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Frühlingserwachen, oder "Die Weite": Ein Spaziergang

Berichte, Erfahrungen, Beobachtungen aus der Natur
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Ossein
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#1 Frühlingserwachen, oder "Die Weite": Ein Spaziergang

Beitrag von Ossein » 25. März 2012, 12:06

Liebe Leute, hier ein paar meiner gestrigen Frühlingsimpressionen. Wer meine Fähigkeit zur Bestimmung von Ameisen in etwa kennt, weiss dass es sich bei Benennung und Einordnung nur um rein zufällige Ähnlichkeiten handelt und sollte irgendwer etwas zur Klärung der Sachlage beitragen können, so bitte, bitte, gerne! :fettgrins:
Ich lerne.



Frühlingserwachen, oder

Die Weite


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Hier sieht man einen Blick von unserem Fenster auf den intrafamiliär Ngorongoro genannten Hügel. Wegen dem häufigen morgendlichen Nebel.
Dieser ist von einem Laubmischwald bewachsen, in der Mehrzahl findet man Eichen, Buchen, Ahorne und Birken.
Wenn wir diese Runde zu einem Aussichtspunkt auf dem Hügel gehen, dann können wir, sagt meine Tochter, "fast die ganze Welt sehen"!
In der Tat sehen wir da eher das früher industriell geprägte untere Gerresheim im Umbruch, eine abgerissene Glashütte und bis hin zum Rheinturm (Fenrsehturm Düsseldorf) und der Fleher Brücke. Davon vielleicht Bilder beim nächsten Mal...
Mich interessierte natürlich das Ergehen der vielen kleinen Völker, die ich regelmäßig besuche. Was zu einer gänzlich anderen Perspektive führt.

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Es ist schon oft geschrieben worden, wie ungeheuerlich groß die Welt der Insekten, im Vergleich zu der des Menschen, ist.
Und man denkt dann gleich an die Kleinheit der Insekten und vergisst die beinahe unvorstellbare Weite, und buchstäbliche Vielfältigkeit, ihrer Welt.
Alleine die im Laub aktiv nutzbaren Flächen sind ungeheuer - ich möchte einen Menschen sehen, der da die Orientierung behielte, selbst mit Micro-Navi dürfte das schwer werden.

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Andere wachen gerade auf und sind ganz und gar erschöpft.
Diese Königin der Dunklen Erdhummel* (Bombus terrestris) hat sich soeben aus ihrem Winterruhen-Loch befreit - davon gehe ich einfach mal aus, denn sie wirkte auf mich so erschöpft und letharg.
Dabei scheint sie mir etwas im Verzug zu sein, andere dürften schon an ihren ersten Kammern bauen... und vielleicht hatte sie sich aber auch genau dabei verausgabt, ich weiß es nicht.

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Und dann, oben auf dem Hügel, unweit des Ausblickspunkts, ein älterer Stamm; Überbleibsel eines vor ein paar Jahren von Menschenhand gefällten Baums.
Offensichtlich aber genau das richtige für Carla, die Ameise (wenngleich Karl, der Käfer, natürlich nicht gefragt wurde).

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Carla scheint mir eine aufgeweckte Lasius (Dendrolasius) cf. fuliginosus zu sein, und sie hat eine Freundin.
Wenn denn die geschätzte Bestimmung hier meine Vermutungen bestätigt, dann habe ich ja mal was vor mir - im letzten Jahr habe ich eine solche Kolonie zur Beobachtung gesucht...

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Und drei Arbeiterinnen deuten eine Ameisenstraße an...

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Unweit davon, unterm Moos, fand ich diese, von mir für Lasius (Cautolasius) cf. flavus
gehaltene, Kolonie.
Diese habe ich schon etwas länger im Auge und ich freue mich, dass sie sich bester Gesundheit zu erfreuen scheint.
Dieses Jahr werden wohl ein paar Arbeiterinnen für Bestimmungszwecke herhalten müssen. Aber das hat noch was Zeit... Das Jahr ist ja noch jung.

