Ich habe nochmal ein bisschen weiter gestöbert, und es scheint doch so manche Studie zu geben, die unserem Thema hier weiterhelfen könnte. Der Umfang ist so gewaltig, dass man die Bandbreite als Privatperson so nebenbei mMn nicht abdecken kann, ohne sehr viel Zeit hinein zu stecken. Die Studien zum Thema reichen etwa von den frühen 70ern bis heute, wobei auch die älteren Studien keinesfalls gegenüber neueren Studien zu vernachlässigen sind, sondern wichtige Grundlagenarbeit liefern. Das alles lässt den Umfang gewaltig werden; es kann aber keine Rede davon sein, dass es keine wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema gibt. Problematisch ist auch der eingeschränkte Zugang zu vielen Studien (Bezahlschranke).
Das nur kurz als Vorwort.
Folgende Studien habe ich mir genauer angesehen:
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Blüthgen, N. and Fiedler, K. (2004), Preferences for sugars and amino acids and their conditionality in a diverse nectar‐feeding ant community. Journal of Animal Ecology, 73: 155-166. doi:10.1111/j.1365-2656.2004.00789.xDiese Studie ist für unser Thema sehr interessant. Zum einen wurde eine sehr große Anzahl von Ameisenarten in der Studie berücksichtigt (insgesamt gezählt wurden 51 verschiedene Arten, davon machten 23 Arten über 90% der Besuche aus, so dass diese zur Auswertung herangezogen wurden), zum anderen wurden neben verschiedenen Zuckerarten auch die Kombination von Nahrungslösungen mit Aminosäuren (gemixt oder einzelne Aminosäuren; in Kombination mit Zucker und ohne).
Interessanterweise waren die Unterschiede bei der Bevorzugung der verschiedenen Zuckerarten (Saccharose, Fructose, Glucose etc.) relativ gering, dafür konnte aber eine Vorliebe für Futterangebote festgestellt werden, welchen neben Zucker auch ein Mix von Aminosäuren beigesetzt waren (wie es auch im Honigtau der Fall ist):
Nevertheless, most ants preferred solutions containing mixtures of amino acids over sugar alone, with few notable exceptions of contrary or nonpreferences (e.g. Pheidole or Crematogaster species in some cases). These results correspond with previous studies where complex nectar mimics were used (Lanza 1988, 1991), while more simple combinations of amino acids were often less attractive than sugar-only controls (Lanza & Krauss 1984).
Als mögliche Begründung dafür wird der Mangel von Stickstoff (?) in der Ameisendiät angeführt:
Since most ants are omnivores and nectar is rarely or never their sole diet (Stradling 1978), the need for nitrogen may vary with the relative importance and complementary composition of other sources. Consequently, ant species that commonly collect nectar and honeydew may exhibit higher preferences for sources rich in proteins or amino acids (Kay 2002), which may reflect the nitrogen limitation of their diet (Yanoviak & Kaspari 2000).
Ich schließe daraus, dass eine Beimischung von Aminosäuren besonders bei Arten empfehlenswert sein könnte, die sich schwerpunktmäßig trophobiotisch ernähren. Ich denke da z.B. konkret an meine
Lasius flavus, die zwar auch gerne Insekten annehmen, aber unersättlich nach Kohlenhydraten sind. In der Natur sind das die Ausscheidungen der Wurzelläuse, also Aminosäure-reicher Honigtau. Diesen in der Haltung mit Honig zu simulieren, um die Ameisen mit Aminosäuren zu versorgen, erscheint mir vor diesem Hintergrund sinnvoll.
In conclusion, gustatory preferences for amino acids (and to a lesser extent for carbohydrates) vary substantially among different ant species and may be linked to nectar and honeydew resource partitioning.
