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Pygmäen sterben früher?

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Erne
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#1 Pygmäen sterben früher?

Beitrag von Erne » 24. Februar 2017, 20:29

Es könnte sich auch einfach um Pygmäen handeln, die von Natur aus nicht so lange leben.

Das ist fast jeden Tag in den Foren als mögliche Begründung nachlesbar.
Ist das wirklich so oder hat das mal ein User geschrieben und wurde solange weiter verbreitet, bis es als Fakt durch die Foren geistert?

Pygmäen sind die ersten Arbeiterinnen mit denen ein Ameisenhalter klar kommen muss, konfrontiert wird,
sterben diese, weil noch herum experimentiert wird, wird abgeleitet, Pygmäen leben nicht lange.
Es sind die ersten Arbeiterinnen die damit klar kommen müssen, was ihr Halter anbietet.
Wenn es nicht passt sterben diese.

Was für mich dabei außer Acht gelassen wird, das diese ersten Arbeiterinnen sterben, weil die Haltungsparameter nicht passten.
Aus jahrelangen Beobachtungen abgeleitet, passen die Haltungsparameter nicht, sind es oftmals die kleinsten Arbeiterinnen die sterben, erst viel später die Größeren.
Für mich ist es nur eine Begründung ohne gefestigte Informationen, dass Pygmäen früh sterben.
Derartige Beobachtungen, verglichen mit der Lebenszeit späterer Arbeiterinnen, habe ich nicht machen können.
Dabei räume ich ein, ist mir nicht immer möglich/einfach gewesen, genau zu trennen.

Meine Frage die ich hier anbringen möchte, wer von Euch konnte genaueres beobachten und wo kann ich was zur Sterblichkeit von Pygmäen nachlesen?

Grüße wolfgang
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Maddio

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#2 Re: Pygmäen sterben früher?

Beitrag von Maddio » 24. Februar 2017, 22:10

Eine sicherlich sehr interessante Fragestellung! Rein subjektiv bin ich auch bisher davon ausgegangen, dass Pygmäen eine geringere Lebenserwartung haben, als die später auftretenden Arbeiterinnen. Vielleicht kommt dieser Eindruck auch dadurch zustande, dass die Pygmäen nur so wenige sind, und bald nach der Gründung unter den ganzen anderen Arbeiterinnen verschwinden?

Eine wissenschaftliche Abhandlung von 2016, erstellt von Wissenschaftlern der Uni Groningen (Niederlande) und der Uni Rostock, kommt zu dem Ergebnis, dass sogar das Gegenteil der Fall ist:

The workers that had emerged from early stage colonies
were smaller and had lower mortality during the first 400 days of their life than the workers born in colonies at a
later stage. Our results suggest that early stage colonies produce small workers with an increased survival prob-
ability. These workers are gradually augmented by larger workers with a decreased survival probability that
serve as a redundant workforce with easily replaceable individuals. We doubt that the observed differences in
lifespan are driven by differences in body size. Rather, we suspect that physiological mechanisms are the basis
for the observed differences in lifespan.


Übersetzung von mir:
Die Arbeiterinnen, welche in Kolonien in den frühen Phasen der Entwicklung auftreten, sind kleiner und wiesen eine geringere Mortalität in den ersten 400 Tagen ihres Lebens auf, als Arbeiterinnen die in Kolonien einer fortgeschrittenen Entwicklungsstufe auftreten.

Unsere Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass Kolonien in einer frühen Entwicklungsphase kleine Arbeiterinnen mit einer erhöhten Überlebenswahrscheinlichkeit hervorbringen. Diese Arbeiterinnen werden nach und nach durch größere Arbeiterinnen ersetzt; diese haben eine verringerte Überlebenswahrscheinlichkeit. Sie dienen als ein im Überfluss vorhandenes Heer von Arbeiterinnen, bei dem die einzelnen Individuen leicht ersetzt werden können.

Wir bezweifeln, dass die beobachteten Unterschiede in der Lebenserwartung durch die Unterschiede in der Körpergröße bestimmt werden. Vielmehr erscheinen uns physiologische Mechanismen als Erklärung für die beobachteten Unterschiede in der Lebenserwartung.


Die untersuchte Art war Lasius niger. Die Studie findet sich unter folgendem Link im Original:

Worker lifespan is an adaptive trait during colony establishment in the long-lived ant Lasius niger

Es wird auf zwei weitere Studien mit ähnlichen Ergebnissen verwiesen, bei diesen wurden Honigbienen respektive soziale Insekten im Allgemeinen betrachtet.

Zu den Pygmäen findet sich noch folgender, sehr aufschlussreicher Passus (wenn gewünscht, kann ich das auch noch übersetzen):

Typically, queens in species such as L. niger with claustral independent nest foundation (Keller and Passera, 1989) do not forage themselves, but raise the first workers solely on resources from their body reserves, apparently trading off worker size against worker number (Tschinkel, 1988). These first workers,often called “minims” or “nanitic workers,” have been shown to be more efficient at brood rearing than later born,larger workers (Porter andTschinkel, 1986). In L.niger the switch from the production of small workers in small colonies to the production of regular sized workers in larger colonies is accompanied by a shift to cooperative foraging at a threshold colony size of 75 individuals (Mailleux et al., 2003).


