Seinen Ameisen das Ausleben möglichst vieler natürlicher Verhaltensweisen zu bieten, sollte immer eine Priorität in der Ameisenhaltung einnehmen. Die Trophobiose ist ein wichtiger Bestandteil im Lebenszyklus vieler Ameisenarten, und eine der interessantesten "Partnerschaften", die Ameisen mit anderen Tieren eingehen können. Eine nachhaltige Lauskolonie im Formikarium zu haben ist ein Traum, der aber nur sehr schwer in Erfüllung geht.
Im Endeffekt hat sich für mich herausgestellt, dass die Laushaltung einen sehr ähnlichen Verlauf genommen hat wie die Ameisenhaltung: Erst ist das Thema wesentlich komplexer, als man annimmt. Man bildet sich mit Literatur und Veröffentlichungen, und schmeißt sich und die Tiere immer wieder ins kalte Wasser. Bis der Erfahrungsschatz und der Wissensfundus endlich groß genug ist, dass man wirklich weiß, was man tut, und warum gewisse Probleme auftreten.
Lauskolonien brauchen Wirtspflanzen. Es gibt über achthundert zum größten Teil pflanzenspezifische Blattlausarten in Mitteleuropa. Die Frage stellt sich: Welche Pflanze, und welche Laus? Nach langen Jahren und vielen vergeblichen Versuchen war die "winning combination" für mich die Rose + Maculolachnus submacula.
Hier eine kleine Gliederung des Artikels:
Teil 1: Die "winning combination"
-1.1 Was wollen wir von einer Lauskolonie im Formikarium genau?
-1.2 Was macht Rose + M. submacula so besonders? Einige Grundlagen über Blattläuse.
Teil 2: Das günstige Anlegen einer eigenen Lauskolonie
-2.1 Welche Ansprüche haben wir an den Bau der Anlage?
-2.2 Das Beschaffen der Rose und das Beschaffen von M. submacula
-2.3 Schritt für Schritt Bau einer Anlage
Teil 3: Abschließendes Wort zur Haltung
TEIL 1: Die "winning combination"
1.1 Was genau wollen wir von einer Lauskolonie im Formikarium?
Ganz direkt gesagt, wir wollen in erster Linie erstmal die Trophobiose im Wohnzimmer beobachten unter kontrollierten Bedingungen. Diese interessanten Verhaltensweisen von sowohl Läusen als auch Ameisen können sonst nur in der Natur beobachtet werden und sie sind oft die Hauptmotivation, eine Lauskolonie anzulegen.
Als zweiten Punkt dient die Lauskolonie als permanente Futterquelle von hochwertigem Honig. Wir möchten also am liebsten, dass die Ameisenkolonie auch spürbar etwas von den Läusen profitiert, anstatt einfach nur eine nette Beobachtung zu sein.
Weiterhin möchten wir, dass nicht ständig fliegende Läuse im Zimmer rumflattern. Dazu möchten wir Läuse, die
- die Pflanze nicht zu sehr schädigen oder umbringen
- sich leicht kontrollieren lassen
- leichte Ansiedlung haben und nicht die Pflanze wechseln als Teil eines natürlichen Zyklus
- niedrige Ansprüche haben an Umgebungsbedingungen
- sich nicht zu explosiv vermehren
Dazu eine Pflanze, die robust, mehrjährig, nicht zu verwachsen (macht Fotos und Beobachtung schwer), nicht zu schnell wachsend oder anspruchsvoll ist.
Das ist nicht easy. Sobald auch nur eine dieser Bedingungen wegfällt, ist das Unterfangen meist über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt.
1.2 Was macht die Rose + M. submacula so besonders? Einige Grundlagen über Blattläuse.
Über die letzten zwei Jahrzehnte fanden viele tausend Läuse und eine Menge Pflanzen den Tod beim vergeblichen Versuch, eine langfristige Trophobiose in meinem Wohnzimmer umzusetzen. Ich habe mich sehr über Läuse bilden müssen und war oft am Punkt der völligen Aufgabe und Verzweiflung.
