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von Frank Mattheis » 3. Juli 2005, 17:27
Von allen Ameisenarten, die ich bisher beobachtete und in Gefangenschaft hielt, beeindruckten mich die Ameisenarten der Gattung Cataglyphis am meisten. Für mich sind dies die in mancherlei Hinsicht höchstentwickelten Ameisen überhaupt. Jeder Ameisenfreund, der einmal die Vertreter dieser Gattung in ihrer natürlichen Umgebung beobachtet hat, hat ganz sicher den Wunsch, diese Tiere über einen längeren Zeitraum beobachten zu können.
Für mich als ehemaligen Bürger der DDR eröffneten sich erst mit politischen Wende die Möglichkeiten, diese und andere faszinierende Ameisenarten mit subtropischer Verbreitung in ihren Verbreitungsgebieten zu beobachten und auch zu sammeln.
Meine ersten Begegnungen mit Ameisen der Gattung Cataglyphis hatte ich in Spanien, nördlich von Barcelona, in der Nähe von Figueres mit C. cursor. Später beobachtet ich im Süden Spaniens, bei Alicante eine weitere, kleinere Art, die ich jedoch nicht bestimmen konnte. An der Algarve in den dort typischen Korkeichenwäldern fand ich eine weitere, sehr große Art der Gattung, die ich ebenfalls nicht bestimmen konnte.
Mitte der neunziger Jahre fand ich im Süden Ungarns, bei Szegedin C. aenescens. Das Vorkommen einer Cataglyphis -Art hatte ich bis dahin für die gemäßigten Breiten Mitteleuropas nicht für möglich gehalten.
In Tunesien, auf Djerba und in der Nähe der Stadt Monastir konnte ich insgesamt fünf Arten beobachten, von denen ich mit einigermaßener Sicherheit nur zwei Arten bestimmen konnte. Auf Djerba fand ich drei Arten, unter ihnen C. bombycinus und C. savignyi. Bei Monastir beobachtete ich ebenfalls drei Arten, zwei von ihnen waren für mich unbestimmbar, die dritte, hier wie auf Djerba dominierende Art war wahrscheinlich C. savignyi.
Es ist leider ein Problem, daß es keine gute, leicht handhabbare Bestimmungsliteratur (etwa in einer moderneren Form des STITZ) schon nicht einmal für die Ameisenfauna des Mittelmeerraumes gibt. Vielmehr werden wir Laienforscher ständig über die Risiken unseres Tuns belehrt und angemahnt, unsere Neugier auf die vergleichsweise gut erforschte heimische Fauna zu beschränken, in der es freilich auch noch viel zu entdecken gibt. Auch hier gilt es noch so manchen Irtum auszuräumen.
In Spanien und Tunesien beobachtete ich Ameisen der Gattung Cataglyphis über einige Zeit im Freiland. Erstaunlich und immer wieder ungeheuer beeindruckend war für mich die enorme Wachheit und Wendigkeit der Cataglyphis, ihre durch Vorsicht nur mühsam unterdrückte Neugier und ihr dadurch entstehendes gewaltiges Potential, verschiedenste und selbst neue, ungewöhnliche Nahrungsquellen schnell und effektiv auszubeuten. Ich hatte oft den Eindruck, ein intelligentes Wesen zu beobachten und fühlte mich so manches Mal selbst beobachtet und überwacht. Von anderen Ameisenarten ist man es gewohnt, das sie einen entweder angreifen oder sich verstecken, wenn man ihnen zu nahe kommt, Cataglyphis-Arbeiterinnen entzogen sich meinen Zugriff oft durch schnelle, geschickte Flucht, versteckten sich dann jedoch oft nicht, sondern suchten einen erhöhten Aussichtspunkt, um von hier meine weiteren Aktivitäten zu überwachen.
Die Ameisen dieser Gattung sind durchweg Bodenbewohner und Oberflächenjäger. Sie sind schlechte Kletterer und nur selten auf Pflanzen anzutreffen. Bei der bodennahen Vegetation fungieren sie jedoch als Bestäuber, indem sie die Blüten niedrigwachsender Pflanzen aufsuchen, um Nektar zu sammeln. Es war für mich erstaunlich, zu beobachten, wie die Ameisen unter größten Anstrengungen die Pflanzen erklommen, sich durch Rückfälle nicht entmutigen ließen. Offenbar war diese Nahrungsquelle für die Cataglyphis sehr lohnend.
Öffnete ich ein Nest einer beliebigen Ameisenart in Tunesien, dauerte es oft nicht lange, bis die ersten Kundschafter von C. savignyi die strategische Lage prüften. Gerade die räuberischen C. savignyi versuchten jede Chance zu nutzen, Imagines oder Brut anderer Arten zu stehlen. Ständig wurde auch ich bei Pausen auf meinen Streifzügen von den Kundschaftern von C. savignyi observiert, auf eventuelle Verwertbarkeit hin überprüft. Vorsichtig und fluchtbereit näherten sich die Tiere, untersuchten, wenn ich sie gewähren ließ, meine Hände, zwickten schon mal probeweise hinein, anfangs nicht zu fest, später frecher werdend. Sicher treibt die Tiere auch ständiger Nahrungsmangel um und lässt sie ständig und überall nach Nahrung suchen, und doch ist es ein großer Vorteil für die Art gerade in nahrungsarmen Steppengebieten, wenn die Arbeiterinnen neugierig und flexibel ständig neue Nahrungsquellen erschließen.
