Lausbericht 2023 - Trophobiose am Beispiel von Camponotus nicobarensis

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Joschi

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#1 Lausbericht 2023 - Trophobiose am Beispiel von Camponotus nicobarensis

Beitrag von Joschi » 10. Juli 2023, 16:12

Hallo liebe Ameisenfreunde, und auch Lausfreunde und Pflanzenfreunde.
Nico Lauszucht 2.jpg
Schon seit einiger Zeit beschÀftige ich mich damit, wie man echte Trophobiose im Formikarium möglich machen kann. Der Lausbericht von 2022 war dieser hier am Beispiel von Formica cunicularia und Topfrosen/RosenlÀusen:
einrichten-einer-langfristigen-lauskolo ... 62876.html
Viel hat sich seitdem geĂ€ndert, Probleme wurden ausgemerzt, viele Erfahrungen wurden gewonnen, viele Pflanzen und LĂ€use geopfert im Versuch, eine gute Kombination zu finden. Da dies ein langer Bericht wird, möchte ich mit einer Gliederung anfangen fĂŒr Leser, die nur an bestimmten Teilen interessiert sind. Sicher folgt nĂ€chstes Jahr ein Bericht, der das ganze noch weiter verbessert.

1. Einleitung
1.1 Warum ĂŒberhaupt Trophobiose im Formikarium?
1.2 Was wollen wir und warum war das Rosen-Setup nicht genug?
1.3 Lebenszyklus einer Blattlauskolonie
2. Das Finden einer passenden Kombination und warum es so schwer ist
2.1 Erster Weg: Passende Pflanzen, passende LĂ€use
2.2 Zweiter Weg: GeflĂŒgelte LĂ€use sammeln am Beispiel Ahorn
2.3 Dritter Weg: Eine schon besiedelte Pflanze
3. Die Robinie und ihre LĂ€use
4. Das Camponotus nicobarensis Setup und ihre Trophobiose

Einleitung

1.1 Warum ĂŒberhaupt Trophobiose im Formikarium?

Die Ameisenhaltung stellt einen vor verschiedenste Herausforderungen. Wir möchten, dass die Ameisen gedeihen und ihr Verhalten zeigen können. Von vornherein mĂŒssen wir aber als Kompromiss den Tieren etliche natĂŒrliche Verhaltensmuster wegnehmen, wie zum Beispiel das Bauen und Gestalten eines eigenen Nestes. Warum also Trophobiose, wenn man einfach Zucker oder Honig zufĂŒttern kann?
Erstens möchte ich den Tieren die Möglichkeit geben, trotz aller EinschrĂ€nkungen einen Teil ihres natĂŒrlichen, komplexen Verhaltens im Formikarium zu erhalten.
Zweitens macht es nach so langer Zeit die Haltung fĂŒr mich interessanter, denn nun hat man weit mehr, als die Tiere in einem abgeschlossenen System beim Wachsen zuzusehen und Futter hinein zu werfen. Die Komponente aus Pflanzen und LĂ€usen machen aus einem Punkt ein Dreieck, aus einer sehr geradlinigen Sache einen Kreislauf. Es hat etwas richtig magisches, ein komplexes System im Wohnzimmer zu haben, das abgesehen vom Setup ohne großes Zutun funktioniert und seine Wege geht.

1.2 Was wollen wir und warum war das Rosen-Setup nicht genug?

Wir stellen AnsprĂŒche an alle drei Komponenten: Ameisen, Pflanzen und LĂ€use. Von den Ameisen wollen wir natĂŒrlich, dass sie zu Trophobiose fĂ€hig sind und dies als ihre Quelle von Zucker anerkennen. Von der Pflanze brauchen wir eine Eignung fĂŒr die Raumhaltung, ein kontrolliertes Wachstum und gerade so viel Zufriedenheit, dass die LĂ€use sich gern darauf einfinden (eine glĂŒckliche Pflanze = eine glĂŒckliche Laus!). Von den LĂ€usen erwarten wir, dass ihre Zahl mit der Pflanze mitwĂ€chst, dass die Kolonien gut sichtbar sind und den Ameisen viel Honigtau spenden, ohne viel Dreck zu verursachen oder die Pflanze zu töten.