Auch bei den Ameisen unterscheiden sich also die Geschmäcker und verschiedene Arten haben verschiedene Vorlieben für verschiedene Aminosäuren. Bei Zuckern scheinen diese Unterschiede in den Vorlieben nicht so ausgeprägt zu sein. Eine Begründung für die unterschiedlichen Vorlieben bei den Aminosäuren könnte den Forschern zufolge die Aufteilung der Resourcen in der Natur sein. Ich verstehe daraus eine Spezialisierung auf bestimmte Aphidenarten, damit verschiedene Ameisenarten sich nicht so schnell in die Quere kommen.
--> Diese Studie zeigt eindrücklich, dass Aminosäuren die in Kohlenhydratlösungen vorkommen, durchaus eine wichtige Rolle spielen. Die Studie ist noch weitaus umfangreicher als von mir hier dargestellt. Ich habe jetzt zu unserem Thema versucht die wichtigsten Aussagen heraus zu arbeiten, auf andere Ergebnisse der Studie einzugehen würde hier bei weitem den Rahmen sprengen, interessant sind diese trotzdem, spannende Lektüre.
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Jean-Marie Tinti, Claude Nofre; Responses of the Ant Lasius niger to Various Compounds Perceived as Sweet in Humans: a Structure–Activity Relationship Study, Chemical Senses, Volume 26, Issue 3, 1 April 2001, Pages 231–237, https://doi.org/10.1093/chemse/26.3.231Eher eine Studie für Chemiker...verschiedene Zuckerarten wurden getestet und wie
Lasius niger darauf reagiert.
In conclusion, L. niger, which is polyphagous, like many ant species, is above all known for its preference for collecting nectar and attending aphids (El-Ziady and Kennedy, 1956; Kiss, 1981). Its gustatory preferences for certain specific carbohydrates, as noted in the present work, reflect its feeding choices, such as its marked predilection for the carbohydrates usually found in nectar (sucrose, d-fructose, d-glucose and raffinose) and in homopteran honeydew (mainly melezitose, but also its hydrolysis products, turanose, d-glucose and d-fructose) (Hussain et al., 1974; Owen, 1978; Belliardo et al., 1979; Lombard et al., 1987; Hendrix et al., 1992).
Die Geschmacksvorlieben von L. niger spiegeln ihre Ernährungsgewohnheiten wieder. So wurden im Experiment typischerweise Zuckerarten von den Ameisen favorisiert, welche in Nektar und Honigtau vorkommen (z.B. Melezitose).
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Völkl, W., Woodring, J., Fischer, M. et al. Oecologia (1999); Ant-aphid mutualisms: the impact of honeydew production and honeydew sugar composition on ant preferences. 118: 483. https://doi.org/10.1007/s004420050751Diese Studie kann leider nicht eingesehen werden, ohne dafür zu bezahlen. Ich könnte mir vorstellen, dass dort noch viele Infos für unser Thema drin zu finden sind. Die Zusammensetzung des Honigtaus von vier Aphidenarten wurde untersucht. Diese Arten werden gerne von L. niger besucht (was sich bei einer der Blattlausarten als falsche Annahme herausstellte). Die quantitative und qualitative Produktion des Honigtaus und die Beachtung durch L. niger ist von den Wissenschaftlern untersucht worden.
Auch hier wurde festgestellt, dass
Lasius niger bestimmte Zuckerarten bevorzugt, vornehmlich Trisaccharide wie den bereits in der Studie oben genannten Melezitose:
The qualitative and quantitative honeydew production of the aphid species corresponded well with the observed attendance by L. niger. L. niger workers preferred trisaccharides over disaccharides and monosaccharides when these sugars were offered in choice tests. The results are consistent with the ants' preference for M. fuscoviride, which produced the largest amount of honeydew including a considerable proportion of the trisaccharides melezitose and raffinose.
Eine Blattlausart, welche nur wenig Honigtau produziert, welcher obendrein keine Trisaccharide enthält, wurde gar nicht von L. niger besucht:
M. tanacetaria, which produced only low quantities of honeydew with no trisaccharides was not attended at all by L. niger.
