Eine sicherlich sehr interessante Fragestellung! Rein subjektiv bin ich auch bisher davon ausgegangen, dass Pygmäen eine geringere Lebenserwartung haben, als die später auftretenden Arbeiterinnen. Vielleicht kommt dieser Eindruck auch dadurch zustande, dass die Pygmäen nur so wenige sind, und bald nach der Gründung unter den ganzen anderen Arbeiterinnen verschwinden?
Eine wissenschaftliche Abhandlung von 2016, erstellt von Wissenschaftlern der Uni Groningen (Niederlande) und der Uni Rostock, kommt zu dem Ergebnis, dass sogar das Gegenteil der Fall ist:
The workers that had emerged from early stage colonies
were smaller and had lower mortality during the first 400 days of their life than the workers born in colonies at a
later stage. Our results suggest that early stage colonies produce small workers with an increased survival prob-
ability. These workers are gradually augmented by larger workers with a decreased survival probability that
serve as a redundant workforce with easily replaceable individuals. We doubt that the observed differences in
lifespan are driven by differences in body size. Rather, we suspect that physiological mechanisms are the basis
for the observed differences in lifespan.
Übersetzung von mir:Die Arbeiterinnen, welche in Kolonien in den frühen Phasen der Entwicklung auftreten, sind kleiner und wiesen eine geringere Mortalität in den ersten 400 Tagen ihres Lebens auf, als Arbeiterinnen die in Kolonien einer fortgeschrittenen Entwicklungsstufe auftreten.
Unsere Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass Kolonien in einer frühen Entwicklungsphase kleine Arbeiterinnen mit einer erhöhten Überlebenswahrscheinlichkeit hervorbringen. Diese Arbeiterinnen werden nach und nach durch größere Arbeiterinnen ersetzt; diese haben eine verringerte Überlebenswahrscheinlichkeit. Sie dienen als ein im Überfluss vorhandenes Heer von Arbeiterinnen, bei dem die einzelnen Individuen leicht ersetzt werden können.
Wir bezweifeln, dass die beobachteten Unterschiede in der Lebenserwartung durch die Unterschiede in der Körpergröße bestimmt werden. Vielmehr erscheinen uns physiologische Mechanismen als Erklärung für die beobachteten Unterschiede in der Lebenserwartung.
Die untersuchte Art war
Lasius niger. Die Studie findet sich unter folgendem Link im Original:
Worker lifespan is an adaptive trait during colony establishment in the long-lived ant Lasius nigerEs wird auf zwei weitere Studien mit ähnlichen Ergebnissen verwiesen, bei diesen wurden Honigbienen respektive soziale Insekten im Allgemeinen betrachtet.
Zu den Pygmäen findet sich noch folgender, sehr aufschlussreicher Passus (wenn gewünscht, kann ich das auch noch übersetzen):
Typically, queens in species such as L. niger with claustral independent nest foundation (Keller and Passera, 1989) do not forage themselves, but raise the first workers solely on resources from their body reserves, apparently trading off worker size against worker number (Tschinkel, 1988). These first workers,often called “minims” or “nanitic workers,” have been shown to be more efficient at brood rearing than later born,larger workers (Porter andTschinkel, 1986). In L.niger the switch from the production of small workers in small colonies to the production of regular sized workers in larger colonies is accompanied by a shift to cooperative foraging at a threshold colony size of 75 individuals (Mailleux et al., 2003).
Ich finde besonders den letzten Satz interessant, dass bei einer Koloniegröße ab 75 Arbeiterinnen eine Schwelle überschritten wird, und die Kolonie von diesem Moment an zu einer kooperativen Form der Nahrungssuche übergehen soll.
Es wird auch noch auf eine andere Studie mit Weberameisen (
Oecophylla smaragdina) eingegangen, in dieser zeigt sich, dass die Körpergröße der Arbeiterinnen dieser deutlich polymorphen Art negativ mit der Lebenserwartung korreliert. Begründet wird dies unter anderem mit der Übernahme gefährlicher Arbeiten (Außendienst statt
Brut hegen). Hier wird die Vermutung nahe gelegt, dass es bei
Lasius niger ähnlich gelagert sein könnte, mit meinen eigenen Worten würde ich sagen, die Pygmäen führen einen gesundheitsbewussten Lebensstil, während die größeren Arbeiterinnen ihrem Körper mehr abverlangen und auch die Gefahr bei Außeneinsätzen nicht scheuen, und deshalb oft einen vorzeitigen Tod sterben.
Ein wichtiger Punkt in meinen Augen ist noch, dass Arbeiterinnen bei
L. niger, welche es geschafft hatten die 400 Tage zu erreichen, dann auch etwa gleich lang lebten, unabhängig von den anderen Faktoren. Es sind wie immer bei solchen Untersuchungen die Durchschnittswerte, die am Ende zählen, aber das bedeutet nicht, dass nicht auch die größeren Arbeiter ein hohes Alter erreichen können (immerhin mehr als 10-mal so alt wie Honigbienen).