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Myrmecia pavida - Haltungserfahrungen

Berichte, Erfahrungen, Tipps, Beobachtungen Gattung Myrmecia
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Frank Mattheis
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#1 Myrmecia pavida - Haltungserfahrungen

Beitrag von Frank Mattheis » 5. August 2005, 16:24

Liebe Ameisenfreunde,

seit einiger Zeit befasse ich mich mit der Zucht der Myrmecia pavida. Anstoß meiner Bemühungen auf diesem Gebiet war das Erscheinen erster Jungköniginnen in meiner pavida-Kolonie Anfang diesen Jahres.

Ein befreundeter pavida-Halter erlitt zu dieser Zeit einen schmerzlichen Verlust, aus unklaren Gründen verstarb die Königin seiner Ameisenkolonie. Nach einigen Konkurenzstreitigkeiten in seiner nunmehr weisellosen Kolonie unter den "führungslosen" Arbeiterinnen begannen sich einzelne Individuen soweit durchzusetzen, dass sie begannen, die Rolle der verblichenen Königin einzunehmen und unbefruchtete Eier legten. Diese weisellose Kolonie war also genau das, was ich für mein Projekt der Zucht brauchte, sie konnte die aus damaliger Sicht hoffentlich benötigten Männchen produzieren. Rasch waren wir uns also einig, sahen die Chancen einer Zusammenarbeit und ich erhielt die weisellose Kolonie.
Natürlich hätte ich auch einen Teil der Arbeiterinnen meiner Kolonie zu diesem Zweck separieren können, um sie zur Männchenproduktion zu bewegen. Dies hätte aber den Nachteil gehabt, dass die sich später (vieleicht) verpaarenden Geschlechtstiere eng miteinander verwandt gewesen wären. Nun kommt Inzucht auch in freier Natur vor, ist aber bei den pavida wie bei vielen anderen Ameisenarten sicher selten und zufällig. Inzucht über viele Generationen kann die Tiere und ihre Reproduktionsfähigkeit sicher schädigen, Inzucht in einer Generation gewiss nicht. Trotzdem wollte ich Inzucht natürlich vermeiden und es bot sich ja hierzu auch die Chance.
Erste Jungköniginnen waren bereits seit langem geschlüpft, als die weisellose Kolonie zu mir kam. Sie enthielt erst Eier und früheste Larvenstadien. Bei der langandauernden Entwicklungsdauer der Brutstadien der Myrmecia würde noch einige Zeit vergehen, ich begann mir natürlich Sorgen zu machen, ob die Jungköniginnen diese Zeit, immerhin mindestens zwei Monate bis zum Hochzeitsakt wohl abwarten könnten. Glücklicherweise zeigten sie sich als sehr geduldige Jungköniginnen, es genügte, die Temperatur im Terrarium auf Raumtemperarur zu senken, um ihre neugierigen Ausflüge in die Nestumgebung weitgehend zu unterdrücken. Sie kehrten jedoch immer bereitwillig ins Mutternest zurück und wurden hier auch immer freundlich wiederaufgenommen. Manchmal entfernten sie sich nur wenige "Schritte" vom Nesteingang, um hier sportliche Übungen durchzuführen. Sie klammerten sich am Boden fest und unternahmen kurze Schwirrflüge auf der Stelle. Die geringste Störung liess sie sich hastig ins Nest zurückziehen und Arbeiterinnen schwärmten wütend aus, um ihre Schwestern zu schützen.

Mit den ersten warmen Junitagen waren die ersten zwei Männchen bereit, sie hatten ihr Mutternnest verlassen und schwärmten im Terrarium. Ich fing sie ein und setzte sie in ein vorbereitetes, beheizbares weiteres Becken. Nachdem ich sie am bereitgestellten Zucker naschen gesehen hatte, setzte ich zwei Jungköniginnen hinzu. Nun zeigte sich ein Problem, mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte, die Jungköniginnen atackierten die Männchen heftig und verfolgten sie sogar wütend, schon bald war eines der Männchen so schwer verletzt und hatte seine Fühler eingebüsst, dass es für eine erfolgreiche Kopulation kaum noch in Frage kam.