Das Rosen Setup 2022 war ein Anfang und hat nach einigen FehlschlĂ€gen zufriedenstellend fĂŒr drei Monate funktioniert. Es ist aber großes GlĂŒck, eine Pflanze ohne Insektizide zu finden, die auch von den LĂ€usen angenommen wird. Auch ist die Haltung von Rosen im Zimmer nur sehr schwer möglich und fĂŒhrt gern dazu, dass die LĂ€use wegen der sterbenden Pflanze abwandern. Auch sind die LĂ€use der Rose nicht ideal: Wir haben die Rosenlaus, die sich explosiv vermehrt und die Pflanze in den Tod treibt. Dann die submacula aus dem 2022 Versuch, die zwar eine rundum angenehme Laus ist, doch zu sehr dazu neigt, in den Untergrund zu wandern.

Mein Ziel fĂŒr dieses Jahr war es, eine Wirtspflanze zu finden, die sich leichter und kontrollierter im Zimmer kultivieren lĂ€sst. Und eine Laus, die auf dem Stamm oder den oberen Trieben sitzt und sich nicht allzu stark vermehrt.

1.3 Lebenszyklus einer Blattlauskolonie

Eine Blattlauskolonie Ă€hnelt oberflĂ€chlich einer Ameisenkolonie, doch zugrunde liegen fundamentale Unterschiede in der Biologie. Das Jahr beginnt fĂŒr die Blattlaus, wenn im FrĂŒhjahr die StammlĂ€use aus den Eiern schlĂŒpfen, die im Jahr zuvor gelegt wurden. StammlĂ€use sind große weibliche Tiere, in der Regel sind sie schon durch ihre Vorfahren an die Pflanze angepasst, auf der sie gerade schlĂŒpfen. Die Tiere suchen entweder eine geeignete Pflanze oder beginnen sofort mit der Reproduktion, wenn sie bereits auf einer geeigneten sitzen. Diese Fortpflanzung ist nicht geschlechtlich, sondern Parthenogenese - alle Nachkommen der Stammlaus werden weibliche Klone sein, die sich ihrerseits weiter klonen. Die LĂ€use werden das Jahr ĂŒber lebend geboren und eine große Laus kann eine bereits schwangere Laus zur Welt bringen. Auf diese Weise kann eine einzige Stammlaus schnell eine ganze Kolonie grĂŒnden. GeflĂŒgelte LĂ€use kommen periodisch zur Welt, welche versuchen werden, Nachbarpflanzen zu besiedeln. Meistens kann man Lauskolonien Schritt fĂŒr Schritt zur großen Mutterkolonie zurĂŒckverfolgen, wenn man den Pflanzen folgt.

Viele LĂ€use wechseln zwischen FrĂŒhjahr, Sommer und Herbst ihre Wirte, aber es gibt auch genug, die sich mit einer einzigen Pflanze begnĂŒgen. Es gibt ĂŒber 800 Lausarten allein bei uns, jede Art ist sehr streng an entweder eine oder wenige Pflanzen angepasst und die LĂ€use auf andere Pflanzen zu setzen endet in ihrem Tod. Im Herbst, wenn der Metabolismus der Pflanzen nachlĂ€sst, werden fĂŒr eine sehr kurze Zeit mĂ€nnliche LĂ€use produziert und es kommt zu einer geschlechtlichen Fortpflanzung, bei der winterharte Eier entstehen. Alle lebenden LĂ€use sterben im Winter, und im FrĂŒhjahr beginnt das Spiel von neuem mit dem Schlupf der StammlĂ€use.


2. Das Finden einer passenden Kombination und warum es so schwer ist

Wie oben beschrieben, sind LĂ€use sehr speziell angepasst. Es geht nicht, eine Laus von einer Distel zu nehmen und sie auf einen Holunder zu setzen. Wenn man also eine tolle Laus findet, die alle Kriterien erfĂŒllt, steht man vor dem Problem, eine Pflanze zu finden, die als Wirt akzeptiert wird. Andersrum, fĂ€llt einem eine toll kultivierbare Pflanze ein, kommt man in BedrĂ€ngnis mit den LĂ€usen, und kann ĂŒber 100 Lausarten auf die Pflanze werfen ohne mehr als ein mĂŒdes GĂ€hnen bei den Tieren zu erzeugen. Es gibt im Grunde drei Wege, an das Problem heran zu gehen.

