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Monogyn oder polygyn..?

Berichte, Erfahrungen, Beobachtungen aus der Natur
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Frank Mattheis
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#1 Monogyn oder polygyn..?

Beitrag von Frank Mattheis » 16. August 2005, 18:58

Monogyn oder polygyn?

Im Frühjahr diesen Jahres fand ich beim Öffnen eines Nestes der Raptiformica sanguinea in einer Kolonie zwei Königinnen 8o. Dass es bei dieser Art mitunter zur Polygynie kommt, hätte ich vorher für unmöglich gehalten. In meiner Kindheit habe ich mich mit dieser auffallenden Ameise viel beschäftigt, immer mal wieder versucht, Jungköniginnen der Art zur Koloniegründung zu vergesellschaften. Immer waren die jungen Königinnen sehr agressiv gegenüber artgleichen Jungköniginnen und so kam es bei nicht rechtzeitiger Trennung zu Kämpfen zwischen den Jungköniginnen, die tödlich endeten. Extrem wurden die Auseinandersetzungen, gab ich den Jungköniginnen der Raptiformica Puppen einer Serviformica, nun schien zur Streitlust der Jungköniginnen auch noch die Rivalität um die Serviformicabrut zu kommen. Nun griffen die Jungköniginnen alles an, was sich bewegte, selbst vor den fürsorglichen Ameisenhalter machten sie nicht halt.
Versuche, die Jungköniginnen von erwachsenen ausgefärbten Arbeiterinnen der gleichen Art adoptieren zu lassen, scheiterten am ablehnenden und agressiven Verhalten der Arbeiterinnen. Mit jungen unausgefärbten Arbeiterinnen war dies freilich möglich, dies stellte jedoch nicht eine normale denkbare Situation im Freiland dar, hier werden die Ameisenkolonien natürlich immer von erwachsenen und erfahrenenen Arbeiterinnen geschützt, besonders zu der Jahreszeit, zu der die Art schwärmt. Zu dieser Jahreszeit schlüpfen ja auch erst die ersten jungen Arbeiterinnen der diesjährigen Generation.
Ich habe bis heute keine plausible Erklärung für das Vorhandensein mehrerer Königinnen in einen Raptiformica-Nest. Zwar gab es immer wieder mal Meldungen über die mögliche Polygynie bei dieser Art, doch hielt ich sie bisher eher für ausgeschlossen und nicht beweisbar. Auch weil ich keinen "natürlichen" Weg fand, auf den diese Polygynie möglich schien.
Es gab immer wieder mal Meldungen über die Schädigungen, die Lomechusa und Atemeles bei den Raptiformica verursachen, Schäden, die sich durch das Vorkommen von arbeiterinnenähnlichen Männchen u.ä. zeigten, doch schien mir das als Erklärung in diesem Fall zu weit hergeholt und zu nebulös :rolleyes:.
Kurz nach meinen Fund erreichte mich ein Anruf von Herrn Kalytta. Und es war wie immer, wenn es kommt, kommt's dicke. Herr Kalytta hatte eine nicht sehr grosse liginperda-Kolonie mit zwei (!) Königinnen gefunden. Bei dieser Art gilt für mich das Gleiche wie bei den Raptiformica; nur weil in einigen Büchern etwas von möglicher Polygynie steht, muss das noch lange nicht heissen, dass die Ameisen diese Bücher gelesen haben und sich dran halten.
Junge ligniperda-Königinnen verhielten sich bei meinen früheren Beobachtungen ähnlich agressiv gegenüber artgleichen Jungköniginnen, die grossen und wehrhaften Ameisen verletzten sich bei ihren Rangeleien sehr schnell ernsthaft, Pleometrose und nachfolgende Polygynie schien für mich ausgeschlossen zu sein. Ähnlich wie bei den Raptiformica befanden sich die ligniperda-Königinnen bei der Kolonie des Herrn Kalytta nicht in weit entfernten Zweignestern, sondern saßen gemeinsam im noch kleinen ligniperda-Nest.
Ich kann mir die Polygynie bei diesen eigentlich streng monogynen Arten noch nicht erklären, solche Fälle scheinen die berühmte Ausnahme von der Regel zu sein. Sie zeigen, dass wir es nicht mit gleichförmig funktionierenden Maschinen zu tun haben, sondern mit anpassungsfähigen Lebewesen. Sie zeigen, dass die Evolution weitergeht und Arten vereinzelt immer wieder mal die nicht ganz gewöhnlichen Wege ausprobieren.
So mag Poygynie selbst bei anderen Arten nicht ausgeschlossen zu sein, auch wenn sie dort wie bei den o.e. Arten nicht der übliche Weg ist. Stefan benannte diese Möglichkeit auch bei den Temnothorax, ich würd dies heute bei diesen Arten auch nicht mehr grundsätzlich ausschliessen.
Wir können dies nur mit Freilandbeobachtungen belegen, immer und immer wieder behutsam Nester öffnen, natürlich so, dass der Schaden gering bleibt und kontrollieren. Wahrscheinlich werden wir aber immer nur im besten Fall beweisen können, dass eine Art auf irgendeinen unergründlichen Weg zur Polygynie fähig ist, von der wir bis dahin annahmen, dass sie ausschliesslich monogyn lebt.
Aber wie kann man beweisen, dass eine Art nie zur Polygynie fähig ist? Man müsste ja alle ihrer Kolonien untersuchen.
Habt Ihr ähnliche Erfahrungen gemacht? Würde mich freuen, wenn Ihr hier über solche und andere ungewöhnliche Beobachtungen berichten könntet.
Grüsse, Frank.



