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Ausflug in die Anatomie der Ameisen - Fotobericht

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Boro
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#1 Ausflug in die Anatomie der Ameisen - Fotobericht

Beitrag von Boro » 11. November 2010, 15:19

Anatomie einer Königin
Ich denke, es kann nicht schaden, sich zwischendurch einmal wieder mit dem Körperbau von Ameisen zu beschäftigen. Ich wähle dazu meine Lieblingsart, die seltene u. vom Aussterben bedrohte Amazonenameise (Polyergus rufescens) aus und will versuchen, euch den Körperbau einer Gyne und einer Intermorphe näher zu bringen.
Bei Polyergus rufescens gibt es prinzipiell
1. das geflügelte Vollweibchen und in etlichen Nestern auch eine Zwischenform zwischen Königin und Arbeiterin,
2. die Intermorphe od. Ergatogyne. Letztere besitzt einen Thorax, der jenem der Arbeiterin ähnlich ist und keinen Platz für die Flugmuskulatur aufweist. Diese Morphen sind also immer flügellos. Vom Geschlechtsapparat her gesehen, müssten sie auch begattet werden und schließlich befruchtete Eier legen können, weil auch ein entsprechenes Receptaculum seminis (Samentasche) vorhanden ist.
Tatsächlich ist die Funktion dieser Morphe bis heute nicht geklärt. Zuletzt wurde die These aufgestellt, es handle sich nur um vergängliche Zwischenformen, die unbefruchtete Eier als Nahrungsreserve legen würden.

1. Ein Vollweibchen in lateraler (seitlicher) Ansicht:Hier sehen wir einen voll entwickelten Thorax. Das auffallend stark entwickelte Propodeum gehört mit dem ungewöhnlich dicken, fleischigen Petiolus bereits zum "Hinterleib" (Abdomen). Ob der mächtige Petiolus eine besondere Funktion hat, ist nicht geklärt. Bemerkenswert ist auch die auffallend schmächtige Gaster, oft ein Merkmal sozialparasitischer Arten.
Bild

2. Eine typische Ergatogyne: Diese grellrote Farbe besitzen diese Morphen gleich nach der Aushärtung des Chitinpanzers. Die Vollweibchen (und auch physogastrische Arbeiterinnen in weisellosen Nestern!) nehmen eine sehr ähnliche Färbung im Zuge der Aktivierung der Eierstöcke an. Warum es diese bei Ameisen sicher sehr seltene Farbänderung gibt, ist bisher nicht untersucht worden.
Sofort erkennt man, dass der Thorax anders gebaut ist: Einem breiten und weit nach hinten reichenden Pronotum schließt sich ein kleines Mesonotum an. Dort wo man bei einer Gyne Scutellum und Metanotum erwarten würde, ist in der starken Einbuchtung nur ein kleines Metanotum zu sehen, das rudimentäre Scutellum ist nicht sichtbar. Das Propodeum tritt durch diese starke Einschnürung als ein mächtiger, beinahe isolierter Klotz in Erscheinung. Der dicke Petiolus ist hier ebenfalls gut erkennbar.
Bild

Als Vergleich zum Vollweibchen will ich hier noch die Gyne einer recht bekannten Art vorstellen: Serviformica rufibarbis, übrigens trotz aller sichtbaren Unterschiede in der Morphologie zu Bild 1 doch eine nahe verwandte Art (!). Eine wichtige Wirtsameise für Polyergus r. Neben den völlig verschieden gebauten Mandibeln fällt sofort auch die viel größere Gaster auf, ein typisches Merkmal einer selbständig gründenden Art. Das Größenverhältnis von Pronotum (schmaler als bei P. rufescens) und Mesonotum scheint hier besser "ausgewogen" zu sein. Scutellum und Metanotum sind den entsprechenden Bereichen von Polyergus ähnlich. Deutlich tiefer angesetzt, kleiner und besser an den Thorax "angeschweißt" sehen wir das Propodeum. Der Petiolus ist hier völlig anders aufgebaut und entspricht jenem der Formica-Verwandtschaft.
Bild

Abschließend wäre noch zu bemerken, dass die 2 Vollweibchen (1+3) unmittelbar nach dem Schwärmen vor einer Nestgründung kurz in die Box ausgeliehen wurden. Die Ergatogyne wurde auf einem Polyergus-Nest eingesammelt.
L.G.Boro



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Clypeus
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#2 AW: Ausflug in die Anatomie der Ameisen

Beitrag von Clypeus » 11. November 2010, 18:28

Anschaulich dargestellt, ohne allzuviel fachzusimpeln, gefällt mir :)



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Boro
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#3 AW: Ausflug in die Anatomie der Ameisen

Beitrag von Boro » 11. November 2010, 18:36

Hier gibts noch die entsprechenden Fotos mit Blick von oben: Wenn man die bereits beschriebenen Einzelheiten den Fotos zuordnet, sind diese gut zu erkennen:
1. Gyne von P. rufescens nach dem Schwärmen:
Bild

2. Ergatogyne:
Bild

3. Serviformica rufibarbis-Gyne:
Bild



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Hoffer
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#4 AW: Ausflug in die Anatomie der Ameisen

Beitrag von Hoffer » 12. November 2010, 09:57

Hallo Boro!
Ein dickes DANKE für die Bilder und Erläuterungen!