2.1 Erster Weg: Passende Pflanzen, passende LĂ€use

Findet man eine geeignete Zimmerpflanze und hat keine Lauskolonien zuhand, sollte man bei nĂ€chsten Verwandten schauen. Eine Buntnessel zum Beispiel kann von einigen LĂ€usen angenommen werden, die man draußen auf Brennnesseln findet. Eine Zimmeresche ist ein TrompetenbaumgewĂ€chs, LĂ€use die also auf dem hĂ€ufig in StĂ€dten wachsenden Trompetenbaum vorkommen wĂ€ren hier die erste Anlaufstelle. Als letzte Lösung kann man eine der sehr anpassungsfĂ€higen Arten wie Bohnenlaus (findet man an Feldern oft) oder Apfellaus (findet man besonders gegen Ende des Jahres) versuchen, die Chance ist aber sehr gering.

Andersherum verhĂ€lt es sich noch schlimmer. Man sieht tolle LĂ€use auf einem Holunder, einer Linde oder einer anderen Pflanze, die sich nicht zuhause kultivieren lĂ€sst. Hier muss man wohl oder ĂŒbel kapitulieren. Die Chance, eine passende Pflanze außerhalb ihrer Wirtsart fĂŒr diese LĂ€use zu finden, ist fast null.

2.2 Zweiter Weg: GeflĂŒgelte LĂ€use sammeln am Beispiel Ahorn

Anstatt LĂ€use aus einer bereits auf eine Wirtspflanze angepassten Kolonie zu nehmen, kann man auf geflĂŒgelte zurĂŒckgreifen. An der Blattunterseite von BĂ€umen oder StrĂ€uchern sowie an bestehenden Kolonien sitzend findet man zahlreiche geflĂŒgelte LĂ€use. Auf einem Spaziergang ist es möglich, geflĂŒgelte Tiere von 10-20 Arten mitzunehmen. Man stellt seine Pflanzen nah zusammen (z.b. auf einer Fensterbank), spannt ein Fliegennetz darĂŒber (wenige Euros teuer) und lĂ€sst innerhalb dieses "KĂ€figs" die LĂ€use fliegen. Mit einer gewissen Chance findet eine der LĂ€use unter der Auswahl eine Pflanze, die ihr gefĂ€llt, und wird mit der GrĂŒndung beginnen.

Hier möchte ich ein spezielles Beispiel geben, nĂ€mlich den Ahorn. Junge Ahornpflanzen sind die schatten-resistentesten JungbĂ€ume die es bei uns gibt. Zahlreiche junge Ahorn Pflanzen kann man um diese Zeit selbst auf FlĂ€chen und WaldflĂ€chen finden, die komplett von Sonnenlicht befreit sind. Es ist leicht möglich, einen Ahorn von 4-8 BlĂ€ttern auszugraben. Mehr dĂŒrfen es nicht sein, denn der Ahorn ist Pfahlwurzler und die Wurzel ist dann einfach zu tief, als dass man sie vollstĂ€ndig bekommt. Ausgegrabene junge Ahorns kann man leicht in einer PlastiktĂŒte tragen, in die man etwas Wasser gesprenkelt hat - hier halten die Ahorns fĂŒr viele Stunden frisch auch ohne Wasser. Danach lassen sie sich in einfachen Wasserflaschen kultivieren.
Ahornzucht 1.jpg
Junge Ahorns und ein junger Götterbaum kurz nach dem Einfangen.

Ahornzucht 2.jpg
Eine Woche spĂ€ter hat jede Pflanze schon ein zusĂ€tzliches Blattpaar ausgebildet. Es ist an der Zeit, ein paar LĂ€use auf sie loszulassen. GeflĂŒgelte LĂ€use kann man unter Ahorn BlĂ€ttern stellenweise in großer Zahl absammeln und einfach auf die jungen Heim-Ahorns loslassen. Einige werden sich ansiedeln.

