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Ameisen als Gärtner

Berichte, Erfahrungen, Beobachtungen aus der Natur
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Attafive
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#1 Ameisen als Gärtner

Beitrag von Attafive » 20. Februar 2006, 21:05

Hallo zusammen !

Mittlerweile dürfte es bekannt sein, dass nicht nur die getreidesammelnden Ameisenarten eine besondere Vorliebe für Pflanzensamen haben, auch viele andere Ameisenarten tragen Pflanzensamen in ihre Nester ein. Allerdings haben diese Arten weniger Interesse am Inhalt der Samenkapseln, als vielmehr an deren ölhaltigen Anhängsel, dem Elaiosom. Wenn diese Elaiosomen abgenagt sind, spedieren die Aufräumequipen üblicherweise die für sie jetzt unnütz gewordenen Samen aus dem Nest. Formica rufa beispielsweise geht dabei nicht zu weit vom Hügelnest weg, sondern deponiert die Samen meist in relativer Nestnähe, während andere Arten oft einige Meter weit ihren Samenballast transportieren, und tragen damit zur Verbreitung dieser Pflanzenarten bei.

Diese Einrichtung der Myrmekochorie wurde bei vielen Pflanzen, insbesondere den Gewächsen der Krautschicht in den Wäldern, entwickelt, weil ihnen aus Standortgründen eine andere Technik zur Samenverbreitung nicht möglich ist.

Aber nicht nur in unseren Breitengraden, noch viel ausgeprägter sind "Ameisenpflanzen" in den tropischen Regenwäldern, denn gerade diese Gebiete gelten ja nicht nur als die reichsten floristischen Zonen der Erde, sie bieten gewissermassen auch einige "Hot Spots" der Ameisenvielfalt.

Nach den bisherigen Erkenntnissen werden weltweit 67 Pflanzenfamilien von Ameisen verbreitet. Eine erste Zusammenfassung verdanken wir R. Sernander mit seinem "Entwurf einer Minographie der europäischen Myrmekochoren" (Handlingar, 1906). A. J. Beattie erweiterte unsere Kenntnisse in seinem Werk "Distribution of ant-dispersered plant" (Hamburg, 1983), wobei er eben auch die Arbeiten aus tropischen Regionen mitberücksichtigte. Er vermutete, dass der "Artenreichtum und die Abundanz von Myrmekochoren und der sie verbreitenden Ameisen mit abnehmendem Breitengrade" zunehme, und dass durch "eine grössere Vielfalt an Mechanismen der Ameisenverbreitung in den Tropen besonders die armen Böden gefördert" werde.

Und wie ist es bei uns ?

Während mehreren Jahren befasste ich mich mit diesem Thema, naturgemäss vor allem in schweizerischen Regionen. Dennoch dürften diese Beobachtungen mindestens auch für den Süddeutschen Raum sowie für viele Regionen in Oesterreich Gültigkeit haben.

Gestützt auch auf die Beobachtungen von Sernander verbreiten während einer Vegetationsperiode in einem Laubmischwald die Arbeiterinnen eines Waldameisennestes (Formica rufa) 30.480 Pflanzensamen ! In Eichenwäldern sind rund 80 Pflanzenarten für die Verbreitung ihrer Diasporen auf die Ameisen angewiesen, im Buchenwald sind es immerhin noch 45 Pflanzenarten.

Aus meinen Unterlagen geht hervor, dass für "Mitteleuropa" im obengenannten Sinne 112 Pflanzenarten aus 55 Gattungen als "Ameisenpflanzen" bezeichnet werden können. An dieser Samenverbreitung sind 26 Ameisenarten beteiligt.

Zu den Schwerarbeitern gehört etwa Formica execta, für die ich 28 Pflanzenarten registrieren konnte. Eindeutig die Spitzenposition hält jedoch F. rufa, für diese Waldameise konnte ich nicht weniger als 59 Samenarten feststellen, während F. polyctena sich nur gerade für drei Günselarten (Ajuga) interessiert (A. reptans = Kriechender Günsel; A. genevensis = Genfer Günsel sowie A. pyramidalis = Pyramiden-Günsel)

Bleiben wir noch einen Moment beim Günsel, denn hier zeigen einige Formicaarten ein seltsames Verhalten: F. polyctena fouragiert die Samen der drei oben genannten Günselarten, während sich F. rufa überhaupt nicht für diese Pflanzenart interessiert. F. exacta hingegen trägt die Samen von A. reptans und A. pyramidalis ein, und R. pratensis konnte ich nur beim Eintragen von A. pyramidalis beobachten. Für den Gelben Günsel (A. chamaepiti) interessiert sich offensichtlich nur gerade Aphaenogaster subterranea.

