Lasius cf. niger undercover!?

Allgemeine Fragen und Themen über europäische Ameisenarten (hier keine Berichte)
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KyneGyne
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#1 Lasius cf. niger undercover!?

Beitrag von KyneGyne » 19. Mai 2012, 16:04

Hallo zusammen,

eben konnte ich eine äußerst interessante Beobachtung machen. Aber erst mal zur Vorgeschichte:

Vorgestern hatte ich bei meinen drei Lasius-Kolonien (2x L. cf. niger, 1x L. cf. flavus) ausgehöhlte Mehlkäferlarven-Hälften entsorgt. Dabei lasse ich die Hälften mit der Pinzette drei bis vier Mal in die Arena fallen, damit sich evtl. vorhandene Naschkatzen zurückziehen können. Danach nahm ich die Futterreste aus den Arenen und habe sie auf ein Stück Küchenpapier gelegt.

Leider hatte sich eine schwarze Lasius (richtigerweise heißt es wohl der Lasius, aber das will mir irgendwie nicht über die Finger kommen) wohl so tief in den Mehlwurm gegraben, dass sie erst jetzt zum Vorschein kam und wie von der Tarantel gestochen über den Tisch gesaust ist. Mit einem kleinen Stück Papier konnte ich sie aufnehmen und stand nun vor der Frage, aus welcher der beiden Lasius cf. niger Arenen sie wohl stammt.

Um es kurz zu machen: ene mene muh, ... und falsch bist Du! Ich hatte sie zu der etwas kleineren schwarzen Lasius-Kolonie gegeben, was sich als Fehler herausgestellt hat, da sie von der ein oder anderen Arbeiterin attackiert worden ist. Ich habe dem Treiben mehr oder weniger hilflos zuschauen müssen, da an eine Rettung wegen der Enge und dem Gewusel nicht zu denken war. Sie hat sich tapfer geschlagen und ist ihren Widersachern mehrmals erfolgreich ausgewichen. Irgendwann wurde sie dann von einer Arbeiterin gepackt und ins Nest gezerrt. Das war's dann wohl, dachte ich mir.

Falsch gedacht! Heute gab es wieder frischen Honig in Form von Mini-Tröpfchen auf einem Streifen Alufolie. Bei der etwas kleineren Kolonie waren schnell 4 bis 6 Arbeiterinnen zur Stelle um den Treibstoff gierig aufzunehmen. Nur eine tanzte etwas aus der Reihe: Ständig ging sie andere Arbeiterinnen an, wenn diese am Honig tranken oder trinken wollten. Es war ein charakteristisches Vorschnellen, mit dem sie die anderen Ameisen fast schon penetrant belästigt hat. Denen schien das dann zu bunt zu werden und sie hielten sich eher im Bereich des Nesteingangs auf. In dieser Zeit hat die Aggro-Ameise auch etwas Honig aufgenommen. Erst als der Störenfried weg war (s.u.) haben sich die anderen wieder vermehrt am Honig blicken lassen.

Ich dachte mir: "Was'n das? Nee, kann doch nicht … oder doch?" Kurzerhand habe ich sie mittels eines kleinen Papierstreifens von einer Arena in die andere befördert. Und siehe da, was ist passiert, als sie die erste Ameise trifft? Trophallaxis! Ich konnt's irgendwie nicht richtig glauben, aber auch beim Aufeinandertreffen mit anderen Arbeiterinnen keine Spur von Aggression! Normal ist das nicht, oder? Die Kleine muss sich ja zwei Tage erfolgreich auf fremdem Terrain und im fremden Nest behauptet haben.

Gibt’s dazu häufigere Beobachtungen in dieser Richtung? Mich beschleicht außerdem der Verdacht, dass die beiden schwarzen Lasius-Kolonien, die ich habe, evtl. zwei unterschiedliche Arten sind (Stichwort "Dominanzhierarchie"). Die "charakterlichen" Unterschiede zwischen beiden Völkern sind nämlich sehr ausgeprägt: während die etwas kleinere Kolonie (ca. 45 A.) eher zurückhaltend ist und sich mit Honig und Mehlwurm zufrieden gibt, musste ich die größere Kolonie (ca. 65 A.) schon in eine größere Arena umsiedeln, weil sie einen äußerst aggressiven Expansionsdrang an den Tag legt. (Die sind mir irgendwie unheimlich. Wenn ich zu Hause bin, schaue ich ein bis zwei Mal die Stunde nach, ob schon Scouts außerhalb unterwegs sind. Ich bin mir sicher, dass sie die Weltherrschaft anstreben!).