Ahornzucht 3.jpg
Einige geflĂŒgelte LĂ€use fanden an einem der Ahorns gefallen und haben sich unter einem Blatt an einer Ader niedergelassen.


2.3 Dritter Weg: Eine schon besiedelte Pflanze

Eigentlich der am einfachsten anmutende Weg: Man findet draußen eine befallene Pflanze in der richtigen GrĂ¶ĂŸe und buddelt sie aus. Das scheitert aber fast immer, da die Pflanze unter starken Stress gerĂ€t und womöglich auch gar nicht im Zimmer ĂŒberlebt. Es kann ein paar Tage gutgehen doch dann werden die LĂ€use plötzlich in großer Zahl abwandern und verenden.

Eine Möglichkeit ist aber, eine befallene Topffpflanze oder gar Zimmerpflanze zu finden. Wenn man pflanzenaffine Freunde hat, sollte man auf jeden Fall herum fragen. Auch Schild- und WolllĂ€use gehen, diese produzieren aber fĂŒr die Ameisen nicht annĂ€hrend so viel Honigtau wie klassische BlattlĂ€use.


3. Die Robinie und ihre LĂ€use
Robinie Natur.jpg
Schon drei Monate versuche ich schon wieder unter Kosten von Unmengen Freizeit, Geld und Nerven mit den verschiedensten Pflanzen und LĂ€usen eine Partnerschaft zu bekommen. WĂ€hrend die Rose + Rosenlaus letztes Jahr zwar generell klappte, aber einige schwerwiegende Probleme mit sich brachte, fiel die Wahl diesmal auf einen Neophyt, den man als großen stacheligen Strauch oder Baum kennt: Die Robinie.

Robinien in oder um StĂ€dte vermehren sich grĂ¶ĂŸtenteils ĂŒber sogenannte Wurzelschosse, das sind Ableger die aus den weitlĂ€ufigen Wurzeln des Mutterbaums entsprießen. Diese jungen Robinien sehen aus wie eigenstĂ€ndige Pflanzen, sind aber ĂŒber eine "Nabelschnur" mit der Mutterwurzel verbunden und nichts weiter als eine VerlĂ€ngerung dieser. Wenn man diese Pflanzen trennt, werden sie sterben. Man muss eine junge Robinie finden, die eigenstĂ€ndig wĂ€chst. Diese erkennt man meist gut daran, dass an der Basis der Zweige zahlreiche neue Triebe sprießen. Je fester der Untergrund, umso flacher wurzelt eine Robinie, ideal lĂ€sst sich eine Jungpflanze also an Bahnschienen oder Autobahnen finden und mit einer Handschaufel ausgraben.
Robinie Klein.jpg
Eine junge 10cm hohe Robinie ameisensicher prĂ€pariert. In der Plastikflasche ist gesiebte Walderde, unten sind Ausflusslöcher fein gepikst, und rundherum feine Luftlöcher - eine NĂ€hnadel ist perfekt. Die Öffnung oben lĂ€sst sich dann mit Watte zumachen. Diese Robinie ist aber noch zu klein, um LĂ€use halten zu können.

Robinie Mittel.jpg
Robinie Mittel 2.jpg
Hier ist eine etwas grĂ¶ĂŸere 20cm hohe Robinie, auf dieselbe Weise prĂ€pariert. LĂ€use wurden bereits darauf angesiedelt, doch bevor diese Pflanze einer Ameisenkolonie verfĂŒgbar gemacht werden kann, muss die Lauskolonie erst noch wachsen.

Robinie Gross.jpg
Hier ist die aktuelle Robinie der Camponotus nicobarensis. Etwa 30cm hoch und mit stabilem Lausbefall. Die Pflanze ist trotz Wachstum durch die Zimmerhaltung geschwÀcht, dies kommt den LÀusen aber zugute, welche mit Vorliebe geschwÀchte Pflanzen besiedeln.


