Der Tod kommt immer, einmal früher, einmal später! [II]In der Natur spielen sich immer wieder Vorgänge und Tragödien ab, die man mit menschlichen Maßstäben nicht ganz nachvollziehen kann. Und doch steckt eine gewisse grundlegende Logik dahinter, die man erst verstehen muss.
Zum Geschehen: Bei
Polyergus rufescens (in ganz Mitteleuropa vom Aussterben bedroht) schwärmt ein guter Teil der Gynen auf der Nestoberfläche oder in der unmittelbaren Umgebung. Die Weibchen geben Sexualhormone an die Luft ab, um die Männchen anzulocken ("female calling"). Häufig werden die abgeflogenen Männchen des eigenen Nestes zum Zug kommen (Inzucht!). Das völlig unspektakuläre Schwärmen findet bald nach dem Höchststand der Sonne statt und zwar nur an Tagen, wo sich die Temperatur wenigstens der 30°-Marke nähert. Die nun begatteten Gynen laufen dann in der Gegend herum oder verstecken sich. Als
obligatorischer Sozialparasit findet vielleicht die eine od. andere ein Nest von Serviformica
sp. Alle anderen haben nur ein Ziel: Sie warten auf den später (ab 16 Uhr Sommerz.) stattfindenen Raubzug der Amazonen (fast immer sind es ihre Geschwister!). Diesem schließen sie sich an, um dann in das geplünderte Nest einzudringen, die dortige
Königin zu töten und ein eigenes Nest zu gründen. Andere Gynen wiederum laufen auf dem (eigenen) Nest herum, wohl mit dem "Hintergedanken" da einzudringen. Allerdings sind diese Neuankömmlinge bei den inzwischen alarmierten Hilfsameisen und Amazonen
höchst unwillkommen und begeben sich in
akute Lebensgefahr. Ich konnte bisher keine Art entdecken, bei der die Konkurrenz (in dem Fall Gynen, sonst andere Nester der gleichen Art) mit derartiger
Brutalität und Konsequenz ausgerottet wird. Auch geglückte Nestgründungen, die sich in einem Umkreis von weniger als 90m vom bestehenden Nest befinden, werden früher oder später entdeckt und dann vernichtet.
Bleibt eine Frage übrig: Wieso begeben sich die frisch begatteten Gynen in diese Gefahrensituation?
Antworten:1. Die sozialparasitische Gründung an sich ist stets eine lebensgefährliche Situation für die
Gyne.
2. Die Gründung unmittelbar nach der Plünderung eines Serviformica-Nestes ist
ungleich einfacher, weil die Nesteinwohner verstört und demoralisiert erscheinen.
3. Im Gegensatz zu den ebenfalls sozialparasitisch gründenden Gynen der Waldameisen haben die Gynen von Polyergus einen entscheidenden Nachteil:
Sie können sich selbst nicht ernähren und sind daher auf möglichst rasche Nestgründung und Fütterung angewiesen. Nahrungsreserven sind kaum vorhanden, die Kröpfe der
Königinnen scheinen keineswegs besonders gut gefüllt zu sein.
1. Hier ist nicht viel zu erkennen: Ein Knäuel von
Serviformica cunicularia und ein paar Amazonen. Um was geht es hier?
2. Jetzt kann man es sehen: Ein Jungkönigin von Polyergus rufescens ist das Opfer! Sie ist wie viele andere am bestehenden Nest herumgelaufen und wurde dabei von den Bewohnerinnen (sehr wahrscheinlich Geschwister bzw. Ziehmütter) eingefangen. Es wird gezogen und gezerrt, die
Gyne wird fixiert und mit Gift bespritzt.
3. Schauen wir uns das Ganze etwas näher an: Der Biss der Amazone zwischen Petiolus und
Gaster dürfte ausschlaggebend sein!
4. Jetzt sind gleich 2 Amazonen am Werk!
5. Hilfsameisen klettern auf den Körper des Opfers und versuchen ihr Gift an empfindlichen Körperstellen der
Gyne abzuspritzen.
6. Das wird´s wohl bald gewesen sein. Die
Gyne ist fixiert, kann sich kaum noch rühren. Eine mögliche Konkurrenten für die bestehende
Königin ist ausgeschaltet.
In diesem besonderen Fall konnte ich 18 Gynen zählen, die sich am (erfolglosen) Raubzug beteiligten bzw. zwischendurch am (alten) Nest herumliefen. Die hier abgebildete
Königin ist wohl später gestorben, 3 Stück konnte ich aus den Fängen der Angreifer retten und zusätzlich habe ich 8 Gynen in eine Entfernung von mindestens 80m verbracht. Ich weiß schon, man sollte in natürliche Abläufe nicht eingreifen, aber so einem Gemetzel kann ich nicht tatenlos zuschauen. Noch dazu, wo es heuer erstmals (nach 15jähriger Dauerbeobachtung) auffallend wenig weibliche Geschlechtstiere gibt. Womit das zusammenhängt weiß ich nicht. Das vorliegende Nest war die absolute Ausnahme. Nebenbei: In diesem Territorium habe ich inzwischen 6 Nester der Art, die durch ständiges Hin- und Hergehen beobachtet werden. Ich weiß, klingt ein bisschen verrückt.........aber es ist so was wie Jagdleidenschaft...
G.Boro