Raubzüge der Amazonen

Berichte, Erfahrungen, Beobachtungen aus der Natur
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Boro
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#9 AW: Raubzüge der Amazonen

Beitrag von Boro » 30. August 2008, 22:35

Und wieder eine totale Niederlage!

Bereits am 19. 8. 2006 habe ich (siehe weiter oben im selben Thread) berichtet, dass die Amazonenameise (Polyergus rufescens) beim Überfall auf ein großes Nest von Formica cf. rufibarbis (eventuell F. clara)nicht nur gescheitert war, sondern eine totale Niederlage hinnehmen musste!
Am 25. 8. 2008 war es wieder so weit:
Exakt das selbe Nest von Formica (Serviformica) rufibarbis wurde erneut vom selben Amazonenheer heimgesucht. Leider kam ich diesmal zu spät und wurde nur mehr mit den Folgen des gescheiterten Überfalls konfrontiert:
Am Weg zu diesem Polyergus-Nest liegt das besagte Formica rufibarbis-Nest. Schon von weitem erkannte ich, dass hier etwas Außergewöhnliches passiert sein musste: Die Formica-Arbeiterinnen rannten in heller Aufregung im weiten Umkreis umher.
Dann sah ich die Bescherung: Etliche tote Amazonen, ebenso Formica-Arbeiterinnen und noch vereinzelte Kämpfe.
Die letzten Amazonen wurden von den Formica-Arbeiterinnen gejagt wie das Wild bei der Treibjagd von einer Meute Hunde gejagt wird.
Keine Spur vom Mut, dem Draufgängertum und der oft beschriebenen Kampfkraft der Amazonen-Kriegerinnen.
Das Polyergus-Serviformica fusca-Serviformica cunicularia-Nest war von den wütenden Formica cf. clara längst überrannt, genau wie vor 2 Jahren. Ich kontrollierte mit der Uhr: Fast 30 Min. lang beherrschten die Arbeiterinnen (Kriegerinnen) von Formica rufibarbis das Geschehen:
Zum eigenen Nest zurückkehrende Hilfsameisen wurden gnadenlos attackiert und oft getötet, herumirrende Polyergus-Ameisen sofort angegriffen bzw. von deren Nest vertrieben.
Dabei machte ich eine bemerkenswerte Beobachtung: Wenn eine Formica rufibarbis eine Amazone fixieren und ihre Ameisensäure verspritzen konnte, eilten aus der näheren Umgebung sofort mehrere Kollegen zu Hilfe. Noch etwas deutlicher ist dieses Verhalten bei den Waldameisen ausgeprägt.
Aus dem "Nachlass" des Geschehens habe ich einige Fotos zusammengestellt:
1. Tote Kriegerinnen beider Arten in der Box eingesammelt
Bild

2. Tote, die aufrecht stehende Amazonenameise lebt noch. Die Verluste der Amazonen betrugen diesmal zum Glück nur etwa 20-30 aufgesammelte Tiere!
Bild

3. Eine Formica rufibarbis (F. clara ?) mit einer toten Formica fusca aus dem Polyergus-Nest. Man beachte den Größenunterschied!
Bild

4. Ich habe rasch einige dieser überaus tapferen Formica-Kriegerinnen (vorübergehend) in die Box ausgeliehen:
Bild

5. Vergrößerung dieser "Sklavenameise" aus der Untergattung Serviformica.
Das Verhalten der Tiere ist in keiner Weise "sklavenähnlich". Formica (Raptiformica) sanguinea traue ich eine Eroberung solcher Nester zu. Leider konnte ich ein derartiges Ereignis bisher nicht beobachten.
Bild

Mit Formica (Serviformica) cf. clara syn. lusatica und ihrem Verhalten habe ich mich vor kurzem hier beschäftigt:
http://www.ameisenforum.de/fotoberichte/33419-serviformica-sp-beobachten-u-erkennen.html
Beste Grüße v. Boro



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genium
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#10 AW: Raubzüge der Amazonen

Beitrag von genium » 31. August 2008, 00:06

unglaublich! es liest sich spannender als wie jeder krimi! das werde ich mir ausdrucken und in der Pause auf Arbeit lesen! danke dem Borg zum Schreiben dieser sehr sehr tollen Berichte! Der Genium



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Boro
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#11 AW: Raubzüge der Amazonen

Beitrag von Boro » 2. September 2008, 12:16

Auch Formica fusca wehrt sich!

