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Territorialverhalten und -kämpfe bei Ameisen.

Berichte, Erfahrungen, Beobachtungen aus der Natur
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Boro
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#9 L. bruneus

Beitrag von Boro » 6. Januar 2006, 22:37

Hallo Frank!
Toller Bericht von Dir. Vor allem die Sache mit dem Polymorphismus finde ich sehr interessant. Sie steht nicht bei Seifert. Wenn Du das wirklich bei verschiedenen Nestern von bruneus festgestellt hast, gehört es in die Rubrik "Nachrichten aus der Wissenschaft". Was sagen da eigentlich unsere Biologen bzw. Zoologen dazu?
Gruß Boro



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Frank Mattheis
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#10

Beitrag von Frank Mattheis » 6. Januar 2006, 23:33

Naja, ich will dass lieber etwas relativieren. Es handelt sich nicht um einen Polymorphismus wie bei beispielsweise Messor, der Polymorphismus bei Lasius brunneus ist viel weniger ausgeprägt. Es gibt halt grössere und kräftigere Arbeiter neben kleineren und zierlicheren. Es gibt keine Soldatenkaste, natürlich nicht, wohl aber eben gewisse Grössenunterschiede bei den Arbeitern mit allen Zwischengrössen. Dies ist aber für Lasius aber schon bemerkenswert, kenne ich von keiner anderen Art.
Wohl gibt es bei den selbstständig gründenden niger, alienus u.a. Zwergarbeiter in den ersten Generationen, diese tauchen aber mit wachsenden "Wohlstand" der wachsenden Kolonie später nicht mehr auf.
Solche Zwergarbeiter tauchen natürlich auch bei Jungkolonien der brunneus auf. Diese Art hat jedoch auch in volkreichen alten Kolonien kleinere Arbeiter neben grösseren Arbeitern. Vermutlich eine Anpassung an den Nestbau. Die grösseren Arbeiter sind vermutlich effektiver beim Nestbau im Holz.
Denn anders als andere holzbewohnende Lasius bewohnt brunneus ja Nester in genagten Gängen und Kammern im Holz. Andere Holzbewohner unter den Lasius verwenden oft morsches Holz oder Holzspäne und andere Holz- und Erdpartikel, um daraus einen mehr oder weniger festen Karton zu fertigen. Festigkeit bekommt dieser durch die Symbiose der Ameisen mit Pilzen, die in den Nestwandungen leben und von den Ameisen genährt werden.
Grüsse, Frank.



Stefan
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#11

Beitrag von Stefan » 8. Januar 2006, 14:22

Hallo,
es ist mir selbst schon aufgefallen, dass L. brunneus größere und kleinere Arbeiterinnen ausbildet. Ob diese dann nun jeweils andere Aufgaben im Bau und außerhalb erfüllen ist fraglich. Vielleicht kommt es auch nur auf die Zeit an. Wie man ja weiß sterben Lasius Arbeiterinnen nicht früh. Ich kenne das aber z.B. auch bei Lasius flavus mit den unterschiedlich großen Arbeiterinnen. Diese Art ist ja bekannt für ihre großen Hügelbauten. Beim genauen beobachten konnte ich aber erkennen, dass sich kleinere Arbeiterinnen viel tiefer im Nest befanden als die etwas größeren Arbeiterinnen. Ich denke mal auch hier haben kleine und große Arbeiterinnen unterschiedliche Aufgaben im Nest. Vielleicht liegt hier wirklich ein Polymorphismus vor mit unterschiedlichen Arbeiter"kasten".

Jedenfalls wurde das in der Literatur nie betrachtet oder ernst genommen.



