Von Rafaela von Bredow und Liane Rothenberger
Quelle : spiegel-online
Viele Schmetterlingsarten sind vom Aussterben bedroht. In Deutschland haben die Tiere nur eine kleine Lobby, die EnglĂ€nder hingegen sind ganz verrĂŒckt aufs FlĂŒgelzĂ€hlen.
Josef Settele geht auf Tour: mit Frau und Tochter, einmal pro Woche, einen Kilometer. Drei Augenpaare suchen die Umgebung ab, die KĂ€scher sind gezĂŒckt. Endlich ein KohlweiĂling. "Vier verschiedene WeiĂlingsarten haben wir bereits gesichtet. Die sind noch relativ hĂ€ufig, weil sie leicht Nahrung finden", sagt Settele. Er und seine Familie nehmen im zweiten Jahr an der bundesweiten TagfalterzĂ€hlung teil.
Knapp 500 Freiwillige haben sich dazu bereiterklÀrt, einmal wöchentlich auf einem kleinen Terrain die wirbellosen Flattertiere zu zÀhlen. Jeder kann sich an der Aktion beteiligen. Das "Tagfalter-Monitoring" lÀuft alljÀhrlich von April bis September, organisiert wird es vom Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle (UFZ).
Dort arbeitet Settele als Agrarbiologe und BiodiversitÀtsforscher und ist gespannt auf die ersten Vergleichsergebnisse. Wirklich umfassende ZÀhlungen - wie sie beispielsweise die Vogelkundler schon lange vornehmen - gab es in Deutschland nÀmlich noch nie.
Dabei tut eine Erfassung Not, und zwar dringend. Denn die Schmetterlinge schwinden, das zeigen Stichproben und Beobachtungen von Experten. Die Falter mĂŒssen systematisch gezĂ€hlt, ihre BestĂ€nde jedes Jahr wieder an denselben Orten ĂŒberprĂŒft werden - nur so lĂ€sst sich herausfinden, welche Arten im Niedergang begriffen sind. Vor allem: Wo genau? Und warum?
Dem leicht an seinen namensgebenden FlĂŒgelenden erkennbaren Schwalbenschwanz werden die SchmetterlingszĂ€hler beim Monitoring wohl hĂ€ufiger begegnen - er ist einer der wenigen Falter, deren Population derzeit leicht zugenommen hat, was ihm den Titel "Schmetterling des Jahres" eintrug. "Er hat davon profitiert, dass in den GĂ€rten weniger gespritzt wird", erklĂ€rt Settele. "Die Raupen fressen nĂ€mlich am liebsten MöhrengrĂŒn und Dill."
Zwei Drittel der in Deutschland heimischen Tagfalterarten allerdings stehen auf der Roten Liste. Die mit zarten Tupfenreihen geschmĂŒckten AmeisenblĂ€ulinge etwa oder die in prĂ€chtigem Orange, Schwarz und Hellgelb gezeichneten Maivögel taumeln dem Beobachter schon lange nicht mehr alltĂ€glich durchs Blickfeld.
Der Schwund der Schmetterlinge ist ein umfassendes PhÀnomen, das beweist nun die erste europaweite Erfassung: 576 Tagfalterarten kommen in Europa vor - doch aus einem von zehn Gebieten, in denen sie irgendwann wÀhrend der letzten 25 Jahre noch flogen, sind sie heute getilgt. Bei Faltern, die offenes Grasland zum Leben brauchen, sind es gar zwei von zehn Gebieten, in denen sie inzwischen fehlen.
Forscher werteten schon vor zwei Jahren im Wissenschaftsmagazin "Science" den Niedergang der Schmetterlinge als Indiz dafĂŒr, dass die sechste weltweite Aussterbewelle der Erdgeschichte bereits angerollt sei. "Das ist eine sehr plakative Formulierung", sagt Settele, "aber angesichts des drastischen RĂŒckgangs binnen wirklich kurzer Zeit durchaus gerechtfertigt."
Auslöser fĂŒr die dĂŒstere Prognose war eine britische Studie, die nachgewiesen hatte, dass innerhalb von 20 Jahren die Verbreitung von beinahe drei Vierteln aller in GroĂbritannien heimischen Tagfalterarten abgenommen hatte.
"Das sind brisante Zahlen", sagt Reinart Feldmann, ebenfalls Wissenschaftler am UFZ. "Es geht ja nicht nur um die Schmetterlinge selbst, sondern darum, dass sie ein Indikator fĂŒr die Artenvielfalt insgesamt sind." Will heiĂen: Wo es die Tagfalter dahinrafft, geht es auch mit anderen Insekten bergab; ganze Lebensgemeinschaften aus Pflanzen und Tieren sind damit im Begriff, sich unwiderruflich aufzulösen. Und andersherum: Wer Schmetterlinge schĂŒtzt, erhĂ€lt damit indirekt auch all die anderen Arten, die Ă€hnliche AnsprĂŒche an ihren Lebensraum stellen.
Besonders gefĂ€hrdet sind jene Tagfalter, die sich auf Moore und Marschlandschaften, Trockenrasen oder WaldrĂ€nder spezialisiert haben - ihre Habitate existieren kaum mehr: Feuchtgebiete wurden trockengelegt, Knicks und GebĂŒsche aus der Agrarlandschaft verbannt, WĂ€lder und Wiesen wichen Monokulturen, Wacholder- und Zwergstrauchheiden verbuschen, weil sich die Beweidung nicht mehr lohnt.