Am Ende fand sich nur eine Kombination, die alle in 1.1 gelisteten Ansprüche erfüllt. Also was ist an der Rose und Maculolachnus submacula so toll?
Erst einmal zur ROSE: Es ist eine robuste Pflanze, die mit einer einfachen Lampe gut auskommt. Auch hält das Wurzelwerk viel und längere Feuchtigkeit aus. Sie lässt sich leicht beschneiden. Vor allem ist sie auch billig, sogar Supermärkte verkaufen oft getopfte, kleine Rosen für 2-5 Euro pro Pflanze. Ideal ist eine Rose zwischen 20 und 30cm Wuchshöhe. Auch stirbt die Rose nicht am Ende des Sommers an irgendeinem endogenen Jahresrhythmus, so wie es beispielsweise Disteln tun. Es gibt dazu mehrere Arten von Blattläusen, welche die Rose als ihren Wirt nutzen.
Nun zu den LÄUSEN. In der Regel verläuft ein Jahresrhythmus so: Am Ende des Jahres werden männliche und weibliche Tiere produziert, die sich paaren und Eier auf ihre Wirtspflanzen ablegen. Diese schlüpfen im Frühjahr zu sogenannten STAMMLÄUSEN (so etwas wie Gründerköniginnen). Diese sind weiblich und die ersten Läuse, welche die Pflanze besiedeln - auch die Läuse, die den "Stamm" bilden für alle folgenden Läuse, denn ab jetzt und bis zum Ende des Jahres pflanzen sich die Läuse durch Parthenogenese fort: Alle Nachkommen sind Klone der weiblichen Stammläuse.
Eine weitere Besonderheit ist, dass Blattläuse lebend gebähren. Die Nachkommen sind direkt nach der Geburt fähig, den Saft der Pflanze anzustechen - eine Laus im kleinsten Stadium verläuft mehrere Häutungen und ist nach in der Regel zwei Wochen imstande, selbst Nachkommen zu zeugen. Sehr große Läuse, die eine neue Pflanze besiedeln, sind sogar in der Lage bereits schwangere Läuse in die Welt zu setzen - und über zehn in einer Nacht. Ein Akt, der sie oft selbst das Leben kostet, aber eine schnelle Besiedlung zur Folge hat.
Läuse sind hoch pflanzenspezifisch und können andere Pflanzen nicht oder nicht dauerhaft besiedeln. Es gibt viele Lausarten, die einen Wirtswechsel im Sommer vollziehen, aber auch dieser ist hoch spezifisch. Es bringt zum Beispiel nichts, auf eine Rose eine zufällige Blattlaus zu setzen: Diese wird sterben oder abwandern und dann sterben. Selbst eine Umsiedlung der passenden Läuse auf die passende Pflanze ist nicht immer erfolgreich.
Also welche Läuse leben auf Rosen? Am ehesten findet man dort die große Rosenlaus Macrosiphum rosae. Diese vermehrt sich explosiv auf den jungen Trieben und Blütenständen und kann eine Pflanze verkrüppeln oder buchstäblich zu Fall bringen. Sie ist gefürchtet unter Gärtern. Auch wandert sie im Sommer ab und kehrt erst im Herbst wieder auf die Rosen zurück. Sie ist damit vollkommen ungeeignet für das Wohnzimmer.
Es gibt aber noch eine wenig auffallende Laus, die auch auf Rosen lebt: Maculolachnus submacula. Diese Laus siedelt am unteren Teil der Pflanze, in nur kleiner Zahl oder ganz allein sitzen sie an den dicksten Teilen der zentralen Sprossachse - bei schlechten Bedingungen können sie das bodennahe Wurzelwerk besiedeln (und dienen hier dann Lasius flavus). Die Läuse sind meistens dunkelrot bis braun und fallen durch ihre ungewöhnliche Größe auf: Eine einzige ausgewachsene Laus kann die Größe einer Lasius niger Arbeiterin übertreffen - es sind ganz schöne Brocken, praktisch die Camponotus unter den heimischen Läusen.