"Denen, die der Ruhe pflegen, kommen manche ungelegen." - Wilhelm Busch

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Boro
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#5 AW: Ausflug in die Anatomie der Ameisen - Fotobericht

Beitrag von Boro » 15. Dezember 2011, 19:07

Nahe verwandt und doch so verschieden!

Beim Sichten verschiedener Bilder ist mir aufgefallen, dass ich noch ganz brauchbare Frontalansichten von Polyergus rufescens und Formica (Serviformica) rufibarbis (als Beispiel) besitze, die man gut vergleichen kann.
Die beiden Arten sind nahe verwandt, worauf ich schon weiter oben hingewiesen habe. Das gilt natürlich auch zw. Polyergus und den übrigen Hilfsameisen (Serviformica spp.). Sonst würde die sozialparasitische Nestgründung, die Kommunikation, die Versorgung der Brut usw. nicht funktionieren.
1. Frontalansicht v. P. rufescens (Gynomorphe, "normale Jungkönigin").
Bild

Kopfform: Der Hinterrand ist bei beiden Arten fast gerade, schwach konvex gerundet, die Occipitalecken (Hinterhauptsecken) sind breit gerundet. Die Seitenlinien des Kopfes sind bei Polyergus kaum, bei Formica deutlich nach unten konvergierend. Der breitere Ansatz der Mandibeln bei Polyergus dürfte mit dem Platzbedarf für eine verstärkte Kaumuskulatur zusammenhängen.
Der Clypeus erscheint bei Polyergus im Vergleich deutlich verkürzt und am Vorderrand fast waagrecht "abgeschnitten". Abgesehen davon ist dieser deutlich sichtbar mit langen Borsten besetzt.
Augen, Nebenaugen: Auch wenn der Abbildungsmaßstab nicht unbedingt der selbe ist, erkennt man, dass Formica die größeren Augen besitzt. Alle Formica spp. u. Serviformica spp. sind für ihren guten Sehsinn bekannt. Die Distanz der Ozellen zueinander scheint bei Polyergus etwas kürzer zu sein.
Stirnrinne, Stirnleiste (Stirnrinne in der Kopfmitte, Stirnleiste jeweils seitlich davon über dem Antennenansatz): Soweit erkennbar, sind diese "Furchen" bei Serviformica deutlicher ausgeprägt, die Stirnleisten sind bei Polyergus kaum zu erkennen.
Mandibeln: Diese sind völlig unterschiedlich gebaut. Während Formica über die üblichen zangenartigen Mandibeln verfügt, die mit einer Reihe von Zähnen bewehrt sind, erscheinen die Mandibeln bei Polyergus entsprechend ihrer Lebensweise funktionell anders gestaltet: Es sind säbelförmige, auf der Innenseite von winzigen Zähnchen besetzte Kampfwerkzeuge; damit können die Tiere weder ein Nahrung zerteilen, noch fressen. Die Wirkung dieser Tötungswerkzeuge entspricht etwa einer (spitzen u. gekrümmten) Metallsäge. Der Preis für diese Anpassung ist die Unfähigkeit sich selbst zu ernähren.
2. Ansicht einer Formica rufibarbis-Gyne v. vorne/schräg oben.
Bild



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Boro
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#6 AW: Ausflug in die Anatomie der Ameisen - Fotobericht

Beitrag von Boro » 22. April 2012, 16:52

Betrachtung der Anatomie eines Ameisenkopfes in Frontalansicht an Hand des Fotos von einem lebenden Objekt. Es handelt sich um eine Formica cf. rufa -Arbeiterin.
Bild

Dazu einige Bemerkungen:
Der Hinterhauptrand bei Formica s. str. verläuft in frontaler Sicht weitgehend gerade bzw. leicht konvex. Bei der Untergattung Raptiformica ist vor allem bei großen Exemplaren der Hinterhauptrand leicht eingebuchtet, siehe hier: http://picmirror.de/bild.php/12679_raptifvorne-7.png.
Stark eingebuchtet ist dieser bei der Untergattung Coptoformica, wobei die Occipitalecken deutlich hervorstehen (http://www.ameisenforum.de/fotoberichte/44160-coptoformica-gesucht-und-gefunden.html).
Bei der Gattung Formica besitzen auch die Arbeiterinnen 3 Ocellen.
Der Clypeusvorderrand ist nur bei F. (Raptiformica) sanguinea in der Mitte eingebuchtet (Gyne:http://secretpicdump.com/de/view/10848_063e3_dsc01945.jpg/).
Das Stirndreieck ist bei Formica s. str. glänzend (im Gegensatz zur Untergattung Serviformica).
L.G.Boro



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