Traurige VolkszĂ€hlung: Tagfalter in DĂŒsseldorf
Jede LĂŒcke auf der Tafel, die das Aussterben der Schmetterlinge etwa in DĂŒsseldorf dokumentiert (siehe Grafik), symbolisiert einen fĂŒr die jeweilige Art letztlich tödlichen Eingriff des Menschen. So fehlen dort die weiĂgebĂ€nderten Eisvögel ebenso wie die gesamte Reihe der gepardenartig getupften Perlmutterfalter, deren Raupen sich auf Veilchen spezialisiert haben. "Sie brauchen naturgemÀà gestufte, artenreiche WaldrĂ€nder", sagt Feldmann. Solche Habitate fehlen nicht nur in den StĂ€dten. "Fast ĂŒberall gehen Felder oder Wiesen abrupt ĂŒber in eine Wand aus hohen Fichten oder Buchen."
Auch töten die Insektizide der Landwirte die Falter, Unkrautvernichtungsmittel rauben den Raupen ihre Futterpflanzen und den Schmetterlingen die Nektarquellen. Zudem verĂ€ndern DĂŒnger nachhaltig die Flora, und Abgase aus Industrie und dem stetig zunehmenden StraĂenverkehr erhöhen ĂŒberall den Stickstoffeintrag aus der Luft. "Diese unfreiwillige ZusatzdĂŒngung entspricht einer Menge, wie sie frĂŒher als VolldĂŒngung fĂŒr Kartoffelkulturen ausgebracht wurde", rechnet Feldmann vor.
Es wuchern dann schnellwĂŒchsige, stickstoffliebende Pflanzen - die Brennnessel zum Beispiel. Von ihr ernĂ€hren sich zwar die Raupen des Kleinen Fuchses und des Tagpfauenauges. Aber die mageren, nĂ€hrstoffarmen Wiesen mit ihrer fĂŒr viele Schmetterlinge kostbaren Flora werden zum Ă€uĂerst raren Biotop. Mit ihnen schwindet zum Beispiel der auffĂ€llige Schachbrettfalter.
Generell gilt: Verlierer sind die Spezialisten unter den Tagfaltern, solche, deren Raupen nur auf eine einzige Pflanzenart als Futterquelle angewiesen sind. So wie zwei Spezies der AmeisenblĂ€ulinge, die ohne den GroĂen Wiesenknopf nicht ĂŒberleben, ein GewĂ€chs mit blutroten Köpfchen. MĂ€ht der Bauer zu frĂŒh, vernichtet er mit den BlĂŒten auch den BlĂ€uling.
Doch der hat eine noch prekĂ€rere Biologie: Die Raupen lassen sich irgendwann von der Wiesenblume zu Boden plumpsen und sondern ein Sekret ab. Das sĂŒĂe Zeug schmeckt einer ganz bestimmten Ameisenart so lecker, dass deren Mitglieder die
Stimmt eine der Voraussetzungen nicht mehr, verschwindet etwa die Ameise, weil ihr das Mikroklima am Boden nicht mehr passt, ist es auch um den AmeisenblÀuling geschehen.
Bis 2010 will die EuropĂ€ische Union den Artenschwund gestoppt haben. Doch wer will das kontrollieren, wenn, wie bisher in Deutschland, die Daten fehlen? GroĂbritannien zĂ€hlt seine BuntflĂŒgler schon seit 30 Jahren, die Niederlande sind seit 16 Jahren dabei. Weshalb wurden die deutschen Institutionen nicht sofort aktiv, als die erschreckenden Befunde aus GroĂbritannien vorlagen? "Uns fehlte einfach die Manpower", meint Reinart Feldmann.
Nun aber hoffen die UFZ-Mitarbeiter, bald jene tausend freiwilligen ZĂ€hler fĂŒr die Tagfalter-Inventur begeistern zu können, die nötig wĂ€ren fĂŒr eine solide Datenbasis. So viele Beobachter machten in England schon vor 30 Jahren mit beim Monitoring.
Im Gegensatz zu Deutschland, wo immerhin 185 Tagfalterarten heimisch sind, haben die Briten knapp 60 - aber eine weitaus gröĂere Schmetterlingslobby. Die Schmetterlingsschutzorganisation "Butterfly Conservation" ist mit rund 12.000 Mitgliedern die gröĂte ihrer Art in Europa und hat mit Sir David Attenborough, einem britischen Dokumentarfilmer, einen PrĂ€sidenten mit hohem Bekanntheitsgrad und viel Einfluss.
"Bei uns gibt es einen Ă€hnlich massiven RĂŒckgang wie in GroĂbritannien", vermutet Settele, "aber die Briten hatten im Gegensatz zu uns immer schon ein ausgeprĂ€gtes Faible fĂŒr die Naturbeobachtung."
Die Butterfly Conservation, die eng mit der Behörde fĂŒr Artenvielfalt zusammenarbeitet, beteiligt sich sogar an der Verleihung eines Preises, des "Marsh Lepidoptera Conservation Award". Der PreistrĂ€ger des vergangenen Jahres war - das Verteidigungsministerium in London. Die StreitkrĂ€fte hatten Teile von TruppenĂŒbungsplĂ€tzen fĂŒr Panzer und Soldaten gesperrt, mit KrĂ€utern und GrĂ€sern bepflanzt und somit als Schutzgebiet fĂŒr Schmetterlinge eingerichtet. In Deutschland undenkbar?
Immerhin könne jeder im Kleinen etwas fĂŒr die Vielfalt der Tagfalter tun, sagt Biologe Feldmann: "Weg mit dem englischen Rasen im Garten, eine bunte Blumenwiese als Nektarquelle wachsen lassen, nicht dĂŒngen, nicht spritzen und statt Thuja-Hecken oder Ă€hnlichen Exoten am besten heimische Pflanzen setzen."