In diesem Zusamenhang vielleicht noch der Hinweis, dass von rund 90 sogenannte "Mauerpflanzen", die also vorwiegend auf allen Arten von Gemäuern wachsen, deren 60 auf die Pflanzenverbreitung durch die Ameisen angewiesen sind.

Ich habe diesen thread gestartet, weil ich mir leichtsinnigerweise einbilde, dass sich vielleicht jemand aus dem Forum einmal auch in die freie Natur bewegen könnte, um dort Freiland-Ameisenstudien zu betreiben :-)

Schöne Grüsse

Ryk

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Boro
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#2

Beitrag von Boro » 15. Mai 2006, 15:48

Hallo Ryk!
"Ameisen als Gärtner" ist ohne Frage ein sehr interessantes Thema und für das Ökosystem wichtig. Aber es ist schon ein sehr "wissenschaftliches" Thema, das ebenso in die Rubrik "wissenschaftliche Nachrichten" gehört. Warum hier niemand antwortet ist für mich völlig klar: Kaum jemand kennt sich da aus, bis auf eine Handvoll Biologen (Myrmekologen).
Das ist ganz sicher nicht Desinteresse, aber ganz einfach mangelndes Fachwissen beim ganz überwiegenden Teil unserer Mitglieder und user.
Ich betreue zwar derzeit 15 Terrarien, bin aber häufig im Gelände und auf Exkursionen und meine Erkenntnisse ziehe ich weit lieber aus dem Geschehen in der Natur als durch Beobachtung der Tiere in Gefangenschaft! Abgesehen davon liegt mein Interesse beim sozialen Verhalten der Tiere.
Ich gestehe, ich kann bei diesem Thema nicht mitreden. Aufgefallen ist mir nur des öfteren, dass Knotenameisen (vor allem Manica rubida, Myrmica sp. und Tetramorium sp.) Samen ins Nest eintragen.
Trotzdem: Dein Beitrag ist wichtig und sehr interessant, weil die Bedeutung dieser kleinen Tierchen für das Ökosystem unterstrichen wird.
Grukß Boro



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Boro
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#3

Beitrag von Boro » 6. Juni 2006, 21:15

Hallo Ryk!
Ich hab gestern schon den gleichen Artikel geschrieben, aber er ist aus nicht ersichtlichen Gründen verschwunden. Ich will über eine vielleicht interessante Beobachtung berichten, die das obige Thema betrifft.
Anlässlich einer Exkursion ist mir eine "Ameisenstraße" von Manica rubida aufgefallen, an sich nichts besonderes, aber ich konnte zuerst das Ziel der Ameisen nicht erkennen. Erst bei genauerer Betrachtung ist mir aufgefallen, dass Manica die Samen des Kriechenden Fingerkrautes (Potentilla reptans) sehr eifrig über längere Zeit zum Bau transportierte.
Eine so gezielte Samenernte war mir persönlich bisher nur von Messor sp. bekannt.
Beste Grüße Boro



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Attafive
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#4 Kleine Sensation !!

Beitrag von Attafive » 7. Juni 2006, 14:11

Hallo Boro !!

Was Du da beobachtet hast, gleicht schon einer kleinen Sensation !!!

Manica rubida figurierte bisher nicht in meiner Kartei als Samensammlerin. aber das wäre an und für sich nichts besonderes. Viel entscheidender ist jedoch, dass man über die Ernährungweise dieser Art bisher noch relativ wenig (sprich: nichts) kannte, sondern sie vorwiegend als zoophag einstufte. Selbst Seifert spricht in diesem Fall, dass gerade die Ernährungsfrage von M. rubida eigentlich ein eigenes Forschungsthema darstellen sollte bzw. müsste.

Leider findet sich in meiner näheren Umgebung kein geeignetes Habitat, auf dem sowohl die besagte Ameise als auch die von Dir genannte Pflanze anzutreffen ist. Vielleicht werde ich nach meiner derzeitigen Erholungsphase (nach den Op's) die Gelegenheit finden, mich auch mal mit dieser Frage zu befassen.

Auf jeden Fall vielen Dank für Deine Mitteilung!!

Schöne Grüsse

Ryk



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#5

Beitrag von Frey » 7. Juni 2006, 15:12

Hallo,

ich werde vorraussichtlich bald aus der Schweiz eine Kolonie der Manica rubida bekommen. Vielleicht kann ich einige Forschungen anstellen mit Eurer Hilfe.

