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Zu warm - Winterruhe problematisch.

Allgemeine Fragen und Themen über europäische Ameisenarten (hier keine Berichte)
Gast
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#9

Beitrag von Gast » 29. November 2009, 20:56

Hier geht es schlicht um Selektion!

Aktuell und für die betroffenen Völker einheimischer Ameisen hilft allenfalls ein Aufenthalt im Kühlschrank oder eine sonstige Kühlung, bis es draußen wieder kälter wird.

Das Folgende dient nur als Versuch einer Erklärung:

Die Toleranz für bestimmte jahreszyklische Klimaverläufe (lange Winter – kurze Winter; milde vs. strenge Winter; lange heiße Sommer vs. immer wieder durch Kälteperioden unterbrochene Sommer usw.) ist sicher genetisch begründet.

In jeder Generation werden die an einem bestimmten Ort ansässigen Völker (Koloniegründungen) durch die lokalen Klimaverläufe „getestet“, ausgelesen, selektiert!

Eine Königin/Kolonie, die so etwas wie die jetzige herbstliche Wärmewelle nicht verträgt, d.h. zur Unzeit Eier produziert, wird gnadenlos ausselektiert, geht eventuell zugrunde, oder produziert im nächsten Jahr weniger Nachwuchs. Somit werden von dieser Kolonie weniger, oder keine genetisch „schlecht angepassten“ Jungkolonien produziert. Die lokale Population entwickelt insgesamt über ein paar Generationen (eine Generation dauert bei Ameisen 3 bis evtl. 20 Jahre) eine Jahr für Jahr bessere Anpassung an das lokale Klima (aber immer nur über neue, besser angepasste Völker! Für bestehende Völker heißt es angepasst SEIN und leben, oder sterben).

Das kann bei sich rasch änderndem Klima auch umkehrbar sein. Allerdings nicht bei ein- und demselben Volk! (vgl. derzeitige Klimaerwärmung, der vielleicht auch wieder eine Abkühlung folgt; man kennt solche Schwankungen über ein paar Jahrzehnte hinweg).

Bekanntlich gibt es einige Ameisenarten, die von der Ostseeküste bis ins Hochgebirge verbreitet sind, von Meereshöhe null bis auf 2.000 und mehr Meter. Alle Populationen sind mehr oder weniger gut an das jeweilige Lokalklima angepasst.

Wenn Eure Ameisen z.B. aus dem Mittelgebirge stammen, so haben sie dort auch im Moment keine Probleme. Hat man sie aber ins Flachland oder in eine der bekannten Wärmeinseln (Oberrheingebiet als Beispiel) verkauft, sind sie nicht an die frühwinterliche Wärme angepasst und reagieren „falsch“, indem z.B. das Brutgeschäft in Gang kommt. – Hätte man sie freigesetzt, wären sie jetzt wahrscheinlich dem Untergang geweiht. Hätte man sie vor 2 oder 3 Jahren freigesetzt, hätten sie vielleicht bereits für unangepassten Nachwuchs gesorgt, so dass auch ihre Nachkommen gefährdet wären. Hier kommt das Stichwort „Intraspezifische Homogenisierung“ ins Spiel.

In jeder Generation, ja in jedem Jahr, geraten Jungköniginnen von den Randbereichen einer Population in bisher von der Art nicht besiedelte Bereiche. Bringen sie zufällig eine Toleranz für die dort herrschenden Bedingungen mit, kann die Art ihr Verbreitungsgebiet ausdehnen, in das bisher unbesiedelte Gebiet „einwandern“. Evtl. aber nur für ein paar Jahre: Ein oder einige wenige Extremjahre werden sie wieder zurück werfen.

Das darf man sich auch nicht falsch vorstellen: Die Ameisenart „wandert“ nicht (ganze Völker mit Stock und Hut Richtung Norden, :) ). Nur junge Königinnen können evtl. im bisher unbesiedelten Gebiet ansässig werden. Wird eine Art durch Klimaeinflüsse „verdrängt“, so sterben die Völker im bisherigen Gebiet, das jetzt ungünstig geworden ist. Nur die zufällig in das neuerdings günstig gewordene Gebiet geflogenen Königinnen können dort neue Völker aufbauen. > Das Areal der Art hat sich verschoben. Solche Vorgänge wurden und werden beobachtet.

– Ich weiß, das ist jetzt schon wieder viel Text, aber irgendwie möchte ich eine Vorstellung davon erwecken, was in der Natur wirklich so vorgeht.
Um noch einem verbreiteten Denkfehler vorzubeugen: Es ist nicht EIN Gen, das für Anpassung zuständig ist. Eher ist es ein ganzer Schwarm von Genen; auch z.B. unsere Haar-, Haut- und Augenfarbe variiert dank einer ganzen Anzahl von Genen. Die Mischung macht’s, bei den Ameisen und anderen Tieren auch hinsichtlich Anpassung an Klimaverläufe!