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Lanza, J. & Krauss, B.R. Oecologia (1984); Detection of amino acids in artificial nectars by two tropical ants, Leptothorax and Monomorium. 63: 423. https://doi.org/10.1007/BF00390676Diese Studie von 1984 hat als erste Studie beweisen können, dass für Ameisen beim Besuch extrafloraler Nektarien nicht nur die angebotenen Zucker eine Rolle spielen,
sondern auch andere Nährstoffe, namentlich Aminosäuren. Die Studie ist leider nicht vollständig einsehbar ohne dafür zu bezahlen, aber immerhin bekommen wir einen Einblick in die Ergebnisse der Studie. Im Zentrum der Untersuchung standen dabei Leptothorax und Monomorium.
This study provides the first direct evidence that nectar constituents other than sugars play a role in attracting
visitors to extrafloral nectaries.
Die beiden Ameisenarten konnten unterscheiden zwischen Zuckerlösungen ohne Aminosäuren und Zuckerlösungen mit Aminosäuren. Dabei zeigten sie eine eindeutige und konsistente
Bevorzugung der Lösung mit Aminosäuren.
Two species of ants in Trinidad detected the presence of amino acids in sugar solutions and showed a high degree of consistency in their preferences. Both species of ants preferred solutions
containing alanine, arginine, serine, cysteine, methionine and aspartic acid over sugar-only controls.
Ähnlich wie bei der ersten Studie in diesem Beitrag, konnten Zuckerlösungen, welche keinen Mix von Aminosäuren enthielten, sondern nur eine isolierte Aminosäure, nicht in allen Fällen überzeugen:
Monomorium preferred control solutions to tyrosine solutions; Leptothorax preferred control solutions to histidine solutions. Leptothorax did not discriminate between control and tyrosine solutions; Monomorium did not discriminate between control and histidine solutions. The ants preferred amino acids from all three groups tested [...]
Mein Fazit: Es gibt sehr viel wissenschaftliches Material zu der Ernährung von Ameisen mit Kohlenhydraten. Das alles durchzuarbeiten ist für eine einzelne Privatperson schon eine Mammutaufgabe. Ich habe nun in beiden Beiträgen 8 Studien kurz vorgestellt und versucht das Wichtigste für unser Thema herauszuarbeiten, was aber nur einen kleinen Teil aller Forschungen ausmacht. Für mich ist dabei deutlich geworden, die Wissenschaft liefert Beweise dafür, dass Ameisen durchaus wählerisch sind in ihrer Kohlenhydrate-Diät, und dass Stoffe wie Aminosäuren eine wichtige Rolle in der Zusammensetzung von Nährlösungen spielen.
Wie hier schon bereits von mehreren angesprochen, dürfte Abwechslung in der Ernährung einen guten Zweck erfüllen. Einfaches Zuckerwasser ohne jegliche Zusatzbestandteile, als einzige Kohlenhydratquelle, erscheint vor dem Hintergrund dieser Studien als wenig vorteilhaft, was nicht gleich bedeutend damit sein muss, dass die Haltung daran scheitert.
Prädestiniert für eine abwechslungsreiche, naturnahe Kohlenhydrat-Diät sind wohl Arten, die sich überwiegend trophobiotisch ernähren, was zumindest einen großen Teil der einheimischen Arten betrifft. Arten, die sich auf die Jagd oder das Körnersammeln spezialisiert haben, könnten ihren Bedarf an Aminosäuren möglicherweise durch diese Nahrungsquellen decken, so dass bei solchen Arten die Kohlenhydrat-Diät weniger abwechslungsreich ausfallen kann.
Für mich sind das alles gute Gründe, um weiter beim Honig zu bleiben. Doch ich werde auch in Zukunft schauen, öfter etwas Abwechslung reinzubringen, d.h. auch mal verschiedene Honigsorten im Wechsel anbieten oder auch andere Pflanzenprodukte wie Ahornsirup oder Agavensirup. Das habe ich zwar bisher auch so gehandhabt, werde die Abwechslung aber nach Möglichkeit noch intensivieren.
LG Maddio