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Smaug
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#2

Beitrag von Smaug » 16. August 2005, 19:22

Kann es vielleicht sein, dass es sich nicht um eine Kolonie sondern um zwei handelt?

Oft ist es ja auch so, dass man glaubt, Lasius niger und L. flavus leben in einem Gemeinschaftsnest. Dabei handelt es sich um Nester, die sehr eng beieinander liegen und ineinander zu verlaufen scheinen, jedoch sind sie nicht miteinander verbunden. Beim Öffnen hat man allerdings den Eindruck, dass es sich um ein Nest handelt, weil die Ameisen dann alle durcheinander "wuseln".

Natürlich muss das nicht so sein, war halt nur eine Idee. Wahrscheinlich ist das bei der selben Art eher ausgeschlossen.

Gruß Xylo



K Kris
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#3

Beitrag von K Kris » 16. August 2005, 19:36

Oligogynie wird bei Camponotus ligniperda in der wissenschaftlichen Literatur desöfteren erwähnt.
Nie aber habe ich darüber gelesen, ob es sich um primäre oder sekundäre Poygynie handelt - also ob durch Pleometrose oder spätere Hinzufügung weiterer Königinnen.
Da es sich bei C. ligniperda jedoch nur um die oligogyne Form der Polygynie handelt, habe ich mir immer vorgestellt, dass es sich unbedingt um sekundäre Polygynie handeln müsse. Das bestätigte auch ein diesjähriger Versuch den ein Freund vornahm. Er versuchte zwei C. ligniperda Königinnen zur Pleometrose zu bewegen. Der Versuch schlug fehl und beide Jungköniginnen starben.
Es könnte natürlich auch sein, dass sich die Könignnen erst später, wenn die Kolonie schon einigermassen fortgeschritten ist, nicht mehr ausstehen können und sich im Nest verteilen.
Die verfügbaren Daten sind, allem Anschein nach, zweideutig.



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Smaug
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#4

Beitrag von Smaug » 16. August 2005, 19:58

Original von A. Buschinger
Oligogynie (griech. mit wenigen Königinnen) wurde von B. Hölldobler für Camponotus ligniperda und herculeanus beschrieben. Das geht nur in sehr großen Kolonien, die z. B. mehrere benachbarte Baumstämme besiedeln. Die Königinnen leben getrennt in verschiedenen Nestbereichen, nur die Arbeiterinnen laufen durcheinander. Wenn zwei Königinnen sich begegnen, kämpfen sie miteinander. Ansonsten sind unsere Camponotus-Arten monogyn.


