Eine Jungkönigin der C. aenescens fiel mir ein Jahr später in die Hände, die Art schwärmte zu dieser Zeit, Ende April.
Im Süden Spaniens bei Murcia und in Portugal an der Algarve fand ich weitere Arten der Cataglyphis, die ich jedoch nicht bestimmen konnte.
In weiteren Jahren suchte ich immer wieder mal die tunesische Küste auf. Hier war die Artenvielfalt und die Besiedlungsdichte durch Arten der Cataglyphis viel grösser. Die häufigste und auffallendste Art bei Monastir und auf Djerba war die C. viaticus. Neben ihr im gleichen Lebensraum gab es einige weitere kleinere Arten, auf Djerba ausserdem die dort seltene C. bombycina. Dort, wo viaticus lebte, bestimmte diese Art das Leben am Boden, alle anderen Arten fristeten ein Schattendasein und wichen durch Kleinheit und Behendigkeit den grossen viaticus aus. Eine weitere interessante und grosse, glänzendschwarze Art der Cataglyphis lebte ausschliesslich in den Deichen der Salinen, sie nistete hier im sehr feuchten und salzhaltigen Lehmböden. Die Ameisen ernährten sich durch das Sammeln der toten Eintagsfliegen und Salzfliegen, die stets in Mengen am Spülsaum der Salinen zu finden waren. In diesem Biotop waren diese Ameisen fast konkurrenzlos, es gab kaum andere Arten.
Andere grosse Ameisenarten wie Camponotus maculatus leben nachtaktiv und weichen so den tagsüber ständig und überall umherstreifenden viaticus aus.
Einige Male musste ich Kolonien der maculatus öffnen, um an Brutstadien der Art heranzukommen. Ich hatte gründende Jungköniginnen der Art gefunden und wollte diesen einen guten Start ermöglichen. Obwohl zu Beginn der Grabarbeiten weit und breit keine umherstreunenden viaticus auszumachen waren, erschienen doch immer sehr bald viaticus nach Beginn der Grabungen. Die ständig das Gebiet durchstreifenden und immer neugierigen Tiere schienen einen ganz besonderen Instinkt für das "Malheur" anderer Ameisenarten zu haben. Sofort wurde der "Tatort" untersucht, mit grosser Scheu und gleichzeitig grosser Neugier observierten die Cataglyphis kurze Zeit das Geschehen. Merkten sie, dass was zu holen war, wurden sie regelrecht frech und versuchten, Brutstadien und Imagines der maculatus zu rauben. Nie aber benahmen sie sich wie lebensmüde Hasardeure, immer zeigten sie einen gewissen Respekt und Rest an Vorsicht, begaben sich flink und nach allen Seiten sichernd in die Nähe des offenen maculatus-Nestes, dabei immer flucht- und sprungbereit. Immer hatte ich den Eindruck, dass die Cataglyphis nicht nur die maculatus, sondern eher mich als Bedrohung einkalkulierten. Während die maculatus meine Hände angriffen und sich in ihnen verbissen, beobachteten die Cataglyphis mein gesamtes Tun und bemerkten auch, wenn ich mich für kurze Zeit zurückzog, denn dann hatte sie es nur noch mit den maculatus zu tun. Mit den maculatus konnten sie leicht fertig werden, selbst die grossen Majorarbeiterinnen der maculatus konnten den flinken und agressiven Cataglyphis wenig entgegensetzen. Mit Erstaunen beobachtete ich, wie grosse Majorarbeiterinnen der maculatus durch Nackenbiss kurzerhand enthauptet wurden.
Waren erste Cataglyphis bei diesen Raubzug erfolgreich, erschienen bald weitere auf der Bildfläche. Das Nest der Cataglyphis befand sich etwa in einer Entfernung von 50 Metern, in kürzester Zeit legten die Tiere diese Entfernung zurück. Für diese teilweise dicht bewachsene Strecke benötigten sie etwa vier Minuten. Obwohl anfangs nur wenige Arbeiterinnen den Ort meines Tuns am Nest der maculatus fanden, wurden es sehr bald viele mehr. Alle Cataglyphis schienen dem gleichen Nest zu entstammen, denn sie zeigten keine Agression untereinander. Es wurden so schnell mehr, dass nicht davon auszugehen war, dass alle diesen Ort meine schändlichen Tuns zufällig beim Umherstreifen gefunden hatten. Andererseits habe ich nicht beobachtet, dass die Cataglyphis über Spurpheromone rekrutierten, sie können dies aber durchaus, ich habe es aber bisher nur bei eiligen Kolonieumzügen beobachtet.
Ich habe später das Nest der maculatus wieder verschlossen, die Cataglyphis durchstöberten noch eine Zeitlang die Umgebung des maculatus-Nestes, Versprengte suchend. Einige begannen lustlos zu graben, hielten dies aber nicht lange durch. Überhaupt hatten die Cataglyphis nie versucht, ins Nestinnere durch die Gänge der maculatus zu gelangen, hier hätten sie ihren Vorteil der Gewandheit und Schnelligkeit eingebüßt und wären den maculatus unterlegen gewesen.
Ich habe Arten der Cataglyphis auch in anderen Ländern beobachtet und einige von ihnen im Terrarium gehalten. Leider kann man im Terrarium nur bedingt die Verhältnisse schaffen, unter denen die Cataglyphis ihr gesamtes "Können" zeigen. Das beginnt beim Licht, Luftfeuchtigkeit, Temperaturen usw... Viele Arten der Cataglyphis besuchen im Winter und Frühjahr die Blüten niedrigwachsender Pflanzen.
Wer die Tiere einmal im Freiland bei hochsommerlichen Temperaturen auf heissen Asphalt sah, wird wissen, was ich meine. Trotzdem kann man viele dieser Arten gut und erfolgreich pflegen und beobachten.
Dies soll kein wissenschaftlicher Bericht sein, es handelt sich lediglich um Erfahrungen, die ich mit diesen interessanten Arten im Freiland gemacht habe. Natürlich habe ich mit ihnen viel mehr erlebt, in der Türkei, auf Zypern, in Ungarn und anderswo. Wenn ich einen Ameisenkrieg, hervorgerufen durch mein Zutun geschildert habe, heisst das um Gottes Willen nicht, dass ich solche Dinge ständig inszeniere. Auch dieser war nicht beabsichtigt. Jeder, der von Zeit zu Zeit Ameisenkolonien öffnet, weiss, dass sich solche Zwischenfälle nicht immer vermeiden lassen. Kommt es nun mal dazu, kann man die Gelegenheit nutzen und interessante Beobachtungen 8o machen. Wenn es möglich ist wie es in diesem Falle war, sollte man die Sache beenden, bevor die Dinge eskalieren und eine Kolonie irreparablen Schaden nimmt.
Grüsse, Frank.
Berichtigung: Bei den von mir für den spanischen Raum beschriebenen C. aenescens handelte es sich mit Sicherheit um andere Tiere, um Cataglyphis aus der albicans-Gruppe. Diesen Hinweis gab mir Andreas Schulz :-). Vielen Dank, Andreas.