Natürlich ging mir nun einiges durch den Kopf. Waren die Jungköniginnen in der Zeit des Wartens zu funktionellen Arbeiterinnen mutiert? Immerhin hatten in dieser Zeit auch einige von ihnen bereits die Flügel abgeworfen. Ähnliches geschieht ja bei vielen Ameisenarten, ein Bsp. sind die unbegatteten Jungköniginnen bei den Myrmica, die dann ja auch risikovolle Arbeiterinnenaufgaben übernehmen. Diese Verhaltensweisen habe ich bei den Myrmecia jedoch nie beobachtet, nie beteiligten sie sich am Nahrungserwerb oder gar an der Jagd. Stets sah ich sie Arbeiterinnen um Fütterung anbetteln und sie im Nest ruhen. Sie blieben Jungköniginnen und wandten sich keinen anderen Aufgaben zu. Diese Möglichkeit, dem Leben einen neuen Sinn zu geben, wenn die vorbestimmte Aufgabe aus verschiedenen Gründen nicht umsetzbar ist, in diesem Fall ja die Begattung und die nachfolgende Koloniegründung, scheint den Myrmecia wie den meisten "hochentwickelten" Ameisenarten nicht gegeben zu sein.

Also war ich guter Dinge und hatte natürlich trotzdem die verschiedensten Möglichkeiten und Probleme befürchtet, nicht jedoch diese erstaunliche Agressivität der Jungköniginnen. Möglich wäre ja auch gewesen, dass die Tiere ausschliesslich im Flug kopulieren, sich an exponierten Hochpunkten in der Landschaft treffen, vor dem Akt grosse Flugstrecken zurücklegen und, und, und... All dies hätte die Zucht unmöglich machen können und war mir als Risiko bewusst, als ich begann, meine Zuchtbemühungen zu forcieren und meine Zeit fast ausschliesslich darauf verwendete. No risk, no fun, aber dieses Verhalten der Jungköniginnen war nicht voraussehbar und ich fürchtete um meine Arbeit. Ich begann sogar zu befürchten, dass ich es vieleicht mit zwei verschiedenen Arten zu tun hätte, die sich zwar ähnelten, aber einander feindlich gegenüberstünden und sich so natürlich nicht verpaaren liessen. Aber das war natürlich Unsinn angesichts des völlig gleichen Aussehens der Arbeiterinnen und der völlig gleichartigen Lebens- und Verhaltensweisen der Tiere beider Kolonien und immerhin hatte die weisellose Kolonie problemlos einige Jungköniginnen aufgezogen, die ich als Puppen der anderen Kolonie entnommen hatte.