M. submacula bildet Kolonien in nur sehr kleinen Trauben aus, ist eine konstante Art, die das ganze Jahr auf der Rose bleibt. Sie pflanzen sich behäbig fort und wenn die Traube zu groß wird, wandern Tiere an eine andere Stelle ab. Sie nisten nie an Blättern oder Trieben: Immer an der Sprossachse oder Zweigungen. Die Pflanze wird durch ihre Präsenz kaum oder gar nicht geschädigt. Jede einzelne Laus dieser Art produziert eine sehr hohe Menge Honigtau. Jede Laus wird in der Natur in der Regel von mehreren Lasius Arbeitern gleichzeitig betreut, selbst kleine Kolonien werden von Lasius vehement verteidigt und mit Erde überbaut wann immer es möglich ist. Diese Läuse sind ein wahrer Schatz und ich habe noch nie eine M. submacula entdeckt, die nicht von einer Ameise betreut wurde. Dies hat sicher auch den Hintergrund, dass sie ohne Ameisen schnell Marienkäferlarven oder Schlupfwespen zum Opfer fallen.
Was oft falsch verstanden wird: Die Blattläuse saugen den Saft der Pflanze nicht aktiv. Durch den hohen Druck wird die Laus nach dem Anzapfen der Pflanze praktisch mit dem Saft durchspült, und anstatt zu saugen, arbeitet die Laus in der Regel sogar vehement daran, den Fluss des Saftes in ihren Körper zu drosseln. Dies ist der Hauptgrund, warum überhaupt eine so hohe Menge Hongigtau ausgeschieden wird.
Diese Kombination aus Rose und M. submacula erfüllt im Fazit alles, was man sich von einer Lauskolonie im Formikarium wünschen kann.
TEIL 2: Das günstige Anlegen einer eigenen Lauskolonie
2.1 Welche Ansprüche haben wir an den Bau der Anlage?
Die Anlage sollte zuerst einmal ausbruchsicher sein. Sie muss der Pflanze gute Bedingungen zum wachsen bieten. Und am Ende darf sie den Ameisen keine Chance bieten, sich in Erde einzubuddeln.
Das Material sollte günstig und gut beschaffbar sein, und der Bau sollte so geplant sein, dass man bei Bedarf das ganze wiederholen und mehrere Lauskolonien anlegen kann.
2.2 Das Beschaffen der Rose und das Beschaffen von M. submacula
Getopfte Rosen gibt es überall, allen voran im Gartencenter. Aber auch Supermärkte verkaufen ganze Rosen für ein paar Euro, zum Beispiel Rewe.
M. submacula dagegen ist ein wenig tricky: Erst einmal sind sie lange nicht so häufig wie die Große Rosenlaus und durch ihre Lebensweise auch nicht sichtbar. Mein Tipp wäre es, die Rose nicht nach den Läusen sondern nach Ameisen abzusuchen. Wenn Ameisen vom Boden an der Sprossachse nach oben wandern, ist die Chance gut, dass Blattläuse drauf sind. Man sucht jetzt nach Ansammlungen von Ameisen an den Sprossachsen (auch den verhölzerten Bereichen), und wenn M. submacula auf der Rose sind, werden sie dort sein. Diese Läuse werden ähnlich von Ameisen belagert wie ihre eigenen
Diese Blattläuse gibt es bis in die tiefsten und verdrecktesten Innenstädte. Ich hatte im Zentrum von Köln am meisten Erfolg, an ungespritzten Rosen die an Bahnhaltestellen wachsen: Dort sind häufig M. submacula dran.
Ein Tipp zum ABSAMMELN: Oft wird die Laus zerquetscht oder der Rüssel, der oft tief in der Pflanze steckt, so beschädigt dass die Laus nicht mehr zum Fressen imstande ist und stirbt. Am besten sammelt ihr die Läuse mit Wattestäbchen von der Pflanze: Erst ein bisschen ärgern und anstupsen, damit sie ihren Rüssen lockern. Dann das Stäbchen leicht und mit einer drehenden Bewegung über den Ast führen, die Läuse werden sich von der Pflanze lösen und sich entweder fallen lassen (BEHÄLTER DRUNTER HALTEN BEIM ABSAMMELN) oder an die Watte klammern. Es ist empfehlenswert, ein paar Lasius Arbeiter zu behalten für den Transport, diese werden sich etwas um die Läuse kümmern bis sie auf der neuen Pflanze sind. Auch ist es gut, einen abgeschnittenen Rosenzweig mit ins Gefäß zu tun: Dies wird die Läuse anziehen und beruhigen.