Die Zeit der Raubzüge von Polyergus rufescens gegen die Serviformica-Arten geht dem Ende zu. Je nach Witterung ist Ende August/Anfang Sept. das Ende der Saison. Dann bleiben die Amazonen in ihren Nestern und frönen bis zum Beginn der Winterruhe ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Nichtstun!
Ich habe versucht in diesem Thread die Interaktion zwischen der Räuberin Polyergus rufescens und den Beraubten, den Serviformica-Arten, zu beleuchten.
Formica (Serviformica) fusca steht in der Dominanzhierarchie der Sklavenameisen an unterster Stelle! Und doch erweisen sich vor allem volkstarke Formica fusca-Nester nicht immer als "Jausengegner", wie man bei uns sagt.
An anderer Stelle habe ich das bereits an Hand einer Auseinandersetzung mit Raptiformica sanguinea nachzuweisen versucht:
Angriff von Raptiformica sanguinea - Ameisenforum.de
Polyergus rufescens plündert die Nester von Formica fusca zwar immer erfolgreich, aber nach der ersten Verwirrung beginnen sich die Formica-Arbeiterinnen zu formieren und attackieren die Angreifer bei längerer Andauer des Überfalles. Dazu habe ich ein paar Bilder gemacht, sie sind teilw. wohl etwas unscharf, aber ich gebe zu bedenken, dass die Szene total turbulent abläuft!
Die Bilder zeigen, wie jeweils mehrere Formica-Arbeiterinnen eine Amazonenameise zu fixieren versuchen. Meistens kann sich die Amazone durch taktisches Verhalten lösen: Zuerst Stillhalten und dann durch plötzliche, ruckartige Bewegungen losreißen. In einigen Fällen kann es auch verletzte oder tote Amazonen geben.
1. Bild

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Gruß Boro



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#12 AW: Raubzüge der Amazonen

Beitrag von Ant-Flo » 4. Oktober 2008, 23:20

:clap: Großes Lob an BORO,:clap:
finde deine Berichte über Polyergus rufescens echt super und man merkt auch gleich Deine "Liebe" zu diese Art. Freue mich schon auf neue Story´s - weiter so!!!:respekt:



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#13 AW: Raubzüge der Amazonen

Beitrag von Ant-Flo » 4. Oktober 2008, 23:44

:clap: Großes Lob an Dich,:clap:
finde deine Berichte über Polyergus rufescens echt super und man merkt auch gleich Deine "Liebe" zu diese Art. Freue mich schon auf neue Story´s - weiter so!!!:respekt:



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#14 AW: Raubzüge der Amazonen

Beitrag von Boro » 27. Juli 2009, 14:28

[url=http://picmirror.de/index.php/view/42158_Ãœberfallamaz1.jpg][img]http://picmirror.de/thumb.php/42158_Ãœberfallamaz1.jpg[/img][/url]



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#15 AW: Raubzüge der Amazonen

Beitrag von Boro » 27. Juli 2009, 19:43

[font="]Und wieder ein turbulentes Kampfgeschehen!

Vor etwa 2 Wochen entdeckte ich rein zufällig in meinem "Polyergus-Revier" eine neues Nest der Amazonen. Und zwar anlässlich eines Raubzuges einer kleinen Streitmacht mit nicht einmal 200 Tieren. Vielleicht die erste Raubsaison. Die meisten Amazonen waren auffallend klein und dunkel gefärbt, es wird sich wohl um ein junges Nest handeln, in welchem - wie bei anderen Arten auch - zuerst Pygmäen und Minor-Arbeiterinnen aufgezogen werden.
Nachdem ich den Standort des Nestes am Rand eines Feldweges herausgefunden hatte, kamen bereits große Bedenken auf: Schräg gegenüber, keine 4m entfernt, befand sich ein Nest großer, wehrhafter Sklavenameisen. Ich war ziemlich sicher, dass es sich um Formica cf. lusatica (seit 2009: Formica clara) handeln müsste. Wie solche Auseinandersetzungen ausgehen können, habe ich weiter oben in Beiträgen geschildert.
Nun, was soll man sagen: Vorgestern war es so weit! Ich kam etwas zu spät und konnte den Beginn des Überalles nicht miterleben. Jedenfalls rückte die Amazonen-Streitmacht in ungewohnt ungeordneter Masse über den Feldweg an das Zielnest heran, während erste Amazonen bereits mit Beute aus den Nesteingängen kamen. Tatsache ist jedenfalls, dass die Amazonen in das auserwählte Nest eindringen konnten, aber ab sofort gab es einen gewaltigen Tumult: Während neu ankommende Amazonen teilweise noch in das Nest eindringen konnten, wurden andere in wilde Kämpfe verwickelt und auch auf dem Rückmarsch verfolgt und weiter attackiert. Andere Nestbewohnerinnen versuchten ihre Brut über die nächstgelegenen Gräser und Blätter in Sicherheit zu bringen. Auch die Königin ergriff schließlich die Flucht und wurde von den Formicas begleitet und vom Zentrum des Geschehens weggezogen.
Das Glück für die Amazonen war hier, dass es sich noch um ein relativ junges und wenig volkstarkes Nest der Verteidigerinnen handelte, obwohl diese zahlenmäßig deutlich überlegen waren.
Bedingt durch die Kampfhandlungen hat der ganze Überfall über 15 Minuten gedauert.
Der absolut bedingungslose Einsatz beider Kampfparteien ist immer wieder erstaunlich und faszinierend zugleich. Wieder konnte ich feststellen, dass die Amazonen bei derart hartnäckigem Widerstand ihre sonst übliche Strategie teilweise ändern: Während die Angreiferinnen sonst ausschließlich an der Brut interessiert sind und die Nestbewohnerinnen -so gut es geht - ignorieren, entwickeln sie sich in solchen Situationen zu Kampfmaschinen und greifen jede Verteidigerin an, ohne sich um die eigene Sicherheit zu kümmern.
Es gab auf beiden Seiten Tote und Verletzte. Polyergus rufescens setzt im Kampf weniger ihre Giftdrüse, also vielmehr ihre säbelförmigen Mandibeln ein, die mit feinen Zähnchen besetzt sind und den Chitinpanzer der Feinde durchbohren können. Bevorzugte Bissstelle ist der Kopf der Gegnerinnen, an dieser Stelle Verletzte erkennt man gleich daran, dass sie sich vor dem Tod orientierungslos im Kreis zu drehen beginnen. Wird die Amazone von einer od. zwei Verteidigerinnen gepackt, verhält sie sich zuerst für einen Moment still, um sich dann - meist erfolgreich - mit ruckartigen Bewegungen loszureißen. Wird sie aber von mehreren Verteidigerinnen an den Extremitäten gestreckt, ist es auch um sie geschehen.
Vorteile der Amazonen im Kampfgeschehen:
1. Chemische Kriegsführung: Einsatz von Propagandapheromonen zur Verwirrung der Gegnerinnen.
2. Ãœberraschungseffekt und ungemein zielbewusstes Vorgehen
3. Ãœberlegenheit in der direkten Auseinandersetzung mit einer Gegnerin.