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Boro
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#12

Beitrag von Boro » 8. Januar 2006, 14:54

Hallo Frank!
Mir ist aufgefallen,dass es auch bei Manica rubida vereinzelt auffallend große Arbeiterinnen gibt, ich schätze deren Größe auf 10mm. Im Frühjahr, wenn ich wieder auf die "Pirsch" gehen kann, werde ich sie fotografieren.
Ich hab ja schon einige Male die Territorialstreitigkeiten zwischen Manica und Formica selysi (cinerea?) angesprochen und will hier noch einmal zusammenfassend darauf eingehen:
Mir ist es leider bisher noch nicht gelungen, diese Serviformica-Art näher zu bestimmen, weil ich nur ein schlechtes Mikroskop besitze und die Unterschiede sowieso minimal sind. Ich hab auch schon darauf hingewiesen, dass im selben Fundbereich von Manica und dieser Serviformica, ein Amazonennest mit Formica selysi (cinerea) von mir entdeckt wurde, laut Fachliteratur eine sehr ungewöhnliche Kombination.
In den Niederungen besetzen Manica r. und Serviformica sp. oft die selben Habitate: Schotter- und Kiesbänke entlang von Flüssen und Bächen, aber auch im urbanen Bereich die Ränder von Parkplätzen, Wegen etc.
Obwohl man Manica immer wieder hohe "Kampfstärke" zubilligt, hat sie gegen Formica selysi kaum eine Chance. Diese ist zahlenmäßig meist stark überlegen, sehr schnell, kann über Pheromonbotschaften über eine Entfernung von mehr als einem halben Meter rasch weitere Individuen rekrutieren und vor allem ist ihr kollektives Vorgehen eigen.
Durch Auslegen von Beutestücken konnte ich auch feststellen, dass sie einen weit besseren Orientierungssinn besitzen als Manica r., wahrscheinlich hängt das mit ihrem sehr gut ausgeprägten Sehsinn zusammen.
Während also Formica selysi (cinerea) sehr rasch rekrutiert, kommt einer in Not geratenen Manica kaum jemals eine Nestgenossin zu Hilfe. Formica belagert die Nester von Manica regelrecht, wie das auch verschiedene Waldameisen bei anderen Arten machen. Manchmal werden einzelne Manica aus der Nestöffnung gezogen und gemeinsam getötet. Die ständigen Attacken und Störungen bringen Manica im besten Fall zur Abwanderung. Hin und wieder wird ein Nest auch regelrecht ausgehungert und der Rest getötet. Diese traurige Entwicklung konnte ich vor allem im Randbereich von Superkolonien der Formica beobachten.
Daraus folgt für mich der erste Grundsatz:
1) Bei Territorialstreitigkeiten ist nicht die "Kampfkraft" des Individuums entscheidend, sondern die Fähigkeit im Kollektiv zu arbeiten.

Ich wollte noch 2 Bilder dieser Formica sp. anschließen, aber das ist derzeit offensichtlich nicht möglich!


Gruß Boro



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Frank Mattheis
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#13

Beitrag von Frank Mattheis » 8. Januar 2006, 15:31

Hallo Stefan, von Kasten würd ich lieber nicht reden wollen bei Lasius, aber die Grössenunterschiede der Arbeiterinnen bei brunneus verführen natürlich zur Spekulation. Sie sind immerhin ebenso ausgeprägt wie etwa bei den Formica-Arten, bei ihnen spricht man ja durchaus vom Polymorphismus.

Hallo Boro, ich habe Ähnliches bei Ausseinandersetzungen zwischen Manica und Serviformica beobachtet. Erstaunlich fand ich aber immer angesichts solcher erbitterter Kämpfe, dass Manica und Serviformica in solch enger Nachbarschaft leben. Vieleicht ist Manica nicht immer unterlegen, irgendwie behauptet sich die Art in diesen Biotopen. Die Belagerungen, die ich beobachtete, dauerten meist nicht lange an, bestenfalls einige Tage und Manica konnte sich wieder wie gewohnt bewegen. In irgendeiner Form muss es einen Ausgleich geben, denn die augenscheinlich im offenen Kampf unterlegenen Manica können sich meist in solchen Gebieten behaupten, in denen auch cinerea und selysi lebt.
Bei anderen Arten und ihren Ausseinandersetzungen kann aber die Grösse des Individuums und seine individuelle Kraft durchaus entscheidend sein. Ich erinnere mich an einige Majorarbeiter von ligniperda, die mit grösster Gelassenheit aufgebracht anstürmende Formica rufa einfach zerbissen und zerrissen. Die ligniperda handelten völlig unaufgeregt, fast gelassen, während die kollektiv und gut orientiert angreifenden rufa an ihnen einfach untergingen.
Es ist also schwierig, wenn man meint die Grösse sei vom Vorteil (wie in diesem Falle) oder vom Nachteil, wie im Falle der Auseinandersetzungen mit Diebsameisen.