Doch woher habe ich die LĂ€use? Als Neophyt haben Robinien nur eine kleine Zahl Lausarten, die auf sie angepasst sind. Können kilometerweit Robinien lausfrei sein, stĂ¶ĂŸt man plötzlich auf lokale Vorkommen, bei denen die Pflanzen massenweise befallen sind. Meist gehen LĂ€use auf Jungpflanzen oder Strauchpflanzen, nicht auf die ausgewachsenen BĂ€ume, dessen Rinde giftig ist.
Befall Robinie 1.jpg
Befall Robinie 2.jpg
In der Natur befallene Robinien. Hier sind zwei Arten LĂ€use vorhanden. Die schwarzen wandern sehr aktiv, produzieren aber nicht viel Honigtau. Die blauen wandern nicht gerne, aber produzieren eine grĂ¶ĂŸere Menge und dichtere Kolonien.


4. Das Camponotus nicobarensis Setup und ihre Trophobiose

Ab 100+ LĂ€usen (eine gute sichtbare, mehrere Zentimeter lange Lauskolonie oder Traube) ist es ein guter Zeitpunkt, die Pflanze den Ameisen zugĂ€nglich zu machen. Die aktuelle Robinie der nicobarensis wird durch eine Pflanzenlampe versorgt, hĂ€lt bisher stabil durch und zeigt Wachstum an mehreren Trieben, wenn auch recht langsam. Bei einer gesunden Robinie kann man mit einem Wachstum von 10cm pro Monat rechnen, aber eine im Zimmer gehaltene und mit LĂ€usen befallene Pflanze wĂ€chst natĂŒrlich langsamer - was uns Haltern sehr zugute kommt.

Nico Setup 1.jpg
Nico Setup 2.jpg
Das ganze Setup ist 150cm weit und besteht aus einer großen Insel, auf der die nicos leben, verbunden mit einer kleinen Insel, auf der die Pflanze steht. FĂŒr Ästethik können sich hier gern andere berufen fĂŒhlen, mir ist nur wichtig, dass es funktioniert :)

Nicos Juli 2023 1.jpg
Das Hauptnest der nicos, daneben gibt es noch ein kleines 2 Kammer Nest. GegrĂŒndet wurde die Kolonie im Juli 2022 vor genau einem Jahr.


Nico Lauszucht 1.jpg
Nico Lauszucht 3.jpg
Nico Lauszucht 4.jpg
Nico Lauszucht 5.jpg
Nico Lauszucht 6.jpg

Zum Abschluss noch ein kleines Video, wie die nicos sich um ihre LĂ€use kĂŒmmern:


Zum Vergleich die Formica Kolonie, die um dieselbe Zeit gegrĂŒndet wurde wie die nicos. Trotz halbjĂ€hriger Winterruhe sind sie noch gut im Rennen!
Formica cunicularia Anfang Juni.jpg
Die Kolonie Anfang Juni

Formica cunicularia Anfang Juli.jpg
Die Kolonie einen Monat spĂ€ter. Das Wachstum ist deutlich spĂŒrbar. Doch die Formica sind eine Geschichte fĂŒr einen anderen Tag und werden in KĂŒrze Ahorn als Lauswirt bekommen.
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#2 Lausbericht 2023 - Trophobiose am Beispiel von Camponotus nicobarensis

Beitrag von Joschi » 15. Juli 2023, 20:44

Ahorn und AhornlÀuse - eine kurze Anleitung

Ahorn eignet sich wegen seiner SchattenvertrĂ€glichkeit, der Robustheit und dem langsamen Wuchs besonders gut als Wirtspflanze fĂŒr eine Lauszucht. Auch sind die LĂ€use des Ahorn, die fĂŒr uns interessant sind (nĂ€mlich nicht die GallenlĂ€use, sondern die am Blatt sitzenden), besonders leicht einzufangen, denn geflĂŒgelte Exemplare sitzen bei einem Teil der BĂ€ume in großer Zahl an der Unterseite der BlĂ€tter. Das kann man auch schön mal beobachten, wenn man durch einen Park oder Wald spazieren geht und mal einen nĂ€heren Blick wirft.

