Schon seit einiger Zeit beschäftige ich mich damit, wie man echte Trophobiose im Formikarium möglich machen kann. Der Lausbericht von 2022 war dieser hier am Beispiel von Formica cunicularia und Topfrosen/Rosenläusen:
einrichten-einer-langfristigen-lauskolo ... 62876.html
Viel hat sich seitdem geändert, Probleme wurden ausgemerzt, viele Erfahrungen wurden gewonnen, viele Pflanzen und Läuse geopfert im Versuch, eine gute Kombination zu finden. Da dies ein langer Bericht wird, möchte ich mit einer Gliederung anfangen für Leser, die nur an bestimmten Teilen interessiert sind. Sicher folgt nächstes Jahr ein Bericht, der das ganze noch weiter verbessert.
1. Einleitung
1.1 Warum überhaupt Trophobiose im Formikarium?
1.2 Was wollen wir und warum war das Rosen-Setup nicht genug?
1.3 Lebenszyklus einer Blattlauskolonie
2. Das Finden einer passenden Kombination und warum es so schwer ist
2.1 Erster Weg: Passende Pflanzen, passende Läuse
2.2 Zweiter Weg: Geflügelte Läuse sammeln am Beispiel Ahorn
2.3 Dritter Weg: Eine schon besiedelte Pflanze
3. Die Robinie und ihre Läuse
4. Das Camponotus nicobarensis Setup und ihre Trophobiose
Einleitung
1.1 Warum überhaupt Trophobiose im Formikarium?
Die Ameisenhaltung stellt einen vor verschiedenste Herausforderungen. Wir möchten, dass die Ameisen gedeihen und ihr Verhalten zeigen können. Von vornherein müssen wir aber als Kompromiss den Tieren etliche natürliche Verhaltensmuster wegnehmen, wie zum Beispiel das Bauen und Gestalten eines eigenen Nestes. Warum also Trophobiose, wenn man einfach Zucker oder Honig zufüttern kann?
Erstens möchte ich den Tieren die Möglichkeit geben, trotz aller Einschränkungen einen Teil ihres natürlichen, komplexen Verhaltens im Formikarium zu erhalten.
Zweitens macht es nach so langer Zeit die Haltung für mich interessanter, denn nun hat man weit mehr, als die Tiere in einem abgeschlossenen System beim Wachsen zuzusehen und Futter hinein zu werfen. Die Komponente aus Pflanzen und Läusen machen aus einem Punkt ein Dreieck, aus einer sehr geradlinigen Sache einen Kreislauf. Es hat etwas richtig magisches, ein komplexes System im Wohnzimmer zu haben, das abgesehen vom Setup ohne großes Zutun funktioniert und seine Wege geht.
1.2 Was wollen wir und warum war das Rosen-Setup nicht genug?
Wir stellen Ansprüche an alle drei Komponenten: Ameisen, Pflanzen und Läuse. Von den Ameisen wollen wir natürlich, dass sie zu Trophobiose fähig sind und dies als ihre Quelle von Zucker anerkennen. Von der Pflanze brauchen wir eine Eignung für die Raumhaltung, ein kontrolliertes Wachstum und gerade so viel Zufriedenheit, dass die Läuse sich gern darauf einfinden (eine glückliche Pflanze = eine glückliche Laus!). Von den Läusen erwarten wir, dass ihre Zahl mit der Pflanze mitwächst, dass die Kolonien gut sichtbar sind und den Ameisen viel Honigtau spenden, ohne viel Dreck zu verursachen oder die Pflanze zu töten.
Das Rosen Setup 2022 war ein Anfang und hat nach einigen Fehlschlägen zufriedenstellend für drei Monate funktioniert. Es ist aber großes Glück, eine Pflanze ohne Insektizide zu finden, die auch von den Läusen angenommen wird. Auch ist die Haltung von Rosen im Zimmer nur sehr schwer möglich und führt gern dazu, dass die Läuse wegen der sterbenden Pflanze abwandern. Auch sind die Läuse der Rose nicht ideal: Wir haben die Rosenlaus, die sich explosiv vermehrt und die Pflanze in den Tod treibt. Dann die submacula aus dem 2022 Versuch, die zwar eine rundum angenehme Laus ist, doch zu sehr dazu neigt, in den Untergrund zu wandern.
