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Sklavenrebellion

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Moriquendi
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#1 Sklavenrebellion

Beitrag von Moriquendi » 20. September 2012, 00:34

Dass viele Ameisenarten Sozialparasiten sind, dürfte den meinsten hier bekannt sein.

Was ich allerdings noch nicht wusste, ist, dass die Sklaven z.T. auch rebellieren und die Brutpflege der Parasiten-Brut sabotieren und diese töten.

Dies wurde bei Temnothorax longispinosus entdeckt. Diese Art dient als Sklave für Protomognathus americanus, ein obligater Sklavenräuber.

Siehe hier: http://idw-online.de/de/news497057


per aspera ad astra

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Boro
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#2 AW: Sklavenrebellion

Beitrag von Boro » 20. September 2012, 10:06

Danke für den Link zu dieser interessanten Forschung!
Ein wenig kann ich da viell. auch beitragen, aber unter etwas anderen Umständen:
Polyergus rufescens, die Amazonenameise, ist ein permanenter Sozialparasit, also im Gegensatz etwa zu den bekannten Waldameisen, unbedingt für die Lebenzeit auf Sklaven bzw. Hilfsameisen angewiesen. Die Amazonen können eigenständig praktisch keine Nahrung aufnehmen, besitzen keinen Brutpflegeinstinkt u. beteiligen sich in keiner Weise am Nestbau. Zur Nestverteidigung treten sie jedoch an!
Nun ist aber seit einiger Zeit bekannt, dass in der Laborhaltung bzw. -aufzucht die Hilfsameisen oft frisch geschlüpfte Amazonen töten. Daraus kann man nur schließen, dass bei den Amazonen - obwohl sie im Nest mit Wirtsameisen die ganze Metamorphose vom Ei bis zur Imago durchmachen, - vergleichbar mit den Erkenntnissen im obigen Artikel - die "Andersartigkeit" erst am fertigen Isekt erkannt wird und nicht etwa im Larvenstadium. Das heißt, dass ein Rest von "Eigenduft" in der Cuticula vorhanden sein muss, denn ein visuelles Erkennen der "Andersartigkeit" kann man völlig ausschließen.
In der Natur ist das Töten frisch geschlüpfter Amazonen bisher nicht bekannt und im Kunstnest wohl auf beengte Verhältnisse etc. zurückzuführen. Dieses aggressive Verhalten ist mir auch längst aufgefallen, daher werden schon seit vielen Jahren aufgezogene Polyergusnester vor dem Schlüpfen d. Amazonen freigesetzt!
Lit.:
ZWAHLEN, H. ((2004): Erfolgreiche Koloniegründung einer Amazonenameisen-Königin im Gips Beobachtungsnest. Ameisenschutz aktuell 2/04: 50 - 52.
HELLER, G. (2004): Aggressives Verhalten von Formica-Arbeiterinnen gegen frisch geschlüpfte Arbeiterinnen von Polyergus rufescens (Latreille, 1798)(Hymenoptera: Formicidae). Myrmecologische Nachrichten 6: 13 - 17.
L.G.Boro



snowrider
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#3 AW: Sklavenrebellion

Beitrag von snowrider » 6. Oktober 2012, 18:42

Hier hab ich noch einen Artikel dazu. Das war ein großer Artikel im Wissenschaftsteil der Stuttgarter Zeitung :)
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.ameisen-an-die-waffen-schwestern.0cc46cd5-0f43-443a-931a-ef859c1fb917.html

LG Sebi



_mars_
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#4 AW: Sklavenrebellion

Beitrag von _mars_ » 8. Oktober 2012, 16:16

Danke für den Link. Habe es heute auch auf scinexx gelesen und wollte den link auch eben posten =)

Scheint ein weit verbreitetes Phänomen zu sein. Also nicht Artspezifisch, sondern einfach Sklaven-Sklavenhalter-Beziehung. Konnte das Verhalten auch bei meinen Formica sanguinea beobachten, also vielmehr bei deren Sklaven. Die F. fusca haben dort auch einige Kokons aufgebrochen und die Puppen geköpft.
Dennoch scheint der Nutzen der Sklavenhaltung den Nachteil zu überwiegen.



