob sich zwischen anderen Serviformica-Arten (z.B. Formica cinerea, F. fuscocinerea, selysi) eine Verträglichkeit im Hinblick auf den arteigenen Duft ergibt, ist offensichtlich noch nicht untersucht.
5) Es kann aber auch einen Gewöhnungseffekt geben, wie ich z.B. an etlichen Raptiformica-Arbeiterinnen in einem Polyergus-Nest eindeutig nachweisen konnte.
Tragisch kann die ganze Angelegenheit ja nur für Polyergus werden: Man stelle sich vor, eine Amazonenkönigin gründet erfolgreich ein Nest bei Formica cunicularia. In der näheren und weiteren Umgebung gibt es aber fast nur Nester von Servif. fusca! Das Absterben des Nestes ist quasi vorprogrammiert.
Vielleicht ist das auch ein wesentlicher Grund für die Gefährdung dieser Art, wenn man vom Nachteil der totalen Abhängigkeit von der Wirtsart absieht.
Gruß Boro



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Frank Mattheis
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#11

Beitrag von Frank Mattheis » 10. Januar 2006, 21:15

Hallo Boro,
dieses Verhalten der Serviformica habe ich ebenfalls beobachtet. Unter ihm leiden oft auch die ersten Arbeiterinnengenerationen der temporären Sozialparasiten, die bei Serviformica gründen. Auch hier werden die ersten Schlüpfenden gezerrt und manchmal getötet. Erst, wenn augenscheinlich ein bestimmtes Zahlenverhältnis erreicht ist, also genügend schlüpfende Arbeiter der "neuen Art" den Sklavenameisen gegenüberstehen, scheint deren Agression nachzulassen.
Diese Probleme hab ich bei pratensis beobachtet, wenn die Gründung bei fusca stattfand. Pratensis gründet in meiner Heimat, in Brandenburg aber meist bei königinnenlosen Raptiformica, diese adoptieren pratensis-Königinnen relativ bereitwillig. Schlüpfen hier nun, bei diesen fakultativ dulot. Sozialparasiten, die ersten pratensis-Arbeiterinnen, gibt es überhaupt keine Probleme. Die Raubameisen haben kein Problem mit andersartigen Nachwuchs.
Warum aber zeigen sogenannte Sklavenameisen dieses Verhalten im Nest der Herrenameise auch gegenüber anderen Serviformica?
In freilebenden Polyergus-Kolonien fand ich bisher Sklaven der Arten rufibarbis, cunicularia und glauca. Es ist offensichtlich und die Funde bestätigen es, dass Deine Vermutung stimmt, dass diese drei Arten einander unter diesen Umständen tolerieren. Es sind dies auch die Serviformica-Arten, die im bevorzugten Lebensraum der Polyergus meist leben.
In Nestern der Raptiformica fand ich meist fusca, manchmal rufibarbis oder glauca, selten cinerea. Nie mehrere Arten nebeneinander.
In den Nestern der Polyergus können tatsächlich alle drei genannten Arten nebeneinander vorkommen. Den Hauptanteil bildete immer cunicularia, die Art bestimmte auch die Art des Nestes. Neben diesen drei Arten, wie gesagt, diese oft gemeinsam vorkommend, fand ich aber noch nie andere, weitere Arten in Freiheit bei Polyergus.
In den Nestern der Raptiformica fand ich also stets nur eine Art der Sklavenameisen, obwohl in Gefangenschaft sich erwies, dass Raptiformica durchaus mit verschiedenen Sklavenameisenarten gleichzeitig leben konnte. Durch Manipulation war dies möglich, Schwierigkeiten bereiteten hier in der Tat die Serviformica selbst. Die erste Serviformica-Art, die im Raptiformica-Nest sich als Sklavenameise etablierte, war meist die Art, die sich langfristig durchsetzte und andere Arten von Sklavenameisen verdrängte und tötete. Getötet wird nicht immer durch direkte Agression, auch durch Verdrängen, Vertreiben aus dem Nest und alle möglichen anderen Arten des Mobbing. Vorausgesetzt, ihre Übermacht hatte durch permanenten Nachschub Bestand. Es konnte ja vorkommen, in Gefangenschaft sowieso, dass die Raptiformica nach einen Umzug in neues Gebiet andere hier lebende Serviformica-Arten überfallen und ausgeraubt hatten. Dann konnte es durchaus durch massenhaften Schlupf neuer anderer Serviformica nach deren Reifung innerhalb einiger Tage zu einer Palastrevolution kommen, zu einer Art Machtwechsel.
Raptiformica-Arbeiter hab ich einmal als Hilfsameisen in einem Polyergus-Nest beobachtet, natürlich in Gefangenschaft und künstlich als Puppen hinzugesetzt. Die jungen und frischgeschlüpften Raptiformica wurden von den Serviformica gut betreut, litten aber unter den argwöhnischen Polyergus! Ich habe mehrmals hilflos und unglücklich beobachten müssen, das solche jungen und grossen Raptiformica im Beobachtungsnest von den Polyergus misstrauisch untersucht und schliesslich einfach erdolcht wurden. Ich hatte den Eindruck, als würden die Polyergus die grösseren und kräftigen Raptiformica nicht dulden, kleine Arbeiter dieser Art wurden geduldet.
Grüsse, Frank.



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