Mein Ziel für dieses Jahr war es, eine Wirtspflanze zu finden, die sich leichter und kontrollierter im Zimmer kultivieren lässt. Und eine Laus, die auf dem Stamm oder den oberen Trieben sitzt und sich nicht allzu stark vermehrt.
1.3 Lebenszyklus einer Blattlauskolonie
Eine Blattlauskolonie ähnelt oberflächlich einer Ameisenkolonie, doch zugrunde liegen fundamentale Unterschiede in der Biologie. Das Jahr beginnt für die Blattlaus, wenn im Frühjahr die Stammläuse aus den Eiern schlüpfen, die im Jahr zuvor gelegt wurden. Stammläuse sind große weibliche Tiere, in der Regel sind sie schon durch ihre Vorfahren an die Pflanze angepasst, auf der sie gerade schlüpfen. Die Tiere suchen entweder eine geeignete Pflanze oder beginnen sofort mit der Reproduktion, wenn sie bereits auf einer geeigneten sitzen. Diese Fortpflanzung ist nicht geschlechtlich, sondern Parthenogenese - alle Nachkommen der Stammlaus werden weibliche Klone sein, die sich ihrerseits weiter klonen. Die Läuse werden das Jahr über lebend geboren und eine große Laus kann eine bereits schwangere Laus zur Welt bringen. Auf diese Weise kann eine einzige Stammlaus schnell eine ganze Kolonie gründen. Geflügelte Läuse kommen periodisch zur Welt, welche versuchen werden, Nachbarpflanzen zu besiedeln. Meistens kann man Lauskolonien Schritt für Schritt zur großen Mutterkolonie zurückverfolgen, wenn man den Pflanzen folgt.
Viele Läuse wechseln zwischen Frühjahr, Sommer und Herbst ihre Wirte, aber es gibt auch genug, die sich mit einer einzigen Pflanze begnügen. Es gibt über 800 Lausarten allein bei uns, jede Art ist sehr streng an entweder eine oder wenige Pflanzen angepasst und die Läuse auf andere Pflanzen zu setzen endet in ihrem Tod. Im Herbst, wenn der Metabolismus der Pflanzen nachlässt, werden für eine sehr kurze Zeit männliche Läuse produziert und es kommt zu einer geschlechtlichen Fortpflanzung, bei der winterharte Eier entstehen. Alle lebenden Läuse sterben im Winter, und im Frühjahr beginnt das Spiel von neuem mit dem Schlupf der Stammläuse.
2. Das Finden einer passenden Kombination und warum es so schwer ist
Wie oben beschrieben, sind Läuse sehr speziell angepasst. Es geht nicht, eine Laus von einer Distel zu nehmen und sie auf einen Holunder zu setzen. Wenn man also eine tolle Laus findet, die alle Kriterien erfüllt, steht man vor dem Problem, eine Pflanze zu finden, die als Wirt akzeptiert wird. Andersrum, fällt einem eine toll kultivierbare Pflanze ein, kommt man in Bedrängnis mit den Läusen, und kann über 100 Lausarten auf die Pflanze werfen ohne mehr als ein müdes Gähnen bei den Tieren zu erzeugen. Es gibt im Grunde drei Wege, an das Problem heran zu gehen.
2.1 Erster Weg: Passende Pflanzen, passende Läuse
Findet man eine geeignete Zimmerpflanze und hat keine Lauskolonien zuhand, sollte man bei nächsten Verwandten schauen. Eine Buntnessel zum Beispiel kann von einigen Läusen angenommen werden, die man draußen auf Brennnesseln findet. Eine Zimmeresche ist ein Trompetenbaumgewächs, Läuse die also auf dem häufig in Städten wachsenden Trompetenbaum vorkommen wären hier die erste Anlaufstelle. Als letzte Lösung kann man eine der sehr anpassungsfähigen Arten wie Bohnenlaus (findet man an Feldern oft) oder Apfellaus (findet man besonders gegen Ende des Jahres) versuchen, die Chance ist aber sehr gering.