Auch glaube ich nicht unbedingt an die Mär, die Schuppenameisen und die anderen Nichtstechenden mit ihren "neuen" chemischen Waffen seien den stechenden Ameisen immer überlegen und hätten die besseren und entwickelteren Waffen. Es ist immer ein Zusammenspiel aus Anpassung und Lebensweise. So hab ich oft beobachtet, dass stechende Ameisen (zB. Manica) im Kampf mit Beutetieren oder Konkurrenten schneller und effizienter töten als nichtstechende. Diese sind im noch grösseren Ausmass an die Zusammenarbeit gebunden, denke ich.

Grüsse, Frank.



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Boro
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#14 Territorialkämpfe

Beitrag von Boro » 9. Januar 2006, 17:57

Frank, Du hast vollkommen recht, einen Ausgleich zwischen überlegenen und schwächeren Arten wird es geben, obwohl verschiedene Arten auch aussterben können, wie wir an vielen Beispielen wisssen.
Ich betreue seit 5 Jahren wiederholt einen Uferstreifen entlang eines Wildbaches mit der Länge von 500m und einer Ufersaumbreite von ewa 10m (beidseitig). Auf vegetationsarmen und noch jungen Schotter- und Kiesterrassen leben Manica und Serviformica sp.(selysi/cinerea) nebeneinander. In diesem Bereich bildet Formica oft Superkolonien auf einer Fläche von jeweils locker 10x10m .Der Boden ist dort (bei warmem Wetter) ständig mit fouragierenden und bei Hitze blitzschnellen Servif. bestückt. Vor einem Fußgänger flüchten sie nicht etwa, nein, sie greifen an!! Daneben gibt es ununterbrochen frequentierte Ameisenstraßen zu den einschlägigen Futterquellen. In diesen Bereichen gab es seither eine ständige Abnahme der Manica-Nester.
Wenn die Vegetation im Laufe der Zeit aber dichter wird, verschwindet Serviformica zuerst und Manica r. kann sich dort durchaus noch länger behaupten.
Im Bereich der Mündung des Baches in einen Stausee gibt es ausgedehnte Lehm- und Tonbänke, die das ganze Jahr über wegen des hohen Grundwasserstandes feucht bleiben. Während Formica sp. diese feuchten Böden meidet, scheinen sie Manica sehr zu behagen, denn dort gibt Superkolonien von Manica und ausgesprochen gesunde Populationen. Hier treten auch immer wieder große Exemplare der Arbeiterinnenkaste auf, die ich schon erwähnt habe. Auf diesen feuchten und auch bei Hitze kühleren Böden fouragiert Manica ganztägig, auch bei über 30 Grad Lufttemperatur. Hier ist sie also keineswegs vorwiegend nachtaktiv!
Übrigens tritt hier nur ein Konkurrent auf, eine Myrmica-Art, die ich erst näher bestimmen muß (ich vermute hellenica!) Und dieser Zwerg tritt gegen die großen Manica recht selbstbewußt auf, es kommt zu den schon erwähnten rituellen Auseinandersetzungen.
Gruß Boro



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Frank Mattheis
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#15

