Wirkung von Riesen-Centipeden auf Myrmicinen

Allgemeine Fragen und Themen über europäische Ameisenarten (hier keine Berichte)
Neues Thema Antworten
Benutzeravatar
Joachim

User des Monats Juli 2023
Experte der Haltung
Offline
Beiträge: 3150
Registriert: 17. November 2001, 13:07
Auszeichnung: 1
Hat sich bedankt: 313 Mal
Danksagung erhalten: 593 Mal

#1 Wirkung von Riesen-Centipeden auf Myrmicinen

Beitrag von Joachim » 14. Juli 2009, 03:12

Sers Leutz!

Nach einer neuen Beobachtung fange ich langsam an, mich ernsthaft für die Wirkung von Centipeden (speziell der europäische Riesenläufer Scolopendra cingulata) auf Myrmicinen zu interessieren.

Schon bei Besuchen in Südeuropa war es erstaunlich zu sehen, dass es scheinbar normal ist, dass sich S. cingulata über längeren Zeitraum in den Nestern von Ameisen aufhält. In fast allen Fällen fand ich ihn bei Pheidole pallidula (nur zweimal bei Messor), teilweise sogar mit mehreren dutzend Jungen, die der Skolopender kugelförmig umschlungen hielt. Die Ausmaße des Nestausbaus um das Tier, was sich meistens ohne sichtbaren Ausweg mitten im Zentrum der Kolonie befindet, lassen darauf schließen, dass es selbst über Tage oder Wochen Zeit im Volk verbringen kann, ohne Zeichen einer Aggression.

Zuerst habe ich vermutet, dass der Panzer eventuell zu dick für die kleinen Ameisen ist, doch besonders bei größeren Tieren sind über den ganzen Körper weichhäutige Flächen offenbart, die für einen Soldaten von Pheidole pallidula kein Hinternis darstellen sollten.

Nun habe ich einen S.cingulata seit einiger Zeit im Gemeinschaftsbecken, und dieser lebt seit über zwei Wochen im Nest der sonst sehr aggressiven Myrmica unter einem Moospolster. Weder die Myrmica noch der Skolopender zeigen irgendeine Art von Aggression gegenüber dem anderen, und statt sich an der Brut zu vergreifen, unternimmt der Hundertfüßer regelmäßig nächtliche Raubzüge gegen kleine Gliederfüßer im Becken.

Heute ist er nun aus dem Nest heraus, und hat sich im leeren Ytong Nest an der Scheibe niedergelassen. Was mich verdutzt hat war, dass sich schon nach weniger als einer Stunde mehrere Myrmica Arbeiter um das gewaltige Tier scharten. Inzwischen sieht die Situation so aus, dass ein ganzer Bautrupp der Ameisen die Erde im Ytong Nest formt und beginnt, um den Skolopender Kammern zu bauen. Einige Puppen wurden bereits dorthin verfrachtet.

Dass der Skolopender eventuell geruchliche Neutralität besitzt oder einen zu harten Panzer, und so von den Ameisen im Nest geduldet wird, mag eine evolutionäre Anpassung sein, die das Tier in Ruhephasen vor Angriffen schützt. Das kann jeder beobachten, der in Südeuropa mal ein paar Steine wälzt. Allerdings ist mir neu, dass der Hundertfüßer eine offensichtliche Anziehung auf die Ameisen besitzt, die diese dazu veranlasst, tatsächlich ein Nest um dieses Tier zu bauen. Ich spekuliere ins Blaue, dass der Skolopender nach so langem Aufenthalt im Zentrum des Myrmica Nestes womöglich den Nestgeruch temporär übernommen hat, aber das ist nur eine haltlose Vermutung.

Hat jemand ähnliche Beobachtungen gemacht, oder kann vielleicht fachlich etwas dazu beitragen? Das hat mich doch sehr neugierig gemacht!


vG Joschi

chrizzy
Halter
Offline
Beiträge: 1537
Registriert: 29. Mai 2006, 19:42
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 5 Mal

#2 AW: Wirkung von Riesen-Centipeden auf Myrmicinen

Beitrag von chrizzy » 14. Juli 2009, 11:33

Hallo,

eine sehr interessante Beobachtung!

Ich spekuliere ins Blaue, dass der Skolopender nach so langem Aufenthalt im Zentrum des Myrmica Nestes womöglich den Nestgeruch temporär übernommen hat, aber das ist nur eine haltlose Vermutung.