Andersherum verhält es sich noch schlimmer. Man sieht tolle Läuse auf einem Holunder, einer Linde oder einer anderen Pflanze, die sich nicht zuhause kultivieren lässt. Hier muss man wohl oder übel kapitulieren. Die Chance, eine passende Pflanze außerhalb ihrer Wirtsart für diese Läuse zu finden, ist fast null.
2.2 Zweiter Weg: Geflügelte Läuse sammeln am Beispiel Ahorn
Anstatt Läuse aus einer bereits auf eine Wirtspflanze angepassten Kolonie zu nehmen, kann man auf geflügelte zurückgreifen. An der Blattunterseite von Bäumen oder Sträuchern sowie an bestehenden Kolonien sitzend findet man zahlreiche geflügelte Läuse. Auf einem Spaziergang ist es möglich, geflügelte Tiere von 10-20 Arten mitzunehmen. Man stellt seine Pflanzen nah zusammen (z.b. auf einer Fensterbank), spannt ein Fliegennetz darüber (wenige Euros teuer) und lässt innerhalb dieses "Käfigs" die Läuse fliegen. Mit einer gewissen Chance findet eine der Läuse unter der Auswahl eine Pflanze, die ihr gefällt, und wird mit der Gründung beginnen.
Hier möchte ich ein spezielles Beispiel geben, nämlich den Ahorn. Junge Ahornpflanzen sind die schatten-resistentesten Jungbäume die es bei uns gibt. Zahlreiche junge Ahorn Pflanzen kann man um diese Zeit selbst auf Flächen und Waldflächen finden, die komplett von Sonnenlicht befreit sind. Es ist leicht möglich, einen Ahorn von 4-8 Blättern auszugraben. Mehr dürfen es nicht sein, denn der Ahorn ist Pfahlwurzler und die Wurzel ist dann einfach zu tief, als dass man sie vollständig bekommt. Ausgegrabene junge Ahorns kann man leicht in einer Plastiktüte tragen, in die man etwas Wasser gesprenkelt hat - hier halten die Ahorns für viele Stunden frisch auch ohne Wasser. Danach lassen sie sich in einfachen Wasserflaschen kultivieren.
Junge Ahorns und ein junger Götterbaum kurz nach dem Einfangen.
Eine Woche später hat jede Pflanze schon ein zusätzliches Blattpaar ausgebildet. Es ist an der Zeit, ein paar Läuse auf sie loszulassen. Geflügelte Läuse kann man unter Ahorn Blättern stellenweise in großer Zahl absammeln und einfach auf die jungen Heim-Ahorns loslassen. Einige werden sich ansiedeln.
Einige geflügelte Läuse fanden an einem der Ahorns gefallen und haben sich unter einem Blatt an einer Ader niedergelassen.
2.3 Dritter Weg: Eine schon besiedelte Pflanze
Eigentlich der am einfachsten anmutende Weg: Man findet draußen eine befallene Pflanze in der richtigen Größe und buddelt sie aus. Das scheitert aber fast immer, da die Pflanze unter starken Stress gerät und womöglich auch gar nicht im Zimmer überlebt. Es kann ein paar Tage gutgehen doch dann werden die Läuse plötzlich in großer Zahl abwandern und verenden.
Eine Möglichkeit ist aber, eine befallene Topffpflanze oder gar Zimmerpflanze zu finden. Wenn man pflanzenaffine Freunde hat, sollte man auf jeden Fall herum fragen. Auch Schild- und Wollläuse gehen, diese produzieren aber für die Ameisen nicht annährend so viel Honigtau wie klassische Blattläuse.
3. Die Robinie und ihre Läuse
Schon drei Monate versuche ich schon wieder unter Kosten von Unmengen Freizeit, Geld und Nerven mit den verschiedensten Pflanzen und Läusen eine Partnerschaft zu bekommen. Während die Rose + Rosenlaus letztes Jahr zwar generell klappte, aber einige schwerwiegende Probleme mit sich brachte, fiel die Wahl diesmal auf einen Neophyt, den man als großen stacheligen Strauch oder Baum kennt: Die Robinie.