Der erste Tag der Versuche, die Tiere zur Kopulation zu bringen, war verloren, ein wertvolles Männchen ebenfalls. Entnervt und desillusioniert hatte ich meine Beobachtungen abgebrochen und mich ziemlich frustriert dem Fernseher zugewandt... Als ich nach Stunden zufällig und ohne Hoffnung wieder vorbeischaute, sah ich jedoch das verbliebene Männchen auf einer der Jungköniginnen sitzen, kurz darauf kam es zur Verhängung der beiden und so zur geglückten Kopulation. Nach wenigen Minuten der Verhängung wurde die Königin wieder unwirsch und begann, dass Männchen unter den typischen merkwürdigsten Verrenkungen zu verbeissen. Nun erst liess der Heißsporn von ihr ab und ich war überglücklich.
Die Agressivität der Jungköniginnen war nach einiger Zeit gewichen, sie duldeten das Männchen nun, wenn auch nicht in ihrer unmittelbaren Nähe.
Diese nachlassende Agressivität schien der Schlüssel zu sein. Ich habe sie in verschiedenen Abstufungen wohl abhängig vom Temperament der jeweiligen beteiligten Jungköniginnen bei allen weiteren Versuchen beobachtet und sie scheint ein Teil des rabiaten Kopulationsverhaltens bei diesen wehrhaften Ameisen zu sein. Bei weiteren Versuchen gewöhnte ich die Tiere aneinander, ohne ihnen Zugang zu einander zu gewähren. So konnte ich die schwächeren Männchen in gewisser Weise wenigstens etwas schonen, weil die Wut der meisten Weibchen dann schon weitgehend verklungen war. Übrigens waren längst nicht alle Jungköniginnen in gleicher Weise agressiv, einige verhielten sich von Anfang an friedlich, einige waren überhaupt nicht zu bändigen. Die wenigen letzteren kamen leider nicht in Frage und ich musste sie nach einigen erfolglosen Versuchen in die Mutterkolonie zurücktun. Es wird nun interessant sein, ihren weiteren Werdegang zu verfolgen.
Ein weiterer Weg war, möglichst viele Männchen auf die Jungköniginnen anzusetzen, so verteilte sich deren Agression auf viele mögliche Partner.
Leider konnte die relativ kleine weisellose Kolonie nicht sehr viele Männchen in kurzer Zeit hervorbringen, dies verzögerte die Versuche und machte jeden vorzeitigen Verlust an jungen Männchen bei den Beissereien der Jungköniginnen besonders schmerzhaft.
An vielen Abenden und so manche Nacht saß ich angstvoll vor dem Becken, in dem ich die Geschlechtstiere zusammen gebracht hatte. Jeder Biss und jeder Verlust von Körperteilen, den die armen Männchen zu erleiden hatten, schmerzte mir mindestens ebenso wie ihnen. Die Ärmsten wollten ja nur ihre Lebensaufgabe erfüllen und dann glücklich sterben. Manche der Jungköniginnen musste, ich gebe es zu, ihre Unbelehrbarkeit mit dem Leben bezahlen, ich konnte es nicht mit ansehen und auch nicht dulden, dass manche in unbelehrbarer Wut gleich mehrere Männchen nacheinander malträtierten und dann auch noch die Verletzten und Verängstigten unbarmherzig verfolgten.
Diese Versuche mit den Myrmecia waren auch für mich völliges Neuland, Zuchtversuche mit anderen Ameisen wie Polyergus, Harpagoxenus, Leptothorax, Cataglyphis waren aus verschiedenen Gründen unproblematischer. Zum einen sind solche Arten leichter zu beschaffen, ihre Gewohnheiten im Freiland ohne allzu grosse Reisekosten zu beobachten und zum anderen gibt es wenigstens verschwommene Hinweise hier und da in der Fachliteratur. Nicht zuletzt habe ich bei keiner anderen Ameisenart ein derart agressives, anfänglich extrem abeweisendes Verhalten der noch unbegatteten Jungköniginnen den Männchen gegenüber beobachtet. In gewisser Weise waren diese Versuche mit den Myrmecia auch ein Wagnis, ich habe in den letzten Monaten viel Zeit investiert, um diese Ameise nachzuzüchten.

So gestatte ich mir noch einige Nachbemerkungen.
Es ging mir aber auch darum, zu zeigen, dass die Zucht dieser Tiere möglich ist. Sicher ist es gut, auch das Paarungsverhalten von Ameisen zu untersuchen, auch wenn daraus kein allzu grosser wirtschaftlicher Nutzen erwächst.
Ich hoffe sehr, dass es weitere Züchter auch anderer Arten geben wird!!! Ich bin da guter Dinge, ich kenne die Bemühungen einzelner.
Es ging mir aber auch darum, Beiträge zur Biologie dieser Ameisen im Rahmen meiner begrenzten Möglichkeiten zu erbringen und mich bei meinen Nachforschungen nicht nur mit den Gefahren zu beschäftigen, die solche Tiere angeblich für uns Menschen oder gar für die mitteleuropäische Fauna darstellen. Ich werde also nicht mit den Sargdeckel klappern, gar mich an der geschürten Hysterie beteiligen, die immer wieder gepredigt beschworen wird, um Menschen den Zugang zu diesen Tieren zu verwehren oder zu erschweren.
,Grüsse, Frank.



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#2 Koloniegründung der Myrmecia pavida

Beitrag von Frank Mattheis » 8. Dezember 2005, 14:35

Die Versuche zur Koloniegründung der Myrmecia pavida verlaufen bei den meisten Haltern nicht sehr zufriedenstellend. Einige schildern ja, dass entweder die frischgelegten Eier gefressen werden, dass die Junglarven gefressen werden, andere schildern, dass verpuppungsreife Larven nicht dazu kommen, die Verpuppung erfolgreich abzuschliessen. Nur zwei Halter haben sich bisher gemeldet und berichtet, dass junge Arbeiterinnen geschlüpft sind. Bei ihnen scheint die Phase der Koloniegründung normal zu verlaufen.
Bei einem Halter verstarb die Jungkönigin, ihm habe ich den Verlust durch eine andere ersetzt.
Was aber kann Ursache für die Stagnation bei den anderen Haltern sein?