Was dann aber dennoch die "Anziehungskraft" nicht erklären würde - denn wenn irgendeine andere Myrmica-Arbeiterin in der Arena sitzt, wird nicht gleich das halbe Nest dorthin verlegt^^
Er müsste also - zusätzlich oder als alleiniges Hilfsmittel - einen Duft od. eine Eigenschaft haben, der ihn besonders attraktiv für die Ameisen macht...

lg, chrizzy



Benutzeravatar
eastgate
Halter
Offline
Beiträge: 1513
Registriert: 31. August 2006, 08:17
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 0

#3 AW: Wirkung von Riesen-Centipeden auf Myrmicinen

Beitrag von eastgate » 14. Juli 2009, 13:35

Eine ganz ersteunliche Erfahrung, die du da gemacht hast.

Denke auch, dass der Skolopender irgendwas haben muss, wass die Ameisen besonders anzieht. Vielleicht eine Mimikry, sodass er den Königinnengeruch nachahmt? Wieso sollten sich sonst die Arbeiterinnen um ihm herum versammeln und anfangen ein Nest zu bauen? Wenn er nur den "normalen Nestgeruch" an sich hätte, würde er ja nicht so umgarnt werden.

Ich dachte auch, dass er irgendwie evtl. sowas wie Honigtau ausscheidet. Aber das würde das verhalten der Ameisen nicht erklären.

Gruß



Benutzeravatar
TRIA
Fortgeschrittener Halter
Offline
Beiträge: 1771
Registriert: 21. Juli 2004, 13:13
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 1 Mal

#4 AW: Wirkung von Riesen-Centipeden auf Myrmicinen

Beitrag von TRIA » 14. Juli 2009, 13:35

Klingt für mich eher wie eine Art Symbiose. Vieleicht ist es so das sie sich gegenseitig Schutz geben. Skolopender jagen ja sogar kleine Wirbeltiere in freiheit, wäre also ein Schutz für sie.


Eines Tages wird sich die Sonne zum roten Riesen aufblähen, die Erde verschlingen und das Universum wird über uns herzlich lachen.

Benutzeravatar
Joachim

User des Monats Juli 2023
Experte der Haltung
Offline
Beiträge: 3150
Registriert: 17. November 2001, 13:07
Auszeichnung: 1
Hat sich bedankt: 313 Mal
Danksagung erhalten: 593 Mal

#5 AW: Wirkung von Riesen-Centipeden auf Myrmicinen

Beitrag von Joachim » 14. Juli 2009, 14:05

Danke für eure Gedanken! Was die Ideen eines speziellen Duftes oder gar einer Symbiose in meinen Augen schwierig macht ist der Fakt, dass diese Myrmica Art nicht natürlicherweise im selben Habitat wie Scolopendra cingulata vorkommt. Es ist eine deutsche Ameise und ein südeuropäischer Skolopender.

Eine Symbiose entwickelt sich über lange Zeit, auch ein spezieller Duft müsste sich an bestimmte Arten oder Artengruppen richten, und bräuchte eine ganze Weile an evolutionärer Anpassung, wenn man sich vor Augen hält, wie komplex besonders bei Myrmicinen die Verwendung von Duftstoffen ist. Es fällt ja schon auf, dass sich das Tier sowohl im natürlichen Lebensraum (Südeuropa, dort vor allem Pheidole) als auch im künstlichen (Becken, hier eine deutsche Myrmica) am liebsten Ameisen der Unterfamilie Myrmicinae rauspicken, welche größtenteils olfaktorisch und eher weniger optisch geprägt sind.

Dass der Riesenläufer trotzdem auch bei habitatsfremden Myrmicinen so problemlos aufgenommen wird, zeigt meiner Meinung nach in Richtung einer Anpassung, welche allein auf Seiten des Skolopenders liegt. In Deutschland gibt es meines Wissens nach keine Art von Hundertfüßer, welche auf reglulärer Basis in solcher Weise als Gäste in den Nestern dieser Ameisen wohnen. Es hätte keine Gelegenheit für Myrmica gegeben, sich an solche Gegebenheiten evolutionär einzustellen.

Allerdings mag ich den Gedanken, dass die Ameisen von der großen Beute des Skolopenders eventuell etwas abbekommen. Zumindest mein "Goliath" frisst zwar meistens außerhalb des Nestes, bei ungewöhnlich großer Beute wie einem Regenwurm geht es dann aber doch sofort unter das Moospolster. Die anschließende satte Ruhephase verbringt das Tier dann entspannt mitten im Ameisennest. Könnte tatsächlich so etwas wie eine sich gerade herausbildende Symbiose sein, was aber aus meiner Sicht aufgrund der obigen Gründe schwierig zu erklären ist.


vG Joschi

Neues Thema Antworten

Zurück zu „Europäische Ameisenarten & Allgemeines“