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#5 AW: Sklavenrebellion

Beitrag von Gast » 8. Oktober 2012, 17:53

Am liebsten würde ich gar nichts zu dem Thema schreiben, obwohl ich über Jahrzehnte an Sklavenhalter-Ameisen geforscht habe, vor allem an solchen aus der Gruppe der Formicoxenini, der Schmalbrustameisen, zu denen auch die hier behandelten Protomognathus americanus mit ihren Sklavenarten gehören. Es sind übrigens drei Sklavenarten, neben der hier genannten Temnothorax longispinosus werden T. ambiguus und T. curvispinosus versklavt.

In den über die Presse verbreiteten Informationen liest sich das alles schön glatt und überzeugend, und der Schritt zu einer Verallgemeinerung auf andere Arten ist dann nicht groß.

Worauf ich hinweisen möchte: Das Verhalten von Sklavenhaltern zu ihren Sklaven, und umgekehrt, kann durch etliche Faktoren beeinflusst werden, natürliche ebenso wie experimentelle.
So war über lange Zeit von einer nordamerikanischen Forschergruppe behauptet worden, dass die Sklavenhalter (P. americanus!) einen Großteil der geraubten Sklavenart-Puppen schlicht verzehren. Unsere Experimente haben gezeigt, dass Mangelernährung der Kolonien diesen Effekt ausgelöst hatte (eine künstliche Diät), während bei uns mit Mehlkäferpuppen und Honigwasser ernährte Völker dieses Verhalten nicht aufwiesen. Etwas dazu ist hier im AWiki referiert:
http://www.ameisenwiki.de/index.php/Bhatkar-Whitcomb-Di%C3%A4t
ab: "Ein wissenschaftlicher Versuch mit Bhatkar-Whitcomb-Diät."</SPAN>

Eine andere Sache ist, dass bei Arten, die mehrere Wirtsarten nutzen, eine Wirtsart A die neu geraubten Puppen einer Wirtsart B akzeptiert und im Sklavenhalternest schlüpfen lässt, während umgekehrt Sklaven der Wirtsart B neu hinzu geraubte Puppen von A zerbeißen und an die Larven der Sklavenhalter-Art verfüttern. Auch das wurde bisher "nur" an einem Beispiel untersucht:
Schumann, R., Buschinger, A. 1991: Selective acceptance of alien host species pupae by slaves of the dulotic ant, Harpagoxenus sublaevis (Hymenoptera, Formicidae, Myrmicinae).
Ethology 88, 154-162.

Ich will im Falle der hier referierten „Sklavenrebellion“ den Autoren absolut nichts unterstellen. Dazu fehlt mir die genaue Kenntnis der Versuchs- und Beobachtungsumstände. So weit ich sehen kann, ist die Untersuchung noch nicht in einer Fachzeitschrift veröffentlicht *), so dass sich "Material und Methoden" nicht beurteilen lassen.
Ich möchte nur darauf hinweisen, dass man sich über die beobachteten Tatsachen sehr sicher sein muss, alternative Erklärungen sehr sorgfältig ausschließen muss, bevor man direkt soziobiologische Gründe und damit genetisch bedingte Verhaltensunterschiede konstruiert, so wie hier den indirekten Fitnessgewinn für benachbarte Wirtsart-Völker.
Und wie bereits gesagt, eine Übertragung auf andere Sklavenhalter sollte man nur mit ganz besonderer Vorsicht in Erwägung ziehen.