Dass junge Larven sterben, liegt möglicherweise daran, dass sie die erste Häutung nicht überstehen. Eine Erklärung dafür habe ich nicht.
Wenn Eier gefressen werden und die Gelege schrumpfen, ist dass bei den Myrmecia normal, auch in meinen grossen Kolonien schwankten die Eizahlen im Gelege täglich. Warum tun die Ameisen dies, warum fressen sie entwicklungsfähige Eier? Man kann nur vermuten, dass die Ameisen vieleicht kranke oder verpilzte Eier vernichten, bevor diese den Bestand infizieren. Eine andere Ursache könnten die ständigen unterschwelligen Rangkämpfe unter den Arbeiterinnen sein, unter denen die Eier als empfindlichste Kolonieangehörige vieleicht am stärksten leiden. Diese Streitigkeiten beobachte ich bei meinen Myrmecia ständig, dabei äussern sie sich aber nur selten in handfesten körperlichen Auseinandersetzungen. Meist sind es nur Drohgebärden, einander zugewandt mit leicht geöffneten Kiefern "knurrt" man sich an, man schubst sich gegenseitig vom Gelege weg (hier scheint der begehrteste Platz in einer Myrmecia-Kolone zu sein), genügen solche diskreten Rempeleien nicht, wird die Unterlegene bestraft und weggezerrt. Unter solchen Eifersüchteleien leiden die Eier ganz sicher.
Warum gelingt es den Larven nicht, sich zu verpuppen, wie Udo berichtet? Er hat alles versucht, wir haben mehrmals miteinander telefoniert, er hat Temperaturen geändert, Feuchtigkeit, Nestbeschaffenheit insgesamt. Ich glaube nicht, dass die Ameisen durch Beobachtung u.ä. so sehr gestört werden, dass sie nervös die Larven bei der Verpuppung behindern. Auch die Bedingungen werden in etwa stimmen, täten sie es nicht, würden die Ameisen sicher das Nest verlassen. Man kann wohl davon ausgehen, dass die Ameisen "wissen", was ihnen und ihrer Brut zuträglich ist. Wären also die Nistbedingungen überhaupt nicht artgerecht, würden die Ameisen nach anderen Nistmöglichkeiten suchen. Auch hier kann man allenfalls Vermutungen anstellen.

Georg meinte, der Grund für die fehlerhafte Brutentwicklung könne damit zusammenhängen, dass die Jungköniginnen nicht begattet seien. Das kann ich nicht bestätigen, abgesehen davon, dass ich nur Weibchen abgegeben habe, bei denen ich sicher war, dass sie sich verpaart haben.
Nachdem die weisellose Kolonie im August nur noch aus sechs Arbeiterinnen bestand, produzierte sie keine Männchen mehr. Ich musste also die übriggebliebenen Jungköniginnen leider töten, sie hatten keine Perspektive mehr. Zwei von ihnen jedoch setzte ich mit einigen Jungarbeiterinnen zusammen, um sie weiter am Leben zu erhalten und sie zu versorgen. Diese Jungköniginnen legten Eier, die von den jungen Arbeiterinnen versorgt wurden. Die Jungköniginnen kümmerten sich nicht um die Brut, sie waren fast ständig im Terrarium unterwegs. Sie kehrten nachts ins Nest zurück, liessen sich füttern, legten dann und wann ein Ei. Diese Brut entwickelte sich normal, aus den unbefruchteten Eiern schlüpften Larven, die sich verpuppten und es schlüpften vor drei Wochen junge Männchen.

Es war von einen "Ok-Geruch" die Rede, gemeint war, dass Ameisen in noch schwachen Jungkolonien keine Geschlechtstiere aufziehen. Eine solche Vermutung mag bei "höherentwickelten" Ameisen mit ausgeprägten körperlichen Unterschieden zwischen Königin und Arbeiterin naheliegen. Bei den Myrmecia würde ich aber eher davon ausgehen, dass die Arbeiterinnen sehr wohl lieber ihre eigene unbefruchtete Brut aufziehen würden und gerade noch von der Königin unterdrückt werden können. Das Ranggefüge scheint bei diesen Arten sehr viel instabiler zu sein, ist die Königin nicht ausreichend in "Form" und kann infolge irgendeiner Schwäche die aufmüpfige Arbeiterinnenschaft nicht mehr dominieren, riskiert sie sogar, entfernt zu werden. Auch hat die o.g. kleine Kolonie, bestehend aus den zwei unbegatteten Weibchen und den fünf jungen Arbeiterinnen, einige Männchen aufgezogen.