Gefangen wurden beide Königinnen übrigens letztes Jahr am gleichen Tag ca. 50 cm voneinander entfernt.

So, jetzt ihr!

Erstaunte Grüße
Kyne



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erix
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#2 AW: Lasius cf. niger undercover!?

Beitrag von erix » 21. Mai 2012, 02:31

Hallo Kyne

Befasst man sich mit Insekten und experimentiert mit ihrem Verhalten, so erscheinen sie als maschinenhafte Reaktions-Automaten. Es würde mir schwer fallen, einer Ameise oder Biene einen bestimmten Charakter oder eine Persönlichkeit zuzuschreiben. Das heisst aber vorerst nur, dass wir nichts dergleichen erkennen können, aber nicht, dass es so etwas nicht geben könnte. Die Arbeiterinnen eines Volkes sind zwar Schwestern oder Halbschwestern, aber sie sind keine eineiigen Zwillinge, haben also unterschiedliche Erbanlagen (im Gegensatz zu den Männchen, die nur eine Mutter, aber keine Väter haben).

Als Imker habe ich Hunderte von Bienenvölkern (eigene und fremde) von innen gesehen. Jeder aufmerksame Imker kann mit der Zeit erkennen, in welcher Stimmung sich ein Bienenvolk zur Zeit befindet. Darüber hinaus gibt es aber auch eigentliche Charakterzüge, die sich an einzelnen Bienenvölkern feststellen lassen.
Sanftmut, Wabenstetigkeit (ruhiges Verbleiben auf der Wabe, wenn diese herausgenommen wird), guter Putztrieb, Schwarmträgheit (möglichst wenige Schwärme) sind die wichtigsten, vererbbaren Eigenschaften, die die Bienenzüchter heute anstreben und durch gezielte Zuchtpaarung zu verstärken versuchen.

Deine beiden Völkchen können also durchaus der gleichen Art angehören.

Wächterinnen der Honigbienen wehren fremde Bienen am Nesteingang ab. Sie kontrollieren aber bei weitem nicht jede ankommende Biene auf ihren Geruch. Wächterinnen (und sogar auch Imker) erkennen schon an der Landung, ob eine Biene vom erfolgreichen Sammelflug beladen zurückkehrt, oder ob es sich um eine fremde und unbeladene Biene handelt, die man kontrollieren und abwehren muss. Eine beladene Biene wird eingelassen, auch wenn es eine fremde ist.

Gut denkbar, dass bei Ameisen ähnliche Regeln gelten. Eine vollgetankte Ameise wird möglicherweise akzeptiert oder kann Beschwichtigen, indem sie Futter anbietet.
Ob dies zutrifft weiss ich nicht. Du kannst es herausfinden, wenn du eine vollbetankte Arbeiterin auf dem Rückweg ins Nest abfängst und ins andere Formicarium gibst. Sie verrät sich sofort durch panisches Flüchten, wenn sie die fremden Duftspuren wahrnimmt.
Eine einzelne Ameise fängt man übrigens am leichtesten mit einem nassen, feinhaarigen Aquarellpinsel ohne Spitze. Man kann sie damit einfach auftupfen und wieder abklopfen, so wie man Asche von einer Zigarette klopft. So kannst du sie mit etwas Übung auch wieder retten und repatriieren.

Gruss: erix



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KyneGyne
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#3 AW: Lasius cf. niger undercover!?

Beitrag von KyneGyne » 21. Mai 2012, 21:06

Hallo erix,

danke für deine Einschätzung. Ich denke mittlerweile auch, dass es nur eine Variation der genetischen Bandbreite ist. Das fing schon mit den Gynen an: Die Königin des größeren Volks war beim Fund bereits etwas größer (wenn ich mich recht entsinne ca. 1 mm) und aggressiver als die andere Gyne. Diese hatte eigentlich sofort mit dem Brutgeschäft angefangen, während die größere Königin noch etwas unruhig mit der Watte beschäftigt war.

Dass man mit einem feuchten Pinsel Brut gut überführen kann, wusste ich. Aber dass das auch mit Arbeiterinnen funktioniert war mir neu. Muss ich unbedingt mal ausprobieren, damit es dann funktioniert, wenn es nötig ist.

Das von dir vorgeschlagene Experiment werde ich zu gegebener Zeit durchführen. Weil ich das dann aber gerne filmisch dokumentieren würde, ich aber im Augenblick was um die Ohren habe, kann es noch etwas dauern.

Ich wünsche dir einen schönen Abend!

Gruß
Kyne



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