Der größte Vorteil der Cataglyphis gegenüber anderen Ameisenarten der Region ist wohl ihre Anpassung an hohe Temperaturen. Selbst bei größter Hitze mit Bodentemperaturen über fünfzig Grad fouragierten savignyi-Arbeiterinnen mit gelassener Selbstverständlichkeit auf dem Steppenboden, selbst auf dem Asphalt der Straßen. Andere Ameisen verließen bei diesen Temperaturen nicht mehr ihre Nester.
Im Januar 2000 hatte ich das große Glück, eine Königin von C. savignyi fangen zu können. Sie saß unter einen von der Sonne erwärmten Stein, umgeben von den Arbeiterinnen ihrer Kolonie. Ich nahm die Königin mit etwa fünfzig Arbeiterinnen mit nach Hause.
Zu Hause angekommen, war es das Erste und Wichtigste, ein möglichst großes Terrarium mit großen Freilaufmöglichkeiten und naturähnlichen, steppenhaften Auslauf anzufertigen und herzurichten. Ein großes Gipsnest mit mehreren Kammern diente als Behausung für die Kolonie. Für die großen Ameisen der C. savignyi, immerhin erreichen die großen Arbeiterinnen der Art eine Körperlänge von sechzehn Millimetern, war ein großes Terrarium unbedingt nötig, eine Haltung in irgendwelchen Ameisenfarmen und Schläuchen ist für die auslaufliebenden Cataglyphis ohnehin abzulehnen.
Die Königin begann sofort mit der Eiablage, die Kolonie wuchs zusehends. Die Cataglyphis schienen in der Lage zu sein, das gesamte Eiweiß der Futterinsekten sehr schnell in neue Arbeiterinnen umzuwandeln. Als Eiweißfutter bot ich im Winter überwiegend die Larven von Bockkäfern an, diese findet man auch im Winter leicht unter Rinden absterbender Kiefern, solche Nahrung ist immer den industriell vermehrten Futterinsekten vorzuziehen. Hinzu kamen gelegentlich erbeutete Fliegen und andere Insekten. Über das Jahr wuchs die Kolonie auf etwa zweitausend Arbeiterinnen.
Im Herbst des gleichen Jahres schlüpften erste Geschlechtstiere, leider in meiner Kolonie nur junge Königinnen. So hatten diese leider keine Aussicht auf Begattung, sie verschwanden nach einiger Zeit.
Im Mai des darauffolgenden Jahres verstarb die alte Königin der Kolonie leider, sie war erkennbar schon ein altes Mädchen, als ich sie gefangen hatte, ihr fehlte bereits ein Fühler und einige Tarsen, trotzdem hatte ich gehofft, länger an ihr Freude haben zu können.
Ich hielt die nun weisellose Kolonie noch einige Zeit, gab später die letzten Arbeiterinnen an Joachim zur Beobachtung ab.
Im Februar diesen Jahres hatte ich wieder etwas Glück. Diesmal fing ich bei Monastir eine junge, koloniegründende Königin einer kleineren glänzendschwarzen Cataglyphis-Art mit rötlich-braunen Schimmer auf dem Kopf (möglicherw. C. nodus?). Ich entnahm einer etablierten Kolonie der gleichen Art einige Arbeiterinnen und nahm die Tiere mit nach Hause. Zu Hause fügte ich die Kolonie zusammen, was ohne Probleme gelang (wie ich Ameisen verschiedener Kolonien zu einer Kolonie zusammenfüge, habe ich an anderer Stelle bereits ausführlich beschrieben). Fotografien dieser Cataglyphis und zu ihrer Haltung habe ich ins Forum gestellt.
Seit dem Februar hat sich die Kolonie nur auf nun etwa zwanzig Tiere verstärkt. Diese Art ist allerdings auch in ihrer Heimat weniger auffällig und lebt in kleineren Kolonien als
C. savignyi. Im Gegensatz zu C. savignyi legt die Königin dieser Art Eier in Schüben und legt dazwischen immer wieder längere Pausen ein. So entstehen immer nur wenig mehr Arbeiterinnen wie von den leider relativ kurzlebigen Cataglyphis-Arbeiterinnen wegsterben. Diese Art ist weniger dominant und weicht Kämpfen aus, so ist es möglich, sie im Terrarium mit einer Anfangskolonie von Formica glauca und einer jungen Kolonie von Camponotus ligniperda zusammen zu halten. Im gleichen Terrarium leben außerdem Kolonien von Leptothorax acervorum, Crematogaster sordidulus und Tetramorium caespitum. Alle diese Arten weichen bei geringen Koloniestärken Konkurrenzkämpfen aus und lassen sich bei ausreichender Fütterung und entsprechender Größe und Vielfalt des bewohnten Habitats ohne weiteres vergesellschaften. Oft treffen Arbeiterinnen verschiedener Arten an der Zuckertränke aufeinander, dies sorgt zwar mitunter für gewisse Irritationen, jedoch kommt es nie zu Feindseligkeiten oder gar zu Kämpfen. Meist weichen die Ameisen der verschiedenen Arten einander aus und nutzen die gegenüberliegenden Seiten der Tränke.
Fortsetzung folgt...
Frank Mattheis