Ich habe von den Schwierigkeiten berichtet, denen sich die Königin gegenübersah, die die Mutterkolonie gegründet hatte. Sie war ganz sicher nicht mehr ganz jung, hatte vor dem Einfang in Australien bereits begonnen, zu gründen. Als sie zu mir im Dezember 2002 kam, war sie etwa ein Jahr alt. Man muss davon ausgehen, dass sie im australischen Sommer geschwärmt hatte, eingefangen wurde sie meines Wissens im September diesen Jahres, also im austr. Frühjahr nach dem Winter. Gut möglich ist ja auch, dass die kühle Jahreszeit eine Rolle spielt. Wenn ich von den Erfahrungen in meiner Haltung ausgehe, muss ich annehmen, dass die Geschlechtstiere bei dieser Art im Frühsommer schlüpfen und im Sommer schwärmen. Der letzte austral. Sommer lag also zum Zeitpunkt des Fangs der Königin (Oktober) gut ein dreiviertel Jahr zurück.
Die Jungkönigin legte in der Haltung bei mir erstmal gar keine Eier, sie wartete den Schlupf der drei zugegebenen Puppen ab. Erst als diese Arbeiterinnen geschlüpft waren und das Nest bereits verliessen, begann die Königin mit der Eiablage und verliess nun selbst kaum noch das Nest.
In dieser Anfangsphase kam es zu weiteren Problemen, eine der Arbeiterinnen versuchte, die Königin zu verdrängen und zerrte sie mehrmals gewaltsam aus dem Nest. Diese Arbeiterin musste ich sicherheitshalber von der Kolonie trennen (einige Halter haben Ähnliches beobachtet.).

Wir wissen nicht genau, wie lang die Zeit ist, die Myrmecia-Königinnen für ihre Koloniegründung im Freiland brauchen. Immerhin kennen wir die Dauer der Brutentwicklung bei optimalen Temperaturen. Alle Erfahrungen einschliesslich meiner wurden bisher mit im Freiland gefangenen Tieren gemacht. Diese Tiere waren aber zum Zeitpunkt des Erhalts nicht mehr ganz jung. Es ist denkbar, dass Jungköniginnen nach der Begattung im Freiland nicht sofort mit der Koloniegründung und Eiablage beginnen, dass sie vieleicht erst nur einen Unterschlupf errichten, dies kann aber nur im Freiland erforscht werden.
Unsere Jungköniginnen haben wir kurze Zeit nach ihrer Begattung zur Koloniegründung gezwungen, obwohl sie vieleicht eine Phase der Reifung benötigen. Immerhin hatte selbst die im Freiland gefangene und nicht mehr ganz junge Königin Schwierigkeiten, ihre junge und kleine Arbeiterschaft, geschlüpft aus hinzugegebenen Puppen, zu dominieren. Vieleicht war es ein Fehler, diese sehr jungen in Gefangenschaft geschlüpften Königinnen so schnell mit Arbeiterinnen zu unterstützen. Dies geschah aber in bester Absicht und basierte auf Erfahrungen, die mit anderen Ameisen gemacht wurden und dort gute Resultate erbrachten.

Die Haltung der Myrmecia ist relativ leicht, die Tiere sind langlebig. Als Bewohnerin karger, trockener Gebiete stellt die Art keine hohen Ansprüche an ihren Halter. Leider ist aber wenig bekannt, was die Koloniegründung anbetrifft, was die komplexen Beziehungen der Tiere untereinander im Sozialverband angehen mit ihren ständig anwesenden, meist unterschwelligen Rivalitäten und ritualisierten Agressionen.
Es ist möglich, dass einzelne Arbeiterinnen die Autorität der Königin in Frage stellen, eine direkte Konfrontation jedoch scheuen und so in Ausweichverhalten die Nachkommen der Königin, Eier und Larven der vermeintlichen Konkurrentin schädigen. Kleine Schwächen der Nestgenossinnen werden nach meinen Beobachtungen meist sofort genutzt, so werden zB. ältere Arbeiterinnen in den Aussendienst oder Wachdienst gedrängt, grundsätzlich scheinen aber alle Arbeiterinnen den Innendienst zu bevorzugen. Der Wechsel in den Aussendienst ist offenbar mit einen Abstieg in der sozialen Hierarchie der Kolonie verbunden, heimkommende Arbeiterinnen bewegen sich im Nest langsam und bedächtig, sie drängen sich bei Begegnung mit anderen Tiere an die Seite, zeigen oft Beschwichtigungs- und Ausweichverhalten. Solche verdrängten Arbeiterinnen halten sich nun nicht ständig im freien Jagdterritorium der Kolonie auf, sie lungern jedoch am Eingang des Nestes herum, beschäftigen sich dort mit Umgestaltungsarbeiten und mit dem Wachdienst.