Ich finde besonders den letzten Satz interessant, dass bei einer Koloniegröße ab 75 Arbeiterinnen eine Schwelle überschritten wird, und die Kolonie von diesem Moment an zu einer kooperativen Form der Nahrungssuche übergehen soll.

Es wird auch noch auf eine andere Studie mit Weberameisen (Oecophylla smaragdina) eingegangen, in dieser zeigt sich, dass die Körpergröße der Arbeiterinnen dieser deutlich polymorphen Art negativ mit der Lebenserwartung korreliert. Begründet wird dies unter anderem mit der Übernahme gefährlicher Arbeiten (Außendienst statt Brut hegen). Hier wird die Vermutung nahe gelegt, dass es bei Lasius niger ähnlich gelagert sein könnte, mit meinen eigenen Worten würde ich sagen, die Pygmäen führen einen gesundheitsbewussten Lebensstil, während die größeren Arbeiterinnen ihrem Körper mehr abverlangen und auch die Gefahr bei Außeneinsätzen nicht scheuen, und deshalb oft einen vorzeitigen Tod sterben.

Ein wichtiger Punkt in meinen Augen ist noch, dass Arbeiterinnen bei L. niger, welche es geschafft hatten die 400 Tage zu erreichen, dann auch etwa gleich lang lebten, unabhängig von den anderen Faktoren. Es sind wie immer bei solchen Untersuchungen die Durchschnittswerte, die am Ende zählen, aber das bedeutet nicht, dass nicht auch die größeren Arbeiter ein hohes Alter erreichen können (immerhin mehr als 10-mal so alt wie Honigbienen).
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#3 Re: Pygmäen sterben früher?

Beitrag von Safiriel » 25. Februar 2017, 12:35

Mein bisheriger Eindruck war, dass Ameisen die nichts beitragen gerne ersetzt werden. Ich kann das bisher allerdings nur von meinen Camponotus herculeanus berichten. Die Sterblichkeit der Pygmäen hier im zweiten Jahr mag auch andere Ursachen gehabt haben, dennoch möchte ich in diesem Zusammenhang anhand meiner ersten Media eine Hypothese in den Raum stellen:

Meine erste Media hatte von Anfang an das hintere Beinpaar gelähmt. Dennoch wurde sie versorgt und auch ins neue Nest getragen. Im Nest war sie sozusagen der Dosenöffner. Gab es gerade kein Insekt zu zerkleinern, wurde sie zu den Larven gelegt und fütterte diese. Diese Vorgehensweise hat mich sehr beeindruckt. Die Kolonie hat die Fähigkeiten der Media (Mandibeln) bestmöglich genutzt und ihre Schwächen (kann nicht laufen) kompensiert. Erst gegen Ende des Jahres, die Kolonie hatte ihre Aktivitäten schon fast komplett eingestellt, wurde sie verstoßen. Es gab nun auch "bessere" Media und vermutlich lohnte es sich nicht, diese mit durch den Winter zu bringen.

Hypothese: Zumindest manche Arten treffen eine Art Auswahl, was sie glauben wer sich lohnt durch den Winter zu bringen. Wer aussortiert wird, wird entweder riskantere Arbeiten erledigen (alte Ameisen), oder zur Not auch verstoßen. Neben dem natürlichen Tod und vielleicht höherer Sterblichkeit durch geringere Kraft/Größe, verkürzt sich so die Lebensdauer der Pygmäen.
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#4 Re: Pygmäen sterben früher?

Beitrag von Kalinova » 25. Februar 2017, 13:29

....wurde solange weiter verbreitet, bis es als Fakt durch die Foren geistert?


Zugegeben: ich hab das so oft gelesen, dass ich es einfach geglaubt habe. Danke Erne für deine Skepsis und Maddio für die Ausschnitte aus den Abhandlungen, würde mich übrigens freuen wenn du auch das letzte Zitat übersetzen würdest. Danke dafür :)

Ich finde es schon erstaunlich, das die Pygmäen vermütlich ausgeprägtere Überlebensinstinkte haben als spätere Arbeiterinnen. Sie sind kleiner, und zumindest bei meinen Ameisen ist mir aufgefallen, dass sie den Gaster nicht so vollladen (können?) wie andere Arbeiterinnen. Ob sie nun scheuer oder aggressiver sind als die anderen ... schwer zu sagen.
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Meine erste Ameise: Lasius niger -> weisellos abgegeben für Chthonolasius Gründungsversuch
Aktuelles Volk: Camponotus cosmicus

Links: Wissensteil, Regeln

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#5 Re: Pygmäen sterben früher?