Typische Absammlung von M. submacula. Die Läuse konzentrieren sich um den Rosenzweig anstatt panisch herumzurennen und zu sterben.
2.3 Schrittweiser Bau einer Anlage
Ich persönlich nutze ein Inselsystem wie gehabt. Man schneidet einen Ytong zurecht mit einer Einsenkung in der Mitte für den Pflanzentopf, und einem kleinen Loch, das mit Watte augekleidet ist (unabhängig vom Wasserstand kommt Wasser an die Erde). Nun deckt man den unteren Rand des Topfes vollständig mit Watte ab (die Ameisen können hier nicht mehr rein), auch oben muss man die ganze Erde mit einer stabilen Schicht feuchter Watte abdecken, und am Rand vielleicht Zahnstocher zur Befestigung nutzen. Die Watte muss vorsichtig um die Sprossachsen der Rosen herum gelegt werden - dies verhindert zeitgleich, dass die Läuse runter an die Wurzeln gehen!
Eine fertig angelegte Rose, die bereit ist mit Läusen besiedelt zu werden.
Die abgesammelten Läuse können jetzt auf die Rose gesetzt werden. Man kann sie einzeln auf die untere Sprossachse setzen (sie werden sofort auf die Rose gehen) oder in Pulks neben die Sprossachsen auf die Watte werfen - hier kann es aber sein, dass einige Läuse die Rose nicht finden werden und abwandern. Nun muss man der ganzen Sache eine Woche Ruhe geben. Die Pflanze wird sich an die neue Situation gewöhnen und die Läuse können in Ruhe ihren Lieblingsplatz auf der Sprossachse finden.
Ist dies getan, kann die Lauskolonie endlich mit den Ameisen verbunden werden.
Eine frühe M. submacula Besiedlung
Die Kolonie nach 1 Monat
Die Kolonie nach 2 Monaten. Diese Läuse bieten schon eine gute Ernährungsgrundlage für eine mittlere Kolonie von 100-400 Arbeiterinnen.
TEIL 3: Abschließender Teil zur Haltung
Selbst wenn man eine Art hält, die aktiv in der Natur in Trophobiose lebt, muss das nicht heißen, dass alles direkt funktioniert. Die erste Begegnung zwischen Ameise und Laus ist nicht immer freundlich. Erst einmal wird meist mit Misstrauen reagiert, einzelne Arbeiterinnen beginnen sich, für den Honig zu erwärmen oder schlecken bereits ausgeschiedenen Honigtau neben den Läusen auf. Der Kontakt der beiden wird immer enger, die Ameisen werden irgendwann ohne Vorbehalte über die Läuse laufen. Schließlich werden sie den Honigtau direkt von der Laus nehmen, und am Ende auch über die Fühler aktiv mit ihnen interagieren.
In folgenden Beispiel habe ich eine junge Formica cunicularia aus 2021 mit einer Lauskolonie versorgt:
Die Kolonie 2021 mit ihren letzten
Die Grundform ihres neuen Nestes: Lässt sich ins Aquarium einhängen, dadurch sind die Kammern unten feucht und kühler, und die oberen Kammern unter der Lampe sehr trocken und warm.
Das fertige Nest, bereit zum Einzug und mit einigen Stellen für Erweiterungen.
EIne aktuelle Puppenkammer. Das Volk ist jetzt gut 100 Arbeiterinnen stark.
Die
Das komplette Setup am Aquarium, mit Lauskolonie/Rose links beleuchtet von einer Lampe.
Eine Formica Arbeiterin sammelt den Honig und betreut ihre Läuse