MfG,
Merkur

PS: *) bezieht sich auf diese Arbeit: Pamminger, T., Leingärtner A., Achenbach A., Kleeberg I., Pennings P.S., Foitzik S. Geographic distribution of the anti-parasite trait “slave rebellion. Evolutionary Ecology, online first: DOI 10.1007/s1
Ich konnte sie allerdings noch nicht einsehen, ist nicht frei zugänglich.
In der Arbeit Achenbach & Foitzik 2009 ist beschrieben, dass die Versuchstiere aus USA nach D gebracht und in Laborexperimenten untersucht wurden.
Vielen Dank an cvb für den Hinweis im folgenden Post!



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cvb
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#6 AW: Sklavenrebellion

Beitrag von cvb » 8. Oktober 2012, 22:22

Es gibt 2 mir bekannte Publikationen zu diesem Thema:

Achenbach, A., Foitzik, S. 2009. First evidence for slave rebellion: Enslaved ant workers systematically kill the brood of their social parasite Protomognathus americanus. Evolution 63: 1068–1075.

Pamminger, T., Leingärtner A., Achenbach A., Kleeberg I., Pennings P.S., Foitzik S. Geographic distribution of the anti-parasite trait “slave rebellion. Evolutionary Ecology, online first: DOI 10.1007/s1

http://www.uni-mainz.de/presse/15733_ENG_HTML.php



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#7 AW: Sklavenrebellion

Beitrag von Gast » 9. Oktober 2012, 10:44

Hallo cvb,

Danke für die Klärung! Ich hatte eine ganz neue Arbeit erwartet, fand aber nichts Passendes auf der Webseite von T. Pamminger, wo ich danach gesucht habe:
http://www.bio.uni-mainz.de/zoo/evobio/76_DEU_HTML.php#L_Publikationen
Ich habe ein PS dazu in meinem Post (# 5) geschrieben.

Die neue Arbeit Pamminger et al. ist hier einzusehen (wurde von PHiL in einem anderen Forum gepostet):
http://scholar.harvard.edu/pennings/fil ... eprint.pdf

In der Arbeit Achenbach & Foitzik 2009, die ich kenne, ist erwähnt, dass die Versuchstiere aus USA nach D gebracht und in Laborexperimenten untersucht wurden. Im Unterschied zu unseren früheren Versuchen wurde Futter (Insekten, Honig) zwei Mal pro Woche geboten, während wir dreimal, jeweils Mo, Mi und Fr, das Futter gewechselt haben. Außerdem hatten wir höhere Temperaturen als bei Achenbach und Foitzik angegeben, und natürlich haben wir mit anderen Arten gearbeitet (Harpagoxenus sublaevis und Leptothorax acervorum). So sind Vergleiche kaum möglich. Ich habe nur darauf hinweisen wollen, dass man das Verhalten solcher Tiere durch Versuchsbedingungen stark beeinflussen kann.

Übrigens: Sie haben doch auch interessante Arbeiten gemacht und veröffentlicht. Wie wär’s mit ein paar Einträgen im AmeisenWiki?

MfG,
Merkur



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#8 AW: Sklavenrebellion

Beitrag von didinium » 27. Oktober 2012, 08:47

Hallo zusammen,
Dann melde ich mich hier auch einmal zu Wort. Das paper ist aus meiner Feder aber ich habe die Daten nicht selber erhoben. Diese wurden im laufe von ca 5 Jahren in Laborversuchen gesammelt. Alle meine Publikationen sind unter

https://www.researchgate.net/profile/Tobias_Pamminger/

zum dl bereitgestellt. In meinem Auge geht es weniger darum dass Parasiten schlechter überleben (und auch nicht um das aktive Töten) sondern das dies stark zwischen den Habitaten variiert (vor allem für das Überleben der Sklavenhalter). Wenn man sich die Rohdaten ansieht (ok das konnte jetzt nur ich wissen) gibt es viele Kolonien in denen alle Überleben und eben auch einige in denen alle getötet werden. Natürlich gibt es viel cofounding factors aber der Fehler sollte nicht systematisch sein. Naja soviel zu dieser Diskussion. Das nächste paper ist schon auf dem Weg in dem geht es um die Evolution dieses Phänomens ;). Ach immer wieder einen Kontroverse.

lg T



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