Auf dem Hintergrund dieser Kenntnisse kann man dann vielleicht auch verstehen, warum es für die Haltung von Ameisen wichtig ist, ihre Herkunft zu kennen, je genauer, desto besser. Es macht eben gerade zurzeit einen Unterschied, ob eine Kolonie Camponotus ligniperda aus 800 m im Bayerischen Wald stammt, oder aus 200 m am Rand des Pfälzer Waldes, ob aus MeVo oder aus dem Spessart. – Die Angabe „aus Mitteleuropa“ ist ebenso wenig hilfreich wie die Angabe des Verbreitungsgebietes der ganzen Art. Aber dieseMahnung ist ja nichts Neues....

mfG,
Merkur

EDIT und Ergänzung (30.11., 9:25):
Mir ist noch etwas Wichtiges eingefallen.
Eine Jungkönigin kann genetisch bestens an ein lokales Klima angepasst sein. Ihre Kolonie kann dennoch scheitern, wenn sie eine Mesalliance mit einem Männchen eingegangen ist, das „schlecht angepasste“ Gene übertragen hat: Alle Arbeiterinnen tragen diese Gene in sich und können damit den Arbeiterinnen der besser angepassten Nachbarkolonien unterlegen sein. Man muss dabei bedenken, dass weisellose Völker mancher Arten oft zahlreiche Männchen (Söhne von Arbeiterinnen) aufziehen. Das ist eines der Risiken für die heimischen Völker bei Freisetzung von Völkern unbekannter Herkunft, oder auch bei Freilassung von Männchen aus dem Formikar.
Manche Ameisenarten können solche Effekte teilweise ausgleichen, indem die Königinnen mit mehreren Männchen kopulieren. Honigbienen tun das in hohem Maße, bis zu 20 Männchen steuern ihren Genpool bei. Es ist wissenschaftlich belegt, dass es für das Volk umso besser ist, je mehr „Patrilinen“ (Gruppen von Töchtern, die verschiedene Väter haben) darin enthalten sind.
PS: Ich bedanke mich für mehrere positive Bewertungen und Anmerkungen. Es freut mich, dass auch ein solcher längerer Text gelesen und aufgenommen wird.



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#10 AW: Zu warm - Winterruhe problematisch.

Beitrag von antfriend » 29. November 2009, 20:59

Ich überwintere meine Arten, die nur eine leichte Winterruhe benötigen, immer im Schlafzimmer. Dort sind es je nach Außentemperatur und Lüftung durchs Fenster immer so 16-21°C.

Sowohl Messor barbarus (aus zwei verschiedenen Gebieten) haben das die letzten Jahre gut ĂĽberstanden. Als auch meine Camponotus. Diesjahr sind es Camponotus lateralis und Camponotus cruentatus. Wobei die Camponotus-Arten, zumindest z.B. diese beiden oben genannten, eine endogene Winterruhe einlegen. Das heiĂźt, sie haben mir beide schon vor ein paar Wochen angezeigt, das sie jetzt in Winterruhe gehen...
Die Messor barbarus jedoch ziehen, meiner Erfahrung nach, nur geringfügig weniger Brut auf. Wenn ich sie dann in Winterruhe gegeben habe, sprich ins Schlafzimmer gestellt, so haben sie ihre Brut noch fertig aufgezogen, es dauert dann halt alles länger. Aber die Gyne hat dann keine neuen Eier mehr gelegt.

In deinem Fall würde ich die Myrmecia chrysogaster wohl auch erstmal warm durchpflegen und dann evtl. beim nächsten Eierleg-Stop der Gyne die Temperatur etwas absenken und beobachten ob sie dann inaktiver werden...und somit die Winterruhe nachholen. Ansonsten: Für mich ist es auch ein Anzeichen von Winterruhe, wenn sie 2 Monate keine Eier gelegt hat und somit auch eine Pause gemacht hat.
Leider wissen wir halt immer wenig darüber, ob diese Arten die zugehörige Temperaturabsenkung mittelfristig dringend benötigen...

vG
Antfriend



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#11

Beitrag von bettwurst » 30. November 2009, 07:23

Nachdem im Oktober die Temperaturen bereits höher lagen als von mir erwartet und der Keller dummerweise beheizt zu sein scheint, habe ich mein Gemüsefach im Kühlschrank ausgelagert und alle drei Kolonien dort rein gepackt. Mal abgesehen davon, dass die größere Lasius niger-Kolonie einmal umgefallen ist, gehts dem Anschein nach allen gut...
sofern ich das denn beurteilen kann...


Die Natur gibt es leider im voraus. Bezahlt wird später!
.

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#12

Beitrag von swagman » 30. November 2009, 20:57

Hallo.

Zitat von Erne
Meine Myrmecia pavida starten gerade richtig durch (in ihrer Heimat ist Sommer).

Genauso verhält sich auch meine M. pavida Kolonie. Selbst die Geschlechtstiere werden fast zur gleichen Zeit aufgezogen wie in Australien. Sie halten sich ziemlich strikt an den Rhythmus von Australien, ohne auf die bei uns herrschende Temperatur oder Tageslänge zu reagieren. Was ich sehr interessant finde, kann das auch genetisch angelegt sein?
So weit ich es aber bisher bei meinen M. chrysogaster beobachten konnte, verhalten diese sich komplett an die bei uns herrschende Jahreszeit angepasst. Wobei die Temperatur wohl entscheidend fĂĽr ihr Verhalten ist.

Die Durchschnittswerte im Herkunftsgebiet für die Maximaltemperatur liegt bei etwa 25°C, die der Minimaltemperatur bei 15°C. Im Winter kann die Temperatur nachts auf unter 10°C sinken, tagsüber steigt sie aber auf 20-22°C.
Der Durchschnittswinter ist kurz, es ist nur 3 Monate nachts sehr kĂĽhl. Die anderen Monate stellen den Ăśbergang zum Sommer dar. Im Sommer gibt es dann auch etwa 4 sehr heiĂźe Monate.

Ich werde in einigen Tagen die M. chrysogaster noch einmal kontrollieren und je nach dem wie viele Eier ich entdecke entscheiden wie ich weiter vorgehen werde. Noch sind nur sehr wenige Eier im Nest und ich könnte sie dennoch überwintern und kühl stellen. Die Eier hätten dann wohl Pech gehabt und wären kein wirklicher Verlust. Kommen aber noch mehr Eier hinzu, werde ich sie wohl einfach bei der jetzigen Zimmertemperatur weiter halten.



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