Die LĂ€use sind genauso gemĂ€chlich wie die Pflanze: Da der Metabolismus des Ahorn recht langsam ist, zeugen die geflĂŒgelten StammlĂ€use erst dann Nachkommen, wenn die Pflanze sie auch versorgen kann. Vorher sitzen die großen Tiere an der Unterseite der BlĂ€tter und saugen so viel Saft, um dort zu ĂŒberleben. Es sind LĂ€use, die mit der Pflanze mit wachsen und somit eine sehr leichte und synchrone Aufzucht möglich machen.

Es gibt 2 Wege, Ahorn aufzuziehen:

Ahorn Minis.jpeg
Weg 1, eine Baby-Pflanze kultivieren


Ahorn Wurzel.jpeg
Weg 2, eine schon etwas gewachsene Pflanze vollstÀndig ausgraben. Es gibt hier einen Sweet Spot, da Ahorn Pfahlwurzler sind. Ab etwa 10 BlÀttern ist die Wurzel so tief, dass sie nicht mehr ohne BeschÀdigung (und damit Tod) ausgegraben werden kann.


Ahorn Wild.jpeg
Dieser Ahorn ist etwa 1 Meter hoch und wĂ€re ideal fĂŒr das Zimmer, hat aber eine ebenso tiefe Wurzel und kommt darum nicht in Frage.


Ahorn Aufzucht.jpeg
Von rechts nach links grĂ¶ĂŸer werdende Ahorn-Aufzuchts-Station auf der Fensterbank. Die Pflanzen können anfĂ€nglich in Wasser gehalten werden. Auf keinen Fall aber mehr als ein paar Wochen, dann setzt WurzelfĂ€ule ein und die Pflanze geht ein. Sie muss in Erde getopft werden, wenn die Wurzeln sich im Wasser ordentlich ausgebildet und eventuelle BeschĂ€digungen geheilt sind.


Ahorn StammlÀuse.jpeg
Dicke geflĂŒgelte StammlĂ€use auf einer grĂ¶ĂŸeren Jungpflanze, die bereits damit begonnen haben, einige Nachkommen zu zeugen. Dies ist der Beginn unserer Lauskolonie, die spĂ€ter den Ameisen dienen wird.

Da man den Ahorn leicht ameisensicher bekommt, da er nur einen Spross hat, kann man den Ameisen eine ganze "Batterie" aus 4-6 kleinen Ahorns zur VerfĂŒgung stellen, damit die Anzahl LĂ€use ausreicht.
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#3 Lausbericht 2023 - Trophobiose am Beispiel von Camponotus nicobarensis

Beitrag von PincoPallino » 15. Juli 2023, 22:32

Hallo Joschi,

ein einfaches Daumen hoch hat mir nicht gereicht :)

Danke fĂŒr diesen ausfĂŒhrlichen Bericht! Habe wieder viel gelernt. Und du kannst dir denken, ich bin neidisch. Will meine Nicos auch mit LĂ€usen sehen...

Komisch, dass ich deinen Bericht vor ein paar Tagen verpasst habe, zum GlĂŒck kam heute der Nachtrag. Ich habe ihn gesehen, nachdem ich hiermit beschĂ€ftigt war:

Ahorn
Ahorn

Details gibt es bald in meinem Haltungsbericht. Erstmal hoffe ich, dass sich die BĂ€umchen entwickeln.

GrĂŒĂŸe vom Pinco
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#4 Lausbericht 2023 - Trophobiose am Beispiel von Camponotus nicobarensis

Beitrag von Joschi » 18. Juli 2023, 21:58

Die LÀuse auf dem Ahorn kommen in Fahrt. Nachdem die StammlÀuse zwei Wochen lang keine Nachkommen gezeugt haben, sind die BÀumchen jetzt vital genug, dass es richtig losgeht.

Ahorn StammlÀuse.jpeg
Hier sah man die beiden StammlÀuse mit ersten Nachkommen am 15. Juli

Ahorn Mitte Juli.jpg
Und so sieht es heute schon aus, 3 Tage spĂ€ter. Man erkennt die zahlreichen flĂŒgellosen Tiere. Es sind noch etwa ein Dutzend weitere Nachkommen, die auf benachbarte BlĂ€tter gewandert sind. Ein ganz schönes Wachstum fĂŒr die kurze Zeit.


