Schon seit einiger Zeit beschÀftige ich mich damit, wie man echte Trophobiose im Formikarium möglich machen kann. Der Lausbericht von 2022 war dieser hier am Beispiel von Formica cunicularia und Topfrosen/RosenlÀusen:
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Viel hat sich seitdem geĂ€ndert, Probleme wurden ausgemerzt, viele Erfahrungen wurden gewonnen, viele Pflanzen und LĂ€use geopfert im Versuch, eine gute Kombination zu finden. Da dies ein langer Bericht wird, möchte ich mit einer Gliederung anfangen fĂŒr Leser, die nur an bestimmten Teilen interessiert sind. Sicher folgt nĂ€chstes Jahr ein Bericht, der das ganze noch weiter verbessert.
1. Einleitung
1.1 Warum ĂŒberhaupt Trophobiose im Formikarium?
1.2 Was wollen wir und warum war das Rosen-Setup nicht genug?
1.3 Lebenszyklus einer Blattlauskolonie
2. Das Finden einer passenden Kombination und warum es so schwer ist
2.1 Erster Weg: Passende Pflanzen, passende LĂ€use
2.2 Zweiter Weg: GeflĂŒgelte LĂ€use sammeln am Beispiel Ahorn
2.3 Dritter Weg: Eine schon besiedelte Pflanze
3. Die Robinie und ihre LĂ€use
4. Das Camponotus nicobarensis Setup und ihre Trophobiose
Einleitung
1.1 Warum ĂŒberhaupt Trophobiose im Formikarium?
Die Ameisenhaltung stellt einen vor verschiedenste Herausforderungen. Wir möchten, dass die Ameisen gedeihen und ihr Verhalten zeigen können. Von vornherein mĂŒssen wir aber als Kompromiss den Tieren etliche natĂŒrliche Verhaltensmuster wegnehmen, wie zum Beispiel das Bauen und Gestalten eines eigenen Nestes. Warum also Trophobiose, wenn man einfach Zucker oder Honig zufĂŒttern kann?
Erstens möchte ich den Tieren die Möglichkeit geben, trotz aller EinschrĂ€nkungen einen Teil ihres natĂŒrlichen, komplexen Verhaltens im Formikarium zu erhalten.
Zweitens macht es nach so langer Zeit die Haltung fĂŒr mich interessanter, denn nun hat man weit mehr, als die Tiere in einem abgeschlossenen System beim Wachsen zuzusehen und Futter hinein zu werfen. Die Komponente aus Pflanzen und LĂ€usen machen aus einem Punkt ein Dreieck, aus einer sehr geradlinigen Sache einen Kreislauf. Es hat etwas richtig magisches, ein komplexes System im Wohnzimmer zu haben, das abgesehen vom Setup ohne groĂes Zutun funktioniert und seine Wege geht.
1.2 Was wollen wir und warum war das Rosen-Setup nicht genug?
Wir stellen AnsprĂŒche an alle drei Komponenten: Ameisen, Pflanzen und LĂ€use. Von den Ameisen wollen wir natĂŒrlich, dass sie zu Trophobiose fĂ€hig sind und dies als ihre Quelle von Zucker anerkennen. Von der Pflanze brauchen wir eine Eignung fĂŒr die Raumhaltung, ein kontrolliertes Wachstum und gerade so viel Zufriedenheit, dass die LĂ€use sich gern darauf einfinden (eine glĂŒckliche Pflanze = eine glĂŒckliche Laus!). Von den LĂ€usen erwarten wir, dass ihre Zahl mit der Pflanze mitwĂ€chst, dass die Kolonien gut sichtbar sind und den Ameisen viel Honigtau spenden, ohne viel Dreck zu verursachen oder die Pflanze zu töten.
Das Rosen Setup 2022 war ein Anfang und hat nach einigen FehlschlĂ€gen zufriedenstellend fĂŒr drei Monate funktioniert. Es ist aber groĂes GlĂŒck, eine Pflanze ohne Insektizide zu finden, die auch von den LĂ€usen angenommen wird. Auch ist die Haltung von Rosen im Zimmer nur sehr schwer möglich und fĂŒhrt gern dazu, dass die LĂ€use wegen der sterbenden Pflanze abwandern. Auch sind die LĂ€use der Rose nicht ideal: Wir haben die Rosenlaus, die sich explosiv vermehrt und die Pflanze in den Tod treibt. Dann die submacula aus dem 2022 Versuch, die zwar eine rundum angenehme Laus ist, doch zu sehr dazu neigt, in den Untergrund zu wandern.
