Mittlerweile dĂŒrfte es bekannt sein, dass nicht nur die getreidesammelnden Ameisenarten eine besondere Vorliebe fĂŒr Pflanzensamen haben, auch viele andere Ameisenarten tragen Pflanzensamen in ihre Nester ein. Allerdings haben diese Arten weniger Interesse am Inhalt der Samenkapseln, als vielmehr an deren ölhaltigen AnhĂ€ngsel, dem Elaiosom. Wenn diese Elaiosomen abgenagt sind, spedieren die AufrĂ€umequipen ĂŒblicherweise die fĂŒr sie jetzt unnĂŒtz gewordenen Samen aus dem Nest. Formica rufa beispielsweise geht dabei nicht zu weit vom HĂŒgelnest weg, sondern deponiert die Samen meist in relativer NestnĂ€he, wĂ€hrend andere Arten oft einige Meter weit ihren Samenballast transportieren, und tragen damit zur Verbreitung dieser Pflanzenarten bei.
Diese Einrichtung der Myrmekochorie wurde bei vielen Pflanzen, insbesondere den GewĂ€chsen der Krautschicht in den WĂ€ldern, entwickelt, weil ihnen aus StandortgrĂŒnden eine andere Technik zur Samenverbreitung nicht möglich ist.
Aber nicht nur in unseren Breitengraden, noch viel ausgeprÀgter sind "Ameisenpflanzen" in den tropischen RegenwÀldern, denn gerade diese Gebiete gelten ja nicht nur als die reichsten floristischen Zonen der Erde, sie bieten gewissermassen auch einige "Hot Spots" der Ameisenvielfalt.
Nach den bisherigen Erkenntnissen werden weltweit 67 Pflanzenfamilien von Ameisen verbreitet. Eine erste Zusammenfassung verdanken wir R. Sernander mit seinem "Entwurf einer Minographie der europĂ€ischen Myrmekochoren" (Handlingar, 1906). A. J. Beattie erweiterte unsere Kenntnisse in seinem Werk "Distribution of ant-dispersered plant" (Hamburg, 1983), wobei er eben auch die Arbeiten aus tropischen Regionen mitberĂŒcksichtigte. Er vermutete, dass der "Artenreichtum und die Abundanz von Myrmekochoren und der sie verbreitenden Ameisen mit abnehmendem Breitengrade" zunehme, und dass durch "eine grössere Vielfalt an Mechanismen der Ameisenverbreitung in den Tropen besonders die armen Böden gefördert" werde.
Und wie ist es bei uns ?
WĂ€hrend mehreren Jahren befasste ich mich mit diesem Thema, naturgemĂ€ss vor allem in schweizerischen Regionen. Dennoch dĂŒrften diese Beobachtungen mindestens auch fĂŒr den SĂŒddeutschen Raum sowie fĂŒr viele Regionen in Oesterreich GĂŒltigkeit haben.
GestĂŒtzt auch auf die Beobachtungen von Sernander verbreiten wĂ€hrend einer Vegetationsperiode in einem Laubmischwald die Arbeiterinnen eines Waldameisennestes (Formica rufa) 30.480 Pflanzensamen ! In EichenwĂ€ldern sind rund 80 Pflanzenarten fĂŒr die Verbreitung ihrer Diasporen auf die Ameisen angewiesen, im Buchenwald sind es immerhin noch 45 Pflanzenarten.
Aus meinen Unterlagen geht hervor, dass fĂŒr "Mitteleuropa" im obengenannten Sinne 112 Pflanzenarten aus 55 Gattungen als "Ameisenpflanzen" bezeichnet werden können. An dieser Samenverbreitung sind 26 Ameisenarten beteiligt.
Zu den Schwerarbeitern gehört etwa Formica execta, fĂŒr die ich 28 Pflanzenarten registrieren konnte. Eindeutig die Spitzenposition hĂ€lt jedoch F. rufa, fĂŒr diese Waldameise konnte ich nicht weniger als 59 Samenarten feststellen, wĂ€hrend F. polyctena sich nur gerade fĂŒr drei GĂŒnselarten (Ajuga) interessiert (A. reptans = Kriechender GĂŒnsel; A. genevensis = Genfer GĂŒnsel sowie A. pyramidalis = Pyramiden-GĂŒnsel)
Bleiben wir noch einen Moment beim GĂŒnsel, denn hier zeigen einige Formicaarten ein seltsames Verhalten: F. polyctena fouragiert die Samen der drei oben genannten GĂŒnselarten, wĂ€hrend sich F. rufa ĂŒberhaupt nicht fĂŒr diese Pflanzenart interessiert. F. exacta hingegen trĂ€gt die Samen von A. reptans und A. pyramidalis ein, und R. pratensis konnte ich nur beim Eintragen von A. pyramidalis beobachten. FĂŒr den Gelben GĂŒnsel (A. chamaepiti) interessiert sich offensichtlich nur gerade Aphaenogaster subterranea.
In diesem Zusamenhang vielleicht noch der Hinweis, dass von rund 90 sogenannte "Mauerpflanzen", die also vorwiegend auf allen Arten von GemÀuern wachsen, deren 60 auf die Pflanzenverbreitung durch die Ameisen angewiesen sind.
Ich habe diesen thread gestartet, weil ich mir leichtsinnigerweise einbilde, dass sich vielleicht jemand aus dem Forum einmal auch in die freie Natur bewegen könnte, um dort Freiland-Ameisenstudien zu betreiben :-)
Schöne GrĂŒsse
Ryk
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