@PincoPallino Du kannst von Tag 1 schon geflĂŒgelte LĂ€use auf die Pflanzen ansetzen. Im Moment kann man die noch leicht finden an der Unterseite von AhornblĂ€ttern. Nur ein kleiner Teil davon wird dann am Ende eine Kolonie grĂŒnden, also je frĂŒher man anfĂ€ngt umso besser. Die LĂ€use werden sich unter den BlĂ€ttern einen Platz suchen und dort verweilen, bis es "losgeht". Ich wĂŒnsch dir ganz viel Erfolg!
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#5 Lausbericht 2023 - Trophobiose am Beispiel von Camponotus nicobarensis

Beitrag von Joschi » 22. Juli 2023, 20:03

Es ging jetzt auf einmal zack zack. Nachdem die geflĂŒgelten StammlĂ€use mehrere Wochen auf den BlĂ€ttern verharrt waren, haben vor etwa einer Woche eine handvoll zu "grĂŒnden" begonnen, wĂ€hrend alle anderen inzwischen am Blatt verstorben sind. Die Kolonie wĂ€chst rasant.

Ahorn Batterie.jpg
Hier ist eine "Ahorn Batterie", bestehend aus gesunden Pflanzen dreier GrĂ¶ĂŸen fertig eingetopft. Diese Ahorns werden dieses Jahr problemlos ĂŒberstehen, und mit etwas GlĂŒck noch nĂ€chstes Jahr den LĂ€usen dienen, bevor ich sie wegen zu hohem Wachstum austauschen muss.

Ahorn Kolonie.jpg
Fast jedes der großen BlĂ€tter sieht nun so aus. Die Ahorn-LĂ€use sind im Gegensatz zu ihren typischen Verwandten sehr mobil und können binnen Minuten ausschwĂ€rmen und die ganze Pflanze besiedeln. Dies brauchen sie in der Natur höchstwahrscheinlich, um schnell von trockenen zu frischen Teilen der Baumkrone zu gelangen, was mehrere Meter Weg ist - eine echte Strecke fĂŒr so kleine Tiere.

Servi Ende Juli 2023.jpg
Ein kurzer Blick zu den Serviformica, es sind in der vergangenen Woche das doppelte an Puppen dazu gekommen. Dazu haben sie sich durch den Kork gefressen und weiter unten ein Zweignest aufgemacht. Es wird jetzt ein neues Nest fĂ€llig nach nicht einmal 3 Monaten. Die LĂ€use der Robinien reichen nicht aus fĂŒr Serviformica und Camponotus nicobarensis, also werden die Servis bald die Ahorn Batterie bekommen, sobald sie ameisensicher gemacht wurde.
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#6 Lausbericht 2023 - Trophobiose am Beispiel von Camponotus nicobarensis

Beitrag von Erne » 27. Juli 2023, 23:57

Das einige Ameisenarten als Lebensgrundlage/Futterversorgung BlattlÀuse nutzen, ist bekannt.
Derartiges fĂŒr eine Ameisenhaltung zu nutzen, immer wieder versucht.
Meine Versuche sind gescheitert, weil mir die Pflanzen eingegangen sind oder die Ameisen eine zusÀtzliche Proteinquelle ausgeschöpft haben.
Nicht verwunderlich, dass ich hier Deinen AusfĂŒhrungen interessiert und gerne nachlese.

Camponotus nicobarensis, in meiner Haltung ein ĂŒberaus großes Volk, das pro Woche weitaus mehr als 20 ml
an Zuckerwasser haben will.
Stellt sich fĂŒr mich die Frage, was an Arbeiterinnen hat Dein Camponotus nicobarensis Volk, gibt es weitere Kohlenhydrate Quellen?

GrĂŒĂŸe Wolfang
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#7 Lausbericht 2023 - Trophobiose am Beispiel von Camponotus nicobarensis

Beitrag von Joschi » 28. Juli 2023, 00:39

Hi Erne! Das ist schön zu lesen, dass du es auch versucht hast mit den LĂ€usen. Ich kann es auch keinem verĂŒbeln, dem es von vornherein vor so einem Unterfangen graut. Man kann ja viel unkomplizierter einfach Kohlenhydrate zufĂŒttern und sich all den Aufwand sparen, sich auf einmal noch im Laus und Pflanze kĂŒmmern zu mĂŒssen. Auch ich habe jahrelang nur Fehlversuche gehabt und eine Menge Frust und Kosten. Meine bessere HĂ€lfte hat sich Strafen ausgedacht fĂŒr jedes Mal, wo das Wort "Laus" fĂ€llt.