Mein Ziel fĂŒr dieses Jahr war es, eine Wirtspflanze zu finden, die sich leichter und kontrollierter im Zimmer kultivieren lĂ€sst. Und eine Laus, die auf dem Stamm oder den oberen Trieben sitzt und sich nicht allzu stark vermehrt.
1.3 Lebenszyklus einer Blattlauskolonie
Eine Blattlauskolonie Ă€hnelt oberflĂ€chlich einer Ameisenkolonie, doch zugrunde liegen fundamentale Unterschiede in der Biologie. Das Jahr beginnt fĂŒr die Blattlaus, wenn im FrĂŒhjahr die StammlĂ€use aus den Eiern schlĂŒpfen, die im Jahr zuvor gelegt wurden. StammlĂ€use sind groĂe weibliche Tiere, in der Regel sind sie schon durch ihre Vorfahren an die Pflanze angepasst, auf der sie gerade schlĂŒpfen. Die Tiere suchen entweder eine geeignete Pflanze oder beginnen sofort mit der Reproduktion, wenn sie bereits auf einer geeigneten sitzen. Diese Fortpflanzung ist nicht geschlechtlich, sondern Parthenogenese - alle Nachkommen der Stammlaus werden weibliche Klone sein, die sich ihrerseits weiter klonen. Die LĂ€use werden das Jahr ĂŒber lebend geboren und eine groĂe Laus kann eine bereits schwangere Laus zur Welt bringen. Auf diese Weise kann eine einzige Stammlaus schnell eine ganze Kolonie grĂŒnden. GeflĂŒgelte LĂ€use kommen periodisch zur Welt, welche versuchen werden, Nachbarpflanzen zu besiedeln. Meistens kann man Lauskolonien Schritt fĂŒr Schritt zur groĂen Mutterkolonie zurĂŒckverfolgen, wenn man den Pflanzen folgt.
Viele LĂ€use wechseln zwischen FrĂŒhjahr, Sommer und Herbst ihre Wirte, aber es gibt auch genug, die sich mit einer einzigen Pflanze begnĂŒgen. Es gibt ĂŒber 800 Lausarten allein bei uns, jede Art ist sehr streng an entweder eine oder wenige Pflanzen angepasst und die LĂ€use auf andere Pflanzen zu setzen endet in ihrem Tod. Im Herbst, wenn der Metabolismus der Pflanzen nachlĂ€sst, werden fĂŒr eine sehr kurze Zeit mĂ€nnliche LĂ€use produziert und es kommt zu einer geschlechtlichen Fortpflanzung, bei der winterharte Eier entstehen. Alle lebenden LĂ€use sterben im Winter, und im FrĂŒhjahr beginnt das Spiel von neuem mit dem Schlupf der StammlĂ€use.
2. Das Finden einer passenden Kombination und warum es so schwer ist
Wie oben beschrieben, sind LĂ€use sehr speziell angepasst. Es geht nicht, eine Laus von einer Distel zu nehmen und sie auf einen Holunder zu setzen. Wenn man also eine tolle Laus findet, die alle Kriterien erfĂŒllt, steht man vor dem Problem, eine Pflanze zu finden, die als Wirt akzeptiert wird. Andersrum, fĂ€llt einem eine toll kultivierbare Pflanze ein, kommt man in BedrĂ€ngnis mit den LĂ€usen, und kann ĂŒber 100 Lausarten auf die Pflanze werfen ohne mehr als ein mĂŒdes GĂ€hnen bei den Tieren zu erzeugen. Es gibt im Grunde drei Wege, an das Problem heran zu gehen.
2.1 Erster Weg: Passende Pflanzen, passende LĂ€use
Findet man eine geeignete Zimmerpflanze und hat keine Lauskolonien zuhand, sollte man bei nĂ€chsten Verwandten schauen. Eine Buntnessel zum Beispiel kann von einigen LĂ€usen angenommen werden, die man drauĂen auf Brennnesseln findet. Eine Zimmeresche ist ein TrompetenbaumgewĂ€chs, LĂ€use die also auf dem hĂ€ufig in StĂ€dten wachsenden Trompetenbaum vorkommen wĂ€ren hier die erste Anlaufstelle. Als letzte Lösung kann man eine der sehr anpassungsfĂ€higen Arten wie Bohnenlaus (findet man an Feldern oft) oder Apfellaus (findet man besonders gegen Ende des Jahres) versuchen, die Chance ist aber sehr gering.