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Und dann entdeckte ich auch, nach vielem Suchen, die ersten Temnothorax cf. nylanderi**.
Auch hier ist mir die unvorstellbare Weite wieder bewusst geworden, die diese Tiere in einer von uns als klein wahrgenommenen Welt bewohnen.
Würde man alle die begehbaren Flächen zusammenrechnen, wieviele Menschenerden groß wäre die Welt einer Temnothorax Arbeiterin?

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Und doch finden sie ihr Ziel mit schlafwandlerischer Sicherheit.
Ein kleines Astloch,

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indem sich zu meiner Ãœberraschung, und erst nachher am PC wahrgenommen, wohl eine Gyne befindet.
Platz ist bekanntlich in der kleinsten Hütte, und die Temnothorax nehmen dieses Motto sehr ernst.

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Hier tippe ich mal auf Lasius cf. brunneus (die vierte Lasius sp. des Tages, Lasius niger blieb dieses Mal unfotografiert), mit einem Empfinden für Ästhetik.

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Offensichtlich legt Lasius brunneus Wert auf gemütliche Nachbarn...
Und die Welt ist schon vieviele 100 Millionen Jahre den Asseln und Hundertfüßern ein Zuhause?

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Natürlich bereiten sich auch schon die "Erzfeinde" auf die Saison vor. Und zwar in Myriaden!
Selten ist mir eine solche frühe Marienkäferschwemme vorgekommen, wie dieses Jahr.
Sie probeschnuckeln schon miteinander:

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Das Weltall ist groß, das Universum ist riesig, aber die kleine Welt zu unseren Füßen kommt meiner Vorstellung von Unendlichkeit schon recht nah:

"Auf dem Boden liegend kann ich fast die ganze Welt sehen!"


LG, Ossein.

*Könnte sich auch um eine Hellgelbe Erdhummel (Bombus lucorum) handeln, sie ist laut Wikipedia kaum von der Dunklen zu unterscheiden.
** Auch bebildert hier und hier. Danke für die erlösende Spezifizierung, Merkur. Aber da traue ich mich nicht. ;)

EDIT: Vielen Dank an Boro für die Kontrolle! I.d.T. ist es wahrscheinlich Lasius brunneus, es wird aber anhand noch zu machender Bilder versucht einer Bestimmung näher zu kommen.
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Moriquendi
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#2 AW: Frühlingserwachen, oder "Die Weite": Ein Spaziergang

Beitrag von Moriquendi » 25. März 2012, 19:39

Einen solchen Spaziergang, Ossein, müsste ich auch drigend machen. Habe es trotz des guten Wetters noch nicht geschafft. Bisher bin ich nur meinen Garten abgegangen und habe mir die dortigen Lasius spp. angeschaut.

Dennoch schöne Bilder von langsamen Durchstarten der einheimischen Flora und Fauna nach dem Winter :).

lg Mori


per aspera ad astra

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Boro
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#3 AW: Frühlingserwachen, oder "Die Weite": Ein Spaziergang

Beitrag von Boro » 25. März 2012, 19:51

Sehr schöner Bericht vom Erwachen der Natur und sehr gute Bilder! Wegen der angeführten L. emarginatus müssen wir noch diskutieren, ich habe mit dem Autor schon Kontakt aufgenommen!
L.G.Boro



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#4 AW: Frühlingserwachen, oder "Die Weite": Ein Spaziergang

Beitrag von Gast » 25. März 2012, 21:23

Vielen Dank, Ossein, für diesen schönen Bericht aus der Ameisen-Perspektive! Die Temnothorax dürfte eine T. nylanderi sein.

Ich schreibe nicht nur deshalb, denn wir haben heute auch eine sogar recht ausgedehnte Wanderung gemacht, im zauberhaften Taubertal. Bei derartigem Wetter hält es uns nicht mal im heimischen Garten!

Zur Belohnung gab es jede Menge Küchenschellen, die mit ihrem klerikalen Violett aus dem dürren Herbstgras leuchteten, zahlreiche Seidelbastpflanzen, die aber bereits am Abblühen waren, erste Buschwindröschen und ein paar Primeln.

Lasius fuliginosus lief an einigen Bäumen hoch; unter einem Stein war eine wimmelnde Masse Camponotus ligniperdus, und ein paar Lasius sp. (alienus?) krabbelten umher. Zitronenfalte flogen in ungewöhnlichen Mengen.