Beitrag von Frank Mattheis » 6. Februar 2006, 15:26

Hallo Boro,
das habe ich bei diesen Serviformica auch immer wieder beobachtet, gerade bei den cinerea. Bewohner grosser polkalischer Kolonieverbände dieser Art treten oft sehr selbstbewusst auf und greifen alles an, was erreichbar ist und ihre Aufmerksamkeit erregt. Selysi verhält sich ähnlich agressiv, bildet in den Alpen bei Sonthofen und Oberstdorf, dort habe ich die Art einige Zeit beobachten können, auch grössere Kolonieverbände. Ihre Kolonieverbände sind aber nie so riesig wie die der cinerea. Cinerea besetzte in Brandenburg, wo ich früher lebte, ganze Strassen und Gehwege in Ortschaften über mehrere hundert Meter, überall waren Eingänge und Nestaushub zu sehen und die Tiere von voneinander weit entfernten Nesteingängen verhielten sich freundschaftlich zueinander, wenn ich sie zusammenbrachte. Vorausetzung war natürlich eine durchgehende Besiedlung zwischen diesen Eingängen durch die Superkolonie. Cinerea unterschiedlicher Kolonien, die keinen Austausch miteinander pflegen, verhalten sich feindlich zueinander.
Diese Agressionsbereitschaft und Wehrhaftigkeit erspart diesen Arten wohl meist die Ausbeutung durch Sklavenhalter wie Raptiformica. Zwar fand ich hin und wieder auch cinerea als Sklaven in Raptiformica-Nestern, doch eher selten und vermutlich hatte die Raptiformica dann einzelne Pionierkolonien der cinerea überfallen. Grosse polykalische Kolonien der cinerea werden von Raptiformica nicht angegriffen, diese können selbst an der Peripherie der Superkolonie schnell alarmieren und viele wütende Verteidiger zusammenziehen.
Ich fand meist kaum Raptiformica-Kolonien in der unmittelbaren Nähe solcher cinerea-Superkolonien. Entweder waren diese verdrängt worden und abgewandert oder aber im Konkurrenzkampf untergegangen. Gelegenheiten für Raptiformica, in der Nähe solcher cinerea-Kolonien zu nisten, gibt es in Brandenburg zuhauf. Oft bewohnt cinerea breite, sonnige Sand- und Waldwege, dicht am Weg stehen dann schon Kiefernforste, die dann in unmittelbarer Nähe schon auch von fusca und anderen Arten bewohnt werden. Findet man hier Raptiformica, sind die Sklaven, soweit vorhanden, meist die fusca.
Die Raptiformica beuten dann offensichtlich eher die doch weniger ergiebigen und kleineren sowie verstreuten fusca-Kolonien aus und und sind zu diesem Zwecke im Hochsommer im lichten Kiefernwald "gewerblich" tätig.
Die sonst auch von den Raptiformica für die Besiedlung bevorzugten Waldwege und sandigen Lichtungen besetzen die cinerea. Erst mit einer zunehmenden Verbuschung verschwinden diese und das Habitat wird von Raptiformica, Formica und serviformica fusca erobert.
Die einzige Ameise, die sich meiner Beobachtung nach schon vorher massiv etablieren kann und sogar manchmal bei cinerea temp. sozialparasitisch gründet (...in Brandenburg sonst meist bei Raptiformica), ist Formica pratensis. Pratensis hat mit seinen dichtbelaufenen und eng markierten Transportstrassen zu den Nahrungsgründen für mich eine Sonderstellung innerhalb der Waldameisen. Ebenso wie cinerea bei den Serviformica, cinerea legt ebenfalls solche Strassen an, teilweise sogar untertunnelt und/oder als Hohlwege, dies tut so keine andere Serviformica.
Grüsse, Frank.



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#16

Beitrag von Boro » 10. Februar 2006, 10:23

Hallo Frank!
Im letzten Sommer hab ich mich wie so oft als (vorsichtiger) "Steinwender" betätigt. Im Randbereich größerer F.cinerea-Kolonien fand ich unter einer Steinplatte nicht nur das Nest der Sklavenameise, sondern zu meinem Erstaunen eine Königin der Waldameise. In der kurzen Zeit bis zum Niederlegen der Platte konnte ich sie nicht genau bestimmen, ich denke es war eine Königin von Formica rufa. Sie verharrte absolut still, die nächsten Sklaven waren mehr als 5cm entfernt und kümmerten sich offenbar gar nicht um den fremden Eindringling. Die Sklavenameisen hatten noch mehrere Königinnen, ich konnte 2 entdecken, die schnell im Untergrund verschwanden. Das Sklavennest war also noch intakt.
Du hast an anderer Stelle schon genau beschrieben, dass sich die Königin von Raptiformica im Gegensatz zur Polyergus-Königin einschleicht.
Eine erfolgreiche Strategie: Einschleichen, den Nestduft annehmen, dann Akzeptanz durch die Sklaven und schließlich das Töten der angestammten Königin. Oder der Duft des Eindringlings ist so attraktiv, dass die Sklavenameisen schließlich ihre eigene Königin umbringen.
Eine fotografische Dokumentation war nicht möglich, weil sonst alles durcheinander gekommen wäre.
Gruß Boro



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