Andersherum verhĂ€lt es sich noch schlimmer. Man sieht tolle LĂ€use auf einem Holunder, einer Linde oder einer anderen Pflanze, die sich nicht zuhause kultivieren lĂ€sst. Hier muss man wohl oder ĂŒbel kapitulieren. Die Chance, eine passende Pflanze auĂerhalb ihrer Wirtsart fĂŒr diese LĂ€use zu finden, ist fast null.
2.2 Zweiter Weg: GeflĂŒgelte LĂ€use sammeln am Beispiel Ahorn
Anstatt LĂ€use aus einer bereits auf eine Wirtspflanze angepassten Kolonie zu nehmen, kann man auf geflĂŒgelte zurĂŒckgreifen. An der Blattunterseite von BĂ€umen oder StrĂ€uchern sowie an bestehenden Kolonien sitzend findet man zahlreiche geflĂŒgelte LĂ€use. Auf einem Spaziergang ist es möglich, geflĂŒgelte Tiere von 10-20 Arten mitzunehmen. Man stellt seine Pflanzen nah zusammen (z.b. auf einer Fensterbank), spannt ein Fliegennetz darĂŒber (wenige Euros teuer) und lĂ€sst innerhalb dieses "KĂ€figs" die LĂ€use fliegen. Mit einer gewissen Chance findet eine der LĂ€use unter der Auswahl eine Pflanze, die ihr gefĂ€llt, und wird mit der GrĂŒndung beginnen.
Hier möchte ich ein spezielles Beispiel geben, nĂ€mlich den Ahorn. Junge Ahornpflanzen sind die schatten-resistentesten JungbĂ€ume die es bei uns gibt. Zahlreiche junge Ahorn Pflanzen kann man um diese Zeit selbst auf FlĂ€chen und WaldflĂ€chen finden, die komplett von Sonnenlicht befreit sind. Es ist leicht möglich, einen Ahorn von 4-8 BlĂ€ttern auszugraben. Mehr dĂŒrfen es nicht sein, denn der Ahorn ist Pfahlwurzler und die Wurzel ist dann einfach zu tief, als dass man sie vollstĂ€ndig bekommt. Ausgegrabene junge Ahorns kann man leicht in einer PlastiktĂŒte tragen, in die man etwas Wasser gesprenkelt hat - hier halten die Ahorns fĂŒr viele Stunden frisch auch ohne Wasser. Danach lassen sie sich in einfachen Wasserflaschen kultivieren.
Junge Ahorns und ein junger Götterbaum kurz nach dem Einfangen.
Eine Woche spĂ€ter hat jede Pflanze schon ein zusĂ€tzliches Blattpaar ausgebildet. Es ist an der Zeit, ein paar LĂ€use auf sie loszulassen. GeflĂŒgelte LĂ€use kann man unter Ahorn BlĂ€ttern stellenweise in groĂer Zahl absammeln und einfach auf die jungen Heim-Ahorns loslassen. Einige werden sich ansiedeln.
Einige geflĂŒgelte LĂ€use fanden an einem der Ahorns gefallen und haben sich unter einem Blatt an einer Ader niedergelassen.
2.3 Dritter Weg: Eine schon besiedelte Pflanze
Eigentlich der am einfachsten anmutende Weg: Man findet drauĂen eine befallene Pflanze in der richtigen GröĂe und buddelt sie aus. Das scheitert aber fast immer, da die Pflanze unter starken Stress gerĂ€t und womöglich auch gar nicht im Zimmer ĂŒberlebt. Es kann ein paar Tage gutgehen doch dann werden die LĂ€use plötzlich in groĂer Zahl abwandern und verenden.
Eine Möglichkeit ist aber, eine befallene Topffpflanze oder gar Zimmerpflanze zu finden. Wenn man pflanzenaffine Freunde hat, sollte man auf jeden Fall herum fragen. Auch Schild- und WolllĂ€use gehen, diese produzieren aber fĂŒr die Ameisen nicht annĂ€hrend so viel Honigtau wie klassische BlattlĂ€use.
3. Die Robinie und ihre LĂ€use
Schon drei Monate versuche ich schon wieder unter Kosten von Unmengen Freizeit, Geld und Nerven mit den verschiedensten Pflanzen und LĂ€usen eine Partnerschaft zu bekommen. WĂ€hrend die Rose + Rosenlaus letztes Jahr zwar generell klappte, aber einige schwerwiegende Probleme mit sich brachte, fiel die Wahl diesmal auf einen Neophyt, den man als groĂen stacheligen Strauch oder Baum kennt: Die Robinie.