Die eigentliche Überraschung für mich kam zur Brotzeit: Wir hatten uns im Schatten einiger kleiner Kiefern auf einem Trockenrasen niedergelassen, als mir plötzlich auffiel, dass direkt vor mir ein arg zerrupftes Wacholder-Stämmchen stand. Die Borke war zerschlissen und in rötlich-gelbe Fasern aufgelöst, von denen ein ganzes "Nest" das Stämmchen am Boden umgab. Klar: Hier hatte ein Rehbock sich den Bast vom Geweih gefegt, nicht weiter ungewöhnlich und oft gesehen.

Aber dann kam mir ein Gedanke: Der "Tatort" war so frisch; ob man wohl von der abgeschabten, behaarten Haut des Geweihs etwas finden könnte? - Tatsächlich: Zwischen den Pflanzenfasern lagen zwei bräunliche Gebilde, kaum so groß wie ein Fingernagel, aber zart und dicht behaart!

Die Kamera hatte ich die ganze Zeit im Rucksack mitgeschleppt, aber ich war so perplex davon, dass man so etwas wirklich finden und sehen konnte, dass ich gar nicht ans Fotografieren dachte! - Es wäre so ein schönes Rätselfoto geworden :furchtbartraurig:

Ich habe überhaupt nichts fotografiert, denn gerade von den Küchenschellen habe ich derart viele Bilder, dass meine Frau mir schon immer vorzählt: Bild # 1.270, 1271..., wenn ich mich nur an einer der Pflanzen niederkniee :)

Ich hänge trotzdem mal eines an, das ich vor ein paar Tagen in meinem Garten aufnahm. Da blühen die Küchenschellen alljährlich seit über 20 Jahren. Sagt sie nicht "hallo!" ?
Und fast jedes Jahr ist es das Signal für uns, Nach Mainfranken zu fahren um die Pracht in der Natur sehen zu können.

Ja, was für ein schöner Sonntag!

MfG,
Merkur
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fehlfarbe
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#5 AW: Frühlingserwachen, oder "Die Weite": Ein Spaziergang

Beitrag von fehlfarbe » 25. März 2012, 22:13

Sehr schöner Bericht, Ossein!

Besonders der Blick durch den Mikrokosmos Laub fasziniert mich :)



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Octicto
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#6 AW: Frühlingserwachen, oder "Die Weite": Ein Spaziergang

Beitrag von Octicto » 25. März 2012, 22:23

Ich weiß nicht, was es ist, aber besonders das letzte Bild hat etwas unbeschreibliches. Es ist vermutlich die Tatsache, dass es nicht ein anderer Blickwinkel in die Welt ist, sondern eher ein Blickwinkel aus einer anderen Welt.

Vielen Dank für diese Dokumentation!



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Ina H.
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#7 AW: Frühlingserwachen, oder "Die Weite": Ein Spaziergang

Beitrag von Ina H. » 26. März 2012, 09:14

Hallo ;)
Ossein, es ist echt unglaublich, wie du mit Worten umgehen kannst!

Da mein Internet wahrscheinlich genauso schlapp ist wie ich im Moment konnte ich mir die Bilder leider nicht in groß anschauen. Aber nachdem ich gelesen hatte habe ich die Augen einen Moment geschlossen und ich konnte es mir richtig gut vorstellen.

Wie gerne wäre ich gestern bei dem herrlichen Wetter durch die Gegend spaziert, doch was mir blieb waren meine Lasisus niger, die kann ich nämlich vom Bett aus beobachten.

Danke für diesen Bericht und liebe, wenn auch etwas verschnupfte, Grüße.


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Ossein
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#8 AW: Frühlingserwachen, oder "Die Weite": Ein Spaziergang

Beitrag von Ossein » 26. März 2012, 18:05

Vielen Dank für die sehr netten Rückmeldungen!
Man sieht vielleicht, dass man auch mit bescheidenen Mitteln etwas vermitteln kann. ;)

Besonderen Dank auch noch an Boro und Merkur für die genauere Spezifizierung!

Diesen Rundgang hoffe ich dieses Jahr noch regelmäßiger zu machen, als im letzten Jahr, insbesondere die Lasius fuliginosis möchte ich näher kennenlernen.

Bis bald also,

LG, Ossein.



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