Beitrag von Maddio » 25. Februar 2017, 15:28

Kalinova hat geschrieben:Zugegeben: ich hab das so oft gelesen, dass ich es einfach geglaubt habe. Danke Erne für deine Skepsis und Maddio für die Ausschnitte aus den Abhandlungen, würde mich übrigens freuen wenn du auch das letzte Zitat übersetzen würdest. Danke dafür :)


Ok, ich versuche mein Bestes ;)

Original:

Typically, queens in species such as L. niger with claustral independent nest foundation (Keller and Passera, 1989) do not forage themselves, but raise the first workers solely on resources from their body reserves, apparently trading off worker size against worker number (Tschinkel, 1988). These first workers,often called “minims” or “nanitic workers,” have been shown to be more efficient at brood rearing than later born,larger workers (Porter and Tschinkel, 1986). In L.niger the switch from the production of small workers in small colonies to the production of regular sized workers in larger colonies is accompanied by a shift to cooperative foraging at a threshold colony size of 75 individuals (Mailleux et al., 2003).


Meine Übersetzung (die Literaturangaben spare ich mir mal):

Es ist typisch für Arten mit claustraler, unabhängiger Koloniegründung, zu denen auch Lasius niger gehört, dass die Königin nicht selbst auf Nahrungssuche geht, sondern die ersten Arbeiterinnen ausschließlich aus ihren Körperreserven heraus aufzieht.

Diese ersten Arbeiterinnen, welche oft "minims" oder "nanitic workers" (dt. Pygmäen) genannt werden, sind erwiesenermaßen effizienter bei der Brutpflege als die später geborenen, größeren Arbeiterinnen.

Bei Lasius niger wird die Umstellung der Produktion von kleinen Arbeiterinnen in kleinen Kolonien, hin zu normal großen Arbeiterinnen in großen Kolonien, von einem Wechsel im Verhalten bei der Nahrungssuche begleitet, welches sich ab einer Schwellenkoloniegröße von 75 Arbeiterinnen hin zu einem kooperativen Verhalten bei der Nahrungssuche wandelt.
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#6 Re: Pygmäen sterben früher?

Beitrag von nortorn » 26. Februar 2017, 00:16

Da es schon spät bzw. früh ist, möchte ich nicht zu sehr ins Detail gehen und keine große Reden schwingen.
Im Endeffekt läuft es darauf hinaus, dass ich in knapp 13 Jahren Haltung bei diversen Arten keinen signifikanten Unterschied zwischen der Lebenszeit von Pygmäen und "normalen" Arbeiterinnen feststellen konnte.

Bei meinen Camponotus ligniperdus bspw. leben alle Pygmäen noch während ein paar der später geschlüpften Arbeiterinnen bereits das zeitliche gesegnet haben.

Es ist gerade in den Foren ein gängiges Problem, dass von unterschiedlichen Usern mehrfach wiederholte, mitunter falsche Angaben, als empirisch richtig angesehen werden.

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#7 Re: Pygmäen sterben früher?

Beitrag von trailandstreet » 26. Februar 2017, 20:24

Sicherlich ist die Gründungsphase die schwierigste und auch gefahrenreichste Zeit im Laufe des Lebens eines Volkes.
In der freien Natur kommen hier auch nebenbei noch einige andere hinzu, die in der Haltung fehlen, wie zB Feinde und vor alle andere Ameisen.
So gesehen ist alleine schon das Sterblichkeitsrisiko der "Anfangsarbeiterinnen" höher.
Mit zunehmender Größe des Volkes ist es aber auch meist so, dass die einzelnen Tiere weniger vorsichtig agieren bzw auch aggressiver an potentiell gefährliche Beute herangehen.
Da kommt es auch schon mal vor, dass die Spinne, die anschließend ins Nest geschleppt wird, noch eine davon in ihren klauen hält.
Gut, es findet ein Wechsel im Verhalten statt, aber man muss auch sehen, dass hier zweierlei Strategien zugrunde liegen.
Zum einen, gerade in der schwachen Anfangszeit möglichst zu überleben und das mit so wenig Verlust wie möglich.
Zum anderen geht es bei einem größeren Volk bereits um ganz andere Dinge. Futterversorgung sicherstellen, Territorium abstecken usw



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#8 Re: Pygmäen sterben früher?

Beitrag von Sajikii » 28. Februar 2017, 10:10

Interessant wäre zu wissen, wie wertvoll nun die Pygmäen-Nahrung aus den Körperreserven der Gyne tatsächlich ist. Womöglich handelt es sich hierbei um ein Futter das man nicht mit herkömmlicher Brutnahrung vergleichen kann? Vielleicht ist das auch ein Teil des Puzzles?
Wertvolle Ernährung und eine stressfreie Lebenszeit in der claustralen Gründung fördert gewiss eher die Lebenserwartung als das eines draufgängerischen Scouts.
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