Aber dann hat es plötzlich letztes Jahr das erste Mal ĂŒber Monate funktioniert. Die Formica hatten knapp 200 Arbeiterinnen zu dieser Zeit und haben tĂ€glich etwa fĂŒnfzig volle Gaster mit Honigtau von ihren RosenlĂ€usen bekommen. Das hat mehr als ausgereicht, die Kolonie zu versorgen. Das Volk heute wĂŒrde aber zwei bis drei dieser Rosen brauchen. Wenn man allerdings diesen Erfolg einmal hatte, ist das ein richtig tolles GefĂŒhl, und man möchte am liebsten all seine Ameisen mit einer Lauskolonie ausstatten.

Die nicos haben gerade zwischen 600 und 800 Arbeiterinnen, ich kann es nur noch ĂŒberschlagen. Ein moderates Volk, das noch viel stĂ€rker wachsen wird. Nach PincoPallinos Haltungsbericht habe ich gelernt und ihnen schön frĂŒh eine TrĂ€nke mit Zuckerlösung gebaut, da sie permanente Zufuhr mit Nahrung fordern. Was die LĂ€use angeht, kann ich nur beobachten, dass vorher etwa ein dutzend Arbeiterinnen stĂ€ndig an der TrĂ€nke waren, und auch ein Major als Wache dort abgestellt war. Seit der Lauskolonie sind es nur noch ein bis zwei, die dort permanent trinken, und stattdessen stehen zwei Majore an der Basis der Lauspflanze. Es ist natĂŒrlich nur eine Beobachtung, aber das ist eine ganze GrĂ¶ĂŸenordnung an Arbeiterinnen weniger an der TrĂ€nke, seit die LĂ€use da sind. Sie scheinen also mindestens 80% des Bedarfs von der Pflanze zu bekommen. Das ist allerdings auch eine große Traube mit insgesamt deutlich ĂŒber 100 LĂ€usen - dass diese große Kolonie bisher stabil existiert, ist auch mein erstes Mal.

Was sich aber mit dem Vorjahr deckt ist die Beobachtung, dass das VerhĂ€ltnis LĂ€use:Ameisen nicht 1:1 sein muss. Der Honigtau einer einzigen Laus kann, wie es aussieht, mehrere Arbeiterinnen dieser GrĂ¶ĂŸenordnung versorgen. Das ist natĂŒrlich nur Beobachtung und abhĂ€ngig von Pflanze und Lausart.

Eine richtig große Kolonie von 1000+ Arbeiterinnen wird man sicherlich nicht mit Honigtau vollstĂ€ndig versorgen können - die Lauskolonie mĂŒsste gigantisch sein, und ĂŒber Monate stabil.
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#8 Lausbericht 2023 - Trophobiose am Beispiel von Camponotus nicobarensis

Beitrag von PincoPallino » 28. Juli 2023, 01:39

Hallo Joschi,
Der Honigtau einer einzigen Laus kann, wie es aussieht, mehrere Arbeiterinnen dieser GrĂ¶ĂŸenordnung versorgen.
In Filmen und Videos habe ich schon hĂ€ufiger gesehen, dass die Honigtautropfen durchaus an die GrĂ¶ĂŸe eines Gasters herankommen können. Das hĂ€ngt natĂŒrlich auch vom GrĂ¶ĂŸenverhĂ€ltnis von Ameise und Laus ab. Aber trotzdem, ein voller Gaster ernĂ€hrt mehrere Ameisen.

Ansonsten, mal wieder danke! NĂ€chste Woche habe ich Urlaub und bin auch ein paar Tage in der Natur. Werde die Augen offen halten. Im Moment ist das Wetter wirklich nicht einladend.

GrĂŒĂŸe vom Pinco
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