Robinien in oder um Städte vermehren sich größtenteils über sogenannte Wurzelschosse, das sind Ableger die aus den weitläufigen Wurzeln des Mutterbaums entsprießen. Diese jungen Robinien sehen aus wie eigenständige Pflanzen, sind aber über eine "Nabelschnur" mit der Mutterwurzel verbunden und nichts weiter als eine Verlängerung dieser. Wenn man diese Pflanzen trennt, werden sie sterben. Man muss eine junge Robinie finden, die eigenständig wächst. Diese erkennt man meist gut daran, dass an der Basis der Zweige zahlreiche neue Triebe sprießen. Je fester der Untergrund, umso flacher wurzelt eine Robinie, ideal lässt sich eine Jungpflanze also an Bahnschienen oder Autobahnen finden und mit einer Handschaufel ausgraben.
Eine junge 10cm hohe Robinie ameisensicher präpariert. In der Plastikflasche ist gesiebte Walderde, unten sind Ausflusslöcher fein gepikst, und rundherum feine Luftlöcher - eine Nähnadel ist perfekt. Die Öffnung oben lässt sich dann mit Watte zumachen. Diese Robinie ist aber noch zu klein, um Läuse halten zu können.
Hier ist eine etwas größere 20cm hohe Robinie, auf dieselbe Weise präpariert. Läuse wurden bereits darauf angesiedelt, doch bevor diese Pflanze einer Ameisenkolonie verfügbar gemacht werden kann, muss die Lauskolonie erst noch wachsen.
Hier ist die aktuelle Robinie der Camponotus nicobarensis. Etwa 30cm hoch und mit stabilem Lausbefall. Die Pflanze ist trotz Wachstum durch die Zimmerhaltung geschwächt, dies kommt den Läusen aber zugute, welche mit Vorliebe geschwächte Pflanzen besiedeln.
Doch woher habe ich die Läuse? Als Neophyt haben Robinien nur eine kleine Zahl Lausarten, die auf sie angepasst sind. Können kilometerweit Robinien lausfrei sein, stößt man plötzlich auf lokale Vorkommen, bei denen die Pflanzen massenweise befallen sind. Meist gehen Läuse auf Jungpflanzen oder Strauchpflanzen, nicht auf die ausgewachsenen Bäume, dessen Rinde giftig ist.
In der Natur befallene Robinien. Hier sind zwei Arten Läuse vorhanden. Die schwarzen wandern sehr aktiv, produzieren aber nicht viel Honigtau. Die blauen wandern nicht gerne, aber produzieren eine größere Menge und dichtere Kolonien.
4. Das Camponotus nicobarensis Setup und ihre Trophobiose
Ab 100+ Läusen (eine gute sichtbare, mehrere Zentimeter lange Lauskolonie oder Traube) ist es ein guter Zeitpunkt, die Pflanze den Ameisen zugänglich zu machen. Die aktuelle Robinie der nicobarensis wird durch eine Pflanzenlampe versorgt, hält bisher stabil durch und zeigt Wachstum an mehreren Trieben, wenn auch recht langsam. Bei einer gesunden Robinie kann man mit einem Wachstum von 10cm pro Monat rechnen, aber eine im Zimmer gehaltene und mit Läusen befallene Pflanze wächst natürlich langsamer - was uns Haltern sehr zugute kommt.
Das ganze Setup ist 150cm weit und besteht aus einer großen Insel, auf der die nicos leben, verbunden mit einer kleinen Insel, auf der die Pflanze steht. Für Ästethik können sich hier gern andere berufen fühlen, mir ist nur wichtig, dass es funktioniert

Das Hauptnest der nicos, daneben gibt es noch ein kleines 2 Kammer Nest. Gegründet wurde die Kolonie im Juli 2022 vor genau einem Jahr.
Zum Abschluss noch ein kleines Video, wie die nicos sich um ihre Läuse kümmern:
Zum Vergleich die Formica Kolonie, die um dieselbe Zeit gegründet wurde wie die nicos. Trotz halbjähriger
Die Kolonie einen Monat später. Das Wachstum ist deutlich spürbar. Doch die Formica sind eine Geschichte für einen anderen Tag und werden in Kürze Ahorn als Lauswirt bekommen.