Grüsse



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Boro
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#6

Beitrag von Boro » 7. Juni 2006, 15:21

Hallo Ryk!
Zur Ernährung von Manica rubida: Im Herbst vorigen Jahres hatte ich einmal frische Nüsse ausgelöst, dabei sind einige kleine Stückchen zu Boden gefallen. Zu meinem Erstaunen fand sich bald Manica ein, die diese rasch zu ihrem Nest transportierten und auch neue Arbeiterinnen rekrutierten. Auch hier entstand kurzfristig eine "Ameisenstraße".
Zumindest die "oberirdische" Ernährung von Manica ist auf Grund jahrelanger Beobachtungen klar:
1. Vorwiegend tote Insekten, Aas
2. "Langsame" Insekten verschiedener Stadien, z. B. Käferlarven, Engerlinge usw. Sehr bewegliche Insekten kann sie kaum erbeuten, weil sie selbst etwa im Vergleich zu Formica sp zu langsam ist und sich mitunter "ungeschickt" verhält.
3. Hin und wieder habe ich sie beim Melken von Läusen gesehen, aber auch hier haben sie Schwierigkeiten: Mit prallem Gaster haben sie beim Abwärtslaufen Probleme, sie können mitunter abstürzen.
Gute Besserung wünscht Boro

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#7 RE: Ameisen als Gärtner

Beitrag von Myrina » 18. November 2006, 16:29

Hi Ryk,

die Beziehungen zwischen ants & plants sind wirklich ein außerordentlich spannendes Thema, mit dem ich mich seit einiger Zeit näher beschäftige. Ich hatte das Vergnügen, zu Studienzwecken mich ein paar Monate in Girechenland ganz des Phänomens der Myrmecochorie hinzugeben. Eigentlich eher botanisch interessiert, haben meine Beobachtungen aber mehr und mehr Faszination für das komplexe Verhalten der Ameisen geweckt. Ihre strukturierte Arbeitsteilung, Koordination beim Teamwork, vor allem aber ihre landwirtschaftlichen und gärtnerischen Tätigkeiten sind unglaulich anbetrachts ihrer eingeschränkten "geistigen" Fähigkeiten. Insbesondere wenn es um konkrete Arbeitsschritte ging, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele Handlungen auf Trial & Error basieren. Kaum vorstellbar, dass ihre Handlungen ausschließlich genetisch vorprogrammiert sein sollen. Ich würd gerne mehr zu diesem Thema erfahren, kannst du mir Literatur dazu empfehlen? Ansonsten fänd ich es klasse, wenn der Austausch zur Synökologie zwischen Ameisen und Pflanzen auf dieser Seite wieder in Schwung käme.

lG, yvonne



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#8

Beitrag von Attafive » 18. November 2006, 19:19

Hallo Yvonne !

Mit dem Thema "Ameisen als Gärnter" beschäftige ich mich eigentlich schon seit vielen Jahren. In früheren Jahren auch mit dem inzwischen verstorbenen Dr. Robert Stäger (Arzt aus dem Kanton Tessin). Im ersten Eintrag zu diesem thread berichtete ich ja schon einiges.

Auch der Frage nach der Beschaffung von (Blüten-)Nektar durch die Ameisen (also nicht den Honigtau, der ja von den Läusen geliefert wird !) bin ich seit langer Zeit nachgegangen, was insbesondere für jene Ameisenarten von Bedeutung ist, die in Regionen leben, wo es keine Läuse, also auch keine Wurzelläuse) gibt.

Mittlerweilen beschäftigen sich einige Myrmekologen in verschiedenen Landesteilen, insbesondere auch in tropischen Gebieten, mit diesen Fragen. Interessanterweise hat man sich in Australien seit einigenJahren damit auseinandergesetzt.

Was nun die Literatur zu diesem Themenkreis anbelangt, ist es relativ schwierig, eine zusammenfassende Liste zu geben. Vielfach sind es Einzelberichte, die in den verschiedensten Fachzeitschriften veröffentlicht wurden/werden, oft sind es Berichte über einschlägige Symposien. Und das grossartige Werk von Sernander (siehe 1. Beitrag oben) erschien ja bereits 1906 !! Dieser Titel dürfte wohl nur noch in Bibliotheken --- bei viel Glück vielleicht antiquarisch --- aufzutreiben sein ;-((

An sich finde ich diese Themen sehr wichtig. Die Beschäftigung damit geht allerdings über das Beobachten einer Kolonie im heimischen Formikar hinaus, denn in erster Linie sind es Freiland-Untersuchungen die man anstellen muss, wie Du ja selber festgestellt hast !!

Deine "Zweifel" an den "vorprogrammierten" Handlungen der Ameisen kann ich Dir zwar nicht nehmen, aber durch eine über 40-jährige Beschäftignung (auch beruflich) mit Ameisen lernt man immer wieder, dass dem eben doch so ist, auch wenn man "es" nicht glaube kann. Denn tatsächlich haben wir es in jeder Ameisenkolonie mit einem komplexe Organismus zu tun, in welchem eine einzelne Ameise - mit Ausnahme der Königin --- nichts zählt, aber in der Gesamtheit eben das Wunderbare inbezug auf die Funktionalität immer wieder bestätigt wird !!!

Schöne Grüsse

Ryk



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