Gruß Xylo



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TheSilence
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#5

Beitrag von TheSilence » 16. August 2005, 20:07

Möglich wäre auch ein Gen-Defekt. Vielleicht ist irgendein Chromosom mutiert, welches für das monogyne Verhalten verantwortlich ist.
Ich denke nicht, dass das mit Evolution zu tun hat. Eher, wie gesagt ein Zufall.
Es könnte aber dazu führen, dass sich die Arten weiterentwickeln. Zum Beispiel wenn ein Männchen und ein Weibchen von unterschiedlichen Völkern (aber beide mit Polygynie!) sich paaren, dass es weitervererbt wird. :rolleyes:

Möglich ist (fast) alles in der Natur....z.B. weiße Tiger oder Menschen mit 2 Köpfen oder sonst was ungwöhliches.

mfg Daniel Schütz


mfg Daniel

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Smaug
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#6

Beitrag von Smaug » 16. August 2005, 20:15

Aber das macht doch gerade die Evolution aus! Mutationen und Zufälle sind doch die Voraussetzung für die Entwicklung neuer Arten. Oder?

Gruß Xylo



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#7

Beitrag von TheSilence » 16. August 2005, 20:39

Ich glaube dass ist Ansichtssache. Wenn man z.B. die Ausbildung von Lungen bei Wasserlebewesen in der Urzeit betrachtet, denke ich mal nicht (denken heißt nicht wissen!!!), dass die Evolution durch Mutation entstanden ist. Die Wasserlebewesen haben sich ja über etliche Millionen von Jahren an die Bedingen an Land angepasst, um dort neuen Lebensraum zu erschließen.
Es kommt auch immer darauf an, wie man das Wort "Mutation" definiert!
In einem Lexikon steht es so geschrieben:

Eine Mutation (lat. mutare verändern) ist eine Veränderung im Erbgut eines Organismus durch Veränderung der Abfolge der Nucleotidbausteine. Dadurch wird die in der DNA gespeicherte Information verändert und die Merkmale des Organismus können verändert werden.


Diese Definiton ist ziemlich allgemein. Warscheinlich auch zu allgemein. Man es kann es so interpretieren, dass die Veränderungen im Erbgut erwünscht sind, aber es lässt sich auch so verstehen, dass die Veränderung unfreiwillig geschieht bzw. geschah.

Ob es im Falle von Raptiformica sanguinea eine gewünschte Mutation (noch steht ja noch nicht einmal fest, ob es überhaupt eine Mutation ist!) oder eine unerwünschte kann man nicht sagen. Auf jeden Fall wäre es ein weiterer Schritt zu der Entstehung einer neuen Art.

Ich möchte meinen Beitrag mit folgendem Spruch beenden:

"Die Zukunft wird es uns zeigen"


mfg Daniel

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Frank Mattheis
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#8

Beitrag von Frank Mattheis » 16. August 2005, 20:46

Meine ich auch. Prinzipiell ist doch jede Veränderung im Verhalten oder eine Anpassung ein evolutionärer Schritt, auch wenn er in einen "Irrweg" mündet.
Es handelte sich bei den Raptiformica definitiv um eine Kolonie, Xylo. Bei den ligniperda vom Herrn Kalytta ebenfalls, und zwar um eine kleine Kolonie mit etwa 300 Individuen. Also ist Olygogynie ausgeschlossen. Zumal die beiden Königinnen in ihrer kleinen Kolonie friedlich beieinandersaßen. Ich hab ja auch darauf hingewiesen, Kalytta sagte mir, keine Zweignester oder verstreute Nestareale, wie sie bei grossen Kolonien der herculeanus und ligniperda vorkommen. Ich glaube aber dort auch, dass die beschriebene Polygynie infolge der räumlichen Trennung sehr selten sein wird, die Königinnen interagieren und kommunizieren nicht nur sich gegenüberstehend, sondern über die Arbeiterinnen und anderen Koloniemitglieder mittels Pheromonen. Meist sorgen dann die Arbeiterinnen bei den Ameisen mit monogyner Lebensweise für den Normalzustand und eliminieren eine der überzähligen Königinnen bzw. dulden sie von Anfang an nicht. Ich glaube also nicht, dass das genügend ausgeforscht ist, zwar beschrieben, aber nicht erklärt.
Grüsse, Frank.



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