Nachteile der Amazonen im Kampfgeschehen:
1. Je länger der Überfall andauert, desto eher erholen sich die Verteidiger vom Schock und attackieren die Angreiferinnen.
2. Die Verteidigerinnen sind oft in der mehrfachen Ãœberzahl.
3. Bei großen Kolonien von Formica rufibarbis und noch mehr bei Formica clara syn.lusatica versagt der Überraschungseffekt durch ständige Anwesenheit vieler Verteidigerinnen auf der Nestoberfläche. Es kommt dann jedenfalls zum Kampf, der bei Formica cf. clara auch mit einer totalen Niederlage enden kann. Das selbe wäre bei einem (wenig wahrscheinlichen) Zusammentreffen mit Superkolonien der cinera-Gruppen anzunehmen.
Ich habe ein paar Fotos gemacht, sie sind wegen der enormen Hektik des Geschehens teilw. etwas unscharf.
1. Einer von mehreren Eingängen: Deutlich sind 2 (am untersten Rand eine dritte) Amazonen von Serviformica sp. zu unterscheiden.
Bild

2. Eine der kleinen, schlanken und dunklen Amazonen erscheint gerade mit einer Puppe. Die darüber befindliche Serviformica ist kräftiger gebaut und größer! Die durchschnittliche Größe dieser Amazonen lag bei nur 5-6mm Körperlänge (üblicherweise 6-8mm)
Bild

3. Eine der kleinen Amazonen etwas vergrößert: Offensichtlich liegt hier eine Kopfdeformation vor. Vielleicht die Folge eines Parasitenbefalls.
Bild

4. Auch abseits vom eigentlichen Nest gehen die Kämpfe weiter. Hier wird eine Amazone von mehreren Serviformica sp. in die Mangel genommen.
Bild

5. Kaum zu erkennen: Da liegt eine Amazone unten im Spalt!
Bild

6. So sieht die (geflüchtete) Königin aus diesem Serviformica-Nest aus. Ich hab sie kurz in die Box ausgeliehen und dann wieder ihren Arbeiterinnen zurückgegeben. Insgesamt eine recht dunkle Gesamtfärbung, die arttypische rote Zeichnung auf dem Mesonotum ist gerade noch deutlich zu erkennen. Es kann sich trotzdem durchaus um Formica cf. clara handeln, in den Nestern der in Frage kommenden Art konnte ich inzwischen feststellen, dass etwa 75% der Gynen diese durnkle Färbung zeigen. Möglicherweise eine regionale Eigenheit.
Bild

L.G. Boro










[/font]



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#16 AW: Raubzüge der Amazonen

Beitrag von Boro » 5. April 2012, 21:50

Videos zu den Raubzügen v. Polyergus rufescens

PHiL, früher ein sehr aktives Mitglied bei uns, hat mir heute sein neues Video verlinkt. Er ist jetzt Maturant und wird dann mit dem Biologie-Studium beginnen. Wir waren auch schon gemeinsam in Kärnten auf Exkursion, u. a. wurden natürlich die spannenden Raubzüge beobachtet. Dieses Video stammt aber von einem Nest, das er selbst in D entdeckt hat.
Ich finde, das Video ist in jeder Hinsicht sehr gut gelungen: http://www.youtube.com/watch?v=YDD5R8-GgU0. Man findet auf der Seite noch andere Videos dieser Art.
L.G.Boro



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