Robinien in oder um StĂ€dte vermehren sich gröĂtenteils ĂŒber sogenannte Wurzelschosse, das sind Ableger die aus den weitlĂ€ufigen Wurzeln des Mutterbaums entsprieĂen. Diese jungen Robinien sehen aus wie eigenstĂ€ndige Pflanzen, sind aber ĂŒber eine "Nabelschnur" mit der Mutterwurzel verbunden und nichts weiter als eine VerlĂ€ngerung dieser. Wenn man diese Pflanzen trennt, werden sie sterben. Man muss eine junge Robinie finden, die eigenstĂ€ndig wĂ€chst. Diese erkennt man meist gut daran, dass an der Basis der Zweige zahlreiche neue Triebe sprieĂen. Je fester der Untergrund, umso flacher wurzelt eine Robinie, ideal lĂ€sst sich eine Jungpflanze also an Bahnschienen oder Autobahnen finden und mit einer Handschaufel ausgraben.
Eine junge 10cm hohe Robinie ameisensicher prĂ€pariert. In der Plastikflasche ist gesiebte Walderde, unten sind Ausflusslöcher fein gepikst, und rundherum feine Luftlöcher - eine NĂ€hnadel ist perfekt. Die Ăffnung oben lĂ€sst sich dann mit Watte zumachen. Diese Robinie ist aber noch zu klein, um LĂ€use halten zu können.
Hier ist eine etwas gröĂere 20cm hohe Robinie, auf dieselbe Weise prĂ€pariert. LĂ€use wurden bereits darauf angesiedelt, doch bevor diese Pflanze einer Ameisenkolonie verfĂŒgbar gemacht werden kann, muss die Lauskolonie erst noch wachsen.
Hier ist die aktuelle Robinie der Camponotus nicobarensis. Etwa 30cm hoch und mit stabilem Lausbefall. Die Pflanze ist trotz Wachstum durch die Zimmerhaltung geschwÀcht, dies kommt den LÀusen aber zugute, welche mit Vorliebe geschwÀchte Pflanzen besiedeln.
Doch woher habe ich die LĂ€use? Als Neophyt haben Robinien nur eine kleine Zahl Lausarten, die auf sie angepasst sind. Können kilometerweit Robinien lausfrei sein, stöĂt man plötzlich auf lokale Vorkommen, bei denen die Pflanzen massenweise befallen sind. Meist gehen LĂ€use auf Jungpflanzen oder Strauchpflanzen, nicht auf die ausgewachsenen BĂ€ume, dessen Rinde giftig ist.
In der Natur befallene Robinien. Hier sind zwei Arten LĂ€use vorhanden. Die schwarzen wandern sehr aktiv, produzieren aber nicht viel Honigtau. Die blauen wandern nicht gerne, aber produzieren eine gröĂere Menge und dichtere Kolonien.
4. Das Camponotus nicobarensis Setup und ihre Trophobiose
Ab 100+ LĂ€usen (eine gute sichtbare, mehrere Zentimeter lange Lauskolonie oder Traube) ist es ein guter Zeitpunkt, die Pflanze den Ameisen zugĂ€nglich zu machen. Die aktuelle Robinie der nicobarensis wird durch eine Pflanzenlampe versorgt, hĂ€lt bisher stabil durch und zeigt Wachstum an mehreren Trieben, wenn auch recht langsam. Bei einer gesunden Robinie kann man mit einem Wachstum von 10cm pro Monat rechnen, aber eine im Zimmer gehaltene und mit LĂ€usen befallene Pflanze wĂ€chst natĂŒrlich langsamer - was uns Haltern sehr zugute kommt.
Das ganze Setup ist 150cm weit und besteht aus einer groĂen Insel, auf der die nicos leben, verbunden mit einer kleinen Insel, auf der die Pflanze steht. FĂŒr Ăstethik können sich hier gern andere berufen fĂŒhlen, mir ist nur wichtig, dass es funktioniert
Das Hauptnest der nicos, daneben gibt es noch ein kleines 2 Kammer Nest. GegrĂŒndet wurde die Kolonie im Juli 2022 vor genau einem Jahr.
Zum Abschluss noch ein kleines Video, wie die nicos sich um ihre LĂ€use kĂŒmmern:
Zum Vergleich die Formica Kolonie, die um dieselbe Zeit gegrĂŒndet wurde wie die nicos. Trotz halbjĂ€hriger
Die Kolonie einen Monat spĂ€ter. Das Wachstum ist deutlich spĂŒrbar. Doch die Formica sind eine Geschichte fĂŒr einen anderen Tag und werden in KĂŒrze Ahorn als Lauswirt bekommen.