Völlig ausser Kontrolle scheinen die Rangkämpfe zu geraten, wenn der zivilisierende Einfluss der Königin schwindet. Udo hatte mir am Telefon von gewalttätigen Auseinandersetzungen unter den Arbeiterinnen der Kolonie berichtet, als die Königin seiner Kolonie aus unerfindlichen Gründen gestorben war. Diese Auseinandersetzungen und der ständige Umbau der Hierarchie setzten sich noch fort, als diese weisellose Kolonie bei mir zum Zweck der Männchenproduktion war. Immer wieder flackerten die Kämpfe erneut auf, dabei schienen die Arbeiterinnen Allianzen zu bilden, "befreundete" Arbeiterinnen griffen gemeinsam andere einzelne Arbeiterinnen an und streckten sie, meist endete dies mit dem Tod oder schweren Verletzungen der Angegriffenen. Diese Auseinandersetzungen waren die Haupttodesursache in dieser weisellosen Kolonie, von etwa vierzig Tieren im Juni schrumpfte die weisellose Kolonie bis zum September auf einen Restbestand von sechs Arbeiterinnen.

Es gibt also einige Erfahrungen zur Haltung und Beobachtung dieser Art. Aber es gibt keine befriedigende Antwort auf die Frage, warum sich die Brutstadien nicht vollkommen entwickeln, warum Larven die Häutungen nicht überstehen oder in anderen Fällen die Verpuppung nicht abschliessen, während sie bei anderen Haltern diese Entwicklung offenbar problemlos abschliessen. Da kann man nur Vermutungen anstellen, es vieleicht mit Änderungen probieren. Die drastischste Änderung wäre die Entfernung der früher als Puppen zugesetzten und bei den Königinnen geschlüpften Arbeiterinnen, die vieleicht bei einzelnen Haltern von diesen unbemerkt eine Art der gewaltlosen Revolte inszenieren.

Von diesen Problemen bei der Brutentwicklung auf den Begattungsstatus der Königin zurückzuschliessen, halte ich für gewagt. Da gäbe es sicher andere, naheliegendere Indizien. Nicht zuletzt die Aufzucht männlicher Tiere aus den Eiern, die von der Königin gelegt wurden.
Die Jungköniginnen, die ich abgab, habe ich bei ihrer Kopulation beobachtet. Sie zeigten nach der Kopulation typisches, verändertes Verhalten. Typisches Verhalten begatteter Jungköniginnen zeigen die Tiere auch in der Haltung. Trotzdem wissen nur die Ameisen selbst, wie erfolgreich ihr Rendezvous mit den Freiern war. Sie geben aber Signale, indem sie ihr Verhalten ändern, die Flügel abbrechen usw.. Ich halte nichts von Quervergleichen über Gattungsgrenzen, aber das Verhalten der Jungköniginnen war vergleichbar mit dem der gründenden Cataglyphis und (natürlich im eingeschränkten Maße) mit dem der ja sozialparasitischen Polyergus nach deren Kopulation in meiner Haltung. Die Cataglyphis-Königinnen haben erfolgreich gegründet, es gibt Kolonien in der Haltung. Die Polyergus leben (hoffentlich noch) im Freiland.

Ich hoffe natürlich sehr, dass es euren Jungköniginnen gelingt, eigene Kolonien zu gründen. Weitere Jungköniginnen der Myrmecia pavida werde ich angesichts der momentanen Situation nicht mehr abgeben, diese halte ich zurück, um gegebenfalls den derzeitigen Haltern helfen zu können.

Grüsse, Frank.



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